Psychologische Beiträge für Frieden und Gerechtigkeit
Bericht über die 18. Tagung des Forums Friedenspsychologie
von Christopher Cohrs
Mit großem Erfolg fand am 10. und 11. Juni 2005 die 18. Jahrestagung des Forums Friedenspsychologie (FFP) an der Universität Erlangen-Nürnberg in Erlangen statt, ausgerichtet von Dr. Christopher Cohrs vom dortigen Lehrstuhl für Sozialpsychologie. Unter dem Motto »Psychologische Beiträge für Frieden und Gerechtigkeit: Aktuelle Herausforderungen« stehend, war die Tagung mit fast 50 Teilnehmer(inne)n, die aus verschiedenen Regionen Deutschlands, aber auch aus Großbritannien, der Schweiz, den USA, Indien und den Niederlanden angereist waren – einige Interessent(inn)en aus Gambia, Nigeria und dem Kosovo hatten leider keine Visa erhalten –, eine der größten und »internationalsten« friedenspsychologischen Tagungen der letzten Jahre. In knapp 20 englisch- und deutschsprachigen Vorträgen wurde eine große Bandbreite friedenspsychologischer Fragestellungen theoretisch und empirisch beleuchtet.
Den Auftakt am Freitag-Nachmittag machte Prof. Gert Sommer (Universität Marburg), langjähriger Vorsitzender und Gründungsmitglied des FFP, mit einem subjektiven Rückblick auf die Entstehungsbedingungen, ursprünglichen Ziele, die vielfältigen Aktivitäten, Publikationen, Leistungen und Probleme des 1982 (bzw. 1986 formell) gegründeten FFP, damals »Friedensinitiative Psychologie * psychosoziale Berufe«. Als zentrale Themen, die bearbeitet wurden, benannte er psychologische Aspekte von Aufrüstung und Krieg, Feindbilder und Propaganda, gewaltfreie Konfliktlösung und Pazifismus, Menschenrechte sowie Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Gerade für die zahlreichen jüngeren Zuhörer(innen) dürfte dieser Bericht aus erster Hand, der das Ineinandergreifen von Friedensbewegung, Friedensforschung und Psychologie im FFP veranschaulichte, sehr interessant und informativ gewesen sein. Den zweiten Hauptvortrag hielt Prof. Ed Cairns von der University of Ulster in Nordirland zum Thema »Peace Psychology: The Future«. Durch die Veränderungen gewalttätiger Konflikte nach dem Ende des Kalten Krieges in Richtung ethnisch, religiös, kulturell oder sprachlich definierter Intergruppenkonflikte resultierten hohe Flüchtlings- und Vertriebenenzahlen und eine starke Betroffenheit der Zivilbevölkerung. Für die Psychologie entstünden dadurch wichtige neue Herausforderungen, in Bezug sowohl auf die Analyse von Konfliktursachen (insbesondere die Theorie der Sozialen Identität sei hier fruchtbar) als auch auf die Anwendung gewonnener Erkenntnisse. Einen zentralen Stellenwert hätte hierbei theoretisch fundierte Aktionsforschung, etwa zur Durchführung und Evaluation von Interventionsprogrammen zur Versöhnung oder gewaltfreien Konfliktbearbeitung in Konfliktregionen, die durch das Einwirken auf politische Entscheidungsträger und andere Multiplikatoren auch langfristige Effekte zu erzielen in der Lage ist.
Am Samstagmorgen berichtete Dr. Jost Stellmacher (Universität Marburg; Koautor: Gert Sommer) in einem weiteren Plenarvortrag über ein Forschungsprogramm zur Psychologie der Menschenrechte. Dabei ging er auf vier teilweise paradoxe Punkte ein: die Diskrepanz zwischen subjektiver Wichtigkeit von Menschenrechten und Wissen darüber, interindividuelle Unterschiede im Umgang mit Menschenrechten, die Legitimierung von Kriegen durch Menschenrechte sowie Menschenrechtserziehung. Anschließend fanden Vorträge in thematischen Arbeitsgruppen statt. Die Arbeitsgruppe zu »Nonviolence and Promoting Peace« versammelte die beiden am weitesten gereisten Teilnehmer: Dr. Sam Manickam vom Sri Ramachandra Medical College and Research Institute in Chennai (Indien), der in seinem Vortrag unter dem Titel »Sahya: An Integrative Psychological Quality that Leads to Global Peace« über ein mit »aktiver Toleranz« nur unzureichend übersetzbares Konzept aus der indischen Philosophie sprach, und Prof. Vinod Kool (State University of New York, Utica, USA), der über 20 Jahre Forschung mit dem von ihm und Sen entwickelten »Nonviolence Test« referierte. Als dritter Redner sprach Prof. Klaus Boehnke (International University Bremen; Koautorin: Mandy Boehnke) unter dem Titel »Once a Peacenik – Always a Peacenik? Results from a German Six-Wave, Nineteen-Year Longitudinal Study« über eine Längsschnittstudie zu (friedens-)politischem Engagement. In einer parallelen Arbeitsgruppe über »Toleranz, Diskriminierung und Gewalt« sprach André Knote (Universität Jena; Koautor: Wolfgang Frindte) über den »Zusammenhang von kultureller Weltsicht und Selbstwert in der Terror-Management-Theorie«, und Prof. Albert Fuchs (Meckenheim) hielt einen Vortrag mit dem Titel »‚Der Glaube an das Militär Versetzt Berge … von Menschen unter die Erde’ – Zum Anteil der Bevölkerung am ‚Krieg gegen die Bevölkerung’«, der kürzlich in leicht veränderter Fassung in Wissenschaft und Frieden (Heft 3/2005) veröffentlicht wurde.
Nach der Mittagspause stellte Prof. Wilhelm Kempf (Universität Konstanz) zwei experimentelle Studien zu »Acceptance and Impact of De-Escalation Oriented Coverage of Post-War Conflicts« vor. Anschließend fand eine von Dr. Clifford Scott geleitete Arbeitsgruppe zum Thema »Social Identity and Intergroup Conflict« statt. Johanna Vollhardt (University of Massachusetts, Amherst, USA) sprach über »Reducing the Fundamental Attribution Error and the Potential for Intergroup Conflict through Close Intercultural Contact: A Quasi-Experimental Study«, Elissa Myers und Tania Tam (Oxford University; Koautoren: Miles Hewstone, Jared Kenworthy und Ed Cairns) über »Intergroup Trust and Distrust in Northern Ireland«, Tania Tam (Oxford University; Koautoren: Miles Hewstone und Ed Cairns) über »Intergroup Forgiveness in Northern Ireland« und Dr. Clifford Stott und Martina Schreiber (University of Liverpool) über »Hooliganism and Legitimacy in Social Relations« und »German Fans and ‚Hooliganism’ at Euro 2004: The Cross-Cultural Importance of Social Identity and Legitimacy in Intergroup Relations«. Diese Vorträge bestätigten eindrücklich die von Prof. Cairns am Vortrag behauptete Fruchtbarkeit der Theorie der Sozialen Identität für friedenspsychologische Fragestellungen.
In einer parallelen Arbeitsgruppe wurden verschiedene Arbeiten über »Friedenspsychologische und -pädagogische Interventionen« vorgestellt, die die von Prof. Cairns ebenfalls am Vortag aufgestellte Forderung nach theoretisch fundierter Forschung zur Evaluation friedenspsychologischer Programme zumindest ansatzweise einlösen. Prof. Christian Büttner von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung stellte unter dem Titel »Der Krieg in den Köpfen der Menschen – Pädagogisch-Psychologische Friedens- und Konfliktforschung an der HSFK« den politikwissenschaftlich-psychologischen Ansatz der HSFK anhand ausgewählter Projektfragestellungen dar. Norman Geißler (Universität Potsdam; Koautorin: Christin Schaefer) berichtete über eine Studie zur »Wissensvermittlung zu Antisemitismus durch Kooperatives Lernen«. Miriam Schroer (Camino gGmbH, Berlin) sprach anschließend über die Evaluation dreier Programme zur zivilen Konfliktbearbeitung in Serbien-Montenegro und Kroatien, und Dr. Jochen Krautz (Bergische Universität Wuppertal) analysierte unter dem Titel »Frieden Sehen und Empfinden« aus pädagogischer, psychologischer und ästhetischer Perspektive »Psychologische Aspekte Emotionaler Verankerung von Friedenserziehung am Beispiel der Ausstellung ‚The Family of Man’«. In einer weiteren Veranstaltung schließlich stellte Johanna Vollhardt das Ph.D.-Programm »The Psychology of Peace and the Prevention of Violence« vor, das die University of Massachusetts in Amherst, USA, unter Leitung von Prof. Ervin Staub anbietet (Informationen dazu unter http://www.umass.edu/peacepsychology/).
Trotz des dichten Programms wurde auf der Podiumsdiskussion zum Tagungsmotto – »Psychologische Beiträge für Frieden und Gerechtigkeit: Aktuelle Herausforderungen« –, die im Anschluss an die wissenschaftlichen Vorträge stattfand, noch eifrig diskutiert, über inhaltliche Aspekte der Friedenspsychologie, aber auch über den Stellenwert der Friedenspsychologie innerhalb der Psychologie, über strukturelle und organisatorische Schwierigkeiten des Fachs und über mögliche Wege, der Friedenspsychologie mehr Einfluss und größere Bekanntheit, vor allem unter jüngeren Menschen, zu verschaffen. Als erster Schritt in diese Richtung waren auf der Mitgliederversammlung am darauf folgenden Sonntag bereits mehrere Beitritte zum FFP zu verzeichnen.
Abschließend sei der Dr. Alfred-Vinzl-Stiftung an der Universität Erlangen-Nürnberg, der Fachgruppe Sozialpsychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie sowie Herrn Mate Bacic für finanzielle Unterstützung der Tagung gedankt! Die nächste Tagung des Forums Friedenspsychologie wird im Juni 2006 in Jena stattfinden, federführend ausgerichtet von Prof. Wolfgang Frindte.
Christopher Cohrs