Recht des Stärkeren oder Stärke des Rechts?
Die Einhaltung von Sicherheitsabkommen durch die USA
von Nicole Deller
Die Vereinigten Staaten haben erheblichen Anteil an der Begründung des modernen Völkerrechts. Sie wirkten federführend an der Einrichtung der Vereinten Nationen mit und spielten eine Schlüsselrolle bei der Formulierung und Entwicklung von internationalen Menschenrechtsabkommen und von Institutionen der internationalen Gerichtsbarkeit. Dennoch wurde die Einbindung der USA in internationale Rechtssysteme häufig von Senat und anderen einflussreichen Regierungsmitgliedern behindert, die glaubten, die Einschränkung durch Völkerrechtsverträge würde den Interessen der USA entgegenstehen. Völkerrechtliche Verpflichtungen wurden als Eingriff in die Souveränität der USA und als Einschränkung bei der Verfolgung der US-Interessen wahrgenommen. Diese Philosophie führte zur Weigerung der USA, dem Völkerbund beizutreten, der Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen. Dieses zu wissen hilft zu verstehen, weshalb die Vereinigten Staaten viele Menschenrechtsabkommen entweder nicht ratifiziert oder bei der Ratifizierung erheblich eingeschränkt haben.
Die Vorbehalte gegen internationales Verpflichtungen schwankten über die Jahre, aber inzwischen lehnen immer mehr einflussreiche Politiker formalisierte Abkommen mit anderen Ländern ab, insbesondere bei Verträgen im Zusammenhang mit dem internationalen Rechtsregime, das die globale Sicherheit regelt. Folglich haben die Vereinigten Staaten wiederholt Verträge abgelehnt oder unterlaufen, die bei der Völkergemeinschaft überwiegend auf Zustimmung stießen und die die globale Sicherheit erhöhen sollten. Dazu gehören der Raketenabwehrvertrag, das UmfassendeTeststoppabkommen, das Landminenverbot, der Internationale Strafgerichtshof, ein Verifikationsprotokoll zur Biowaffenkonvention und das Kyoto-Protokoll. Darüber hinaus erfüllen die Vereinigten Staaten ihre Verpflichtungen aus verschiedenen anderen wichtigen globalen Sicherheitsabkommen nicht, nämlich der Chemiewaffenkonvention, der Klima-Rahmenkonvention, dem nuklearen Nichtverbreitungsvertrag und möglicherweise auch der Biowaffenkonvention.
Unter den aktuellen Gegebenheiten können schon kleine Gruppen Zerstörungen verursachen, wie sie früher nur von Supermächten für möglich gehalten wurden. Somit lässt sich globale Sicherheit nicht dadurch gewährleisten, dass Staaten lediglich den Einsatz von Waffen vertraglich einschränken oder ausschließen. Globale Sicherheit setzt voraus, dass Materialien mit Massenvernichtungspotenzial für Überwachungszwecke zugänglich gemacht werden. Außerdem ist die Stärkung des Systems erforderlich, das Vertragsbrecher vor Gericht bringt. Diese Aufgabe wird in Zukunft teilweise der Internationale Strafgerichtshof übernehmen. Beim Blick auf die internationale Sicherheit muss überdies eine Rolle spielen, wie das Handeln der USA die Sicherheit der Menschen in ihrem eigenen Land und auf der ganzen Welt bedroht, um so mehr da die USA Maßstäbe setzen für andere Staaten und nicht-staatliche Gruppierungen.1 Vor diesem Hintergrund muss das Vertragsverhalten der USA in jüngster Zeit auf den Prüfstand gestellt werden.
Verträge zum Schutz vor Massenvernichtungswaffen
Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) ist für die internationale Sicherheit von besonderer Bedeutung, weil er die Verbreitung von Atomwaffen verbietet. Im NVV sind die Nicht-Atomwaffenstaaten einen Handel eingegangen mit den Atomwaffenstaaten: den einen wird der Erwerb von Atomwaffen untersagt, während die anderen sich auf das Ziel der Abrüstung verpflichten. Insbesondere gemäß Artikel VI versprechen die Mitgliedstaaten, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“
Artikel VI legt nicht die Schritte zur Erfüllung der Abrüstungsverpflichtung fest; es hat sich jedoch die Auslegung durchgesetzt, dass er vielfältige von den Atomwaffenstaaten zu ergreifende Einzelmaßnahmen einschließe. Diese Schritte wurden zum ersten Mal formuliert, als die NVV-Mitgliedstaaten der Verlängerung des NVV auf unbegrenzte Zeit zustimmten, und erneut bei der NVV-Überprüfungskonferenz 2000. Dazu gehören folgende Maßnahmen: die Umsetzung eines »Umfassenden Teststoppabkommens«; das Prinzip der Unumkehrbarkeit von nuklearer Abrüstung; die Verringerung der Rolle, die Atomwaffen in der Sicherheitspolitik spielen, um so die Abschaffung zu erleichtern; und zum baldmöglichsten Zeitpunkt die Beteiligung sämtlicher Atomwaffenstaaten an einem Prozess, der zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen führt.
Im Wesentlichen haben sich die Vereinigten Staaten wohl entschlossen, ihre Verpflichtungen zur nuklearen Abrüstung aus dem NVV nicht zu erfüllen, vor allem nicht diejenigen, die sie bei der unbeschränkten Verlängerung des NVV 1995 und erneut in den Folgejahren zugesagt haben. Der US-Senat verweigerte 1999 die Ratifizierung des »Umfassenden Teststoppabkommens«. Gemäß der Überprüfung der Nuklearwaffendoktrin der USA (Nuclear Posture Review, NPR) von 2002 ist die Abrüstung von stationierten strategischen Atomwaffen gerade »umkehrbar«, nicht unumkehrbar: parallel zur Abrüstung wird eine als »responsive force« bezeichnete Infrastruktur aufrechterhalten, so dass Gefechtsköpfe innerhalb von Tagen, Wochen oder Monaten wieder einsatzbereit gemacht werden können. Das Bush-Putin-Abkommen, das die Präsidenten der USA und Russlands am 24. Mai 2002 in Moskau unterzeichneten, legt die Obergrenze einsatzbereiter strategischer Atomsprengköpfe ab dem Jahr 2012 bei jeweils 2.200 fest. Allerdings sieht der Vertrag nicht die Zerstörung oder Demontage der entsprechenden Trägersysteme und Gefechtsköpfe vor und steht daher den Plänen für eine Infrastruktur mit kurzfristigen Handlungsmöglichkeiten nicht im Wege. Eine Absenkung der Alarmbereitschaft ist nicht vorgesehen, d.h. die Einsatzbereitschaft der strategischen Atomstreitkräfte bleibt auch nach Erfüllung des Vertrags unverändert.
Der NPR wird auch dem Versprechen nicht gerecht, die Rolle der Atomwaffen in der Sicherheitspolitik zu verringern und in naher Zukunft Verhandlungen über die Beendigung des Wettrüstens aufzunehmen. Ganz im Gegenteil werden mögliche Einsatzoptionen von Atomwaffen gegen Nicht-Atomwaffenstaaten ausgeweitet, u.a. durch präventive Angriffe gegen biologische oder chemische Waffenkapazitäten und als Antwort auf »überraschende militärische Entwicklungen«. Dazu wird die Entwicklung neuer Gefechtsköpfe empfohlen, einschließlich solcher, die tief in das Erdreich eindringen können. Überdies enthält der NPR Pläne für die Beibehaltung und Modernisierung von Atomsprengköpfen, ballistischen Raketen und Bombern für die nächsten 50 Jahre. Der NPR und das Moskauer Abkommen spiegeln die grundsätzliche Verletzung von Artikel VI des NVV wider – und somit das Scheitern des Versuchs, Abrüstung zur treibenden Kraft bei der nationalen Atomwaffenplanung und -politik zu machen.
Die Biowaffenkonvention ist potenziell ebenfalls geeignet, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Diese Konvention wurde von den Vereinigten Staaten 1975 ratifiziert und untersagt es den Mitgliedstaaten, biologische Agenzien oder Toxine zu entwickeln, zu erwerben oder zurückzubehalten, sofern ihre Nutzung nicht für die Abwehr oder andere friedliche Zwecke gerechtfertigt ist. Außerdem untersagt die Biowaffenkonvention „Waffen, Ausrüstungen oder Einsatzmittel, die für die Verwendung solcher Agenzien oder Toxine für feindselige Zwecke oder in einem bewaffneten Konflikt bestimmt sind.“ In dem Vertrag fehlt aber die Festlegung von Verifikationsmaßnahmen, beispielsweise die Deklaration von Einrichtungen oder Programmen, die solche Agenzien verwenden, durch die Mitgliedstaaten. Folglich ist der Vertrag zahnlos; er stellt weder die Aufdeckung von Rechtsverstößen noch die Abschreckung von Vertragsbrechern sicher und unterstützt die Länder kaum beim Informationsaustausch.
Sieben Jahre lang verhandelten die Mitgliedstaaten der Biowaffenkonvention ein Protokoll zur Einführung eines Deklarations- und Verifikationsregimes, das den Einsatz biologischer Agenzien durch die Staaten überwachen würde. Die Vereinigten Staaten haben den Protokollentwurf abgelehnt und jegliche Bemühungen zum Stillstand gebracht, überhaupt ein völkerrechtlich bindendes Abkommen zu erzielen. Stattdessen plädierten sie für freiwillige Maßnahmen. Die Weigerung, rechtlich verbindliche Maßnahmen zur Stärkung der Biowaffenkonvention zu unterstützen, passt nicht sonderlich gut zu einem Land, das vor weniger als einem Jahr das Ziel eines Anthraxangriffs war.
Inzwischen hat das US-Programm zur Biowaffenabwehr vielleicht schon die Grenze dessen überschritten, was unter der Biowaffenkonvention zulässig ist. Die Vereinigten Staaten entwickelten im Rahmen ihrer Bioabwehr heimlich das Modell einer Biobombe und stellten waffentaugliches Anthrax her. Auch wenn diese Aktivitäten mit rein defensiven Zwecken erklärt werden, können sie doch als Vertragsbruch ausgelegt werden, da die Biowaffenkonvention die Herstellung von Waffen nicht erlaubt. Diese und weitere Aktivitäten zur Biowaffenabwehr unterlagen der Geheimhaltung, so dass die Vertragspartner der USA die Einhaltung des Vertrags nicht überprüfen konnten. Es schadet der Biowaffenkonvention, wenn die USA ihre eigenen Aktivitäten im Dunkeln halten, gleichzeitig aber die Vertragstreue anderer Staaten verifizieren wollen.
Ein weiterer Vertrag, der vor Massenvernichtungswaffen schützen soll, ist die Chemiewaffenkonvention. Sie wurde von den Vereinigten Staaten 1997 ratifiziert und verbietet es, chemische Waffen zu entwickeln, zu erwerben, weiterzugeben oder einzusetzen. Die Vertragsstaaten sind zur Deklaration entsprechender Chemikalien und Produktionsanlagen verpflichtet. Die so gemeldeten Chemikalien und Anlagen unterliegen Routineinspektionen. Bei Verdacht auf Nichteinhaltung des Vertrags durch einen Vertragsstaat können andere Vertragsstaaten auch eine Verdachtsinspektion der fraglichen Anlagen fordern.
In den Durchführungsgesetzen zur Chemiewaffenkonvention schränkten die Vereinigten Staaten mehrere Vertragsbestimmungen ein, die sich mit Inspektionen befassen. U.a. wird so die extensive Entnahme von Proben unterbunden, und der Präsident erhält das Recht, aufgrund nationaler Sicherheitsbelange Inspektionen zu verweigern. Unter der Chemiewaffenkonvention sind derartige Einschränkungen nicht zulässig, außerdem enthält sie bereits umfangreiche Vorkehrungen zum Schutz vertraulicher Informationen. Die Einschränkungen, die die USA festgelegt haben, können korrekte Inspektionsergebnisse verhindern. Überdies haben andere Länder, beispielsweise Indien und Russland, ihrerseits damit begonnen, Inspektionen ihrer Anlagen mit ähnlichen Einschränkungen zu belegen.
Klimawandel – eine neue Bedrohung für die Sicherheit
Wissenschaftliche Ergebnisse zum globalen Klimawandel stützen inzwischen weitgehend die Annahme, dass der rasche Klimawandel zum großen Teil durch den anthropogenen Ausstoß von Treibhausgasen verursacht wird. Kohlendioxid macht etwa die Hälfte der gesamten Schadstoffemissionen aus. Die Regierung Bush erklärte kürzlich in einem Bericht an die Vereinten Nationen, dass für die Klimaerwärmung der neueren Zeit vor allem die Verwendung fossiler Brennstoffe verantwortlich sei. Der Bericht stellt fest, dass es in den nächsten Jahrzehnten höchstwahrscheinlich zu einem erheblichen Klimawandel kommt.2 Drastische Klimaveränderungen können sich spürbar auf die globale Sicherheit auswirken. So könnten z.B. Millionen oder sogar viele Dutzend Millionen Menschen durch Fluten oder Veränderungen der Vegetationsperioden zu Umweltflüchtlingen werden. Es ist daher um so dringlicher, weniger Treibhausgase auszustoßen.
Als Mitgliedstaat der Klima-Rahmenkonvention sind die Vereinigten Staaten verpflichtet, „Vorsorgemaßnahmen [zu] treffen, um den Ursachen der Klimaänderungen vorzubeugen, sie zu verhindern oder so gering wie möglich zu halten“. Das Kyoto-Protokoll von 1997, das aus der Klimakonvention abgeleitet wurde, legte für entwickelte Länder verbindliche Grenzwerte für die Emission von Treibhausgasen fest, da diese Länder pro Kopf mehr Schadstoffe ausstoßen und daher gemäß der Klimakonvention auch zuerst aktiv werden müssen. Die Vereinigten Staaten, die für etwa ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, unterzeichneten das Kyoto-Protokoll zwar, weigern sich aber unter Hinweis auf die Ungleichbehandlung von entwickelten und Entwicklungsländern, es zu ratifizieren. Die meisten anderen Staaten, denen das Kyoto-Protokoll die Verringerung ihrer Emissionen vorschreibt, haben sich darauf geeinigt, auch ohne die USA über die Emissionsgrenzwerte weiterzuverhandeln.
Auch wenn die Vereinigten Staaten dem Kyoto-Protokoll nicht beitreten – die Verpflichtung zur Abschwächung des Klimawandels gemäß der Klima-Rahmenkonvention besteht weiter und wird nicht erfüllt. Die Regierung Bush gab zwar kürzlich in einem Bericht über die Klima-Rahmenkonvention zu, dass der Klimawandel Folgen hat, konzentriert sich in ihrer Politik aber mehr auf die »Herausforderung der Anpassung«3 als auf die Problemlösung. Die US-Regierung setzt weitestgehend auf freiwillige Maßnahmen, und der gültige Aktionsplan zum Klimawandel zielt lediglich darauf, das die US-Wirtschaft die »Intensität« der Treibhausgasemissionen verringert. Mit diesem Plan würde zwar der Schadstoffausstoß pro Produktionseinheit sinken, der Zielwert für die Absenkung der Intensität ist aber so niedrig, dass die Gesamtemissionen weiter steigen würden. Folglich unterminieren die Vereinigten Staaten nicht nur den Erfolg des Kyoto-Protokolls, sondern sie verfehlen mit ihrer Politik auch die wesentlichen Verpflichtungen aus der Klimakonvention: die Emissionen von Treibhausgasen durch die USA stiegen nämlich weiter, und die anthropogen verursachten Klimaänderungen nehmen zu.
Der Internationale Strafgerichtshof
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) wurde durch das Römische Statut eingerichtet, das am 1. Juli 2002 in Kraft trat. Dieser erste ständige Strafgerichtshof der Welt kann Einzelpersonen für bestimmte Verbrechen verfolgen, die auf dem Territorium eines Mitgliedlandes oder durch einen Staatsangehörigen eines Mitgliedlandes verübt wurden. Momentan ist der Gerichtshof für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig.4 Der IStGH wirkt abschreckend gegenüber schweren Verbrechen von internationalem Belang, und er gewährt keine Immunität für Staatschefs oder andere Amtsträger. Ein funktionierender IStGH wird auch dem bestehenden Tabu gegen den Einsatz von Massenvernichtungswaffen entschieden Nachdruck verleihen.
Schon bei der Ausarbeitung des Römischen Statuts versuchten die USA erfolglos durchzusetzen, dass die Entscheidung darüber, welche Fälle vor den IStGH gebracht würden, beim UN-Sicherheitsrat liegen solle. Damit hätten die USA und die anderen vier vetoberechtigten ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates verhindern können, dass ihre eigenen Staatsbürger sowie die ihrer Verbündeten vor den IStGH gebracht werden. Die Vereinigten Staaten brachten auch vor, dass Staatsangehörige ihres Landes der politischen motivierten Verfolgung ausgesetzt sein würden. Der IStGH griff die Bedenken auf und baute zahlreiche prozessrechtlichen Sicherungen ein. So muss der Gerichtshof beispielsweise Ermittlungen durch den IStGH-Ankläger vorab genehmigen. Außerdem ist der IStGH nur dann zuständig, wenn ein Staat selbst unwillig oder unfähig ist, die Strafverfolgung einzuleiten.
US-Präsident Clinton unterzeichnete das Römische Statut schließlich, machte aber zugleich unter Verweis auf »grundlegende Bedenken« wieder einen Rückzieher. Vor kurzem ließ die Regierung Bush wissen, dass sie dem Vertragswerk nicht beitreten werde.5 Somit steht es den Vereinigten Staaten jetzt frei, die Autorität des IStGH nach Belieben zu untergraben. Sie können sich beispielsweise weigern, Verdächtige an den Gerichtshof auszuliefern; sie können versuchen, durch bilaterale Abkommen mit anderen Staaten die Auslieferung von Staatsbürgern der USA auszuschließen; und sie können Militär- oder Wirtschaftshilfe für andere Staaten an die Bedingung knüpfen, dass diese dem IStGH nicht beitreten. Am meisten Aufmerksamkeit haben mehrere Versuche der USA erregt, die Immunität von US-Bürgern zu sichern, die an UN-Friedenseinsätzen teilnehmen. Anstatt im Rahmen dieses neuesten Völkerrechtssystems an der Aufdeckung von und Abschreckung vor schweren Verstößen gegen die globale Sicherheit mitzuwirken, tun die USA alles, um die Arbeit des IStGH zu unterminieren. Und das nur deshalb, weil US-Bürger – wie die Bürger aller anderen Staaten – der Rechtssprechung durch den IStGH unterliegen könnten.
Verträge und globale Sicherheit
Aus all dem wird der zunehmende Unwille der Vereinigten Staaten klar, sich als Gleiche unter Gleichen der internationalen Rechtsstaatlichkeit zu unterwerfen. Sie verweigern sich den Kompromissen, die traditionell Bedingung für kooperative Abkommen sind, und setzen statt dessen wieder stärker auf militärische Abwehr. Senator John Kyl beispielsweise vertrat die Meinung, „eine erfolgreichere und realistischere strategische Strategie für die Vereinigten Staaten würde sich weniger auf den guten Willen zweifelhafter Gestalten verlassen als auf das, was wir selbst unter Kontrolle haben – unsere eigene Verteidigung nämlich.“6 Diese Argumentation hätte vielleicht eine gewisse Berechtigung, wenn die meisten Länder ihre Verpflichtungen aus Sicherheitsabkommen permanent verletzen würden – die meisten Länder halten sich aber durchaus an das Völkerrecht. Und auch wenn gelegentlich Vertragsverletzungen vorkommen, werden Vertragsregime doch nicht deshalb aufgegeben, weil einige Mitspieler sich nicht an die Regeln halten.
Ein einflussreiches Mitglied der Regierung Bush, Unterstaatssekretär für Rüstungskontrolle und Internationale Sicherheit John Bolton, ist sogar der Überzeugung, dass Völkerrecht nicht wirklich Recht ist: „Es mag gute und nachvollziehbare Gründe geben, sich an die Bestimmungen eines Vertrages zu halten, und in den meisten Fällen macht dies schon deshalb Sinn, weil der Vertrag für alle Beteiligten Vorteile mit sich bringt. Ein Grund ist aber sicherlich nicht, dass die Vereinigten Staaten »juristisch« dazu verpflichtet wären.“7 Dieser Wunsch, Verträge als unbedeutend abzutun, wurzelt in der Furcht, dass Souveränität und nationale Sicherheitsinteressen der USA davon beeinträchtigt werden könnten. Außerdem setzen Kritiker wie John Bolton kein Vertrauen in die Vertragsklauseln, die die Vertragstreue aller Vertragspartner durchzusetzen sollen.
Das Argument, dass Völkerrecht die Handlungsmöglichkeiten einschränke und die Souveränität der USA bedrohe, lässt außer Acht, dass Völkerrecht genau so wie Staatsrecht auch Nutzen bringt. Staat und Regierung werden durch Beschluss von Individuen gebildet. Die Regierung trifft Vorkehrungen, dass keine einzelnen Personen oder Gruppen auf den Rechten der anderen herumtrampeln. Kommt es doch zu Verstößen, so können diese geahndet werden. Im Gegenzug verzichten die Menschen in einer Demokratie bewusst auf gewisse Handlungsfreiheiten. Handlungsfreiheiten und Handlungseinschränkungen sind so austariert, dass ein Optimum an gemeinsamer Sicherheit gewährleistet ist. Diese rechtlich geregelten Sicherheits- und Kooperationsprinzipien haben sowohl auf globaler Ebene als auch innerhalb der einzelnen Länder Gültigkeit.
Zwar ist es legitim, nach den Durchsetzungsmöglichkeiten von Verträgen zu fragen, diese Frage rechtfertigt aber nicht die Nicht-Teilnahme an Vertragsregimen. Für die Ahndung von Vertragsverletzungen stehen unterschiedliche Durchsetzungsmechanismen zur Verfügung. Es können abgestufte Sanktionen verhängt werden, darunter der Entzug von Privilegien aus der Vertragsteilnahme, Embargos, Einreiseverbote, Aussetzung internationaler Wirtschaftshilfe oder -darlehen, sowie das Einfrieren des Vermögens von Führungs- oder Einzelpersonen. Sanktionen können von einzelnen Staaten, Staatengruppen, Mitgliedstaaten eines Vertragsregimes oder dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängt werden. Vertragsverletzungen können auch vor den Sicherheitsrat oder den Internationalen Gerichtshof gebracht werden.
Zweifellos müssen die Durchsetzungsmechanismen des internationalen Völkerrechts gestärkt werden. Allerdings werden genau diese Mechanismen u.a. von den Vereinigten Staaten unterminiert. Die Weigerung, dem Internationalen Strafgerichtshof beizutreten, ist ein Beispiel dafür. Durchsetzung ist überdies nur möglich, wenn entsprechende Überwachungs- und Aufklärungsmöglichkeiten bestehen, was in der Regel die Vereinbarung von Verifikations- und Transparenzmaßnahmen voraussetzt. Die USA haben aber im Fall der Chemiewaffenkonvention versucht, sich selbst von Transparenz- und Verifikationsvereinbarungen auszunehmen. Sie lehnen einen Vertrag mit soliden Verifikationsklauseln ab, nämlich das »Umfassende Teststoppabkommen«, und sie verweigern im Fall der Biowaffenkonvention ihre Zustimmung zu einem Verifikations- und Inspektionsprotokoll. Andere Staaten wehren sich gegen US-Forderung nach nahezu vollständigen Informationen über ihre Vertragseinhaltung, solange die USA im umgekehrten Fall vergleichbare Neugierde ablehnt.
Es gibt noch ein Argument, mit dem die Ablehnung von Vertragsregimen untermauert wird, und zwar der Glaube, dass die Vereinigten Staaten ein »ehrbares Land« sind, das auch ohne Vertragsfesseln das richtige tut. Diese Haltung geht unter Verweis auf die Ideologie des »Manifest Destiny« davon aus, dass die USA per se immer richtig handeln und ihre Macht dementsprechend immer richtig einsetzen. Das widerspricht fundamental der Einstellung, dass Rechtsstaatlichkeit auch auf globaler Ebene funktioniert. Wenn – insbesondere im Zusammenhang mit der vorherrschenden Ungleichheit und Ungerechtigkeit auf der Welt – die Stärke des Rechts vom Recht des Stärkeren abgelöst wird, bleiben mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl Sicherheit als auch Freiheit auf der Strecke.
Internationale Sicherheit kann am ehesten durch koordiniertes lokales, nationales, regionales und globales Handeln und durch Kooperation gewährleistet werden. Wie alle anderen Werkzeuge haben auch Vertragswerke ihre Mängel. Wie ein nationales Gesetz kann auch ein völkerrechtliches Abkommen ganz oder teilweise ungerecht oder unklug sein. In diesem Fall sollte es geändert werden. Aber ohne multilaterale Verträge gibt es nur die Alternative, dass Staaten selbst entscheiden, wann ihre Eigeninteressen ein Eingreifen erfordern, und auch weiterhin unilateral gegen andere vorgehen. So ist vorgezeichnet, dass die Mächtigen in Personalunion die Rolle von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Vollzugsbehörde übernehmen. Und dieser Weg kann nur zur willkürlichen Anwendung und Erzwingung von Recht und Gesetz führen.
Wenn die Vereinigten Staaten, deren Vorreiterrolle beim Völkerrecht zu den Glanzpunkten ihrer Geschichte zählt, sich für die Missachtung ihrer Verpflichtungen aus dem Völkerrecht entscheiden, geben sie das Beste auf, was ihre Geschichte der Welt zu bieten hat. Das Vertragssystem des Völkerrechts abzulehnen anstatt auf seine zahlreichen Stärken aufzubauen ist nicht nur unklug, es ist äußerst gefährlich. Die USA müssen unbedingt mit anderen Ländern zusammen dafür sorgen, dass globale Vertragsregime als Antwort auf die Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts zur Verfügung stehen.
Anmerkungen
1) So bergen z.B. drastische Klimaänderungen große Sicherheitsrisiken, daher muss die Klimaerwärmung als neue Bedrohung der globalen Sicherheit eingestuft werden.
2) Climate Action Report 2002. The United States of America‘s Third National Communication Under the United Nations Framework Convention on Climate Change; im Internet unter www.epa.gov/globalwarming/publications/car/index.html.
3) Climate Action Report 2002, Kapitel 6, S. 82.
4) Sobald sich die Vertragsparteien auf eine Definition einigen können, wird auch Angriffskrieg in den Verbrechenskatalog aufgenommen.
5) Gemäß Artikel 18 der Wiener Konvention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge signalisiert die Unterschrift unter ein Abkommen auch die Absicht, es zu ratifizieren, und verpflichtet den Unterzeichnerstaat, „sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines Vertrags vereiteln würden“ und zwar „solange er seine Absicht nicht klar zu erkennen gegeben hat, nicht Vertragspartei zu werden“.
6) Senator John Kyl hielt am 5. Juni 2000 für die Organisation Carnegie Endowment for International Peace einen Vortrag unter dem Titel »Warum der Senat das Umfassende Teststoppabkommen nicht ratifiziert und die Folgen dieser Entscheidung« (Why the Senate Rejected the CTBT and the Implication of Its Demise)
7) John Bolton, Is There Really »Law« in International Affairs?, Transnational Law and Contemporary Problems, Vol. 10, Frühjahr 2000.
Nicole Deller ist Beraterin des Institute for Energy and Environmental Research (IEER), des Lawyers’ Committee on Nuclear Policy (LCNP) und Hauptherausgeberin des Berichts »Rule of Power oder Rule of Law? An Assessment of U.S. Policies and Actions Regarding Security-Related Treaties«, auf dem dieser Beitrag fußt. Soweit nicht anders erwähnt, finden sich Verweise in diesem Bericht, der vollständig abgerufen werden kann auf den Websites des LCNP und des IEER.
Zu dem Bericht trugen bei: John Burroughs, Merav Datan, Nicole Deller, Mark Hiznay, Arjun Makhijani, Elizabeth Shafer und Pam Spees).
Übersetzung: Dr. Claudia Stellmach