Nicht unter »Generalverdacht«, aber unter kritischem Blick
Was Sozialwissenschaftler im Detail am Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus interessieren könnte
von Albert Fuchs
Der vorliegende Entwurf eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms zum Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus entstand in Aufarbeitung des vergeblichen Versuchs, einen entsprechenden Beitrag für W&F zu akquirieren. Darin sollte aus gegebenem Anlaß die einschlägige Forschungslage dargestellt werden. Der Versuch scheiterte mangels relevanter, empirisch fundierter Erkenntnisse. Vor diesem Hintergrund werden zentrale Forschungsdesiderate skizziert: eine hinlängliche Begriffsklärung, die Erarbeitung eines geeigneten Untersuchungsinstrumentariums, die Bestimmung der Prävalenz und Entwicklung rechtsextremistischer Vorkommnisse, Vernetzungen, und Orientierungsmuster im Bereich der Bundeswehr, die Prüfung spezifischer Erklärungsansätze sowie die Bewertung und Entwicklung geeigneter Auseinandersetzungsstrategien. Zum Abschluss werden einige Bedingungen der Realisierung des skizzierten Programms zur Diskussion gestellt.
Die Nachricht vom Auftritt des bundesweit bekannten, einschlägig vorbestraften Neonazis Manfred Roeder als Vortragsredner im Rahmen der »Offiziersweiterbildung« an der Führungsakademie der Bundeswehr (z.B. Der Spiegel vom 08.12.97, S. 16) führte Ende 97/Anfang 98 zu einem mächtigen Rauschen des Themas Bundeswehr und Rechtsextremismus durch den deutschen Blätterwald. Nach einigem Hin und Her reagierte die politische Klasse mit der (erstmaligen) Konstituierung des Verteidigungsausschusses des Bundestags als Untersuchungsausschuss (vgl. Wissenschaft und Frieden, 1998). Im Juni 98 legte dieser Verteidigungs-Untersuchungsauschuss einen voluminösen Abschlussbericht vor; die AusschussvertreterInnnen von Bündnis 90/Die Grünen unterbreiteten zur gleichen Zeit einen Minderheitenbericht. Seither herrscht praktisch wieder »Schweigen im Wald«.
Ist mit den besagten Berichten dem Aufklärungsbedarf der Gesellschaft zu dem heiklen Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus Genüge getan? Hat sich das Problem aufgrund der Arbeit des Untersuchungsausschusses vielleicht sogar erledigt? Letzteres mit Sicherheit nicht, ersteres höchstwahrscheinlich auch nicht. Nach wie vor stellen die meisten Behauptungen und Erklärungen zu diesem Thema, die mit dem Anspruch gesicherter Erkenntnis angeboten werden, letztlich nur subjektive Einschätzungen und Vermutungen dar und dürften dementsprechend vor allem die jeweilige politische Interessenlage widerspiegeln. Einen Ausweg aus dieser Verquickung von Fakt, Fiktion und Interesse bietet nur solide empirische Forschung.
Was aber könnte und sollte Sozialwissenschaftler am Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus im Detail interessieren? In der öffentlichen Diskussion des vergangenen Jahres wurden vor allem zwei politisch brisante Fragenkomplexe ventiliert: die Frage der Entwicklung rechtsextremer Vorfälle und Orientierungen in der »Armee der Einheit« und die Frage der Bedeutung der Neuformierung der Bundeswehr für diese Entwicklung. Doch bevor man sich an die Klärung solcher Fragen machen kann, ist einige Vorarbeit zu leisten, und außer diesen beiden gibt es andere substantielle Fragen, die die intrinsische Neugier von Sozialwissenschaftlern stimulieren können. Das beginnt mit der Begriffsbestimmung.
Probleme der Begriffsbestimmung
Der Rechtsextremismusbegriff ist weder in der öffentlichen noch in der wissenschaftlichen Diskussion so weit normiert, dass man hinlängliche Übereinstimmung der Diskussionteilnehmer im Begriffsverständnis voraussetzen kann. Aus methodisch-forschungstechnischen, theoretischen und auch politisch-praktischen Gründen ist es daher unabdingbar, sich zunächst eingehend mit der Definitionsproblematik auseinanderzusetzen (vgl. Druwe & Mantino, 1996). Hier sei nur hingewiesen auf einige konzeptionelle Entscheidungspunkte, die man im analytischen Vorfeld zu passieren hat.
Auf einer ersten Ebene geht es um die Frage der Untersuchungseinheit. Hier steht ein institutionsbezogener, sich an den auf der gesellschaftlich-politischen Bühne zu beobachtenden organisatorischen Verfestigungen (Parteien, Verbände, Subkulturen . . .) orientierender Ansatz einem individuumbezogenen Ansatz gegenüber. Soweit man diesen Ansatz zugrundelegt, mag man sich mit manifestem Verhalten (Wahlverhalten, Mitgliedschaften, Protestverhalten . . .) begnügen oder aber Orientierungen (Einstellungen und Einstellungsmuster) einbeziehen. Auf der Einstellungs-Ebene steht zur Diskussion, wie die rechtsextreme Orientierung genauer zu konzipieren ist: als Verbindung einer Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit mit Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft, wie es vor allem Heitmeyer (z.B. 1992, S. 10) propagiert, oder als Kombination diverser Komponenten einer Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit mit bestimmten formalen oder strukturellen Merkmalen des Denkens (wie Rigidität, Intoleranz gegen Mehrdeutigkeit . . .), wie es Forscher vertreten, die der Totalitarismustheorie nahezustehen scheinen (z.B. Backes, 1998). Wie immer man sich auf dieser dritten Ebene entscheidet, auf einer vierten ist darüber zu befinden, was die Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit im einzelnen beinhalten soll. In der Literatur zu findende diesbezügliche »Angebote« sind in Abbildung 1 dargestellt.
Abb. 1: Entscheidungsalternativen zum Rechtsextremismuskonzept |
Für alle Optionen in dem skizzierten Entscheidungsraum gibt es mehr oder weniger überzeugende Argumente, die zu sichten und zu bewerten sind, um zu einem fundierten Rahmenkonzept zu gelangen. Die angesprochenen Alternativen schließen sich allerdings nicht gegenseitig aus, sondern sind eher komplementär; insofern sollte man diesen Entscheidungsraum vor allem als einen durch empirische Forschung zu füllenden Suchraum betrachten. Eine besonders diffizile konzeptuelle Vorfrage scheint mir zu sein, wie man den alten und neuen militärpolitischen Traditionalismus in der Bundeswehrführung einordnen soll: als rechtsextremistische Orientierungsvariante eigener Art oder als (potentiellen) Bestimmungsfaktor der ansonsten zu konstatierenden rechtsextremistischen Vorkommnisse und Tendenzen (vgl. Bald, 1998a, 1998b).
Mit ähnlichen analytischen Unsicherheiten ist die sogenannte Traditionspflege behaftet, die durch Erlasse und Dienstvorschriften vorgesehene normative, vor allem aber die faktisch vorzufindende und von den Vorgesetzten geduldete. Schließlich ist zu prüfen, ob für das gegebene Problemfeld nicht Spezifikationen der in Abbildung 1 aufgeführten Komponenten der Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit angezeigt sind, z.B eine Spezifikation der Komponente Geschichtsrevisionismus unter dem Gesichtspunkt „Wie hältst du's mit der Wehrmacht?“ (Vogel, 1990).
Untersuchungsinstrumentarium
Nach hinlänglicher Klärung der Definitionsfrage kann man sich an die Entwicklung eines geeigneten Untersuchungsinstrumentariums machen. Angesichts der angedeuteten konzeptuellen Probleme ist auch bei diesem Schritt mit einigem Arbeitsaufwand zu rechnen. Zudem sind die meisten der vorliegenden Instrumente in messtheoretischer Hinsicht eher anspruchslos; beispielsweise begnügt man sich vielfach mit einem oder zwei Items als Indikatoren von Konstrukten mit erheblichem Bedeutungsüberschuss. Man wird sich also bei diesem Schritt kaum auf die Prüfung und Zusammenstellung vorliegender Skalen beschränken können, sondern eigene Konstruktionsarbeit leisten müssen. Der durchgehend gesehene Syndrom-Charakter des rechtsextremen Denkens könnte in methodischer Hinsicht eine besondere Herausforderung darstellen.
Eine besondere methodische Herausforderung ergibt sich auch daraus, dass es sich bei vielen Bundeswehrangehörigen um eine der »politischen Korrektheit« ihrer Äußerungen und Stellungnahmen wohl bewußte Klientel handeln dürfte. Die üblichen Einstellungsskalen erscheinen folglich aufgrund ihrer Transparenz wenig geeignet für eine Anwendung im vorliegenden Problemfeld; zumindest sollte ihre Eignung nicht einfach unterstellt, sondern zunächst geprüft werden.
Ein weitere methodische Herausforderung ergibt sich daraus, dass nicht jedes rechtsextremistisch motivierte »besondere Vorkommnis« (MAD-Terminologie) jedem anderen im Hinblick auf seinen Rechtsextremismusgehalt gleichwertig ist und damit auch nicht gleich aufschlussreich für den Zustand der Truppe. Man benötigt demnach zur Erfassung des Rechtsextremismusgehalts der »besonderen Vorkommnisse« eine Skala von der Art von Thurstones (1927) Metrik für die Schwere von Verbrechen. Erst in Verbindung mit metrischer Information dieser Art können Häufigkeitsangaben validen Aufschluss geben über die Rechtsextremismusbelastung der Bundeswehr. Die simple Unterscheidung von Propagandadelikten und Fällen von Bedrohung und Gewaltanwendung ist bestenfalls ein erster Schritt in diese Richtung.
Ein solcher quantifizierender Ansatz könnte auch dazu beitragen, manches konzeptuelle Abgrenzungsproblem wie im Falle fragwürdiger Traditionspflege zumindest zu entschärfen. Zum andern könnte eine derartige Standardmetrik zur indirekten Erfassung rechtsextremistischer Einstellungen Verwendung finden und damit die Schwierigkeiten beheben helfen, die dem Versuch anhaften, mit leicht durchschaubaren Instrumenten der herkömmlichen Machart die Einstellungen von Bundeswehrangehörigen zu erfassen. Dabei würde man sich den spätestens mit der Arbeit von Hovland & Sherif (1952) nachgewiesenen Einfluss von Einstellungen auf Beurteilungsleistungen diagnostisch bzw. forschungsstrategisch zunutze machen.
Zur Sache
Nach der skizzierten, m.E. unabdingbaren Vorarbeit kann man die Bearbeitung der eigentlichen Fragen zur Sache aufnehmen. Ich sehe drei umschriebene, wenngleich interdependente Komplexe: 1. Prävalenz und Entwicklung der besonderen Vorkommnisse, rechtsextremistischer Orientierungsmuster und einschlägiger Assoziationen und Vernetzungen im Bereich der Bundeswehr; 2. spezifische Erklärungsansätze; 3. Wirkungen offiziöser Strategien gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr.
- 1. Der Komplex Prävalenz und Entwicklung rechtsextremistischer Vorfälle und Orientierungen im Bereich der Bundeswehr steht in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund, und die beiden Teilkomplexe werden als zwei Seiten einer Medaille gehandelt. Aus forschungsstrategischer Perspektive sind Prävalenzfragen jedoch Entwicklungsfragen vorgeordnet, d.h. um zu wissenschaftlich vertretbaren Aussagen über Entwicklungsverläufe zu gelangen, muss man zumindest über zwei (unter vergleichbaren Bedingungen gewonnene) Prävalenzbefunde im Querschnitt verfügen. Im übrigen lässt sich der Komplex Prävalenz und Entwicklung zwar analytisch von dem Komplex Erklärungen trennen, kann aber forschungstrategisch und forschungspraktisch kaum anders als in Wechselwirkung mit der Bearbeitung dieses Komplexes bearbeitet werden.
- 2. Die von der sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismusforschung diskutierten allgemeinen Erklärungsansätze (vgl. Eckert, Willems & Würtz, 1996; Stöss, 1994; Winkler, 1996) scheinen mir im Falle der Bundeswehr von nachgeordneter Bedeutung zu sein. Im Vordergrund stehen hier Ansätze, die in der politischen Diskussion ventiliert werden. Von seiten der für die deutsche Militär- und Sicherheitspolitik Verantwortlichen – einschließlich der Wehrbeauftragten des Bundestags – bemüht man meist eine etwas naiv anmutende »Spiegeltheorie«. Danach kommen in der Bundeswehr als Teil der deutschen Gesellschaft rechtsextremistische Orientierungen und Verhaltensweisen in Art und Ausmaß zur Geltung, wie sie auch in der Gesamtgesellschaft vorhanden sind. Der instrumentelle – genauer: defensive – Charakter dieser These liegt auf der Hand; schlichtweg ignoriert wird dabei, dass sich ein Großteil der Wehrpflichtigen gemäß Art. 4 Abs. 3 GG für den Zivildienst statt für den Dienst mit der Waffe entscheidet. Zudem legen die Befunde einschlägiger Einstellungsuntersuchungen, so spärlich diese auch sind, einen selektionstheoretischen Ansatz nahe (vgl. Bonnemann & Hofmann-Broll, 1997; Gessenharter, Fröchling & Krupp, 1978; Kohr, Lippert, Meyer & Sauter, 1993; Seifert, 1994).
Das besagt zunächst (nur), dass die Institution Bundeswehr vor allem für Leute attraktiv ist, die politisch eher rechts orientiert sind, national und machtpolitisch denken. Ob darüber hinaus seitens der militärischen Vorgesetzten auch eine aktive Selektion betrieben wird dergestalt, dass Leute der besagten Orientierung „die größten Chancen auf gute Beurteilungen, schnelle Beförderung und steile Karriere“ haben (Vogt, 1998, S. 53), mag ein Insider wohlbegründet vermuten und auch durch kasuistische Evidenz erhärten können; Mechanismen und Tragweite dieser aktiven Selektion aber bleiben genauer zu erforschen. Schließlich ist zu klären, ob die Attraktivität der Bundeswehr für rechts Orientierte und das Gewicht der unterstellten aktiven Selektion mit der Umstrukturierung der Bundeswehr in der ersten Hälfte der 90er Jahre zugenommen haben.
Diese zuletzt charakterisierte Variante der Selektionsthese geht unmerklich über in einen Erklärungsansatz, den man als »Induktionsthese« bezeichnen kann. Dieser These zufolge schafft die Bundeswehrführung selber die Bedingungen für rechtsextremistische Skandale und Orientierungen, sind diese im besonderen ein Ergebnis der Neuformierung und Neustrukturierung der Streitkräfte, ist das rechtsextreme Gedankengut geradezu ein Entwicklungsprodukt der »Kampfspiele« der Soldaten der Krisenreaktionskräfte, d.h. ihrer Vorbereitungsübungen im Inland.
Für Sozialwissenschaftler dürfte es wiederum eine interessante Herausforderung darstellen, die konkurrierenden Erklärungsansätze empirisch gegeneinander zu testen. Mit den skizzierten Ansätzen ist allerdings nur ein grober Rahmen abgesteckt. Dem Minderheitenbericht der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im 1. Untersuchungsausschuss des Verteidigungsausschusses sind interessante weitere Hypothesen zu entnehmen (u.a. zur Rolle des Führungsstils des Verteidigungsministers, zum aktuellen Status der Inneren Führung und zur herrschenden Praxis der Politischen Bildung, zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege . . .), die geeignet erscheinen, das Bild wesentlich zu differenzieren und zwischen den globalen Erklärungsansätzen zu vermitteln (Bündnis 90/Die Grünen, 1998; vgl. auch Wette, 1998).
Bei aller notwendigen Konzentration auf die spezifische Erklärungsproblematik sollte man schließlich den (möglichen) Zusammenhang diverser Formen von Rechtsextremismus in der Bundeswehr mit der einschlägigen politischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklung seit der Epochenwende, die Gessenharter & Fröchling (1998) eine „Neuvermessung des politisch-ideologischen Raumes“ erforderlich erscheinen lässt, nicht außer Acht lassen. Ob und in welchem Ausmaß dieser »distale Faktor« von Bedeutung ist, kann ebenso wenig a priori entschieden werden wie in den anderen Fällen.
3. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus kann sich nicht auf Fragen der Verbreitung und Entwicklung von rechtsextremistischen Vorkommnissen, Orientierungen und Zusammenschlüssen und auf die Klärung der Ursachen dafür beschränken; es geht auch um angemessene Strategien gegen eine Unterwanderung der Bundeswehr von rechts bzw. um die Angemessenheit der von den politisch Verantwortlichen entworfenen und realisierten Gegenstrategien. Aus der Perspektive des »concerned scientist« ist dieses Forschungsinteresse dem wissenschaftlichen Interesse i.e.S. sogar übergeordnet.
Eine indirekte Evaluierung von Strategien der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Tendenzen in der Bundeswehr ergibt sich aus der geforderten Ursachenforschung. Sollte sich beispielsweise die These der aktiven Selektion oder gar die Induktionsthese empirisch bewähren, wären damit die diversen pädagogischen, dienst-, disziplinar- und strafrechtlichen Maßnahmen, mit denen die Bundeswehrführung Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Truppe entgegenwirken will (vgl. Bagger, 1997), weitgehend diskreditiert. Denn ein solcher Befund würde bedeuten, dass man mit einem Feuerwerk von besonderen Maßnahmen verhindern bzw. beheben will, was man durch die sogenannte Normalisierung der deutschen Militärpolitik befördert. Eine derartige Inkongruenz von latentem und manifestem »Lehrplan« in Sachen Rechtsextremismus könnte aber im Sinne der Leitidee Staatsbürger in Uniform nur kontraproduktiv sein
Eine direktere Evaluierung erfordert der politische Umgang der Bundeswehrführung mit der Problematik – von der Weigerung, die Bundeswehr für sozialwissenschaftliche Untersuchungen »von außen« zu öffnen, über diverse Formen eventueller Problemverleugnung (»Einzelfallthese«, »Spiegeltheorie« . . .) bis zur Diffamierung und politischen Bekämpfung derjenigen, die das Problem immer wieder aufgreifen, die »besonderen Vorkommnisse« an die Öffentlichkeit bringen oder andere Formen der Auseinandersetzung fordern. Auch in dieser Evaluationshinsicht verdient die Frage nach dem Verhältnis von latentem und manifestem Lehrplan besondere Aufmerksamkeit.
Drittens stehen die Auswirkungen der expliziten und offiziösen Versuche, die Gefahr einer »Rechtsdrehung« der Bundeswehr zu bannen, zur Diskussion. Das oben angesprochene Papier des »Arbeitskreises Rechtsextremismus« der Bundeswehrführung (Bagger, 1997) enthält einen auf den ersten Blick beeindruckenden Katalog von Maßnahmen und Zielsetzungen. Aufzuzeigen wäre jedoch, wie das alles mit Prinzipien der Inneren Führung zusammenhängt und mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform in Einklang steht. Das wiederum hat zur Voraussetzung dass diese normativen Vorstellungen soweit geklärt werden, dass sie – wenn man ernsthaft empirische Evidenz zur Effektivität bestimmter Interventionen gewinnen will – »operationalisierbar« sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch in diesem Zusammenhang die Frage, ob die avisierten Maßnahmen sich nicht als kontraproduktiv herausstellen.
Schließlich sollte die skizzierte deskriptive Forschung auch dazu führen, Strategien der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Tendenzen in den Streitkräften zu entwickeln, die sich am Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und den Prinzipien der Inneren Führung orientieren und zu deren Weiterentwicklung unter der Perspektive einer transnationalen Verwendung der Bundeswehr beitragen.
Fazit
Es ist kaum zu verstehen, warum die politisch Verantwortlichen angesichts der Verquickung von Fakt, Fiktion und Interesse in Sachen Bundeswehr und Rechtsextremismus nicht längst den skizzierten Ausweg solider empirischer Forschung gesucht und statt dessen relevante Forschungsvorhaben selbst von Angehörigen von Forschungseinrichtungen der Bundeswehr anscheinend eher behindert als unterstützt haben. Dieser obstruktiven Handlungsweise liegt bestenfalls die Befürchtung zugrunde, ein wissenschaftlicher Diskurs zum Thema Bundeswehr und Rechtsextremismus werde ein entsprechendes Problem erst produzieren. Schlimmstenfalls möchte man eigene politische Ziele befördern, indem man dieses Problemfeld wissenschaftlich unbeackert läßt. Vielleicht glaubt man aber auch nur, es sich irgendwie schuldig zu sein, die Probleme ohne Unterstützung »von außen« zu bewältigen. Sich aus diesen und anderen Mehrdeutigkeiten befreien und in Sachen Bundeswehr und Rechtsextremismus Glaubwürdigkeit gewinnen können die politisch Verantwortlichen m.E. nur, indem sie ihre Obstruktion aufgeben. Nach dem Regierungswechsel sollte das leichter fallen, da die nun Verantwortlichen mit einer Neuorientierung nicht eigenes früheres Verhalten in Frage zu stellen brauchen.
Andererseits ist es kaum realistisch, diesbezüglich besondere Erwartungen zu hegen und auf den großen Auftrag – mit einem alle Kasernentore öffnenden Empfehlungsschreiben der Bundeswehrführung und mit großzügig bemessenen Forschungsmitteln – zu spekulieren; dafür ist die Bundeswehrführung vermutlich selbst zu sehr in die Problematik verstrickt. Man muss also eine möglichst autonome Arbeitsmotivation entwickeln. Im vorausgehenden wurde demgemäß zu erläutern versucht, dass eine sozialwissenschaftliche Bearbeitung des Problemfeldes Bundeswehr und Rechtsextremismus in disziplinärer Perspektive sehr reizvoll sein könnte. Die eigentliche Aufgabe ist damit jedoch erst grob skizziert. Um weiterzukommen, sollte man ein entsprechendes Forschungsprogramm interdisziplinär und soweit möglich modular konzipieren und mit den verfügbaren Mitteln in Angriff nehmen.
Damit man die trotz bestenfalls bedingter und eingeschränkter Kooperationsbereitschaft der Bundeswehrführung gegebenen Mittel und Möglichkeiten überhaupt wahrzunehmen vermag, muss man sich wahrscheinlich auch mit Blockaden bei sich selbst auseinandersetzen. Um eine »fundierte Position« in Sachen Bundeswehr und Rechtsextremismus zu erarbeiten, muss man als zivilistischer Wissenschaftler oder zivilistische Wissenschaftlerin, denke ich, sowohl Blockaden aufgrund der Angst vor einer missdeutbaren Nähe zum Militärischen überwinden als auch Blockaden aufgrund des Bedürfnisses nach einer illusionären Distanz.
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Eine ausführliche Version des vorliegenden Beitrags, die vor allem auch politisch-normative Überlegungen zur Begründung des skizzierten Programms einschließt, erscheint als Arbeitspapier des Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung (IFGK).
PD Dr. Albert Fuchs ist Mitglied des Redaktionsteams von W&F und lehrt Kognitions- und Sozialpsychologie an der RU Bochum und der PH Erfurt.