W&F 1998/1

PolizistInnen und Gewalt – ein Fazit

von Gerda Maibach

Unrechtmäßige Gewaltausübung von Polizeibeamten besonders gegenüber Menschen mit geringer Beschwerdemacht ist ein Thema, das in wiederkehrenden Abständen die Gazetten beherrscht. Die Qualität der Debatten steht dabei nicht selten auf Stammtischniveau, gesicherte Erkenntnisse sind kaum vorhanden. Bereits in den siebziger und achtziger Jahren standen polizeiliche Übergriffe in den Schlagzeilen und es entstanden Bürgerbewegungen, die sich die Beobachtung und Kontrolle der Ordnungshüter zum Ziel gesetzt hatten. amnesty international erhob massive Vorwürfe in den letzten Jahren. Alarmiert zeigten sich schließlich auch die Innenminister der Länder. Sie gaben im Herbst 1994 eine Studie zum Thema »Polizei und Fremde« in Auftrag, die im März 1996 der Öffentlichkeit vorgelegt wurde.

Als Lehrbeauftragte für Psychologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung war ich seit 1993 auch mit der Durchführung von Training und Seminaren für Polizeibeamte und -beamtinnen befaßt. Schilderungen über den polizeilichen Alltag aus der »Innenansicht« beschäftigten mich in den ersten Monaten mehr, als ich dieser Lehrtätigkeit an Zeit eigentlich einräumen wollte. Wut, Zorn, Ohnmachts- und Abhängigkeitsgefühle in Zusammenhang mit dem Berufsalltag waren eher die Regel als die Ausnahme. Nach Ablauf des ersten Jahres war bei mir der Eindruck entstanden, es könne sich auch in »ganz normalen« Wachen um Gemeinschaften mit verbindlichen, informellen Regeln handeln, die sich von den offiziellen Dienstvorschriften manches Mal gravierend unterscheiden mögen.

Nicht bei allen PolizistInnen, mit denen ich sprach, lagen die häufig angeführten äußeren Umstände (Großstadtwache, sozialer Brennpunkt) vor, die nachvollziehbar zu einer »Verrohung« führen können. Fast alle aber berichteten von ähnlich frustrierenden Erlebnissen in ihren Dienststellen. Vergangene und aktuelle Ausbildungs- wie Arbeitsbedingungen schienen aus meiner Sicht ungesteuerte gruppendynamische Prozesse zu begünstigen, deren Ausmaß öffentlich sorgsam verschwiegen oder aus inneren Notwendigkeiten heraus ignoriert werden mußte.

Nachdem sich erste Anzeichen einer fest etablierten Kultur nicht legitimierter Gewalt zu einer subjektiven Gewißheit verdichteten, begann ich im März 1995 mit der Planung einer Untersuchung. Die Innensicht von PolizistInnen, ihr Selbstverständnis, die Arbeitsauffassung, Gedanken und Vorstellungen vom »Bürger«, vom »polizeilichen Gegenüber«, die Erlebnisse im täglichen Einsatz, der Entscheidungsdruck, die Anforderungen von »innen und außen« waren mein Focus bei der Suche nach begünstigenden Faktoren für das Auftreten illegaler polizeilicher Gewalt.

Methodik

Gewalttätige Handlungen sind nicht isoliert zu betrachten. Sie stellen einen Ausschnitt dar im breiten Spektrum menschlicher Verhaltensweisen; die Frage nach ihren Grundlagen und Ursachen verweist auf die Beweggründe menschlichen Handelns allgemein. Neuere Forschungsrichtungen in der Psychologie sehen den Menschen weniger durch unbewußte Impulse beherrscht als vielmehr eigenen, subjektiven Theorien über die Welt und den in ihr vermuteten Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen folgend (Groeben et al., 1988). In großer Übereinstimmung nennen Sozialwissenschaftler heute diese subjektiven Theorien als handlungsleitende und handlungsbegleitende Steuerungsmechanismen im alltäglichen Leben.

Die Funktion dieser subjektiven Theorien kann wie folgt beschrieben werden:

Sie befähigen den Menschen zu

  • Situationsdefinitionen,
  • Erklärungen im Vor- und Nachhinein,
  • Handlungsempfehlungen,
  • Vorhersagen und nicht zuletzt dazu,
  • Eingriffsmöglichkeiten für eigenes und fremdes Handeln, sowie
  • für Ereignisse und Zustände zu finden.

Der polizeiliche Übergriff als illegale aggressive Handlung gegenüber einem Nichtpolizisten und die zugrunde liegende Interaktion entzieht sich in der Regel spontanen oder auch verabredeten Zusammenkünften mit eine(r/m) Untersucher(in). Ein Übergriff geschieht und entwickelt sich aus der Interaktion der Beteiligten in den verschiedensten Situationen. Das Phänomen wird bei Beobachtung und Kontrolle – zwei wichtigen psychologischen Untersuchungsverfahren – möglicherweise zeitweilig unterdrückt, nicht aber erfaßt und bearbeitet werden können.

Verständnis für Handlungsweisen erschließt sich folgerichtig nur dann, wenn ich den Einzelnen nach Vorstellungen und Überzeugungen befrage. Verschiedene Forschungsansätze betonen die Notwendigkeit qualitativ-ätiologischer Untersuchungsmethoden, die eine angemessene Durchführung der subjektiven Problemsicht des Individuums ermöglichen (Koolwijk, 1974). Mit der Technik des Problemzentrierten Interviews (Witzel, 1989) habe ich versucht, Erlebnisse, Vorstellungen und Emotionen der Polizeibeamten aus dem Erfahrungsbereich des Einzeldienstes zu eruieren. Dabei interessierten besonders ihre individuellen Erklärungsmodelle über Ursachen und Wirkungen von Belastungen auf den Arbeitsalltag. Die Erhebung erfolgte mit Hilfe eines halbstrukturierten Leitfadens.

Folgende Themenfelder waren Bestandteil des Leitfadens:

  • Ausbildung, Dienststellen
  • Motivation zur Berufsausbildung
  • erste Erfahrungen während der Berufsausbildung
  • Berufsausübung (Einzeldienst)
  • subjektive Erklärungsmodelle für Bürger/Kollegenverhalten
  • Übergriffe von Polizeibeamten
  • Verbesserungsvorschläge
  • gesellschaftlicher Auftrag der Polizei.

Folgende Prämissen standen am Beginn der Untersuchung: Es gab bis dato keine Erhebung über Ausmaß oder potentielle Einflußfaktoren auf gewalttätige Verhaltensweisen von PolizistInnen. Die hohe emotionale Besetzung und politische Brisanz provozieren aber regelmäßig Meinungsäußerungen, die von Stammtischparolen bis hin zu empirisch nicht überprüften Erklärungsversuchen reichen oder nur Teilaspekte berücksichtigen. Eine solche Palette reicht zum Beispiel von: „Die Beamten schlagen immer nur aus Notwehr“ über: „Gewalt durch Polizeibeamte ist ein Symptom der massiven Überlastung“ bis: „Der Polizist steht nur auf der anderen Seite des Verbrechens und hat eigentlich die gleiche Persönlichkeitsstruktur wie der Kriminelle“.

Zu Beginn der Interviews wird mit der Frage nach dem beruflichen Werdegang ein möglichst allgemeiner Zugang zum Arbeitsfeld gewählt. Diese offene Frage (Anbieten einer leeren Seite) sollte einen Kommunikationsprozeß einleiten, der den Gesprächseinstieg teilweise strukturiert, aber auch einen ersten Eindruck über die themenspezifische Schwerpunktsetzung des Interviewpartners ermöglicht.

Jedes Interview endet mit Fragen nach Verbesserungsvorschlägen und einer Einschätzung des gesellschaftlichen Auftrags der Polizei. Damit sollte allen Gesprächspartnern die Möglichkeit gegeben werden, die eigenen Vorschläge und Gedanken zum Berufsauftrag zu schildern, die auch durchaus im Widerspruch zu den Vorstellungen der offiziellen Politik oder der Realität stehen konnten. (Weitere Informationen über Leitfaden und Interviewtechnik sind bei Witzel nachzulesen bzw. bei der Autorin zu erfragen).

Stichprobenbeschreibung

Bis zum Jahre 1995 kamen alle Studierenden der Fachhochschule im Fachbereich Polizei aus dem mittleren Dienst der Schutzpolizei. Aus diesem Kreis habe ich zwei Polizistinnen und zwölf Polizisten um ein Interview unter Wahrung ihrer Anonymität gebeten. 3 Polizisten lehnten eine Mitwirkung ab, da sie Auswirkungen auf ihre Arbeit bzw. laufbahnrechtliche Konsequenzen befürchteten.

Alle befragten Polizisten verfügten über eine Einzeldiensterfahrung (mittlerer Dienst) von mindestens 3 Jahren. Die beiden Polizistinnen waren 2 Jahre im Einzeldienst. Die befragten Polizisten Mokros und Simon arbeiten im höheren Dienst der Schutzpolizei und verzichteten auf eine Anonymisierung ihrer Aussagen. Alle Gespräche wurden auf Tonband aufgenommen und transskribiert.

Auswertung

Die Interviews geben individuelle Erlebnisweisen eines spezifischen beruflichen Alltags wieder mit den zugrundeliegenden/resultierenden subjektiven »Weltsichten« meiner Gesprächspartner. Insofern handelt es sich zunächst um eine (qualitative) Sammlung themenbezogener Informationen.

Über eine »reine« Beschreibung von Informationen hinaus bietet ein solches »Zusammentragen« von Informationen jedoch die Möglichkeit, im Rahmen vergleichender Betrachtung Übereinstimmungen festzustellen und in der Folge Hypothesen über das Zustandekommen dieser Gemeinsamkeiten aufzustellen. Hypothesen wiederum sind empirischer Überprüfung zugänglich, insofern stellt sich die Beschreibung von Sachverhalten als notwendiger erster Schritt einer wissenschaftlichen Untersuchung dar. Zweifelsohne läßt sich auf der Grundlage übereinstimmender Schilderungen von Ausbildung und Berufsalltag meiner Interviewpartner die Hypothese aufstellen, daß strukturelle Defizite im Polizeiapparat einen wesentlichen Anteil an der diskutierten Gewaltproblematik haben. Ich wollte das vorliegende Projekt als Anregung verstanden wissen, breiter angelegte wissenschaftliche Untersuchungen zu betreiben, die sich mit den Konflikten, den Nöten, aber auch den Potentialen der Beamten vor Ort befassen. Nimmt man ihre Aussagen ernst, und eine andere Wahl werden wir nicht haben, wissen sie selbst oft sehr genau, woran es Ihnen, den Kollegen und ihrer Organisation mangelt.

Doch nun zu einigen ausgewählten Aspekten meiner deskriptiven Auswertung, entlang der Stichworte des Leitfadens, die sich auf die auch bei rororo aktuell veröffentlichten Interviews beziehen. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden die Antworten zusammengefaßt, wobei Mehrfachnennungen häufig erfolgten.

Dienststellen

Vier Polizeibeamte hatten ihren Wach- und Wechseldienst in einer Großstadt absolviert. Drei verfügten über Erfahrungen im ländlichen bzw. kleinstädtischen Bereich. Ein Polizist war in allen drei Bezirken tätig gewesen.

Motivation zur Berufswahl

Die bewußt geäußerte Motivation zur Berufswahl ergab lediglich bei einem Beamten den Verweis auf einen Kindheitstraum. Dreimal wurde angegeben, daß die Bundeswehr vermieden werden sollte, viermal der finanzielle Anreiz einer guten Ausbildungsvergütung, zwei Personen wollten sich sozial engagieren, dreimal wurde auch eine gedankliche Vorstellung vom Berufsbild eingeräumt, die mit Respekt, Macht und Autorität verbunden gewesen sei.

Stärken der Ausbildung

Nahezu übereinstimmend berichteten die Befragten von einer juristisch gut fundierten Ausbildung. Die Praxisrelevanz wurde allerdings überwiegend gering eingeschätzt. Ebenfalls positive Anerkennung erhielt die Grundausbildung im Sport und Schießen.

Schwächen der Ausbildung

Die PolizistInnen sprachen von einer autoritären, hierarchischen Struktur bzw. rigider Umgehensweise mit den Auszubildenden. Einengen der Persönlichkeit und Erziehung durch Druck waren verwandte Äußerungen. Fehlende Praxisnähe, besonders im Bereich Kommunikation, sowie keine angemessene Unterweisung für den Umgang mit dem Bürger waren wiederkehrende Äußerungen der Interviewten.

Erste Erfahrungen mit dem Bürger

  • Es wurde häufig über die starke Abhängigkeit von den älteren Kollegen bzw. deren Vorbildfunktion berichtet (Stichwort: Lernen am Modell); über starre, schematische Einführung ohne Erläuterung der jeweils zugrundeliegenden Problematik. Auch die Verstärkung eigener negativer Handlungsweisen (»Abwimmeln von Einsätzen, Zuschlagen«) durch Zustimmung von Kollegen bzw. der Dienstgruppe wurde im Rückblick von einigen Polizisten benannt. Respekt und Angst vor höheren Diensträngen begleiteten die ersten Einsätze.
  • Unangenehme Gefühle in der Begegnung mit dem Bürger wurden dort beschrieben, wo man als Repräsentant der Ordnungsmacht auf Kontrollen und Belehrungen bestehen, Forderungen durchsetzen mußte, aber auch generelle Ängste vor unbekannten Situationen, die mit Gefühlen der Überforderung einhergingen.
  • Immer wieder berichtet wurden mangelnde Fertigkeiten im Umgang mit dem Bürger. Diese drücken sich auch in der erlebten Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Verhalten der Bürger und dem phantasierten Gefühl der Macht bzw. der Autorität des jungen Polizisten aus. Vom Praxisschock wurde gesprochen, den Erlebnissen mit respektlosen, mißachtenden Menschen und der mangelnden Lebenserfahrung in schwierigen Konfliktfällen wie z.B. Familienstreit.

Berufsentscheidung in Frage gestellt

Von den acht Befragten hatten sieben Polizisten ihre Berufsentscheidung mehrmals oder häufig in Frage gestellt.

Ein Beamter stellte einige Wochen nach dem Interview fest, daß er in der Zeit des Wach- und Wechseldienstes sehr wohl häufig an ein Ausscheiden aus dem Dienst gedacht hätte und dieses wohl vollständig verdrängt habe. Seine familiäre Situation habe ernsthafte Gedanken an Kündigung allerdings nicht zugelassen.

Als Auslöser wurden überwiegend innerdienstliche Probleme angegeben (schlechte Dienstgruppe, schlagende Kollegen, Führungsfehler, mangelnder Rückhalt bei Vorgesetzten, Beförderungssituation), Tätigkeit im Objektschutz, in der Einsatzhundertschaft. Weitere Gründe waren Ohnmachtsgefühle angesichts wiederkehrender Einsätze im kriminellen Bereich mit den ständig gleichen Delinquenten. Vereinzelt genannt wurden Konflikte zwischen Berufsrolle und privater Haltung bei politischen Einsätzen und die Verschärfung gesellschaftlicher Probleme.

Übergriffe – Erklärungsansätze

Alle Interviewpartner wußten von Übergriffen im Dienst zu berichten. Als generelle Ursachen einer Gewaltproblematik im Dienst wurden vermutet:

  • private Stressituationen,
  • mangelnde Klärung vorhergehender Einsätze
  • ungesteuerte gruppendynamische Prozesse (Verstärkung)
  • inkompetente Führung
  • Persönlichkeitsstruktur von Beamten
  • mangelndes Unrechtsbewußtsein
  • Angst vor und Wut gegenüber dem »polizeilichen Gegenüber«
  • Frustration, mangelnde Arbeitsmotivation
  • mangelnde Kommunikationsfähigkeit
  • »geschlossene Gesellschaft Polizei«
  • mangelnde Empathie gegenüber dem Bürger.

Die meisten Befragten bekannten, daß sie ein schlechtes Gewissen gehabt hätten, wenn sie den/die Übergriff/e hingenommen hätten. Angst vor Gruppendruck und Ausgrenzung verhinderten jedoch ein aktives Einschreiten bzw. ein Befolgen der gesetzlichen Vorschriften.

Keine Akzeptanz fand die häufig zitierte Hypothese: Übergriffe gegen ausländische Mitbürger stellten rassistisch motivierte Handlungen von Polizisten dar. Vielmehr wurden diese Vorfälle eher als Aktionen mit Ventilfunktion gesehen, in denen vorhandene Aggressionspotentiale eben generell gegen Bürger gerichtet werden, die den sozial schwachen Randgruppen der Gesellschaft zugeordnet werden (eben Personen mit geringer Beschwerdemacht).

Klärung im Dienst

Die Angaben der PolizistInnen machen deutlich, daß es aus ihrem Erleben heraus in der Zeit ihrer Tätigkeit keine Möglichkeit der Verarbeitung oder Klärung gewalttätiger Übergriffe im Dienst gegeben hat. Es gibt allerdings Hinweise auf eine polizeiinterne Form der »Verarbeitung«, bei der Straftaten zu Heldentaten verklärt werden.

Verbesserungsvorschläge

Folgende Verbesserungsvorschläge wurden genannt:

  • Reduktion von Objektschutz und Einsatzhundertschaft
  • Verstärkung von Fußstreife
  • praxisorientiertere Ausbildung
  • Steigerung der innerdienstlichen Transparenz, höherer Informationsgrad vor den Einsatz
  • psychologische Betreuung,
  • höhere Trainingszeiten für Sport, Eingriffstechniken und Schießen im Einzeldienst
  • Optimierung der Ausbildung für Leitstellenbeamte
  • Erziehung zur Eigenverantwortlichkeit, Abbau der Hierarchie, Umsetzung kooperativer Führung, stärkere Akzeptanz des Einzelnen, Vermittlung eines polizeilichen Wertbildes
  • Abschaffung des Berufsbeamtentums
  • Stärkung der sozialen Kompetenz
  • Veränderung der Ausbildungsinhalte in den juristischen Fächern sowie im Bereich Kommunikation
  • mehr Freiräume während der Berufsausübung, die zur Entlastung genutzt werden können (Verhaltenstraining)
  • Supervision in belasteten Dienststellen
  • Entlastung von Aufgaben, die durch andere Institutionen wahrgenommen werden können
  • Tutorensystem
  • Vor- bzw. Nachbesprechung schwieriger oder problematischer verlaufener Einsätze
  • kein Einsatz (Verheizen) junger Beamter bei Demonstrationen.

Gesellschaftlicher Auftrag der Polizei

Bei dieser Frage zeigt sich, daß die befragten PolizistInnen ihre Arbeit in der Hauptsache als Dienst am Bürger verstehen. Im Gegensatz dazu wird die aktuelle Durchführung der polizeilichen Arbeit von der Mehrzahl der Polizeibeamten nicht als sinnvolle, gemeinwesenorientierte Arbeit erfahren. Ich will allerdings nicht verschweigen, daß meinem subjektiven Eindruck nach eine große Anzahl von Polizeibeamten glaubt, was Ihnen Politiker immer wieder versichern, sie könnten und müßten Kriminalität bekämpfen.

Fazit

Ich habe die vorliegenden Explorationen in der ersten Hälfte des Jahres 1995 durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie »Polizei und Fremde«, von der Innenministerkonferenz der Länder in Auftrag gegeben, lagen noch nicht vor. Fragestellung, Umfang der Stichprobe und methodisches Vorgehen weichen erheblich voneinander ab.

Dennoch möchte mich in meinen Schlußfolgerungen auf einige Befunde dieser Studie beziehen, die von der Führungsakademie Hiltrup in einer Presseerklärung im Februar 1996 veröffentlicht wurden.

So wird berichtet, „… daß es sich bei den …Übergriffen nicht um ein »systematisches Verhaltensmuster der Polizei« handelt, daß sich allerdings Strukturen erkennen lassen, die die Gefahr von Vorurteilen und auch Übergriffen vergrößern.“

Die Angaben meiner Gesprächspartner veranlassen mich allerdings zu der Einschätzung, daß das strukturelle Defizit der Polizei größer ist, als von offiziellen Stellen bis heute eingeräumt worden ist. Wahrscheinlich ist, daß die existierende Struktur dauerhafte Vorurteile über das »polizeiliche Gegenüber« schafft oder festigt und gewalttätige Handlungen von PolizistInnen begünstigt, wenn nicht produziert.

Alle Polizisten wußten von Übergriffen zu berichten. In jedem einzelnen Interview wird deutlich, daß die informelle Struktur in einer Dienstwache erhebliches Gewicht hat und ihre unübersehbaren Auswirkungen auf den jungen Polizeibeamten. Der gern angeführte Vergleich mit anderen Berufen, in denen ebenfalls ungünstige gruppendynamische Prozesse zu finden seien, darf insbesondere im Berufsfeld Polizei keine Beruhigung vermitteln. Die weitreichenden polizeilichen Kompetenzen in Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols bergen beträchtliche Risiken für den einzelnen Beamten und verpflichten deshalb zu sorgsamer Auswahl und Ausbildung von Beamten.

Die Interviews mit den beiden Beamten aus dem höheren Dienst mit entsprechend langjähriger Erfahrung belegen deutlich, daß Gewalt in der Polizei kein neues Phänomen darstellt, sondern allenfalls immer wieder erneut bekämpft werden muß.

In der Presseerklärung der Führungsakademie heißt es weiter: „Die Ursachen für entsprechende Gefährdungsmomente sind nach Auffassung der Wissenschaftler dabei weniger in individuellen Einstellungen bzw. bei den einzelnen Beamtinnen und Beamten (und somit in deren persönlicher und beruflicher Sozialisation) als vielmehr in strukturellen Faktoren der Organisation und des Aufgabenfeldes der Polizei zu sehen.“

Mit Verlaub geschrieben, was stellt die berufliche Sozialisation eines Einzelnen dar, wenn nicht die Bildung internalisierter Normen des Einzelnen aus den erfahrenen bewußten und unbewußten Einstellungen seiner Berufsgruppe.

Überhaupt scheint mir in dieser vielzitierten und häufig diskutierten Studie der Fehler bereits im Focus »Polizei und Fremde« zu liegen. Belege mangelnder Distanz der Forscher lassen sich meines Erachtens an vielen Stellen des Abschlußberichtes finden. Ich habe Zweifel, ob das Erkenntnisinteresse der Forscher überwog gegenüber den »berechtigten« Interessen der auftraggebenden Institution. So überschreibt Manfred Bornewasser seinen Teil der Studie mit dem Titel: „Wer schafft uns endlich die Last vom Hals“ und fährt weiter fort: „Belastungen und Gefährdungen im Umgang der Polizei mit Fremden“. Thema ist folglich nicht das Gewaltmonopol und die damit einhergehenden permanenten Gefährdungen durch Machtmißbrauch unabhängig von der Anzahl der ausländischen Mitbewohner. Die Erhebung »kumulierender Belastungsmomente« soll wohl suggerieren, daß PolizeibeamtInnen ihren Berufsauftrag wegen ständiger Überforderung durch Politik und Führung nicht ordnungsgemäß durchführen können. Die Gefahr solcher Schlußfolgerungen liegt offen zu Tage. Veränderte Gesetze z.B. durch Einschränkung des Asylrechts, Aufrüstung der Polizei, »Lauschangriff« und Europol weisen den Weg.

Zwei weitere Zitate aus dem Forschungsprojekt mögen meine Bedenken abschließend belegen. Wenn in der Zusammenfassung der empirischen Befunde von Herrn Bornewasser konstatiert wird: „Das Selbstwertgefühl der Polizeibeamten im Wach- und Wechseldienst (WuW) ist erheblich angeschlagen. Dies resultiert einerseits aus der Erfolglosigkeit der eigenen Tätigkeit, andererseits aber auch aus der polizeiinternen Behandlung der ausführenden Beamten im WuW, die sich als Proletarier der Straße ständigen Attacken durch Ausländer, (…)und schließlich auch durch Politiker ausgesetzt sehen.“

Wer dies schreibt, übernimmt unkritisch zumindest durch seinen Sprachduktus die zugegeben ständigen Klagen der Beamten, die er doch mit wissenschaftlicher Neugier untersuchen sollte. Er weiß von der Polizeiwirklichkeit nicht allzu viel. Ich sehe vielmehr einen ständigen Schulterschluß der Innenpolitiker, die ihre Polizei gegen alle Angriffe teilweise bis hin zur Selbstverleugnung verteidigen. Ebensowenig wissen Polizeibeamte – ernsthaft befragt – von ständigen Attacken durch Ausländer.

Und nicht zuletzt dürfen Mitteilungen eines Polizeibeamten über das »abweichende« Verhalten eines Kollegen nicht von einem Wissenschaftler als „Denunziationen“ bezeichnet werden (Forschungsbericht Seite 13). Hier wird die Grundregel der Deskription, der Objektivität massiv verletzt. Bornewasser folgert zum Schluß, die fehlende Hoffnung der PolizistInnen im Hinblick auf Fähigkeiten der Politiker könnten dazu führen, daß die BeamtInnen „die Sache (welche auch immer) selbst in die Hand nehmen“.

Ich meine, daß eine Akzeptanz von feindlichen Handlungen gegenüber Einzelnen oder Menschengruppen auf keinen Fall geduldet werden darf. Es dürfen keine wie auch immer gearteten Belastungen zu einer generellen Exkulpierung verdichtet werden. Es geht um die innere Haltung von Politikern, Vorgesetzten und Mitarbeitern der Institution Polizei.

Die vorliegenden Einzelansichten zum Thema Polizisten und Gewalt stimmen in vielen Punkten überein. Deutlich geworden scheint mir vor allem eins: Abhilfe schaffen wird man nicht allein durch ein Mehr an Personal, Material, Kontrolle oder Eingriffsmöglichkeiten. Weniger Gewalt im Hinblick auf das »polizeiliche Gegenüber« wird sich nicht erreichen lassen ohne weniger Gewalt innerhalb des Polizeiapparates.

Die Mentalität von Polizeiplanern korrespondiert allerdings bis zum heutigen Tage mit dem Phänomen des Korpsgeistes, das die Beamten in den Interviews beschrieben haben. Nirgendwo sonst, außer innerhalb der Bundeswehr, findet Aus- und Fortbildung derart stark ohne externes Angebot statt wie bei der Polizei. Und da, wo sie im Ansatz vorhanden ist, ist die Tendenz stark, diese Ansätze zurückzunehmen. Alles soll möglichst innerhalb der Berufsfamilie bleiben. Dafür genießt der Einzelne dann auch ihren Schutz, der ihm im Regelfall bis ans Lebensende gewiß bleibt. Geschlossenheit nach außen, Verfügbarkeit ohne Transparenz im Inneren sind auf allen Ebenen von einiger Bedeutung für die Bildung einer Gruppenmentalität, wie sie von den Polizistinnen und Polizisten in den Interviews immer wieder angesprochen wurden.

Dies gilt insbesondere auch für die Forschung in der und über Polizei. Seit einigen Jahren werden Untersuchungsergebnisse zu den verschiedensten Problembereichen im Kontext der Debatte zur inneren Sicherheit veröffentlicht und von Journalisten begierig aufgegriffen. Wer hätte noch nicht in seinem Umfeld von einer Studie gehört, die sich mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl des Bürgers beschäftigt. Wir wissen es inzwischen alle, dieses ist extrem schlecht und in der politischen Diskussion wird suggeriert, man müsse diesem Rechnung tragen, durch polizeiliche Aufrüstung und »zero tolerance«.

Die Durchführung einer Vielzahl dieser Untersuchungen (und es gäbe noch andere Themen zu nennen) oblag in den mir bekannten Fällen der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei. Dort entwickelten also PolizistInnen Fragebögen häufig unter Anleitung eines Polizisten aus dem höheren Dienst, eines Juristen oder auch eines Verwaltungsbeamten. Die methodischen Mängel der Instrumente selbst, aber auch die Problematik der Durchführung einer solchen Untersuchung durch Polizeibeamte generell wird in den Veröffentlichungen der Medien, aber auch in der Forschung, an keiner Stelle diskutiert. Ebenso fragwürdig ist die Personalauswahl der Polizei. In keinem Bundesland wird eine Persönlichkeitsdiagnostik durchgeführt. Überall fällt die Entscheidung über Einstellungen ausschließlich durch Polizeibeamte.

Pars pro toto können diese Beispiele nur den kleinen Ausschnitt einer unglücklichen Entwicklung beleuchten, die nicht für eine demokratische Entwicklung innerhalb des Polizeiapparates sorgen wird und vielleicht auch nicht sorgen soll. Eine demokratische Entwicklung kann aus meiner Sicht nur durch eine Öffnung zu anderen Berufsgruppen hin erfolgen, in anderen Berufsfeldern längst selbstverständlich. Wieviel Entlastung könnte eine solche Zusammenarbeit bewirken? Praktika von PolizistInnen in der Psychiatrie bewirkten mehr persönliche Erfahrung als jeder Unterricht durch die wirkliche, geschützte Begegnung mit dem Fremden, dem Psychotiker, dem Drogenabhängigen und dem Suizidgefährdeten. Dieses aber sind die Menschen, denen die Beamten während Ihrer Arbeit zunächst häufig ohne Kenntnis und mit entsprechender Unsicherheit oder Unbehagen begegnen. Wieviel Unterstützung könnte der Jurist bewirken, der gelegentlich die Ingewahrsamnahme eines zivilen Bürgers auf der Wache auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft und aufklärt, nicht belehrt? Was spricht dagegen in belasteten Dienstwachen eine/n kompetente/n Krankenpfleger/in zu beschäftigen, welche/r »Delinquenten« zur Entlastung der PolizistInnen in Empfang nimmt und begleitet. Von der Fürsorgepflicht des Dienstherrn wird häufig gesprochen. Dort könnte diese tätig sein, aber das allein wird nicht ausreichen. Ich hatte innerhalb der letzten fünf Jahre (zunächst kaum bemerkt) Gelegenheit, »über einen engmaschigen Zaun zu schauen« und kann nur schlußfolgern: Die Menschen dieser Institution benötigen nicht nur Hilfe, sondern auch Kontrolle; das aber liegt heute wohl nicht »im Trend«.

Literatur

Bornewasser, M. / Eckert, R. (1995): Abschlußbericht zum Projekt »Polizei und Fremde«, Forschungsbericht, Projektskizze.

Dann, D. (1983): Subjektive Theorien: Ein Irrweg oder Forschungsprogramm? Zwischenbilanz eines kognitiven Konstrukts. In: Montada, L. / Reusser, K. / Steiner, G. (Hrsg.): Kognition und Handeln. Klett Cotta, Stuttgart 1983.

Groeben, N / Scheele, B. (1982): Einige Sprachregelungsvorschläge für die Erforschung subjektiver Theorien. In: Dann, H.D. et al. (Hrsg): Analyse und Modifikation subjektiver Theorien von Lehrern, Konstanz.

van Koolwijk, J. / Wieken-Mayser, M. (1976/1977): Techniken der empirischen Sozialforschung: Erhebungsmethoden Bd. 5. Oldenbourg, München.

Maibach, G. (1996): Polizisten und Gewalt – Innenansichten aus dem Polizeialltag, rororo aktuell.

Witzel, A. (1989): Das problemzentrierte Interview. In: Jütemann, G. (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie, S. 227 – 256

Gerda Maibach ist Diplom-Psychologin und Autorin, Lehrbeauftragte für Psychologie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/1 Gewaltverhältnisse, Seite