W&F 2013/4

Politischer Protest in Uganda

Vom Ende der »Walk-to-Work«-Bewegung

von Matthias Elsas und Oliver Göbel

Als sich die ugandische Regierung im April 2011 mit anhaltenden Protesten durch die so genannte »Walk-to-Work«-Kampagne (WtW) konfrontiert sah, stellte sich die Frage, ob sich der »Arabische Frühling« südlich der Sahara ausbreiten würde (siehe Beitrag von Maaser und Koblofsky zu den Ereignissen in W&F 3-2011).1 Retrospektiv kann davon kaum die Rede sein. Welche Faktoren für diese Entwicklung bedeutsam waren, haben Matthias Elsas und Oliver Göbel anhand des weiteren Verlaufs der politischen Auseinandersetzung in Uganda untersucht und für W&F zusammengefasst.

Die WtW-Demonstrationen, die von der zivilgesellschaftlichen Gruppe A4C organisiert wurden, setzten am 11. April 2011 in Kampala sowie in weiteren urbanen Zentren des Landes ein. Zu Beginn waren sie von dem offiziellen Motiv getragen, gegen den zu dieser Zeit massiven Anstieg der Benzin- und Lebensmittelpreise zu protestieren. Ungeachtet des repressiven Vorgehens der staatlichen Sicherheitsorgane und des Verbots weiterer Demonstrationen wurde die Kampagne fortgeführt, deren Agenda sich im Zuge einer zunehmender Mobilisierung um Forderungen nach einer demokratischen Öffnung bis hin zu einem Regimewechsel erweitern sollte. Rückblickend lassen sich drei Phasen der Protestbewegung nachzeichnen.2

April und Mai 2011, die die erste Phase markieren und den Höhepunkt der Proteste darstellten, waren von einer hohen Mobilisierungsrate, hoher Protesthäufigkeit und repressiv-gewaltförmigen Gegenreaktionen durch die staatlichen Sicherheitsorgane geprägt. So kam es während der landesweiten Proteste am 14. April zum Einsatz der Armee. In Wakiso, Masaka und Jinja wurden dabei etwa 50 Menschen verletzt, bei Protesten von StudentInnen der Makerere University Kampala etwa 70 Personen. Zahlreiche AktivistInnen wurden verhaftet. Insgesamt kamen in dieser ersten Phase neun Menschen ums Leben. Von ca. 200 Verletzten wurden 20 mit Schusswunden in den Krankenhäusern behandelt. Allein in Kampala wurden etwa 700 AktivistInnen verhaftet. Kizza Besigye, Präsident des Forum for Democratic Change (FDC) und neben Mathias Mpuuga (dem nationalen Koordinator der A4C) zentrale Figur der politischen Opposition, wurde mehrfach verhaftet, unter Hausarrest gestellt und durch Übergriffe der Polizei verletzt.

Die zweite Phase der Proteste wurde Ende Juli 2011 eingeleitet, als sich A4C mit der Ankündigung zurückmeldete, die Aktionen würden fortgesetzt, und unter dem Motto »Light a Candle« zu Versammlungen zum Gedenken an die Verstorbenen aufrief. Mehrere Versuche, die Kundgebung abzuhalten, wurden verhindert. Im Oktober 2011 wurde eine »Relaunch Walk-to-Work«-Kampagne ausgerufen. Die Polizei, von A4C über die geplanten Demonstrationen informiert, verwehrte eine entsprechende Erlaubnis. Wenige Tage später kam es trotz des massiven polizeilichen Aufgebotes zu folgenschweren Protesten. Landesweit wurden an diesem Tag mehr als vierzig Personen verhaftet, darunter 15 Oppositionsmitglieder. Der Generalinspekteur der Polizei beschuldigte die Oppositionsmitglieder des „Hochverrats“ (New Vision und Daily Monitor, 18.10.11), da sie angeblich beabsichtigten, die Regierung zu stürzen. Besigye und weitere Oppositionspolitiker, die an den Protesten nicht teilgenommen hatten, wurden präventiv unter Hausarrest gestellt.

Die WtW-Bewegung trat in der dritten Phase, zwischen Januar und April 2012, noch einmal verstärkt mit Aktionsformen an die Öffentlichkeit; allerdings blieben diese nun vorwiegend auf die Hauptstadt beschränkt. Im Januar 2012 veröffentlichte A4C eine Pressemitteilung, die mit dem Aufruf endete, im Rahmen einer »Walk-to-Work Reloaded«-Kampagne an weiteren Demonstrationen teilzunehmen. Die Polizei agierte verstärkt präventiv. Im Vorfeld der Demonstration in Katwe (Kampala) wurden Mitglieder der politischen Opposition überwacht und die geplanten Demonstrationen für illegal erklärt. Wie schon während der Proteste 2011 wurden Besigye, Abgeordnete des FDC, der Oberbürgermeister von Kampala und Mpuuga vorläufig festgenommen.

Im März führte das gewaltsame Aufeinandertreffen zwischen BürgerInnen und Sicherheitskräften zum Tod eines Polizisten. Die Regierung stellte einen Zusammenhang her zwischen dem Todesfall und dem Oberbürgermeister von Kampala sowie der politischen Opposition um Besigye. A4C stellte klar, dass es sich bei jenem Vorkommnis weder um eine Demonstration noch eine sonstige von ihr geplante Aktivität gehandelt habe. Dennoch unterschrieb Generalstaatsanwalt Peter Nyombi am 4. April 2012 den Kabinettsbeschluss, der A4C als „rechtswidrige Vereinigung“ verbot, und zwar unter Rückgriff auf den Penal Code Act, Abschnitt 56/2c. Dieser besagt, dass Gruppen oder Organisationen von mehr als zwei Personen verboten werden können, wenn sie sich u.a. des „Krieges gegen die Regierung“ oder des „Umsturzes bzw. der Aufforderung zum Umsturz der Regierung“ schuldig machen. In einer Stellungnahme des Generalstaatsanwalts heißt es: „Eine Mitgliedschaft ist verboten. Wenn sie versuchen, irgendeine andere Gruppe zu gründen, wird diese auch rechtswidrig sein.“ 3 (zitiert in Daily Monitor, 23.04.2012)

Unter dem Namen »For God and My Country« (4GC) führten die OrganisatorInnen von A4C ihre Aktivitäten zunächst weiter, bis auch 4GC einen Monat später verboten wurde. Zu letzten Kundgebungen kam es im Juli 2012 in drei Distrikten im Westen Ugandas. Eine Petition, die im September an das Verfassungsgericht ging und die Änderung des Gesetzes forderte, welches das Verbot von A4C/4GC ermöglicht hatte, scheiterte. Die für den 9. Oktober 2012 angekündigten Demonstrationen anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten zur 50-jährigen Unabhängigkeit Ugandas wurden durch ein massives Polizeiaufgebot sowie Verhaftungen und Hausarreste im Vorfeld verhindert.

Schon während der zweiten Phase, insbesondere aber nach dem Verbot von A4C/4GC, konnte die Bewegung keine breite Mobilisierung mehr bewirken. Obwohl das Heidelberger Konfliktbarometer 2012 weiterhin eine „gewaltförmige Krise“ konstatierte, blieben der Berichterstattung zufolge die noch vereinzelt stattfindenden Aktionen auf einen kleinen Kreis um die zentralen Führungspersonen der Bewegung, Besigye und Mpuuga, beschränkt.

Vom Aufstieg und Zerfall einer Bewegung

Zwei wesentliche Prozesse können als Ausgangspunkt der Protestmobilisierung in der politischen Auseinandersetzung zwischen Staat und Gesellschaft ausgewiesen werden. Da ist zum einen die Anfang 2011 eintretende sozio-ökonomische Entwicklung. Eine rapide ansteigende Inflation trug bei gleichzeitigem Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung bei. Zum anderen kann den externen politischen Entwicklungen im Nahen- und Mittleren Osten, die mit dem »Arabischen Frühling« umschrieben werden, ein nicht zu unterschätzender Einfluss auf die kollektive Deutung politischer und ökonomischer Missstände zugewiesen werden.

Damit ist die kollektive Wahrnehmung politischer Gelegenheiten angesprochen, die einen wesentlichen Mechanismus für den Prozess der Mobilisierung bilden (McAdam et al. 2001). Die sozio-ökonomische Krise und der »Arabischen Frühling« bot den A4C und der politischen Opposition die Gelegenheit, Teile der Bevölkerung für eine öffentliche Protestkampagne zu mobilisieren. Die seit 1986 vom National Resistance Movement geführte Regierung unter Museveni sollte in die Verantwortung genommen werden. Die Regierung erkannte hierin früh ein Bedrohungspotential und setzte in der Folge ausschließlich auf die gewaltsame Niederschlagung der Proteste. Neben dem exzessiven Einsatz repressiver Mittel griff sie dabei auf die diskursive Delegitimierung und wirksame Kriminalisierung von AktivistInnen und Protestierenden zurück.

Der anfängliche Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen (A4C), religiösen (Inter-Religious Council of Uganda) und politischen Akteuren (die Oppositionsparteien FDC, DP, UPC, JEEMA)4 unter dem Banner von »Walk to Work« trug wesentlich zu der landesweiten Mobilisierung im Rahmen der ersten Kampagne bei. Über die tatsächliche Merkmalsstruktur der Protestanhängerschaft ist wenig bekannt. Vieles deutet auf eine Mobilisierung der urbanen, jüngeren und einkommensschwachen Bevölkerungsschicht hin. Nach Einschätzung eines Journalisten des Daily Monitor konnten weder Teile der ugandischen Mittelschicht noch andere einflussreiche Bevölkerungsgruppen mobilisiert werden.5 Zunehmende Gewalteskalation und steigende Opferzahlen mündeten letztlich in einer drastischen Demobilisierung. Dies gilt nicht nur für die Anhängerschaft, sondern insbesondere für die Trägerschaft der Protestbewegung. Bei der Vorbereitung der zweiten Kampagne »Relaunch Walk-to-Work« waren der Berichterstattung zufolge nur noch die FDC und die DP vertreten (Daily Monitor und New Vision, 13.10.2011). Auch der Inter-Religious Council of Uganda distanzierte sich aufgrund der Gewaltausschreitungen in der Hochphase der Proteste vom Bündnis. Die Koalition im Zeitraum der »Walk-to-Work Reloaded« scheint sich primär auf A4C und FDC zu reduzieren.

Nicht wenige BeobachterInnen sahen in Letzterem den eigentlichen Grund dafür, dass A4C nicht zum Ausdruck einer gesellschaftlich breit legitimierten sozialen Bewegung wurde, einer dritten Kraft außerhalb des »partisanen Machtkampfes« zwischen dem National Resistance Movement und dem FDC. So resümierte etwa der international renommierte Analyst Andrew Mwenda (The Independent, 15.05.2012), die politisch-instrumentelle Inanspruchnahme der Person Besigye, der zum Gesicht der Proteste avancierte, habe A4C die politische Neutralität entzogen. Die wäre aber Voraussetzung gewesen, um einen politischen Prozess anzustoßen, der unter Einbindung weiter zivilgesellschaftlicher Kräfte der anhaltenden Durchsetzung partikularer Machtinteressen entgegenstünde.

Konfliktdynamiken zwischen Bewegung und Stillstand

Gewaltförmige Konflikte haben seit jeher den postkolonialen Werdegang des ugandischen Staates geprägt. Ob sie, um Charles Tillys (1985) berühmte These zu bemühen, notwendiger Bestandteil der Herausbildung und Festigung staatlicher Gebilde sind, ist am jeweiligen Einzelfall stets kritisch zu hinterfragen. Die vielschichtigen Konfliktdynamiken in Uganda lassen sich einmal im Kontext nationaler Integrationsprozesse im Anschluss an die politische Herrschaft kolonialer Regime verorten (Rupesinghe 1989). Der Nord-Uganda Konflikt zwischen »Lord’s Resistance Army« (LRA) und Regierung ist in diesem Kontext zu verstehen. Eine weitere Erklärung sieht Potentiale von Konflikten im politisch-transformativen Prozess von einer autoritären Herrschaftsform hin zur Demokratisierung begründet (Mutua 2007, Izama/Wilkerson 2011). Die Protestbewegung unter dem Banner der WtW-Kampagnen kann aus dieser Perspektive sinnvoll interpretiert werden. Sie stellt insofern eine Zäsur in der Konfliktgeschichte Ugandas dar, als ihre ProtagonistInnen eine »Politik mit anderen Mitteln« (McAdam et al. 1988) verfolgten, welche ausdrücklich die gewaltfreie Austragung widerstreitender Interessen zu ihrem Credo erklärte. Ob jene Konfliktdynamik mittel- oder langfristig zu einer von vielen Seiten erhofften Verschiebung im Verhältnis von Staat und Gesellschaft führen wird, bleibt fraglich. Von einem »Ugandischen Frühling«, der ähnlich seinem nördlichen Vorbild imstande wäre, einen Regimewechsel – mit allerdings offenen Folgen – einzuleiten, kann bislang nicht die Rede sein.

Quellen

A4C relaunch walk to work campaign. Daily Monitor (monitor.co.ug), 13.10.2011.

Police smash walk to work demos. Daily Monitor, 18.10.2011.

From A4C to 4GC: Are they vehicles of change or a terror to the state? Daily Monitor, 23.04.2012.

Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK): Conflict Barometer 2012.

Izama, Angelo und Wilkerson, Michael (2011): Uganda: Museveni’s Triumph and Weakness. Journal of Democracy, 22:3, S.64-78.

Maaser, Johannes und Koblofsky, Lydia: Keine Bewegung mit Ugandas »Movement«. Ein politischer Reisebericht aus dem Land des alten Mannes mit dem Hut. Wissenschaft und Frieden, 3-2011, S.33-36.

McAdam, Doug; McCarthy, John D.; Zald, Meyer N. (1988): Social Movements. In: Smelser, N.J. (ed): Handbook of Sociology. Newbury Park, California: Sage, S.695-739.

McAdam, Doug; Tarrow, Sidney; Tilly, Charles (2001): Dynamics of Contention. Cambridge: Cambridge University Press.

Mutua, Makau (2007): Beyond Juba: does Uganda need a national Truth and Reconciliation process? East African Journal of Peace and Human Rights, 13:1, S.142-155.

Mwenda, Andrew (2012): Reflecting the banning of A4C. The Independent, 15.04.12.

Opposition defies Police, launches walk-to-work week. New Vision, 13.10.2011.

Walk-to-Work activists face treason charges. New Vision, 18.10.2011.

Rupesinghe, Kumar (1989): Conflict resolution in Uganda. Oslo/Athens: Peace Research Institute Oslo (PRIO).

The Penal Code Act (Uganda) von 1950; online bei wipo.int.

Tilly, Charles (1985): War Making and State Making as Organized Crime. In Evans, P.; Rueschemeyer, D.; Skocpol, Th. (eds.): Bringing the state back in. Cambridge: Cambridge University Press.

Anmerkungen

1) Maaser und Koblofsky, die im Anschluss an ihren Ugandaaufenthalt die Ereignisse und Hintergründe für W&F dokumentierten, hatten offen resümiert: „Ob sich der »Weg zur Arbeit« aber wirklich zu einer Bewegung ausdehnt und Museveni das Schicksal der Dauerpräsidenten in der Maghreb-Region und Ägypten bescheren wird, bleibt abzuwarten. Ein innerer Wandel des Systems Museveni scheint jedenfalls nicht in Sicht.“ (W&F 3-2011, S.36).

2) Mit Ausnahme direkter Zitation basiert die Belegführung des Textes auf der im Forschungsprojekt vorgenommenen Dokumentenanalyse. Neben den nationalen Tageszeitungen in Uganda, dem »Daily Monitor« und der »New Vision«, wurden Studien von Human Rights Watch, Amnesty International, International Crisis Group und der Ugandischen Menschenrechtskommission (UHRC) sowie Statistiken des Afrobarometer, des African Economic Outlook und des African Media Barometer, internationale Pressedokumente sowie das Internetblog der Gruppe »A4C« ausgewertet.

3) Übersetzungen aus dem Englischen durch die Autoren.

4) DP: Democratic Party; UPC: Uganda People’s Congress; JEEMA: Justice Forum.

5) Interview durch die Autoren im Rahmen der empirischen Untersuchung.

Matthias Elsas und Oliver Göbel sind Absolventen des Masterstudiengangs Friedens- und Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg. Zu politischem Protest in Uganda haben die Autoren im Rahmen des Forschungsprojekts »Konfliktdynamiken in Uganda: Die Walk-To-Work-Bewegung« eine empirische Untersuchung durchgeführt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2013/4 Der pazifische Raum, Seite 37–39