W&F 1987/1

„Nicht einmal Mrs. Thatcher steht voll und ganz dahinter“

Interview mit Dr. Anne-Christine Davis

von Dr. Anne-Christine Davis und Dr. Bernd Greiner

Am Rande des internationalen Naturwissenschaftler-Kongresses in Hamburg (14.-16.11.1986) sprach Dr. Bernd Greiner mit einer britischen Naturwissenschaftlerin, Dr. Anne-Christine Davis, über die Bewegung gegen SDI in Großbritannien. Frau Davis arbeitet am Institut für Angewandte Mathematik und Theoretische Physik der Universität Cambridge.

Frage: Frau Davis, Sie nehmen an diesem Kongreß als Vertreterin der Initiative „Star-Wars-Research Boykott“ teil. Würden Sie uns diese Initiative bitte vorstellen?

Es begann damit, daß unser Verteidigungsminister eine Regierungsvereinbarung, ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“ mit Vertretern der amerikanischen Administration unterzeichnete und damit grünes Licht für eine britische Beteiligung am Star-Wars-Programm gab. Umgehend wurde auch ein SDI-Büro im Verteidigungsministerium eingerichtet. Dieses Büro soll unter Naturwissenschafflern Star-Wars-Verträge einwerben. Einige meiner Kollegen und ich sagten uns, daß hier etwas unternommen werden müsse. Schließlich waren Wir ja der Meinung, daß SDI als Gesamtsystem nicht funktionieren kann und daß wir uns einer schwerwiegenden Destabilisierung gegenübersähen, würden auch nur einige wenige Teilkomponenten von „Star-Wars“ realisiert.

Frage: Was ist Ihr hauptsächliches Anliegen?

Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus London und Cambridge erarbeitete einen Aufruf, ein Gelöbnis, wenn Sie so wollen: wir wollen weder Star-Wars-Gelder einwerben noch akzeptieren. Eine ähnliche Forderung wird übrigens auch von amerikanischen Kollegen vertreten. Wir verbreiteten diesen Aufruf zunächst an unseren jeweiligen Heimatuniversitäten. Sehr bald verbreiterten wir die Arbeit und sprachen ein größeres Publikum an - zahlreiche Physikalische Institute sowie Informatik- und Mathematik-Fachbereiche. Augenblicklich zirkuliert der Aufruf an 23 Universitäten und 29 Instituten.

Frage: Können Sie eine Zwischenbilanz ziehen?

Über die Hälfte des angesprochenen Lehrpersonals hat den Aufruf unterschrieben sie alle wollten keine Star-Wars-Gelder akzeptieren. Unter ihnen sind drei Nobelpreisträger, 22 weitere Mitglieder der Königlichen Akademie der Wissenschaften und zehn Institutsdirektoren. Eine nennenswerte Gruppe wissenschaftlicher Eliten in rüstungspolitisch relevanten Fachgebieten weigert sich, SDI-Verträge anzunehmen.

Frage: Wie stark ist der akademische Mittelbau und Nachwuchs in Ihrer Initiative vertreten?

Leider noch zu wenig. Aus den Reihen der etablierten und renommierten Wissenschaftler ist augenblicklich die Unterstützung größer. Ein typisches Beispiel ist Cambridge: die Nobelpreisträger an dieser Universität, Prof. Hewish und Prof. Josephson, haben beide unterschrieben. Jüngere Forscher sind in vielen Fällen eher zögerlich.

Frage: Wie steht es mit der Forschung in Industriebetrieben? Haben Sie bereits Mittel und Wege gefunden, diese Kollegen anzusprechen?

Augenblicklich orientieren wir uns in erster Linie auf die Universitäten. Hier wird der größte Teil der wirklich kreativen Forschung geleistet, d.h. jener Arbeit, die für SDI entscheidend ist. „Star-Wars“ ist auf diese kreative Forschung angewiesen, wird also auf Zuarbeit der Universitäten nicht verzichten können.

Frage: Haben Sie Informationen darüber, in welchem Umfang bisher SDI-Aufträge an die britische Industrie vergeben wurden? Wir in der Bundesrepublik vermuten, daß sich diese Vergabe bislang noch in engen Grenzen hält.

Ich vermute Ähnliches für Großbritannien. Aber es ist unmöglich, eine präzise Antwort zu geben - wir wissen einfach zu wenig über diese Zusammenhänge. Sicher ist nur, daß ein Fachbereich einer Universität sich hat anwerben lassen. Der Verteidigungsminister behauptet, es lägen 40 Bewerbungen akademischer Institutionen und etliche Anfragen aus der Industrie vor. Aber es gibt keine verläßlichen Informationen, um wen es sich da handeln soll. Man kann aber unterstellen, daß die Zahl der Interessenten in Wirklichkeit viel geringer ist, einfach deshalb, weil die Vertragsbedingungen keineswegs vorteilhaft sind.

Frage: Vor wenigen Monaten berichtete unsere Presse über Fälle amerikanischer Industriespionage in der britischen Rüstungswirtschaft. Darüber sei es in der Regierung und der konservativen Partei zu heftigen Kontroversen gekommen. Bewegt sich denn tatsächlich etwas im Regierungslager?

Zweifellos war Mr. Robinson, der früher für „Aviation and Space Weekly“ schrieb, wegen der britisch-amerikanischen SDI-Übereinkunft in unserem Land. Und wenn man den Zeitungsberichten glauben darf, so war er in der Tat in Industriespionage verwickelt. Jedenfalls wurde er des Landes verwiesen. Dieser Vorfall sorgte für große Aufregung in der Presse und im Unterhaus. Prominente Politiker der konservativen Partei meldeten heftige Kritik an - die Gruppe der SDI-Gegner wird bei den Konservativen vom ehemaligen Premierminister Edward Heath angeführt. Das Kabinett schaltet sich aber in dieser Frage mittlerweile ab und unterstützt alles, was Frau Thatcher zu sagen hat. Aber ich habe den Eindruck, nicht einmal Mrs. Thatcher steht voll und ganz dahinter.

Frage: Während der Podiumsdiskussion gestern abend behauptete Lord Allan Chalfont, Mitglied des britischen Oberhauses, es gäbe in der Öffentlichkeit Ihres Landes keine Mehrheit gegen SDI. Gegner wie Befürworter seien ungefähr gleich stark. Was ist von dieser Aussage zu halten?

Ich habe bisher in zahlreichen Veranstaltungen über SDI gesprochen - bei Friedensinitiativen und kirchlichen Gruppen, mitunter auch vor sehr konservativen Zuhörern. Aber bis heute ist mir niemand in Großbritannien begegnet, der für SDI wäre. Ich kann nur annehmen, daß Lord Chalfont mit ganz anderen Gruppen als jenen spricht, die ich kenne. Ich glaube nicht, daß seine Aussage zutrifft.

Frage: Wie würde sich ein Regierungswechsel auf den Konflikt um SDI auswirken?

Die Auswirkungen in unserem Land wären enorm. SDI hat nicht die geringste Unterstützung innerhalb der Labour Party. Käme Labour an die Macht, so wäre ich sehr zuversichtlich, daß die britische Beteiligung an SDI aufgekündigt würde.

Frage: Auf welchen Traditionen kann Ihre Bewegung aufbauen? Gab es beispielsweise eine vergleichbare Opposition gegen die britische Atom- und Wasserstoffbombe?

Die jetzige Bewegung ist beispiellos in unserer Nachkriegsgeschichte. Sicherlich gab es Unzufriedenheit und Kritik in der Phase, als Großbritannien zur Atomwacht wurde. Aber die damaligen Initiativen blieben zahlenmäßig weit hinter den heutigen Erfolgen zurück. Heute haben wir es geschafft einen nur von Wissenschaftlern getragenen Boykott auf die Beine zu stellen. Wir halten uns ganz bewußt aus anderen politischen Gruppierungen heraus. Wir melden uns als Wissenschaftler zu Wort und nicht als Wissenschaftlergruppe irgendeiner politischen Richtung. Hier liegt unsere Stärke und das Geheimnis unseres Erfolges.

Frau Davis, wir danken für dieses Gespräch.

Anschrift: Dr. Anne-Christine Davis, Dept. Applied Mathematics and Theoretical Physics, Cambridge University, Silver Street, Cambridge, CB 3 9EW England

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/1 1987-1, Seite