W&F 2008/1

Paramilitärische EU-Außenpolitik

von Claudia Haydt

Die Europäische Union versteht sich als weltpolitischer Akteur der mit zivilen und militärischen Mitteln seine „Werte und Interessen“ (Vertrag von Lissabon, Artikel 2) durchsetzt. Die militärpolitischen Strategien und Programmen der EU werden meist flankiert von mehr oder weniger zivilen Maßnahmen. Aus der konsequenten Verknüpfung von zivilen und militärischen Mitteln versprechen sich die maßgeblichen Akteure im Rahmen der EU sowohl eine effektivere Umsetzung ihrer machtpolitischen Ziele als auch eine größere Akzeptanz für ihre Politik - sowohl im Inneren als auch in den jeweiligen Einsatzgebieten.

Ein zentrales Bindeglied in der Grauzone zwischen militärischem und zivilem Agieren stellt die European Gendarmerie Force (EGF) dar. Wenn Auslandseinsätze der EGF thematisiert werden, dann meist nur im Rahmen einer »zivilen« Außenpolitik. Wie irreführend diese Einordnung ist, soll im Folgenden erläutert werden.

Vom Plan zur Umsetzung

Am 18. Oktober 2007 unterzeichneten Vertreter der Regierungen Spaniens, Frankreichs, der Niederlande, Italiens und Portugals in Velsen einen Vertrag zur Etablierung der European Gendarmerie Force. Die Idee, eine paramilitärische Polizeitruppe für den Einsatz innerhalb und außerhalb der EU zu schaffen, ist jedoch älter. Bereits am 25. und 26. Januar 2000 trafen sich Offiziere von paramilitärischen Einheiten aus Frankreich, Italien und Portugal. Sie stellten einen Bedarf für multinationale Spezialeinheiten fest, die in sogenannten »Peace Support Operations« eingesetzt werden sollten, die sowohl präventive als auch repressive Aktionen ausführen können sollten.1 Beim Ratsgipfel in Santa Maria de Feira (Portugal) wurden im Juni 2000 Prioritäten für ziviles Krisenmanagement festgelegt. Dafür wurde unter anderem vereinbart, 5.000 Polizisten zur Verfügung zu stellen.

Auf einem informellen Treffen der EU-Verteidigungsminister präsentierte die damalige französische Verteidigungsministerin Alliot-Marie einen entsprechenden Vorschlag, der dann beim Treffen der Verteidigungsminister am 4. September 2004 zu einem gemeinsamen »letter of intent« führte. Auch wenn sich bald herausstellte, dass nur fünf Mitgliedsstaaten bereit waren, sich zu beteiligen, nahm das EGF Projekt seinen Lauf. Die Einrichtung der EGF wurde am 19. Januar 2005 in Vicenza (Italien) gestartet. Das permanente Hauptquartier war am 15. Februar 2005 arbeitsfähig und am 23. Januar 2006 wurde das Quartier in Vicenza offiziell eingeweiht. Im Juni 2006 wurde die Einsatzfähigkeit der EGF festgestellt. Seit Dezember 2007 befinden sich Mitglieder der EGF in ihrem ersten größeren Auslandseinsatz im Rahmen der EUFOR Bosnien-Herzegowina. Die EGF bilden den Kern der Integrated Police Unit (IPU) in Sarajevo zu deren Hauptaufgaben nachrichtendienstliche Tätigkeiten und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gehören.

EUropäische Paramilitärs

Mit der EGF steht der Europäischen Union eine stehende Polizeitruppe zur Verfügung, die sie in beliebigen Krisengebieten schnell einsetzen kann. Die EGF kann Polizeimissionen und Krisenmanagement im Rahmen der ESVP durchführen. Darüber hinaus kann sie auch im Rahmen der UN, der OSZE, der NATO und in ad hoc-Koalitionen eingesetzt werden. Die Einheiten können sowohl unter ein militärisches als auch unter ein ziviles Kommando gestellt werden - die EGF ist also eine »Dual-Use«-Einheit; ihr Aufgabenspektrum macht diese Truppe zudem sowohl für Auslandseinsätze als auch für Einsätze im Inneren verwendbar. Die EGF besteht bis jetzt fast ausschließlich aus Polizeieinheiten, die teilweise oder ganz den jeweiligen Verteidigungsministerien unterstellt sind. Es geht also um eine multinationale Paramilitärtruppe. Zur Zeit gehören der EGF Einheiten aus fünf Ländern an: Carabinieri (Italien), Guardia National Republicana (Portugal), Guardia Civil (Spanien), Gendarmerie Nacional (Frankreich) und Royal Marechausee (Niederlande). Polnische Paramilitärs sind als Beobachter in die EGF eingebunden. Diese Kräfte sind teilweise kaserniert und funktionieren auch im Inneren paramilitärisch. Sie sind historisch selten demokratischen Traditionen verpflichtet; so beteiligte sich beispielsweise die spanische Guardia Civil maßgeblich am Putschversuch in Spanien 1980.

Die EGF besteht zurzeit aus 800 Polizisten, die innerhalb von 30 Tagen eingesetzt werden können. Zu ihrer Verstärkung stehen weitere 2.300 Mann bereit. Die Aufgaben der EGF sind »Missionen zur Aufrechterhaltung öffentlicher Sicherheit und Ordnung«, die auf deren Homepage wie folgt beschreiben werden: „1. Während der ersten Phase erscheint die EGF mit dem Militär zusammen auf dem Schauplatz; 2. Während einer Übergangsphase regeln sie die öffentliche Ordnung (...) zusammen mit den Militärs (...); 3. In der Abzugsphase regeln sie die Übergabe von Aufgaben an zivile Institutionen.“2

Zur Erreichung dieser Einsatzziele gehören u.a. folgende Maßnahmen:

Überwachung im öffentlichen Raum, Informationsbeschaffung

Grenzkontrollen (inkl. Dokumentenprüfung)

Bekämpfung von Kriminalität

Aufstandsbekämpfung »im Falle von Unruhen« (riot control).

Besonders Letzteres ist eine zentrale Motivation für die Aufstellung und den Einsatz der EGF. Die einzelnen Mitglieder der EGF bringen aus ihren nationalen Herkunftsverwendungen bereits Erfahrung im Bereich »Riot control« mit. Diese Erfahrungen werden nun im Rahmen der gemeinsamen Ausbildung, bei Übungen und bei Einsätzen außerhalb der EU perfektioniert. Anschließend werden diese paramilitärischen Polizeikräfte wieder für Einsätze in ihren jeweiligen Herkunftsländern oder auch für gemeinsame Einsätze innerhalb der EU zur Verfügung stehen. Die EGF soll in der Lage sein, zwei Missionen gleichzeitig durchzuführen, in deren Rahmen sie wiederum verschiedene Funktionen parallel wahrnehmen kann.

Die Vertragslage

Im oben bereits erwähnten Vertrag zur Einrichtung der EGF werden die Einsatzmodalitäten, der juristische Rahmen und die Bedingungen für die Aufnahme weiterer paramilitärischer Kräfte aus weitern Staaten geregelt. Wie sehr die Einbindung der EGF in militärische Strukturen Grundlage ihrer Aufstellung ist, wird bereits im Artikel 1 festegelegt: „Der Inhalt des Vertrags ist die Aufstellung einer European Gendarmerie Force, diese soll arbeitsfähig, vororganisiert, robust und schnell einsatzfähig sein, ausschließlich aus Elementen aus Polizeikräften mit militärischem Status bestehen (...)“.

EGF Kräfte können ein breites Spektrum von Aufgaben wahrnehmen, sie können lokale Polizei ersetzen (substitution missions) und damit die Kontrolle von Besatzungsregimen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens etablieren. EGF-Kräfte können aber auch im Rahmen von sogenannten strengthening missions lokale Polizeikräfte unterstützen, ausbilden und in die jeweiligen EGF-Strategien einbeziehen (Artikel 4). EGF-Kräfte können sowohl auf dem Territorium der teilnehmenden Staaten zum Einsatz kommen als auch in Drittstaaten, wobei nicht festgelegt wird, ob diese Drittstaaten innerhalb oder außerhalb der EU sind. Da die EGF (noch) nicht direkt in die Strukturen der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) eingebunden sind, muss die Entscheidung über mögliche Einsätze im Rahmen des CIMIN, eines intergouvernementalen Gremiums, getroffen werden. Es ist davon auszugehen, dass nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die EGF als strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der EU organisiert werden wird.

Keine reguläre Polizei

Auch reguläre Polizeikräfte in Staaten, die mehr oder weniger als Rechtsstaaten zu bezeichnen sind, tragen gelegentlich mehr zur Gefährdung als zum Schutz der Zivilbevölkerung bei (siehe G8-Proteste in Rostock oder das Agieren der Polizei am Rande der Sicherheitskonferenz in München), dennoch bewegen sich hier Polizisten und Zivilbevölkerung im gleichen Rechtsrahmen. Dadurch können Übergriffe der Polizei wenigstens gelegentlich juristisch geahndet werden und Polizisten müssen diese Möglichkeit bei der Interpretation ihres Auftrags mit berücksichtigen. Bei den meisten Auslandseinsätzen von Polizei ist dieser gleiche Rechtsraum von Zivilisten im Einsatzgebiet und dort agierenden »fremden« Polizisten aber nicht gegeben. Im Vertrag der EGF ist entsprechend festgelegt: „Ein Mitglied des Personals der EUROGENFOR soll bei Angelegenheiten, die mit der Ausübung ihrer offiziellen Pflichten zu tun haben, der Strafverfolgung im Gaststaat nicht unterworfen sein.“ (Artikel 29,3) Durch solche Regelungen werden Übergriffe gegen Zivilisten und Missbrauch von Machtpositionen zwar nicht automatisch zur Selbstverständlichkeit, sie werden jedoch wahrscheinlicher. Wenn Polizei »exportiert« wird, dann wird damit keineswegs automatisch Recht exportiert, und der Einsatz von »Sicherheitskräften« bringt nicht in jedem Fall Sicherheit für die betroffene Bevölkerung.

Deutsche Beteiligung?

Die Frage einer deutschen Beteiligung an der EGF ist nach wie vor offen. Frühere Überlegungen betrafen eine Einbeziehung der Bundespolizei in die EGF. Durch die rigide Formulierung der Aufnahmebedingungen, können jedoch nur „Polizeikräfte mit militärischem Status“ ihre Aufnahme in die EGF beantragen. Zudem gibt es in Deutschland noch eine Reihe juristischer Barrieren. So wurde im »Polizeibrief der alliierten Gouverneure« 1949 festgelegt, „Polizei ist Ländersache“. Ebenfalls geregelt wurde die Trennung von Polizei und Militär sowie die Trennung von Polizei und Geheimdiensten.

Diese Festlegungen waren ein Versuch, Lehren aus den Erfahrungen im Dritten Reich zu ziehen, sie wurden jedoch bald aufgeweicht, besonders auffällig in den letzten Jahren. Die Trennung der Aufgaben von Polizei und Militär wird immer schwieriger, wenn die Bundeswehr im Inneren Polizeiaufgaben wahrnimmt und Polizisten im Ausland paramilitärisch eingesetzt werden. Gemeinsame Dateien von Polizei und Geheimdienst machen die Zusammenarbeit dieser Institutionen im Inneren immer enger, und auch im Auslandseinsatz ist die EGF für Informationsgewinnung und entsprechende Kooperation zuständig. Das ursprüngliche Ziel, staatliche Machtkonzentration bei dann unkontrollierbaren Diensten zu verhindern, wird heute als hinderlich für effektive Sicherheitspolitik betrachtet - im Inneren und im Auslandseinsatz. Die Gesetzesvorlagen, die den unbegrenzten Einsatz deutscher Bundespolizisten im Ausland ermöglichen, liegen bereits in den Schubladen des Innenministeriums. Sie sorgen bei den betroffenen Bundespolizisten zur Zeit für große Unruhe, da diese dann auch gegen ihren Willen ins Ausland abkommandiert werden könnten.

Die Teilnahme deutscher Kräfte an der EGF ist offensichtlich leider noch nicht vom Tisch. Der EGF-Vertrag bietet zudem die Möglichkeit, als Partner akzeptiert zu werden, wenn ein Staat „Kräfte mit militärischem Status und einigen polizeilichen Fähigkeiten“ besitzt. Diese Beschreibung würde etwa eine Kooperation der Feldjäger mit der EGF ermöglichen. Dass die Feldjäger in Afghanistan massiv an der Ausbildung afghanischer Polizisten beteiligt sind und sich damit bereits heute in einem der Aufgabenspektren der EGF betätigen, lässt eine solche Option als möglich erscheinen. Klar ist jedoch die eindeutige Festlegung der EGF auf militärische Fähigkeiten.

Paramilitarisierung der Außenpolitik

Der kritische Jurist Andreas Fischer-Lescano sieht in der Entsendung von Polizisten im Rahmen militärischer Missionen mit militärnahen Aufgaben eine ernst zu nehmende Gefahr für demokratische und völkerrechtliche Errungenschaften. Er kritisiert die bereits stattfindende deutsche Entsendepraxis. Diese „verfängt sich in der Logik der Ununterscheidbarkeit von Kombattanten/Nichtkombattanten (...). Daraus resultiert nicht nur die Gefahr einer zunehmenden Entparlamentarisierung der deutschen Außenpolitik, sondern auch ihrer Paramilitarisierung; kurz: der Schwächung gewalthemmender Errungenschaften in Völker- und Verfassungsrecht.“3 Was hier für Deutschland formuliert wird, gilt verstärkt für die EU-Ebene, auf der parlamentarische Kontrolle von Auslandseinsätzen nahezu ein Fremdwort ist.

Die Integration von polizeilichen Missionen als »zivile« Außenpolitik in militärische Strategien hat mehrere zentrale Vorteile. Dazu gehört die Entlastung militärischer Personalressourcen, die flexiblere Einsatzfähigkeit der Polizeitruppen und nicht zuletzt auch die Entlastung der Militäretats. Der Öffentlichkeit in den Entsendeländern lässt sich ein »ziviler« Polizeieinsatz ebenfalls leichter »verkaufen« als die Entsendung von Soldaten.

Die meisten Auslandseinsätze, an denen EU-Mitglieder mit ihren Soldaten beteiligt sind, haben den Einsatzschwerpunkt im zivilen Umfeld. Dabei nähern sich sowohl die Ausbildung und auch die Praxis des Einsatzes von Militärs, Paramilitärs und Polizisten im Auslandseinsatz (früher oder später auch im Inneren) immer mehr an. Leider ist dabei nicht von einer »Zivilisierung des Militärischen« auszugehen, sondern von einer »Militarisierung des Zivilen«. Die stark militärische Ausgestaltung der EGF steht hier lediglich exemplarisch für das grundsätzliches Problem der zivilmilitärischen Kooperation.

Anmerkungen

1) Statewatch News Online, 22.1.2005

2) Offizielle Internetseite der European Gendamerie Force, Übersetzung CH, URL: http://www.eurogendfor.org/mission_tasks.htm

3) Fischer-Lescano, Andreas: Soldaten sind Polizisten sind Soldaten, in: Kritische Justiz 1/2004

Claudia Haydt ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/1 Rüstungsdynamik und Renuklearisierung, Seite