W&F 2019/3

Neues Projekt am IFSH

»Rüstungskontrolle und Neue Technologien«

von Götz Neuneck

Erfolgreiche Rüstungskontrolle, Abrüstung und die Kontrolle neuer Technologien sind zentrale friedens- und sicherheitspolitische Herausforderungen unserer Zeit. Die Debatte um Cyberwar, Laserwaffen, Künstliche Intelligenz oder Hyperschallwaffen ist ein deutliches Indiz für Innovationen, die rüstungsrelevant sind, aber von Rüstungskontrolle momentan nicht erfasst werden. Um Völkerrechtsverträge, Abrüstung und Nichtverbreitung an diese Entwicklung anpassen zu können, ist ein genaues Verständnis der neuen Waffentechnologien erforderlich.

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Rüstungswettbewerbes zwischen den USA, China und Russland, der Erosion der klassischen Rüstungskontrolle, der aktuellen Blockade der Abrüstungsbemühungen und der Verbreitung neuer (Waffen-) Technologie beschloss die Bundesregierung, ihre diesbezüglichen Aktivitäten international zu verstärken. Dies fand u.a. Ausdruck in der internationalen Fachkonferenz »Capturing Technology – Rethinking Arms Control«, die am 15. März 2019 in Berlin stattfand. Außenminister Heiko Maas betonte bei seiner Eröffnungsrede, dass wir „einen offenen, ernsthaften Dialog über die Zukunftsfragen der Rüstungskontrolle brauchen“. Er plädierte für mehr Kooperation und Dialog zwischen Parlamentarier*innen, Regierungsvertreter*innen, Thinktanks, Forscher*innen, Militärexpert*innen und Industrievertreter*innen. Mit der Außenministerin von Schweden und dem Außenminister der Niederlanden vereinbarte er bei diesem Anlaß eine engere Zusammenarbeit bei diesen Fragen.

Angesichts der steigenden Bedeutung neuer Technologien ist dafür interdiszi­plinäre Zusammenarbeit nötig. In seinen »Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung« vom 12. Juli 2019 verwies der Wissenschaftsrat zudem darauf, dass „einschlägige natur- und technikwissenschaftliche Kompetenz in Deutschland für die Friedens- und Konfliktforschung immer weniger verfügbar [ist], während zugleich die Nachfrage nach entsprechender Beratung im politischen Raum nicht zuletzt angesichts neuer Formen der Kriegsführung – Stichwort: Cyberwar – zunimmt“ (S. 14/15). Darüberhinaus gilt es auch, neue Rüstungswettläufe zu verhindern, destabilisierende Tendenzen in einer Krise zu identifizieren und weitere Abrüstung möglich zu machen. Diesem Anspruch liegt ein am IFSH seit Jahrzehnten entwickeltes Verständnis von „kooperativer Rüstungssteuerung“ (Wolf Graf von Baudissin/Dieter S. Lutz) und von »präventiver Rüstungskontrolle« zugrunde.

Entsprechend betrieb das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) im Rahmen der Interdisziplinären Forschungsgruppe für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien (IFAR2) bereits in den vergangenen 20 Jahren Forschung in den Bereichen Technologiefolgenabschätzung, Dual-use-Potentiale neuer Technologien und deren Kompatibilität mit Rüstungskontrolle. Die Arbeiten bezogen sich insbesondere auf die Atombewaffnung, neue Trägersysteme, Raketenabwehr und die Bewaffnung von Weltraum und Cyberspace.

Nun ist es dem IFSH gelungen, vom Auswärtigen Amt den Zuschlag für das mehrjähriges Forschungs- und Transferprojekt »Rüstungskontrolle und Neue Technologien« zu bekommen. In einem internationalen Projektteam sollen die Risiken neuer rüstungsrelevanter Technologien und Innovationen für Frieden und Sicherheit erforscht und Vorschläge zu deren Einhegung durch Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung und Abrüstung ausgearbeitet werden. Der erweiterte internationale und interdisziplinäre Forschungsbereich widmet sich dabei insbesondere den Technologien, die einen inhärenten zivil-militärischen Anwendungsdualismus (dual use) haben und beispielsweise Rüstungswettläufe antreiben können. Dennoch bleiben weiterhin auch bereits existierende oder noch zu entwickelnde Regulierungen zur Einhegung von Massenvernichtungswaffen im Fokus. Hierbei interessiert insbesondere die konfliktverringernde Anwendung der unterschiedlichen Instrumente zur Abrüstung und Rüstungskontrolle, zur Nichtverbreitung und Vertrauensbildung sowie zur Verifikation bestehender Übereinkommen. Das Paradigma der Abschreckung wird kritisch-distanziert im Sinne der Kriegsverhütung und des Friedenserhalts mit einbezogen.

Das Großprojekt »Rüstungskontrolle und Neue Technologien« wurde mit einer Auftaktveranstaltung am 21. Mai 2019 mit Eröffnungsreden von Außenminister Maas und Hamburgs Oberbürgermeister Tschentscher offiziell gestartet. Bei seiner Rede betonte der Außenminister, dass „die beratende Wissenschaft gerade in langwierigen und komplexen Prozessen wie der Rüstungskontrolle eine unverzichtbare Hilfe“ sei: „Sie ist Ratgeber, Kritiker und intellektueller Sparringpartner für Politik, Diplomatie und auch Militär. Sie sucht in der Forschung und im Austausch mit Experten und Politikern weltweit nach Mitteln und Wegen, die wir noch nicht kennen oder nicht erkennen.“ Damit wird deutlich, dass das Projekt keine Ressortforschung betreibt, wissenschaftlich unabhängig ist und politisch neutral bleibt.

Das zunächst vierjährige Projekt ist unterteilt in vier thematische Schwerpunkte: 1. nukleare Rüstungskontrolle und Massenvernichtungswaffen, 2. »emerging technologies« und präventive Rüstungskontrolle, 3. konventionelle Rüstungskontrolle und 4. Zukunftsfragen der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung. Um die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Projektpersonals umfassend an die interessierte Öffentlichkeit, in die Fachgemeinschaft und in den politischen Raum in Berlin zu transferieren, wird eine IFSH-Depen­dance in Berlin eröffnet, die unter anderem mit der Organisation einer alle zwei Jahre stattfindenden Abrüstungskonferenz in der Bundeshauptstadt befasst ist. Weitere Ziele des Projekts sind der Ausbau der international anerkannten deutschen Expertise im Bereich Rüstungskontrolle und Abrüstung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf diesem Sektor.

Ein erster internationaler Kooperationspartner des Projekts ist das Henry A. Kissinger Center for Global Affairs der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS) in Washington, D.C., mit welchem das IFSH die alle zwei Jahre tagende Konferenz der »Nuclear Scholars Research Initiative« erstmals in Europa (Hamburg) veranstalten wird. Weitere nationale und internationale Kooperationspartner werden in den kommenden Jahren hinzukommen.

Erste Stellenbesetzungen sind erfolgt, sodass ab Sommer 2019 sieben Wissenschaftler*innen u.a. aus den Politikwissenschaften, den Kulturwissenschaften, der Physik, der Informatik und den Geschichtswissenschaften gemeinsam an den Projektthemen arbeiten werden. Auch besteht die Möglichkeit, internationale Fellows an das IFSH zu holen.

Prof. Dr. Götz ist Stellvertretender Wissenschaftlicher Direktor des IFSH und Leiter des Projekts »Rüstungskontrolle und Neue Technologien«.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/3 Hybrider Krieg?, Seite 49–50