Ökologisch und sozial verträgliche Arbeit im Kontext globaler Konkurrenz
von Hans Diefenbacher
Die Erklärungsmuster für die Lage und Entwicklung weltwirtschaftlicher Strukturen und deren wechselseitige Verflechtung ist immer eine Frage der Sichtweise. Dies zeigt der Beitrag von Hans Diefenbacher, der anhand unterschiedlicher Leitbilder verschiedene Erklärungstypen für die wichtigsten Probleme der Weltwirtschaft gibt. Einer rein ökonomischen Logik, die einen funktionierenden Markt für die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Komponenten voraussetzt, stellt er eine ökologisch und sozial verträgliche Organisation der Wirtschaft als Grundlage für das Funktionieren des Marktes gegenüber.
Traditionelle weltwirtschaftliche Analysen benennen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten die folgenden Probleme als die wichtigsten Hemmnisse bei der weiteren Entwicklung der globalen Wirtschaft:
- Die Wachstumsschwäche der Industrieländer führt zu hohen Arbeitslosenraten;
- Turbulenzen auf den Devisenmärkten haben immer wieder die Destabilisierung der Währungssysteme zur Folge;
- die Spannungen in den Welthandelsbeziehungen haben zugenommen, da es vielfach zu regionalen Abschottungstendenzen gekommen ist;
- der wirtschaftliche Erfolg beim Übergang der Länder Osteuropas zur Marktwirtschaft stellt sich nur sehr zögerlich ein;
- die ökonomische Misere in etwa der Hälfte der Entwicklungsländer zeigt keine Anzeichen der Besserung
- und es gibt deutliche Zeichen einer Krise des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit der internationalen Organisationen.
Dennoch schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF) die Entwicklung von Weltwirtschaft und internationalem Finanzsystem als Ganzem nach wie vor grundsätzlich positiv ein, obwohl die »emerging markets« in Asien nicht mehr als uneingeschränkte Erfolgsgeschichte betrachtet werden können. Die Gründe für eine mangelhafte ökonomische Entwicklung armer Länder, im Süden wie im Osten, wird in der traditionell ökonomischen Weltsicht nach wie vor kategorisch der mangelhaften Befolgung marktliberaler Rezepte zugeschrieben. In dieser Sichtweise sind ein zu hohes Ausmaß staatlicher Interventionen in das Wirtschaftsgeschehen, mangelnde Liberalisierung des Außenhandels, zu geringe Freizügigkeit im internationalen Kapitalverkehr, zu schlechte Bedingungen für ausländische Investoren und vor allem Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus die entscheidenden Entwicklungshemmnisse.1
Global – lokal: Verschiedene Weltsichten
Aber diese Problem-Kategorisierung ist eben nur eine Sicht der Weltwirtschaft. In gewisser Weise ist sie logisch konsistent, da sie auf einem bestimmten ökonomischen Weltbild gründet. Ihr Leitbild besteht jedoch prinzipiell in der Restauration der Funktionsbedingungen eines »freien Marktes«, einer Marktwirtschaft »ohne Adjektive«, da sie davon ausgeht, dass einzig die Institution des Marktes für Produzenten wie Konsumenten jene Informationen bereitstellt, die für eine effiziente Wirtschaftsweise unabdingbar sind. Nur eine möglichst liberale marktwirtschaftlich orientierte Ordnungspolitik führt nach dieser Lehre zu einer optimalen Wirtschaft.
Aber dies ist, wie gesagt, nicht die einzig mögliche Sicht der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Ein anderer Erklärungstyp orientiert sich am Maßstab einer Ordnungspolitik, die sich am Leitbild einer ökologisch und sozial angepassten Weltwirtschaft ausrichtet. Vor einem derartigen Hintergrund würde eine alternative Liste der sechs wichtigsten Probleme der Weltwirtschaft etwa wie folgt lauten:
- Die Wirtschaftspolitik ist weltweit nach wie vor nicht am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert. Unbestritten ist, dass die gegenwärtige Art, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann: „Wir verbrauchen von der Erde zuviel und zu schnell, und wir produzieren zuviele Abfälle. Wir machen es der wachsenden Weltbevölkerung immer schwerer, auf dieser Erde ein menschenwürdiges Dasein zu führen.“ 2 Der Konsumstil der entwickelten Länder ist in keiner Hinsicht globalisierbar, ohne in kürzester Frist zum ökologischen Kollaps zu führen: weder der Energieverbrauch noch der Fleischkonsum, nicht der Rohstoffverbrauch und auch nicht das Müllaufkommen. Dennoch überzieht die westliche Welt Osteuropa und die Länder des Südens mit einer Werbestrategie, als könne ihr Wirtschaftsstil als leuchtendes Vorbild dienen.
- Maßnahmen zur Verringerung klimarelevanter Emissionen sind aufgrund der Eigendynamik der Verflechtung von Weltwirtschaft und nationalen Ökonomien noch nicht richtig angelaufen, im Gegenteil: Unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Krise beginnen sich viele Industrieländer von Zusagen, zu denen sie noch vor fünf Jahren bereit waren, wieder zu verabschieden. Kurzfristiges Denken gewinnt die Oberhand, denn die Folgen mangelhaften Klimaschutzes werden um ein Vielfaches teurer sein als die rasche Realisierung von Energie-Einsparpotentialen heute kosten würde – soweit Nutzen und Kosten hier überhaupt in Geldeinheiten ausgedrückt werden können.
- Die derzeitigen Weltwirtschafts- und -handelsstrukturen führen zu einer fortgesetzten Umverteilung der Einkommen, so dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Ab einem bestimmten Ausmaß der Ungleichheit droht sich dieser Mechanismus zu verselbstständigen: Schuldner zahlen einen steigenden Teil ihres Einkommens in Form von Zins- und Zinseszins-Zahlungen an Gläubiger. Das ist ein stabiler Trend, der sich weltweit zwischen verschuldeten Ländern und Gläubigerländern, aber auch innerhalb einzelner Länder, ja sogar innerhalb von Regionen und Kommunen nachweisen lässt.
- Die internationalen Finanzströme haben sich zunehmend vom Produktionssektor abgelöst und führen ein Eigenleben, das von den internationalen Institutionen mit ihren derzeitigen Rechten kaum noch kontrolliert werden kann. Ein immer größerer Teil der globalen Finanztransaktionen dient spekulativen Zwecken – derzeit sind es neunzehn Zwanzigstel der Geldvolumen, die täglich an den internationalen Kapitalmärkten gehandelt werden.
- Die Regionalisierung der Welthandelsströme hat zur gegenseitigen Abschottung und zum Aufbau vielfältiger protektionistischer Strukturen geführt, die in eklatantem Widerspruch zu den Lippenbekenntnissen für eine freie Weltwirtschaft stehen und die positiven Errungenschaften einer Globalisierung der Wirtschaft wieder gefährden. Vor allem Industrieländer wollen nach wie vor beides: Handelsüberschüsse erzielen und auf den internationalen Kapitalmärkten die Gläubigerposition einnehmen. Dies ginge langfristig jedoch nur dann, wenn es einen zweiten Globus gebe, zu dem wir alle diese Überschüsse transportieren würden. Wenn die westlichen Länder ihre Märkte vor allem für mittel- und osteuropäische Staaten nicht öffnen, verkommt ihr Bekenntnis zur freien Weltwirtschaft zum puren Zynismus.
- In der internationalen Diskussion um Veränderungen der Weltwirtschaftsstrukturen werden entscheidende sensitive Fragen nach wie vor ausgeklammert: Die Palette reicht von der nach wie vor eklatanten Ungleichbehandlung von Frauen im Wirtschaftsleben bis zur weltweit notwendigen Konversion der Rüstungsindustrie.
Damit sind wir an dem ursächlichen Grund angelangt, der für die Existenz der verschiedenen Weltsichten verantwortlich ist. Wer eine nicht ausreichende Strukturanpassung und eine mangelnde Integration in einen globalen Markt als entscheidende Begründung für Armut und Arbeitslosigkeit identifiziert, vertritt eine ökonomischen Logik, die einen funktionierenden Markt als Voraussetzung für die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Komponenten begreift: Erst müsse »am Markt« Geld verdient werden, um sich ökologische und soziale Errungenschaften leisten zu können. Dieser Haltung entgegen tritt eine Weltsicht, die statt dessen eine ökologisch und sozial verträgliche Organisation der Wirtschaft als Grundlage und Rahmenbedingung für das Funktionieren des Marktes sieht.
Zum Gebrauch
ökonomischer Begriffe
Die alltägliche Verwendung des Begriffs der Globalisierung erscheint auf diesem Hintergrund, wie auch die Verwendung der Begriffe Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit als eine Verselbstständigung einer abstrakten Logik, eine „weitreichende Abstraktion von gesellschaftlichen Verhältnissen mit der Absicht der Konstruktion einer »reinen« Theorie, deren Rationalität dann umgekehrt »imperialistisch« (Kenneth Boulding) der Gesellschaft angedient werden kann.“ 3
- In einer Situation, in der die reichen Länder vor allem aufgrund der Ungleichverteilung technischer Produktionsmöglichkeiten nahezu alle Güter effizienter produzieren können, läuft die Forderung nach Entwicklung einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit implizit auf den Versuch der Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen heraus – wie die Entwicklung der Terms of Trade der letzten Jahrzehnte zeigt. Es besteht die Gefahr, dass die eine Region als »Niedriglohngebiet« stabilisiert wird, weil die andere ihre Vormachtstellung als Technologie- und Entwicklungszentrum retten möchte.
- Globalisierung trägt dann zur Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt bei, wenn durch die verstärkte Integration in den Weltmarkt zunehmend Kostenvorteile zum Vorteil auch der schwächeren Marktteilnehmer genutzt werden können. In einer Situation hingegen, in dem die armen Länder bereits einen sehr hohen Spezialisierungsgrad ihres Exportangebotes aufweisen oder ihre Wirtschaftsleistung sehr stark auf die Nachfrage ihrer Handelspartner ausgerichtet haben, ohne dass damit ein hoher Marktanteil auf dem Weltmarkt des entsprechenden Produktes einhergeht, wird eine weitere Globalisierung in der Regel nur die Verletzlichkeit der heimischen Wirtschaft erhöhen und die Gefahr der Destabilisierung der heimischen Versorgung hervorrufen: Die heimischen Akteure verlieren zunehmend die Kontrolle über das Wirtschaftsgeschehen im Lande.4
Was ist in dieser Situation zu tun? Ich möchte die These aufstellen, dass es nicht möglich ist, die Entwicklung der Wirtschaft »dem Markt« zu überlassen, im Gegenteil: Die Kategorie der »Verantwortung« muss in der Ökonomie eine zunehmende Rolle spielen. Die Aufgabe, diese Verantwortung wahrzunehmen, richtet sich gerade auch an uns, die Bewohner der reichen Staaten und an die von unserem politischen System autorisierten Entscheidungsträger in den internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen. Sie sind primär aufgefordert, ihre eigene Wirtschaft so zu organisieren, dass sie nicht über 80 Prozent des globalen Verbrauchs von Energie und Rohstoffen benötigen. Nur ein ökologisch und sozial verantwortbarer Umbau der Wirtschaft der reichen Industrieländer, eine drastische Reduktion der Stoff- und Materialströme kann den armen Ländern mittel- und langfristig Weltmarktbedingungen schaffen, die ihnen eine eigenständige Entwicklung überhaupt ermöglichen. Die wirkungsvollste Politik der reichen Länder bestünde im Entwurf und der Umsetzung einer »Ökonomie der Genügsamkeit« in ihrem eigenen Verantwortungsbereich.5
Leitbild der lokalen Nachhaltigkeit – Hilfe zur Selbsthilfe
Ohne Schritte zu »Systemen lokaler Nachhaltigkeit« wird dies nicht möglich sein.6 Im Grunde bedeutet dies einen recht entschiedenen Wechsel der Perspektive: Es geht darum, Konzepte der lokalen Nachhaltigkeit mit der Sicherung der Befriedigung von Grundbedürfnissen zu verknüpfen. Auch für die Entwicklung der vorgeblich schon »entwickelten« Länder gilt es, das Subsidiaritätskonzept »Hilfe zur Selbsthilfe« verantwortlich anzuwenden und all das den Gemeinden in Produktion, Handel und Organisation zu überlassen, was vor Ort entschieden und gemacht werden kann.7
Es geht also darum, auch im Kontext globaler Konkurrenz ökologisch und sozial verträgliche Formen der Arbeit zu sichern. Dazu sind zwei verschiedene Ebenen der Politik notwendig: zunächst einmal konkret die Unterstützung lokaler Initiativen vor Ort, und, zum zweiten, die Ergänzung durch die Schaffung eines Ordnungsrahmens auf nationaler Ebene, so dass die Initiativen nicht ständig in ihrer Existenz bedroht werden.
Welche Möglichkeiten bestehen nun zur Förderung lokaler nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen? Ich möchte ein Minimum an Aktionsfeldern nennen:8
- Es muss viel dafür getan werden, um den konstanten Abfluss von Mitteln von Arm nach Reich zu bremsen, vielleicht sogar umzulenken. Dazu müssen neue Organisationsformen erdacht oder alte wiederbelebt werden, um Kapital in armen Regionen zu halten: Auch Arbeitslose haben oft eine Rest-Ersparnis, die sie bei Banken angelegt haben, deren investives Verhalten ihnen nicht zugute kommt. Daher ist es notwendig, zusätzliche Kredit- und Bankensysteme auf lokaler Ebene zu schaffen, mit deren Hilfe »nicht rentable« ökologische und soziale Projekte verwirklicht werden können und in deren Folge auch die Schaffung zusätzlicher Arbeitsangebote im ökologischen und sozialen Bereich ermöglicht werden.
- Viele Menschen sind aus dem formellen Sektor der Wirtschaft in den letzten Jahren ausgegrenzt worden: ältere Arbeitnehmer, Alleinerziehende, Vorruheständler, aber auch zunehmend junge Menschen gehören zu der steigenden Zahl von Langzeitarbeitslosen. Es ist möglich, Arbeitszusammenhänge jenseits der traditionellen Geldökonomie zu schaffen, die diesen Menschen nicht nur eine andere Art des Einkommens, sondern vielleicht auch einen Teil ihres Selbstwertgefühls zurückgeben können, da sie so wieder erfahren, dass ihre Arbeitskraft gebraucht wird. Zu diesen Arbeitsformen gehören Tauschringe, Zeitsparbanken und andere Formen von Beschäftigungsinitiativen.
- Ein möglichst hoher lokaler Selbstversorgungsgrad ist auch bei Energiedienstleistungen aller Art anzustreben. Dazu gehört die Schaffung neuer Wettbewerbsmöglichkeiten für eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien aus lokalen Ressourcen ebenso wie die Förderung von Energie-Einsparungstechniken aller Art, von der Wärmedämmung bis zu »intelligenten« Produkten (vom Kühlfach in der Außenmauer der Küche bis zum Warmhaltefach, das im Heizkörper integriert ist).
- Gefördert werden sollte auch ein langsamer Ausstieg aus einer industrialisierten Landwirtschaft, deren Logik sich zum Schaden der Konsumenten wie der Produzenten teilweise verselbstständigt hat. Dazu gehört die Schaffung neuer Vermarktungsformen für ökologisch erzeugte Produkte, insbesondere die Revitalisierung dauerhaften Konsumenten-Produzenten-Beziehungen zwischen Stadt und (umgebendem) Land; wenn ein Landwirt langfristig weiß, wer und zu welchen Preisen seine Produkte abnehmen wird, ist er den Unwägbarkeiten der EU-Agrarmärkte nicht mehr völlig ausgeliefert.
- Schließlich ist generell die Schaffung von Modellen neuer Organisationsformen lokaler Ökonomien zu nennen: Dazu gehören verschiedene Formen der Genossenschaften, Kooperativen, neue Formen der gemeinschaftlichen Nutzung von Investitionsgütern, insbesondere auch von Kraftfahrzeugen (car-sharing) und ähnliches mehr.
Bei allen diesen Aktionsfeldern bestehen lokale Handlungsspielräume, die durchaus genutzt werden können. Dabei sind jeweils die Bedingungen zu untersuchen, die durch die Einbindung der Wirtschaft in nationale und globale Zusammenhänge zunächst gegeben sind. Eine Analyse dieser Bedingungen soll jedoch nicht danach fragen, welche Standortvorteile in einer Region für den »globalen« Markt genutzt werden können; die Analyse soll vielmehr unter der leitenden Fragestellung stehen, inwiefern in den verschiedenen Bereichen lokal eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, die lokal konkurrenzfähig sind.
»Aufgeklärter Interventionismus« zur Gestaltung
der Weltwirtschaft
Eine ökonomische »Weltsicht« – damit komme ich zu der zweiten, vorhin angesprochenen Politikebene – die sich am Leitbild lokaler ökologischer und sozialer Verträglichkeit orientiert, kann auf der Ebene der (Welt-)Wirtschaftspolitik ihre Entsprechung nur durch die gezielte Planung aufeinander abgestimmter weltwirtschaftlicher Instrumente finden, durch die der Rahmen für die Entfaltung marktwirtschaftlicher Kräfte erst gebildet wird. Eine solche Strategie der politischen Gestaltung der Weltwirtschaft könnte als »aufgeklärter Interventionismus« bezeichnet werden.
Die Überzeugungskraft der neoliberalen Wirtschaftstheorie war in den Kreisen der Politiker offenkundig nicht so groß, dass man von eklatanten Verstößen gegen diese Theorie bei der Ausgestaltung der Weltwirtschaftsordnung Abstand genommen hätte. Aber da der Anspruch der Theorie und ihr Credo, nur in einer freien Weltwirtschaft könne das Wachstum über die Zeit optimal gestaltet werden, niemals aufgegeben wurde, wurden diese Verstöße in Form von Preisfestsetzungen, Quoten, Zöllen und dergleichen nicht koordiniert; sie sind vielmehr eher zufällige Ergebnisse der jeweiligen machtpolitischen Konstellation. Keinesfalls sind sie Ausdruck einer gezielten Planung mit Hilfe aufeinander abgestimmter weltwirtschaftlicher Instrumente, wie sie ein »aufgeklärter Interventionismus« fordern würde.
Wollte man die armen Länder im Osten und im Süden tatsächlich in den Weltmarkt integrieren und diese Forderung nicht nur als strategisches Lippenbekenntnis formulieren, müssten die reichen den armen Ländern die Chance gewähren, zumindest mittelfristig bei einer Reihe von Produkten kalkulierbare Exportüberschüsse zu erzielen. Das wird aber nur dann möglich sein, wenn sich die Industrieländer zu freiwilligen und überlegten Produktionseinschränkungen bereit finden werden. Es erweist sich immer mehr als Illusion, die angeschlagene Konjunktur in den Industrieländern durch die Erschließung neuer Absatzmärkte im Osten oder Süden sanieren zu wollen, ohne den Empfängerländern die Möglichkeit zu gewähren, sich ein äquivalentes Handelspotential zu erschließen. Doch darf die Erzielung von Exportüberschüssen zur Bedienung externer Schulden keinen Vorrang bekommen vor der Versorgung der heimischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und einem Minimum an Infrastruktur und Dienstleistungen. Andernfalls wird der Prozentsatz der Bevölkerung weiter steigen, der auch von einer sich verbessernden Konjunktur abgekoppelt bleibt, weil diese sich an der kaufkräftigen Nachfrage und nicht an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.
Nur ein Beispiel: Würden die westlichen Länder die Schutzzölle auf Textil- und Agrarimporte aus Ländern der Dritten Welt streichen, so hätten diese – ceteris paribus – potentielle Mehreinnahmen von 150 Milliarden Dollar; das entspräche nahezu dem Dreifachen der Entwicklungshilfe aller zwanzig reichen OECD-Staaten. So schnell wie irgend möglich sollten deshalb jene Zölle abgeschafft werden, die die Einfuhr höher verarbeiteter Produkte gegenüber der Einfuhr von Rohmaterialien diskriminieren. Ebenfalls so schnell sollten die Industrieländer sämtliche Subventionen für Exporte in weniger entwickelte Länder auslaufen lassen. Es sollte außerdem zumindest ein Plan für die schrittweise Beseitigung der nicht-tarifären Handelshemmnisse aufgestellt werden.
Die Umkehr der Beweislast
Anstelle einer weiteren Deregulierung des internationalen Verkehrs von Waren und Dienstleistungen fordert Herman Daly, bis vor kurzem Mitarbeiter der Weltbank, im Rahmen eines grundlegenden Wechsels der Perspektive eine Umkehr der Beweislast: „Als Regel müsste die Förderung heimischer Produkte gelten. Falls zweckmäßig, könnte ein ausgeglichener Außenhandel genutzt werden; er dürfte aber die inneren Angelegenheiten nicht so beherrschen, dass dem Land ökologische und soziale Katastrophen drohen. Man sollte konsequenterweise jede Maßnahme zur weiteren Integration von Volkswirtschaften zunächst als schlechten Vorschlag betrachten und für jede einzelne Ausnahme von dieser Regel überzeugende Argumente verlangen.“
Anmerkungen
1) IMF (Hrsg.) (1996): World Economic Outlook, October 1996, S. 1ff.
2) Milieu defensie Amsterdam: Nachhaltige Entwicklung in den Niederlanden, Übersetzung des Instituts für sozialökologische Forschung, Frankfurt 1994, S. 19.
3) Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit (1996): Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, S. 112.
4) Vgl. dazu u.a. Sassen, Saskia (1995): Losing Control? Sovereignty in an Age of Globalization. New York: Columbia University Press.
5) Vgl. Goudzwaard, Bob/Lange, Harry de (1995): Genoeg van te veel, genoeg van te weinig – wissels omzetten in de economie. 4. erweiterte Aufl. Baarn: Ten Have.
6) Vgl. als Überblick u.a. Diefenbacher, Hans (1996): Die lokale Agenda 21 – dauerhaft umweltgerechte Entwicklung in der Stadt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 41. Jg., Heft 9, S. 1140 – 1143.
7) Vgl. dazu auch Tetzlaff, Rainer (1997): Ist der Weltmarkt auch das Weltgericht?, in: Welternährung, Heft 1/97, S. 12.
8) Vgl. ausführlich hierzu: Douthwaite, Richard/Diefenbacher, Hans (1998): Jenseits der Globalisierung Handbuch für lokale Ökonomie. Mainz: Mathhias-Grünewald-Verlag.
9) Vgl. Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung, 14.4.1994, S. 6.
Dr. Hans Diefenbacher ist wissenschaftlicher Referent an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST) in Heidelberg und Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland für Umweltfragen.