Rechtsextreme und Bundeswehr
Verteidigungsausschuß tagt als Untersuchungsausschuß / Bundestagsanfragen SPD und Bündnis 90/Die Grünen
von SPD - Bündnis 90/Die Grünen
Auf Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen hat sich der Verteidigungsausschuß des Bundestages nach den Vorfällen in der Führungsakademie der Bundeswehr als Untersuchungsausschuß konstituiert. Grundlage der Arbeit ist ein Antrag der SPD. Obwohl die Anträge der SPD und der Grünen in weiten Bereichen übereinstimmen, konnten sich beide Parteien nicht auf einen gemeinsamen Antrag einigen. Dabei gibt es eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung in den Komplexen
- »Innere Führung« und politische Bildung
- Praxis der Traditionspflege
- Verhältnis Armee – Gesellschaft
- nach Umfang und Hinlänglichkeiten der Frühwarn- und Verhinderungsmechanismen, nach wissenschaftlichen Analysen und MAD-Aktivitäten
- nach den Kriterien bei der Auswahl des Nachwuchses und
- nach dem Reformbedarf der Streitkräfte.
Antrag der SPD Fraktion
Konstituierung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß nach Artikel 45a,<0> <>Abs.<0> <>2 des Grundgesetzes
Der Verteidigungsausschuß als Untersuchungsausschuß wolle beschließen:
Der Verteidigungsausschuß konstituiert sich zur parlamentarischen Untersuchung von rechtsextremistischen Vorkommnissen an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und an anderen Standorten der Bundeswehr als Untersuchungsausschuß nach Art.<0> <>45a, Abs.<0> <>2GG.
Gegenstand der Untersuchungen
soll dabei sein:
1. die gegenwärtige innere Lage der Bundeswehr anhand
1.1 der geistigen Orientierung der Vorgesetzten und ihrer Bindung an die freiheitlich demokratische Grundordnung und an das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, u. a. am Beispiel der Einladung eines Rechtsterroristen und seines Vortrages an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und seiner weiteren Kontakte zur Bundeswehr und in diesem Zusammenhang:
1.1.1. Materiallieferungen der Bundeswehr und Nutzung von Bundeswehrliegenschaften durch verfassungsfeindliche Organisationen, u. a. am Beispiel des »Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerkes«.
1.1.2. die damit in Verbindung stehenden Vorgänge zwischen anderen Bundesbehörden und Dienststellen des Bundesministers der Verteidigung und den Nachrichtendiensten.
1.2. des Menschenbildes, des Führungsverhaltens und des Stellenwertes der Aus- und Weiterbildung, u. a. an den Beispielen der ausländerfeindlichen Vorfälle in Detmold, der Video-Skandale in Hammelburg und Schneeberg sowie der rechtsextremistischen Vorfälle in Altenstadt/Schongau, Landsberg und Varel;
2. die Rahmenbedingungen für die Innere Führung und die politische Bildung,
2.1. ob angepaßtes Verhalten in der Führungshierarchie immer mehr die Zivil- bzw. Militärcourage ersetzt;
2.2. ob der erweiterte Auftrag der Bundeswehr und ob beispielsweise die Einsätze in Kambodscha, Somalia und Bosnien das Verständnis von Innerer Führung verändert haben;
2.3. ob Wehrbeschwerde und Wehrdisziplinarordnung noch strikt nach ihrem Wesensgehalt und vor allem nach dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform angewendet werden.
3. die Konsequenzen, die aus den Berichten des/der Wehrbeauftragten zu rechtsextremistischem Verhalten von Soldaten, zur Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Innere Führung und die politische Bildung und zu unzulässigen Formen der Traditionspflege gezogen wurden.
4. die Realität des Traditionsverhaltens,
4.1. die Formen der Traditionspflege, u.a. am Beispiel des Traditionsraumes beim Jagdbombergeschwader 33 in Büchel;
4.2. ob die Traditionspflege und das Traditionsverhalten noch mit dem Traditionserlaß von 1982 übereinstimmen.
5. ob und zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung über die rechtsextremistischen Vorfälle informiert war und was sie unternommen bzw. unterlassen hat, um diesem Sachverhalt zuvorzukommen bzw. abzuhelfen.
6. die Verantwortung des Bundesministeriums der Verteidigung für die vorgenannten Fälle und das Führungsverhalten des Ministers und die Auswirkungen seiner Personalentscheidungen auf das Vertrauen der Angehörigen der Bundeswehr.
Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen
Konstituierung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß nach Art. 45a, Abs. 2 GG
Der Verteidigungsausschuß wolle beschließen:
Der Verteidigungsausschuß konstituiert sich zur parlamentarischen Untersuchung von gewalttätigen, rechtsextremen, nationalautoritären oder fremdenfeindlichen Vorkommnissen, die an Standorten und Einrichtungen der Bundeswehr sowie im Verantwortungsbereich des Bundesministers der Verteidigung oder unter Beteiligung von Bundeswehrangehörigen stattgefunden haben, als Untersuchungsausschuß nach Art 45a Abs. 2GG.
Gegenstand der Untersuchung
soll dabei sein:
I. Umfang und Charakter der Vorkommnisse, insbesondere
1. ob Zusammenhänge zwischen den Vorfällen mit rechtsextremem, gewalttätigem, fremdenfeindlichem oder nationalautoritärem Hintergrund zu erkennen sind und ggf. welche und ob daraus auf eine gezielte Durchdringung bzw. Ausnutzung der Bundeswehr oder auf die Herausbildung subkultureller Netzwerke oder Gruppen in der Bundeswehr durch Personen oder Organisationen rechtsextremen, fremdenfeindlichen oder nationalautoritären Hintergrundes zu schließen ist;
2. ob und in welchem Umfang Liegenschaften des Bundesministeriums der Verteidigung bei Vorfällen oder durch Personen und Organisationen mit rechtsextremem, gewalttätigem, fremdenfeindlichem oder nationalautoritärem Hintergrund genutzt wurden;
3. ob und in welchem Umfang Erkenntnisse der zuständigen Verfassungsschutzorgane, der Polizei, des Militärischen Abschirmdienstes, des BND, der Stabsabteilungen des BMVg und aus öffentlich zugänglichen Quellen zu Frage I.1 vorliegen, und seitens der staatlichen Organe bewertet werden;
4. ob, wie, in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung seitens des BMVg eine Auswertung dieser Erkenntnisse erfolgt sowie welche Maßnahmen diesbezüglich eingeleitet wurden und werden.
II. Die Praxis der Traditionspflege in den Streitkräften, insbesondere
1. ob und welchem Umfang diese der Erlaßlage entspricht;
2. ob und welche Erkenntnisse der zuständigen Stabsabteilungen des BMVg (z.B. Fü S I, Fü H I, Fü L I, Fü M I) und aus öffentlich zugänglichen Quellen zu Frage II.1 vorliegen und wie diese dort bewertet werden;
3. ob, wie, in welchem Umfang und mit welcher Zielstellung seitens des BMVg eine Auswertung dieser Erkenntnisse erfolgt und welche konkreten Maßnahmen diesbezüglich eingeleitet wurden bzw. werden;
4. die Praxis und Formen der Traditionspflege in den drei Teilstreitkräften an ausgewählten Beispielen und im Hinblick auf soldatische Vorbilder;
5. Umfang und Charakter von sowie Gründe und Begründungen für Patenschaften und Aktivitäten zwischen Einheiten, Verbänden und Einrichtungen der Bundeswehr mit Traditionsverbänden oder Organisationen der ehemaligen Wehrmacht;
6. ob, in welchem Umfang und mit welchen Themen und Vorbildern bei der Aus- und Weiterbildung von Soldaten und Vorgesetzten Traditionsbezug auf die Wehrmacht genommen wird;
7. die Auswirkungen, welche die Praxis von Traditionspflege, Traditionsverhalten und Vorbildauswahl auf das Verständnis der Soldaten aller Dienstgrade von zulässigen und unzulässigen Formen von Traditionspflege und -verhalten haben.
III. Die Rahmenbedingungen und das Umfeld, welches die Bundeswehr für o.g. Vorkommnisse vorgibt, insbesondere
1. welche Konsequenzen und Ergebnisse der bundeswehrinternen Auseinandersetzung zwischen »Traditionalisten« und »Funktionalisten« auf der einen sowie »Reformern« auf der anderen Seite festzustellen sind und welche Auswirkungen diese auf Verhalten und Sozialisation insbesondere des Führungspersonals haben;
2. ob, in welchem Umfang und welche Mängel bei Konzeption und Umsetzung der Inneren Führung die o.g. Vorkommnisse begünstigt und unzulänglich verhindert haben;
3. ob, in welchem Umfang und welche Mängel bei der Ausbildung, Erziehung und politischen Bildung sowie der Vermittlung von Traditionsverständnis die o.g. Vorkommnisse begünstigt oder unzulänglich verhindert haben; dies schließt die Frage ein, ob und in welchem Umfang o.g. Vorkommnisse durch Vorgesetzte toleriert, gefördert oder gar herbeigeführt wurden;
4. ob und in welchem Umfang Bürokratisierung und Aufgabenüberfrachtung dazu beigetragen haben, daß die o.g. Vorkommnisse begünstigt oder unzulänglich verhindert wurden;
5. ob und in welchem Umfang die politische Leitung und/oder die militärische Führung der Bundeswehr die Erziehung zum »Staatsbürger in Uniform« und das Verständnis von »Innerer Führung« sowie das Soldatenbild im Kontext der Erweiterung der Aufgaben der Bundeswehr (Auslandseinsätze, Aufbau der KRK und des KSK) »Ausbildungserfordernissen« hintangestellt und dadurch dazu beigetragen haben, daß die o.g. Vorkommnisse begünstigt oder unzulänglich verhindert wurden;
6. ob und in welchem Umfang die Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Bundeswehr zu einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Umsetzung der Konzeption der Inneren Führung sowie des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform beigetragen haben;
7. ob und in welchem Umfang sich der Stellenwert des Menschenbildes des Grundgesetzes in der Aus- und Weiterbildung der Führer verändert hat;
8. ob und welche Erklärungsansätze für die rechtsextremen, gewalttätigen, fremdenfeindlichen und nationalautoritären Vorkommnisse im Zuständigkeitsbereich des BMVg erarbeitet wurden und welche Schlußfolgerungen daraus gezogen wurden;
9. ob und in welchem Umfang die Handhabung der Wehrdisziplinarordnung und der Wehrbeschwerdeordnung auf Mängel in der Ausbildung schließen läßt;
10. ob und in welchem Umfang Zivilcourage zur Offenlegung o.g. Vorkommnisse in der Bundeswehr gefördert wird und inwieweit Reaktionen vorgesetzter Stellen auf die Offenlegung solcher Vorkommnisse geeignet sind zivil-couragiertes Verhalten zu unterbinden;
11. wie und mit welchen Weisungen mitbestimmungsgesetzliche Regelungen des novellierten Soldatenbeteiligungsgesetzes (SBG neu) in den Gesamtstreitkräften und in den einzelnen Teilstreitkräften umgesetzt, durchgesetzt oder konterkariert wurden?
IV. Umfang und Hinlänglichkeit der Frühwarn- und Verhinderungsmechanismen für o.g. Vorkommnisse im Verantwortungsbereich des BMVg, insbesondere
1. ob und welche Untersuchungen dem BMVg über die geistige und politische Orientierung der Soldaten, von Vorgesetzten und Führern sowie von ausscheidenden bzw. ausgeschiedenen Offizieren vorliegen und zu welchen Aussagen diese ggf. bezüglich der Orientierung auf die freiheitlich demokratische Grundordnung, die Prinzipien der Inneren Führung und das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform sowie bzgl. eines ggf. bestehenden Nachsteuerungsbedarfes kommen;
2. ob und in welchem Umfang das Bundesministerium der Verteidigung die Möglichkeiten
- der Führungsstäbe Fü S I, Fü H I, Fü L I, Fü M I
- des Zentrums für Innere Führung
- des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Bundeswehr
- der Akademie für Information und Kommunikation
- des Fachbereiches Sozialwissenschaften der Führungsakademie
- der sozialwissenschaftlichen Fachbereiche der Bundeswehr-Hochschulen
zur Früherkennung, Prävention und Verhinderung o.g. Vorkommnisse genutzt bzw. nicht genutzt hat;
3. ob und in welchem Umfang der MAD und/oder ggf. andere dienstliche Stellen bei der Früherkennung, der Erkenntnisgewinnung und der Prävention von rechtsextremen, fremdenfeindlichen, gewalttätigen oder nationalautoritären Tendenzen bei Bundeswehrsoldaten tätig geworden sind und das BMVg inwieweit gewonnene Informationen zur Prävention und Verhinderung o.g. Vorkommnisse genutzt bzw. nicht genutzt hat;
4. ob und welche Vorkehrungen das BMVg getroffen hat, um sich bei der Anwerbung und Rekrutierung neuer Soldaten vor Rechtsextremisten und für fremdenfeindliche, rechtsradikale, gewalttätige und nationalautoritäre Positionen bzw. Handlungen anfällige Personenkreisen zu schützen sowie Frühwarnung zu erhalten, wenn Soldaten ein extremes, sogenanntes atavistisches (Stichworte: Jünger, Rambo), soldatisches Selbstverständnis zeigen;
5. welche qualitativen Kriterien für die Auswahl des rekrutierenden Personals von wem bzw. welchen Stellen festgelegt wurden;
6. welche Schlüsse im Einzelnen das BMVg aus den Berichten der jeweiligen Wehrbeauftragten gezogen und welche Maßnahmen zur Abhilfe es mit welchen Ergebnissen und Überprüfungen geschaffen hat?
V. Der Reformbedarf im Verantwortungsbereich des Bundesministers der Verteidigung nach Art, Umfang und Qualität, insbesondere in den Bereichen
1. Weiterentwicklung und Umsetzung des Leitbildes vom Staatsbürger in Uniform;
2. Weiterentwicklung und Umsetzung des Konzeptes der »Inneren Führung«, incl. deren sozialwissenschaftliche Grundlegung und die Rolle der Wissenschaft dabei;
3. Bildungs- und Erziehungskonzept,
4. Traditionsbezug, sowie
5. Auswahlverfahren für Unteroffiziere, Offiziere und insbesondere Stabsoffiziere und Generalstabsoffiziere sowie deren jeweilige Ausbildung.
VI. Exemplarische Vorfälle von gewalttätigen, rechtsextremen, nationalautoritären bzw. fremdenfeindlichen Vorkommnissen oder fragwürdigen Formen der Traditionspflege wie z.B. in Altenstadt, Hammelburg, Schneeberg, Hamburg (Auftritt M. Roeder an der Führungsakademie), Hamburg-Neuengamme, Landsberg, Detmold, Magdeburg und andernorts.
VII. Die Verantwortung der politischen und militärischen Führung für derlei Vorkommnisse sowie für Faktoren, die solche Vorkommnisse in der Bundeswehr begünstigen oder nicht verhindern.