W&F 1996/2

Plutoniumdebatte – vergraben, verMOXen, verglasen

von Wolfgang Liebert

Die Debatte darüber, ob russisches Plutonium in der MOX-Anlage in Hanau verarbeitet und damit in den zivilen Brennstoffkreislauf überführt werden soll, hat im letzten Jahr Schlagzeilen gemacht und zu einer Polarisierung unter Friedensforschern geführt. In W&F 1/96 hat Annette Schaper dargelegt, was aus ihrer Sicht für die »Hanau-Option« gesprochen hätte und wo nach ihrer Meinung die Probleme lagen. Wolfgang Liebert setzt sich im folgenden kritisch mit der Position von Annette Schaper auseinander.

Die weltweit aufgehäuften Plutoniummengen stellen tatsächlich ein drückendes Problem dar, geht es doch um den – neben hochangereichertem Uran (HEU) – wichtigsten Atombombenstoff. Die Herausforderung, eine nachhaltige Umgehensweise mit diesem Waffenstoff zu finden, existiert nicht erst, seitdem die ersten Sprengköpfe in den USA und Rußland endgültig demontiert wurden und »Waffenplutonium« freigesetzt wurde. In den militärischen Arsenalen der fünf offiziell deklarierten Kernwaffenstaaten und den drei weiteren inoffiziellen Atommächten sowie den beiden letzten Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die noch Atomwaffen auf ihren Territorium beherbergen, lagern bis zu 270 Tonnen Plutonium. Theoretisch der Stoff für mindesten 70.000 Atomwaffen.

Wenn der 2. russisch-amerikanische Vertrag über die strategische Abrüstung bis zum Jahr 2003 tatsächlich umgesetzt werden sollte (daran kann noch gezweifelt werden, da es immer unwahrscheinlicher wird, daß wirklich beide Unterschriften unter den START II Vertrag durch Beschlüsse der Parlamente rechtskräftig werden), dann würden in Rußland etwa 100 Tonnen Plutonium aus den Sprengköpfen entnommen werden müssen und in den USA mindesten 50 Tonnen.1

Ein wesentliches Problem besteht darin, daß die Waffenstoffe jederzeit für den Bau von Atomwaffen wieder verwendet werden könnten, wenn sich beispielsweise die weltpolitische Lage erneut destabilisiert oder sich die noch immer waffenstarrenden alten Supermächte selbst von innen heraus destabilisieren. »Starke Männer« könnten sich auf die erneute Suche nach äußeren Feinden begeben, die mit Atomwaffen abgeschreckt und massiv bedroht werden müssen. Warum soll eigentlich diese Gefahr nur in Rußland bestehen? Wer kann eigentlich für die politische Stabilität in den USA für die nächsten Jahrzehnte Garantien abgeben? (Die Halbwertzeit für Plutonium beträgt mehr als 20.000 Jahre – die »Halbwertzeit« von Regierungen und zeitgeschichtlich vertrauten stabilen Machtverhältnissen liegt dramatisch unterhalb dieser Zahl!). Die Sorge vor Instabilitäten oder vor mit Waffenstoff handelnden gerissenen Geschäftemachern, die Staaten oder gut organisierte Terrorgruppen (oder Sekten) beliefern könnten, ist nicht nur mit dem Waffenplutonium aus der Abrüstung verknüpft. Jegliches weltweit vorliegende, vom nuklearen Brennstoff abgetrennte Plutonium kommt für die gefährliche »Abzweigung« für Waffenzwecke in Betracht. 130 weitere Tonnen an Plutonium liegen als zivil gelabelter Stoff weltweit auf Lager.2 Dieses sogenannte Reaktor-Plutonium ist gleichfalls waffentauglich.3 Die prinzipiell lückenhafte Überwachungsmöglichkeit im zivilen Nuklearbereich sollte ebenfalls zu großer Sorge Anlaß geben. Mithin wären zur Zeit bereits 400 Tonnen Plutonium als globales Risikopotential anzusehen, das weiter ansteigen wird, wenn die Plutoniumabtrennung im zivilen Bereich weitergeht.

Was soll mit dem Waffenstoff Plutonium geschehen?

Im letzten Jahr hatten wir in Deutschland die Hanau-Debatte.4 In der letzten Ausgabe von W&F konnte mit Annette Schaper eine der Befürworterinnen der MOX-Option in Deutschland, die national und international für diesen Weg geworben hat, zu Wort kommen.5

Bevor ich etwas genauer auf die Hanau-Option als solche eingehe, möchte ich zunächst einige grundsätzliche Fragen behandeln.

Ziele und Kriterien

Welches Ziel soll die Umgehensweise mit oder Beseitigung von Plutonium eigentlich haben? Letztlich wäre anzustreben, daß es weltweit weder produzierbar noch zugänglich wäre und bestehende Bestände nicht rückholbar beseitigt würden. Die Verfolgung dieses Zieles wäre der Bahnung eines irreversiblen Weges in die atomwaffenfreie Welt dienlich. In diesem Kontext ist der Vorschlag einer comprehensive Cutoff Convention gemacht worden,6 die bei den alsbald beginnenden Verhandlungen über einen Cutoff-Vertrag bei der Genfer Abrüstungskonferenz eine Rolle spielen sollte.

Will man den Zugriff auf Waffenstoffe wirklich an der Quelle abschneiden (cutoff), darf nicht nur die Neuproduktion für Waffenzwecke zum Thema gemacht werden, sondern auch die existierenden Arsenale und Spaltstofflager sowie der zivile Bereich müssen einbezogen werden. Ansonsten kann die Gefahr, die von den drei wichtigsten Waffenstoffen Plutonium, HEU und Tritium ausgeht, nicht gebannt werden.

Die aktuelle Debatte über Plutoniumbeseitigung wurde allerdings angestoßen durch die Mengen an Plutonium (und HEU), die aus Sprengköpfen entnommen werden (Dies sollte nicht zur Verdrängung des umfassenden Problems führen!).

Es macht Sinn, über Kriterien für den technischen Umgang zu diskutieren. Ich schlage folgende vor:

  • Welche Ergebnisse werden durch die technischen Methoden produziert? Wird zunächst der Zugriff auf Plutonium erschwert oder wird eine nachhaltige Lösung für das Plutoniumproblem erreicht, also im besten Falle seine endgültige Vernichtung? Wird nur eine mehr oder minder reversible Umsetzung von Plutonium erzeugt, die eine Rückholbarkeit von Waffenstoff erlaubt? (Aspekt der Nachhaltigkeit und Irreversibilität)
  • Sind die verwandten technischen Mittel proliferationsresistent? Werden dabei (neue) waffenrelevante Technologieoptionen verfolgt oder ist sogar eine Abzweigung von Waffenmaterial vorstellbar? (Kriterium der Proliferationsresistenz)
  • Welche umweltschädigenden Aspekte sind mit den entsprechenden Technologien verbunden? Welche Konsequenzen für die Nutzung risikobehafteter Technolgien sind abzusehen? (Umweltkriterien unter Einschluß möglicher Risiken)
  • Welche Zeitskalen für die Unschädlichmachung von Plutonium sind für die betrachtete Methode relevant? Wann kann die Technologie zur Verfügung stehen und wie lange wird voraussichtlich die Umsetzung relevanter Mengen dauern? Ist eine längerfristige Zwischenlagerung notwendig? (Kriterium des zeitlichen Aspektes)
  • Wie teuer wird die möglicherweise noch notwendige Forschungs- und Entwicklungsarbeit in Hinblick auf die ausgewählte Technologie? Welche Investionskosten für die Anlage fallen an? Was kostet der langjährige Technologieeinsatz und die Beseitigung oder Endlagerung seiner Folgeprodukte? (Kostenkriterium)
  • Hat die Entscheidung für die Verwendung oder Vorbereitung einer bestimmten Technologie einen positiven Einfluß auf Konversionsbemühungen, insbesondere was die Beschäftigung von Wissenschaftlern und Ingenieuren aus den alten Waffenkomplexen betrifft, deren möglicherweise gefährliche Abwanderungstendenzen so reduziert werden können? (Konversonskriterium)
  • Haben die verwendeten Technologien einen Zusammenahng mit ihrer möglichen Verwendung für eine sinnvolle Behandlung bereits existierender hochradioaktiver Abfälle des alten Waffenkomplexes oder auch der zivilen Nuklearindustrie? (Konvergenzaspekt)
Mox Verglasen Bohrloch Transmutation
1. Erschwerung des Zugriffs ++ ++ + ++
2. Irreversibler Entzug o/- o/- -- ++ (?)
3. Proliferations- resistenz der Technologie -(-) -/o o --/o/+ (?)
4. Umweltrisiken im Betrieb -(-) -/o o --/o/+ (?)
5. Vermeidung zus. Risiken - (+) o -/0/+ (?)
6. Zeitskala - - o/- --
7. Zwischenlagerungs- bedarf - - (-) -
8. Kosten o o o -
9. Einfluß auf Konversion o o o
10. Konvergenz- aspekt o o/(+) o + (?)
11. Einfluß auf Nuklearprogramme - -/o -/o -/+ (?)

Optionen

Neben der MOX-Option sind weitere ernst zu nehmende Vorschläge für die Beseitigung von Plutonium gemacht worden. Drei dieser weiteren Möglichkeiten sollen hier nur kurz skizziert werden: die Verglasungsoption, die Bohrlochoption (»vergraben«) und die Option der »Vernichtung« durch beschleunigergestützte Transmutation.

Verglasen

Ein bis zwei Volumenprozent Plutonium können unter den im militärischen (oder auch zivilen) Atomkomplex entstandenen Atommüll gemischt werden. Dann würde es in Borsilikaten zu tonnenschweren Glasblöcken vitrifiziert und endgelagert (in Ermangelung eines genehmigten Endlagers wohl eher zwischengelagert, wie die abgebrannten Brennelemente des laufenden und bereits erfolgten Reaktorbetriebes). Im US-staatlichen Savannah River Plant befindet sich eine Defense Waste Processing Facility im Aufbau, von der angenommen wird, daß sie nach etwa zehnjährigem Vorlauf von 2006 bis 2013, also innerhalb von acht Jahren, 50 Tonnen Waffenplutonium verglast in den Atommüll einbetten könnte. Die Zusatzkosten für die Plutoniumbeimischung werden mit weniger als einer Milliarde Dollar (oder etwas mehr) angegeben. In der auf zehn Jahre veranschlagten Vorlaufzeit sind allerdings noch einige Hürden zu nehmen. Neben der in den USA besonders schwierigen Genehmigungsprozedur ist die Notwendigkeit von Modifikationen der bislang entwickelten Verglasungstechnik bei zusätzlichem Plutoniumeinschluß nicht auzuschließen, das Langzeitverhalten der Gläser muß unter diesem Aspekt studiert werden und Kritikalitätsprobleme für die nicht unerheblichen Waffenstoffmengen müssten eindeutig ausgeschlossen werden.7

Vergraben

Man könnte das Waffenplutonium in Kilometer tiefe Bohrlöcher verbringen, die ins Grundgestein getrieben werden und anschließend so verschlossen werden, daß eine Rückholung entweder große Schwierigkeiten macht oder bewußt zugelassen wird. Dies ist im Prinziep die Endlagerungsoption, die von der schwedischen Nuklearindustrie für ihren Nuklearabfall bevorzugt wird und selbstverständlich auch fundierte Kritik auf den Plan gerufen hat. Die Anwendung dieser Technik auf vorliegendes Plutonium wäre sicher keine langfristig stabile Lösung, denn zurückgeholt wäre sofort Waffenmaterial zugänglich. Aber als zeitlich begrenzte Zwischenlösung, die wenigstens den direkten Zugriff für subnationale Gruppen zuverlässig verhindert, wäre die Methode vielleicht schon geeignet. Wenige Bohrlöcher könnten genügen, um 100 Tonnen Plutonium aufzunehmen. Eine mögliche Rückholungskampagne durch Wiederaufbohren der Lagerstätten wäre leicht durch Satellitenüberwachung erkennbar und würde dann weltweite Beachtung erhalten und entsprechende Reaktionen zeitigen. Eine sichere Zwischenlösung für Jahrzehnte muß in jedem Fall gefunden werden, da die diskutierten Prozesse zur Plutoniumumsetzung ebenfalls einige Jahrzehnte Zeit benötigen. Vielleicht könnte sich die Bohrloch-Option bei näherer Betrachtung als durchaus bedenkenswerte Übergangslösung herausstellen, die auf Zeitgewinn setzt, bis eine sinnvollere Option zur Verfügung steht.

Vernichten

Theoretich denkbar wäre die Zerstörung von Plutonium in hohen Neutronenflüssen, durch die quasi die Plutoniumatome aufgeknackt würden und quantitativ in leichtere, kurzlebigere Spaltprodukte überführt würden. Radioaktiver Abfall wäre auch hier unvermeidlich, der allerdings kaum Waffenstoff mehr enthalten sollte und keine Jahrtausende bewacht werden müßte, sondern in menschheitsgeschichtlich überschaubaren Zeiträumen zerfallen würde. Solche Prozesse nennen die Physiker seit Jahrzehnten Transmutation. In Ermangelung von genügend hohen und kontinuierlich zur Verfügung stehenden Neutronenflüssen hatten solche Prozesse bisher kaum eine Chanse der Realisierung.

Die Beschleunigerentwicklungen der jüngsten Zeit geben aber zu vorsichtigen Hoffnungen Anlaß, daß sogenannte Spallationsneutronenquellen betrieben werden könnten, die für die Transmutation geeignet wären. In einigen alten Waffenlabors, wie im amerikanischen Los Alamos und dem russischen Arzamas sowie in einigen Kernforschungszentren in Japan, der Schweiz und in Deutschland wird tatsächlich über solche beschleunigergestützte Transmutation nachgedacht. Zumeist ist allerdings dabei die Zielrichtung, eine neue nukleare Energiemaschine anzubieten, über deren positive und negative Seiten man sehr geteilter Ansicht sein kann. Prinzipiell wäre es aber auch denkbar, die Arbeit auf den Hauptzweck einer endgültigen Beseitigung von Plutonium zu fokussieren, wobei ein möglicher Energiegewinn nur ein Nebenprodukt wäre.8 Eine sicher nicht ganz billige Idee zur Forschungskonversion im Bereich der alten Nuklearkomplexe.

In einer doppelbändigen, einflußreichen Studie der US National Academy of Sciences (NAS)9 wurde noch eine Reihe weiterer Optionen diskutiert, die aber alle als höchst unvorteilhaft oder als mit zu großen Nachteilen und Risiken behaftet bewertet werden.

Das Hauptkriterium bei den NAS-Überlegungen war dabei, das Waffenplutonium in eine so abzweigungssichere Form zu bringen, wie im zivilen Bereich üblich bzw. machbar. Dies ist der sogenannte »Abgebrannte-Brennelemente-Standard«. Mehr als ein Schutz vor fremdem Zugriff durch die radiologische Barriere aufgrund der Einbettung in hochaktiven atomaren Abfall ist bislang im zivilen Sektor nicht zu erreichen. Gemessen an dem Ziel der NAS-Bemühungen, den begonnenen nuklearen Abrüstungsprozeß unumkehrbar zu machen, eine durchaus vernünftige Überlegung.

In den NAS-Studien wurde auch erwähnt, daß langfristig über den »Abgebrannte-Brennelemente-Standard« hinausgedacht werden müsse. Die radiologischen Barrieren gegen den Zugriff auf das Plutonium zerfallen mit dem radioaktiven Zerfall des umgebenden nuklearen Abfalls. Von einem effektiven Schutz gegen unauthorisierten Zugriff kann man wohl nur in Zeiträumen von einigen Jahrhunderten sprechen. Staaten könnten großtechnische Wiederaufarbeitung betreiben, um erneut an den Waffenstoff zu kommen. Irgendwann muß also durch den Einsatz effektiver Technologien Vorsorge getroffen werden. Zwar kann niemand prognostizieren, wie sich die menschliche Zivilisation entwickeln wird, aber es wäre möglicherweise fatal, zukünftigen Menschheitsgenerationen, die friedlicher oder noch unfriedlicher miteinander umgehen, ein gefährliches und verführerisches Erbe in der Form von »Plutoniumminen« zurückzulassen.

Vergleich der Optionen

Eine detailierte Analyse der vier Optionen würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Im folgenden soll anhand der Tabelle ein grober Vergleich – angelehnt an die vorgestellten Kriterien – vorgenommen werden.

Nach Durchführung der technischen Methoden wäre der Zugriff auf das Plutonium für alle Optionen eindeutig erschwert, bei der Bohrlochoption wäre der Erfolg nur relativ, bei der Transmutation gilt die Einschätzung, daß die technische Demonstration der Technologie noch gänzlich aussteht. Der irreversible Entzug des Plutoniums (durch Zerstörung) wäre allenfalls durch die beschleunigergestützte Technologie realisierbar. Bei der MOX- und der Verglasungsoption bleibt die Gefahr der generellen Rückholbarkeit bestehen. Erst nach Verbringung der abgebrannten Brennelemente bzw. der Glasblöcke in ein geologisch stabiles Endlager, dessen Genehmigung weltweit noch nirgends erfolgt ist, wäre die Möglichkeit der Wiedergewinnung des Plutoniums stärker eingeschränkt.

Bei den MOX-Produktionsanlagen handelt es sich um sogenannte »Bulkhandling-Anlagen«, die schwer zu überwachen sind,10 so daß eine Abzweigung von Waffenstoff nicht generell auszuschließen ist. Auch der fertiggestellte MOX-Brennstoff selbst kann vergleichsweise einfach und schnell in direkt waffenfähigen Stoff zurückverwandelt werden, was Sicherheitsrisiken in sich birgt. Bislang sind zu wenig Erfahrungen mit der Verglasungstechnologie gemacht worden, als daß man Proliferationsrisiken gänzlich ausgeschließen könnte.

Bei der Verbringung von Plutonium in tiefe Bohrlöcher sind die wenigsten Prozeßschritte zu erwarten und die zu überwachenden Plutoniumeinheiten blieben eindeutig abzählbar. Bezüglich der Transmutation ist noch offen, ob Proliferationsresistenz wirklich garantiert werden könnte oder nicht. Die Überwachbarkeit von benötigten Spallationsquellen hängt zumindest stark vom Anlagendesign ab. In den USA wird diese Technologie zur Zeit als Dual-use-Programm betrieben, das neben der Entwicklung von Transmutationstechnologie einer Bereitstellung einer neuen Tritiumproduktionstechnologie dient, also dem US-Waffenprogramm. Nur wenn dieses Programm gestoppt würde, wäre das Ziel der Proliferationsresistenz überhaupt erreichbar.

Umweltrisiken im Betrieb der Anlagen sind für keine der Technologien auszuschließen. Für die MOX-Nutzung ist dies einschlägig belegt.11 Die Notwendigkeit für den langfristigen Betrieb vieler Reaktoren spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Umweltrisiken sind aber auch bei jeglicher Hantierung mit Plutonium nicht auszuschließen. Bei der Verglasungsoption tritt der gleichzeitige Umgang mit bereits existierendem hochaktivem Nuklearabfall hinzu. Bei der Transmutation wird zur Zeit offen über Probleme der Anlagensicherheit diskutiert. Es hängt entschieden von der Auslegung und erfolgreichen Durchführung entsprechender Forschungs- und Entwicklungsprogramme (FuE) ab, ob die Bewertung eher negativ ausfallen muß oder sogar positiv sein kann, wenn die technologische Annäherung an das Ziel inhärenter Sicherheit erreichbar erscheinen sollte.

Die MOX-Strategie nimmt ein zusätzliches Risiko durch den Betrieb von mindestens 250 Jahren Reaktorbetrieb mit Plutoniumbeladung pro 100 Tonnen Plutonium in Kauf. Der vielfältige Transport von plutoniumhaltigem Brennstoff und Nuklearabfall zwischen vielen Nuklearanlagen ist dafür notwendig. Im eingeschränkten Maße gilt das auch für einige wenige notwendige Transmutationsanlagen. Bei der Verglasungsoption kann die gleichzeitige Behandlung von hochaktivem Abfall aus dem militärischen oder zivilen Bereich eher als positiv angesehen werden, da hier in jedem Fall dringender Handlungsbedarf besteht.

Bei Verwendung aller betrachteten Technologien werden voraussichtlich einige Jahrhunderte vergehen, bis das jeweils gesetzte Ziel ereicht ist. Dementsprechend ist der Bedarf für längerfristige sichere Zwischenlagerung des Plutoniums evident. Den längsten Vorlauf in FuE benötigt sicherlich die Transmutationstechnologie. Mit der Bohrloch-Strategie könnte am schnellsten die einstweilige Verbringung des Plutoniums abgeschlossen werden, wenn rasch genug entsprechende Lagerstätten (auf begrenzte Zeit) genehmigungsfähig werden.

Die zusätzlich entstehenden Kosten für ein MOX- oder Verglasungsprogramm – bei Voraussetzung entsprechender Aktivitäten im zivilen Bereich – sind relativ gering. Sogar wenn alle zur Zeit eigentlich relevanten Plutoniummengen (400 Tonnen) bearbeitet würden, wären dafür kaum mehr als 10 Mrd. US-Dollar anzusetzen. Das gleiche gilt für die Bohrlochoption. Teurer würde im wesentlichen die Transmutationstechnologie. Wenn man den bisher genannten Zahlen aus Los Alamos glauben schenken darf, ist mit einer Größenordnung von 100 Mrd. Dollar zu rechnen, wenn 400 Tonnen Plutonium weitgehend eleminiert werden sollen.12

Nur ein Entwicklungsprogramm für die Transmutationstechnologie könnte einen spürbaren Effekt auf die Konversion der alten Waffenlabors erzeugen. Auch eine mögliche Konvergenz mit eventuell aussichtsreichen Entwicklungen für den Umgang mit den Altlasten aus dem zivilen (und militärichen) Nuklearbereich ist noch am ehesten hier zu erwarten, auch wenn die Verglasungsoption sicherlich nicht negativ abschneidet.

Einen positiven Einfluß auf gegenwärtige Nuklearenergieprogramme kann man wohl in keinem der Vorschläge entdecken. Die risikoreiche und unwirtschaftliche13 MOX-Wirtschaft würde aber durch ein solches Programm wieder ermutigt. Ob die gegenwärtigen Konzepte zur Behandlung des nuklearen Abfalls zukunftsverträglich sind, kann deutlich in Frage gestellt werden. Ob die Transmutation hier eine »rettende« Idee darstellt, kann heute noch nicht eindeutig beurteilt werden.

Nach diesem kurzgefaßten Vergleich sollte etwas deutlicher geworden sein: Es gibt nicht die technische Option für die Unschädlichmachung oder Beseitigung von Plutonium. Die naturwissenschaftlich orientierten FriedensforscherInnen sollten so ehrlich sein, dies öffentlich klar zu stellen.14 In Wahrheit haben alle Optionen ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Besonders viele Nachteile sind bei der MOX-Option auszumachen. Sie ist überdies keineswegs besonders schnell und wenn man ehrlich rechnet auch nicht, wie behauptet, sogar gewinnträchtig. Wenn man sich schon darauf kapriziert, den »Abgebrannte-Brennelemente-Standard« erreichen zu wollen, dann wähle man doch eher den direkten Weg, also die Verglasung ohne den Umweg über die Reaktoren.15

Ich hoffe, auch deutlich gemacht zu haben, daß der aus der US-Debatte übernommene »Abgebrannte-Brennelemente-Standard« nicht als allein gültiges Hauptkriterium angesehen werden muß. Die vorgeschlagene weitergehende Kriterienliste kann wohl zur Relativierung beitragen. Das Argument gegen ein Denken über den »Standard« hinaus, man müsse dann ja gleich für die über 800 Tonnen Plutonium, die (noch) nicht vom Atommüll abgetrennt sind, ebenfalls eine Lösung finden, zieht nicht ganz. Wenn es eine Option gibt – oder sie zur Verfügung gestellt werden könnte –, die Plutoniummengen, die in abgetrennter Form vorliegen, eleminieren kann, dann macht es Sinn, dies in Angriff zu nehmen oder voranzutreiben. Die Eleminierung von Plutonium mitsamt dem Nuklearabfall, ohne seine vorherige Wiederabtrennung, wäre mit weit erheblicheren technischen Hürden belastet.

Die Hanau-Debatte

Die Frage wurde gestellt: War die Hanau-Option real?

Ist dies überhaupt die richtige Fragestellung? Was nutzt es akribisch aufzulisten, wo in den nächsten 24 Jahren etwa 50 Tonnen Plutonium in deutschen Reaktoren gefahren werden könnten? Ist das nicht doch die Sicherung des deutschen Nuklearprogramms mit der Beschönigungsformel, so würde die Abrüstung beschleunigt? Was sollte die russische Regierung veranlassen, ihren Waffenstoff ausgerechnet nach Deutchland abzuliefern? Die recht plumpe »Gewinnkalkulation« bei Verwendung von russischen Plutonium statt Uran in deutschen Reaktoren, die zu einer Art Gewinnauschüttung von sage und schreibe 400,-- DM pro Kilogramm Brennstoff an die russische Seite führen könne, wird wohl auch niemand in Rußland überzeugt haben. Nicht nachvollziehbar ist, daß gleichzeitig ständig betont wurde, daß man der russischen Seite Gutes tue, wenn man aus dem unter großen Opfern produzierten Spaltstoff wenigstens noch Nutzen ziehen könne. Gerade etwa 1 Milliarde DM wäre der Dumpingpreis für 100 Tonen Waffenplutonium. Für eine vergleichbare Menge hochangereichertes Uran aus russichen Beständen wollen die USA ein Vielfaches zahlen.

Letztlich geht es um die Frage, warum die Hanau-Option offensiv gepusht wurde, wenn gleichzeitig betont wird, es sei aber unrealistisch, daß in Deutschland das russische Waffenmaterial verarbeitet und genutzt werden könnte? Die logische Inkonsistenz des Hanau-Vorschlages wird offensichtlich: Während als Hauptargument ins Feld geführt wird, nur so könne das Waffenmaterial den unsicheren russischen Händen schnell entzogen werden, unterstützt man in Wahrheit eine MOX-Option, die, wenn überhaupt, im »unsicheren Rußland« selbst aufgebaut und verwirklicht würde (mit technologischer Hilfe von Deutschland und von Siemens).16

Es ist übrigens eine Verzerrung der Tatsachen, wenn gesagt wurde, Siemens habe im Sommer 1995 das Hanauprojekt aufgegeben, weil die hessische Landesregierung mit ihrer Politik der Zeitverzögerung in der Genehmigungspraxis zusätzliche Kosten verursacht habe. Ausschlaggebend war die Weigerung der Stromversorgungsunternehmen, Hanau weiter zu finanzieren. Die Stromversorger würden lieber heute als morgen aus der ungeliebten, weil teuren Plutoniumnutzung aussteigen.

Ohne auf die Schilderung der Hanau-Debatte von Annette Schaper im Einzelnen einzugehen, doch soviel: Es mutet schon eigenartig an, wenn die wohlbegründete Kritik an dem Vorschlag, Hanau für das russische Plutonium in Betrieb gehen zu lassen, von Seiten der SPD und der Grünen, als panikartige Reaktionen abqualifiziert werden. Genauso irritierend ist die Behauptung, nur mit dem Verfolgen der Hanau-Option hätte man die deutsche Plutoniumwirtschaft beenden können.

Zum Abschluß ein Vorschlag: Wenn es vorrangig darum gehen sollte, so schnell wie möglich die etwa 100 Tonnen Plutonium, die aus der russischen Abrüstung erwartet werden, zu »sichern«, wäre es dann nicht erfolgversprechender, über einen vernünftigen Preis zu verhandeln; es also schlicht zu kaufen, wie es auch für das ebenfalls waffengrädige HEU versucht wird? Dann könnten die dringend nötigen, international gesicherten Interimslager eingerichtet werden, die etwas Zeit verschaffen, um eine bessere Lösung für die Plutoniumproblematik vorzubereiten.

Ich glaube, alles in allem hat die Hanau-Debatte eher geschadet als genützt, sie hat die drängende Plutoniumproblematik falsch fokussiert, dient fragwürdigen Interessen und unterstützt eher unbefriedigende oberflächliche Scheinlösungen.

Anmerkungen

1) Übrigens ist es nicht so, wie Annette Schaper behauptet, daß mit START II die Arsenale der Supermächte von 50.000 auf 7.000 Sprengköpfe reduziert würden. START II erlaubt zwar »nur« noch etwa 3.000 bis 3.500 Sprengköpfe für beide Seiten innerhalb strategischer Waffensysteme, aber eine weitere unbekannte Anzahl von intakten Sprengköpfen darf als »strategische Reserve« bereitgehalten werden und eine weitere große Anzahl an Waffensystemen kann für den substrategischen Bereich aufrechterhalten werden. Zurück

2) Vgl. zu diesem Problemkreis genauer: M. Kalinowski, W. Liebert, Der gefährliche Überfluß an Kernwaffenmaterialien, Wechselwirkung, 16. Jg, Heft 1 (1995), S. 33-37. Zurück

3) E. Kankeleit, C. Küppers, U. Imkeller, Bericht über die Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium, IANUS-Arbeitsbericht 1/1989. Zurück

4) Vgl. hierzu: W. Liebert, Eine Bombenidee – Die Rolle der Hanauer Brennelementefabrik und die Beseitigung von Waffenplutonium, Wechselwirkung, 17. Jg.,Febr. 1996, S. 46-51; W. Liebert, Russian Plutonium to German MOX? INESAP-Information Bulletin No. 8, Jan.1996, S. 11-13; W. Liebert, Die Hanauer Brennelementefabrik ist tot – Es lebe Hanau für die Abrüstung? IANUS-Arbeitsbericht, August 1995. Zurück

5) A. Schaper, War die Hanau-Option real? W&F 1/1996, S. 42-46. Zurück

6) W. Liebert, M. Kalinowski, Proposal for a comprehensive cutoff including civilian weapon-grade material, INESAP-Information Bulletin No. 4, Jan. 1995, S. 11-14; International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP), Beyond the NPT: A Nuclear-Weapon-Free World, Darmstadt/New York, 25. April 1995. Zurück

7) Vgl. die Diskussion in Science & Global Security, Vol. 5, No. 3 (1996). Zurück

8) W. Liebert, A. Glaser, C. Pistner, The Role of Accelerator-Based Systems for Optimal Elimination of Plutonium to Minimize Global Proliferation Risks, Proceedings of the 2nd International Conference on Accelerator-Driven Transmutation Technologies and Applications, Kalmar, Sweden, 3-7. Juni 1996. Zurück

9) National Academy of Sciences, Management and Disposition of Excess Weapons Plutonium, Vol. 1+2, National Academy Press, Washington D.C., 1994 und 1995. Zurück

10) Vgl. hierzu Literaturangabe zu Fußnote 2. Zurück

11) Vgl. C. Küppers, M. Sailer, MOX-Wirtschaft oder die zivile Plutoniumnutzung – Risiken und gesundheitliche Auswirkungen der Produktion und Anwendung von MOX, IPPNW-Studienreihe Band 7, Berlin 1994 (Kurzfassung in W&F 3/1994, S. 28ff.). Zurück

12) Diese Zahl ist in Beziehung zu setzen mit den einigen hundert Milliarden Dollar, die für die Beseitigung der Abfälle und Umweltschäden des US-Waffenprogramms hochgerechnet werden, und den etwa 4.000 Milliarden Dollar, die das US-Atomwaffenprogramm in den letzten fünf Jahrzehnten verschlungen hat. Daß ein Zurückdrehen der Bedrohungs- und Risikospirale auf ihren Ausgangspunkt erheblicher finanzieller Aufwendungen bedarf, sollte nicht verwundern. Das Kostenkriterium sollte daher nicht unreflektiert überbewertet werden. Es kommt auf die Prioritätensetzung an. Zurück

13) I. Hensing, W. Schulz, Simulation der Entsorgungskosten aus deutscher Sicht, Atomwirtschaft 40 (1995), S. 97-101. Zurück

14) Der Einsatz für die einzige Option, die in Deutschland starke Interessen hinter sich weiß, wie die von Siemens und der Bundesregierung – zumindest in Form des kleineren Koalitionspartners –, muß stutzig machen. Vgl. auch Literatur in Fußnote 4. Zurück

15) Falls tatsächlich in Karlsruhe eine Pilotverglasungsanlage für die Immobilisierung des radioaktiven Abfalls aus der dort in der Vergangenheit betriebenen Wiederaufarbeitung errichtet werden sollte, wäre hier ein sinnvoller deutscher Beitrag zum weltweiten Plutoniumproblem denkbar durch versuchsweise Mitverglasung von deutschem »überschüssigem« Plutonium aus dem Hanau-Bunker. Vielleicht lohnt der Einsatz hier mehr als für Hanau. Zurück

16) Vgl. auch Fußnote 4. Genau die gleiche widersprüchliche Tendenz ist auch aus der Studie des German-American Academic Council, an der A. Schaper offenbar mitgearbeitet hat, herauszulesen. Zurück

Dr. Wolfgang Liebert ist wiss. Mitarbeiter bei IANUS an der TH Darmstadt und Mitbegründer des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/2 Größer – Stärker – Lauter, Seite