Rekrutierung nach der Wehrpflicht
von Michael Schulze von Glaßer
Mit der Bundeswehr-Reform wurde die Wehrpflicht ausgesetzt – nun muss die Armee ihren Nachwuchs zur Gänze aus der Zivilbevölkerung werben. Dazu ist sie an Schulen aktiv, erstellt eigene Werbemedien und präsentiert sich auch in zivilen Medien. Nun sollen diese Rekrutierungsanstrengungen weiter intensiviert werden.
Im aktuellen strategischen Konzept des Bundesministeriums der Verteidigung, dem »Weißbuch 2006«, macht das Militär unmissverständlich deutlich, wie wichtig ihm die Personalgewinnung ist: „Gut ausgebildete, gleichermaßen leistungsfähige wie leistungswillige Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Grundvoraussetzung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.“ 1 Durch die aktuelle Bundeswehr-Reform hat sich diese Priorität nochmals verstärkt. Aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht verliert die Bundeswehr ihr bis dato bei weitem wichtigstes Rekrutierungsinstrument. Auf der anderen Seite sollen statt 7.000 demnächst 10.000 Soldatinnen und Soldaten dauerhaft für Auslandseinsätze abgestellt werden können, wobei die Zahl an Jugendlichen, für die die Vorstellung attraktiv ist, häufig in Kriege fernab Deutschlands geschickt zu werden, überschaubar sein dürfte.
„170.000 (Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit, Reservisten) + 5.000 (Freiwillig Wehrdienstleistende) + X (< 10.000 Freiwillig Wehrdienstleistende) = 185.000“, diese Rechnung stellte Verteidigungsminister Thomas de Maizière bei seiner Grundsatzrede am 18. Juni 2011 in Berlin auf. Grundsätzlich soll die Bundeswehr schrumpfen und statt wie bisher jährlich 20.000 neue Soldaten sollen nur noch 5000 + X Soldaten im Jahr für die Armee gewonnen werden müssen. „Wir gehen mit unseren Planungen auf 5.000, ich habe es geschildert, lieber auf die sichere Seite, freuen uns aber, wenn unsere Planungen übertroffen werden“, so der Minister.2 Die Bundeswehr hat bereits in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Werbemitteln zur Rekrutierung erstellt, die nun ausgebaut werden sollen.
Öffentliche Selbstinszenierung
Eigene Veranstaltungen und Aktionen in Armee-Liegenschaften und vor allem im öffentlichen Raum sind für die Bundeswehr enorm wichtig. Die Armee kann sich auf ihren Veranstaltungen nach Belieben präsentieren. Kein Aufwand scheint zu groß, keine Kosten sind zu hoch. So werden nicht nur Veranstaltungen in Fußgängerzonen, sondern auch Jugendsportfeste, Konzerte und Messestände organisiert. Selbst in Schulen und Universitäten sind Agitatoren der Bundeswehr aktiv.
Jugendoffiziere, junge Männer und Frauen mit langjähriger militärischer Erfahrung, bilden die Speerspitze der Nachwuchs- und Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Armee und sind weltweit einzigartig. Bereits 1958 – nur drei Jahre nach Gründung der Bundeswehr – wurde die Abteilung der Jugendoffiziere ins Leben gerufen und hatte schon damals die Funktion, die Bevölkerung vom Sinn und Zweck der deutschen Armee zu überzeugen. Heute gibt es etwa 94 hauptamtliche und 300 nebenamtliche Jugendoffiziere, die an der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Strausberg nahe Berlin ausgebildet werden. 7.245 Veranstaltungen mit 182.522 Teilnehmern führten die Jugendoffiziere im Jahr 2009 durch.3 Einsatzgebiete der jungen Soldaten sind vor allem Schulen. Nahezu 160.000 Schülerinnen und Schüler erreichten die Jugendoffiziere 2009. Oft referieren die rhetorisch sowie didaktisch-methodisch geschulten Soldaten vor Schulklassen über Themen wie „Soldaten als Staatsbürger in Uniform“ und „Auslandseinsätze der Bundeswehr“, oder sie spielen mit den jungen Leuten die mehrtägige Simulation »POL&IS« (Politik & internationale Sicherheit).
Seit 2008 wurden in acht Bundesländern Kooperationsabkommen zwischen dem jeweiligen Landesschulministerium und der Bundeswehr geschlossen (NRW, Oktober 2008; Saarland, März 2009; Baden-Württemberg, Dezember 2009; Rheinland-Pfalz, Februar 2010; Bayern, Juni 2010; Mecklenburg-Vorpommern, Juli 2010, Hessen, November 2010 und Sachsen, Dezember 2010), die neben Vorträgen vor Schulklassen u.a. auch die Einbindung der Jugendoffiziere in die Lehrerausbildung vorsehen. Wurden 2005 nur fünf Referendarsveranstaltungen mit 103 Teilnehmern durchgeführt, waren es 2009 bereits 27 Veranstaltungen mit 1.073 Nachwuchslehrkräften. Zusätzlich haben sich über 3.200 Lehrkräfte durch Jugendoffiziere aus- und fortbilden lassen. Indem schon Referendare mit der Bundeswehr in Kontakt kommen, sollen langfristige Bindungen hergestellt werden, in der Erwartung, dass die zukünftigen Lehrer die Jugendoffiziere zu sich in den Unterricht einladen. Immer wieder betonen Jugendoffiziere, keine Nachwuchswerberinnen oder Nachwuchswerber zu sein, sie informieren offiziell nur über Sicherheitspolitik und die Bundeswehr. Dies ist allein deshalb fraglich, weil die Jugendoffiziere die Schüler vom Sinn und Zweck der Armee überzeugen sollen – häufig der erste Schritt zum Eintritt in die Armee. Oft ist die Bundeswehr aber auch direkt mit Wehrdienstberatern, die im Gegensatz zu Jugendoffizieren ausschließlich über Laufbahnen in der Armee beraten, an Schulen im Einsatz. Bei rund 12.600 Wehrdienstberatungs-Veranstaltungen wurden 2009 mehr als 280.000 Schülerinnen und Schüler erreicht.4
Wehrdienstberater und Jugendoffiziere sind aber auch außerhalb von Schulen aktiv. 2006 stellte die Armee auf Anraten des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr das »Zentrale Messe- und Eventmarketing der Bundeswehr« (ZeMEmBw) als neue Werbeeinheit auf.5 Seitdem wird für eine »Karriere mit Zukunft« bei der Bundeswehr geworben. Flaggschiff der Reklametruppe ist der aus drei großen Lastwagen bestehende so genannte »KarriereTreff«. Die Lastwagen touren jedes Jahr bundesweit durch rund 40 Städte und stehen dort für mehrere Tage auf zentralen Plätzen oder bei öffentlichen Veranstaltungen.6 Neben einem begehbaren »KarriereTruck«, in dem Wehrdienstberatungen stattfinden, sollen durch einen »KinoTruck« und ausgestellte Militärfahrzeuge vor allem junge Besucher zum Bundeswehr-Stand gelockt werden. Das zweite Standbein des ZeMEmBw ist ein großer Messestand, der jedes Jahr etwa 50 Mal zum Einsatz kommt. Mit dem Stand ist die Bundeswehr ebenso auf der »Games Convention«, einer der größten Videospiele-Messen in Europa, vertreten wie bei Ärztekongressen,7 wo sie versucht, ihrem massiven Personalengpass im medizinischen Bereich entgegenzuwirken.8
Darüber hinaus führt die ZeMEmBw-Werbeeinheit die jährlich wechselnden Jugendsportevents »Bw-Olympix« und »Bw-Beachen« durch.9 Über 1.000 Jugendliche können an den kostenlosen Sportevents teilnehmen – gespielt werden Fun-Sportarten wie Beach-Volleyball oder Streetball. Den Sieger-Teams winken Ausflüge in Kasernen. Jede Sportveranstaltung wird mit einem bunten Musik- und Party-Programm begleitet. Dabei gilt für alle Jugendsportereignisse der Bundeswehr: Teilnahme ist nur mit deutscher Staatsbürgerschaft möglich. Denn nur Deutsche dürfen bislang Soldaten bei der Bundeswehr werden. Damit letzteres auch geschieht, wird bei den Events ordentlich geworben. Die jungen Teilnehmer können militärisches Großgerät besichtigen oder sich gleich beim Wehrdienstberater über eine Armee-Laufbahn informieren.
Neben dem Zentralen Messe- und Eventmarketing verfügen alle vier Wehrbereichskommandos (Nord, Ost, Süd und West) über ein eigenes »Zentrum für Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr« (ZNwgBw). Dieses verfügt jeweils über zwei Messestände10 sowie vier kleinere Werbelastwagen. Weit über 500 Einsätze fuhren die vier »Zentren für Nachwuchsgewinnung« 2009 – oft sind die Nachwuchswerber auf Schulhöfen und Jobmessen anzutreffen.11 Es geht bei diesen Werbeeinsätzen aber nicht nur darum, unter den Schülern neuen Nachwuchs zu rekrutieren, sondern auch frühzeitig ein positives Bild der Bundeswehr in den Köpfen der Jugendlichen zu verankern. Dies geschieht neben den vorgestellten Veranstaltungen auch durch das Jugendmusikevent »Bw-Musix«, das Wochenendcamp »Bw Adventure Games«, Tage der offenen Tür, Bundeswehr-Veranstaltungen beim jährlichen Mädchenzukunftstag Girls’ Day oder auch in Arbeitsagenturen.
Medien des Militärs
Neben eigenen Veranstaltungen verfügt die Bundeswehr gleich über mehrere, eigens für die Rekrutierung junger Menschen entwickelte Medien. Sie bilden das Rückgrat der Bundeswehr-Werbeanstrengungen. Die Bundeswehr ist im Zeitalter der Informationsgesellschaft auch im medialen Kampf um neuen Nachwuchs sowie mehr Zustimmung präsent. Auf Internet-Websites werden umfangreiche aber unkritische Informationen angeboten – selbst Online-Bewerbungen für einen Job bei der Armee sind möglich. Auch Print-Medien werden von der deutschen Armee speziell für Jugendliche hergestellt.
Schon seit 1977 erscheint das kostenlose Jugendmagazin der Bundeswehr namens »infopost«. Es hat vor allem das Ziel der Nachwuchsgewinnung und richtet sich daher an junge Menschen zwischen 14 und 20 Jahren. „Alles, was wir tun, gilt dem Ziel, die Anzahl von jungen Leuten, die wir pro Jahr brauchen, an die Bundeswehr mit werblichen Mitteln heranzuführen“, drückt es der leitende Redakteur Franz-Theo Reiß aus.12 Dabei setzt die Bundeswehr auf Vollfarbdruck, ein Jugendliche ansprechendes Layout, ein Poster in der Mitte des Heftes und natürlich für junge Menschen aufbereitete Themen. Die »infopost« wird bei Bundeswehr-Veranstaltungen aller Art – Messeständen, Wehrdienstberatungen, Bundeswehr-Konzerten usw. – kostenfrei verteilt. Ein großer Teil der Auflage wird zusätzlich als Abonnement verschickt. Um die »infopost« kostenlos abonnieren zu können, muss eine Bestellkarte ausgefüllt werden, wobei man nicht älter als 20 Jahre alt sein darf. Neben Adresse und Unterschrift müssen die jungen Menschen auch ihren angestrebten oder erreichten Schulabschluss, das voraussichtliche Ende ihrer Ausbildungszeit, ihre Staatsangehörigkeit und andere rekrutierungsrelevante Angaben über sich und ihr Leben machen. Außerdem müssen sie sich dazu bereit erklären, mit Werbematerialien der Armee eingedeckt zu werden. Die Auflagenhöhe des Jugendmagazins liegt bei rund 190.000 Stück pro Jahr.13
Die Autorinnen und Autoren der »infopost«-Artikel verschweigen die militärische Tätigkeit der Bundeswehr nicht. Der Afghanistan-Einsatz wird beispielsweise in einigen Heften thematisiert. In den einseitigen Artikeln gibt sich die Bundeswehr jedoch friedlich-zivil. Im Artikel „LUZ, Eloka und Patrouille – Ein Tag in der afghanischen Provinz Kunduz“ aus dem Jahr 2008 wird kein Wort über getötete bzw. verwundete deutsche Soldaten verloren – geschweige denn über afghanische Opfer.14 Ebenso vergeblich sucht man Hinweise auf den psychologischen Druck, dem Soldatinnen und Soldaten ausgesetzt sind. Stattdessen präsentiert der Autor, ein Stabsfeldwebel, den mutmaßlichen Alltag eines Logistik-Soldaten, der Militärflugzeuge entlädt, einer jungen Militärpolizistin, die gleich sieben Sprachen sprechen kann und täglich um das Feldlager joggt, und eines Bundeswehr-Hundeführers samt seines Schäferhundes Nelson. Von Gefahr keine Spur. Dieser Artikel ist repräsentativ für die Texte des Jugendmagazins.
Die »infopost« ist aber nicht das einzige Werbemittel für die Armee. »Frieden & Sicherheit« lautet der Titel umfangreicher Schulmaterialien zur deutschen Sicherheitspolitik, die von der laut Eigenangaben unabhängigen und gemeinnützigen »Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e. V.« herausgegeben werden. Das vollkommen kostenfreie Angebot der Arbeitsgemeinschaft besteht aus einem Schülermagazin inklusive Lehrerheft, das seit 2003 viermal erschienen ist, einem monatlich publizierten neuen Arbeitsblatt für Schülerinnen und Schüler sowie der interaktiven »Frieden & Sicherheit«-Website. Die Materialien werden in Kooperation mit dem Wiesbadener Universum-Verlag erstellt. Das Bundesministerium für Verteidigung steht dem Herausgeber laut Heft-Impressum lediglich mit fachlicher Beratung zur Seite. Die Universum Verlag GmbH ist allerdings kein unbeschriebenes Blatt: 50 Prozent der Anteile hält die Universum GmbH, die sich zu 100 Prozent im Eigentum der FDP befindet. Verlagsleiter ist Siegfried Pabst, ehemaliger Leiter der politischen Abteilung der FDP und heute zugleich Schatzmeister der »Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e.V.« sowie Vizepräsident der angegliederten »Stiftung Jugend und Bildung«.15
Finanziert werden die Materialien der Reihe »Frieden & Sicherheit« von der Bundesregierung. 330.000 Euro gab die Regierung 2008/2009 zur Erstellung eines neuen »Frieden & Sicherheit«-Heftes für Schüler und Lehrer aus. Die Hefte kommen an. 2007 sind von den Schulen mehr als 325.000 Schüler- und über 16.000 LehrerInnenhefte für den Unterricht bestellt worden.16 Durch die fertigen Materialien fällt die zeitaufwändige Unterrichtsvorbereitung für Lehrer weg, was sie sicherlich für einige Pädagogen attraktiv macht. Ein neutraler und kritischer Unterricht ist jedoch nicht mehr möglich, wenn man das 32-seitige Magazin zur Unterrichtsgrundlage macht. Die im aktuellen Schülerheft 2009/2010 aufgelisteten Fragen, die von den jungen Leuten beantworten werden sollen, lenken die Gedanken der Schüler gezielt in die gewünschte Richtung. Alternativen zum militärischen Eingreifen scheint es nicht zu geben, während das Militär wie ein normales Mittel der Politik wirkt. Zuletzt sorgte ein »Frieden & Sicherheit«-Arbeitsblatt zum Libyen-Aufstand für Aufsehen.17
Absehbar ist eine Verstärkung der Werbetätigkeit der Bundeswehr besonders im Internet – dort ist die Bundeswehr im Vergleich etwa zur US-Armee noch unterrepräsentiert. Zwar existieren im Internet gleich zwei Rekrutierungsportale (treff.bundeswehr.de und bundeswehr-karriere.de), und im vergangenen Jahr ging ein eigener YouTube-Premium-Channel sowie ein Account beim Online-Fotodienst flickr in Betrieb, dennoch blieben bislang viele Social-Media-Formate wie facebook und StudiVZ/SchülerVZ ungenutzt. 2010 hat die »Akademie für Information und Kommunikation« der Bundeswehr daher erstmals zu einer »Govermedia« genannten Medienfachtagung eingeladen. Dabei informiert sich die Bundeswehr mithilfe von Kommunikationsexperten aus Wissenschaft und Wirtschaft über die neuesten PR-Trends im Internet und erörtert, wie sich die Armee diese zu Nutzen machen kann. Im Juni 2011 fand die jährlich vorgesehene Tagung unter dem sperrigen Titel »Behördenkommunikation digital gestalten – Optimierung von Inhalten, Strukturen und Anwendungen« statt.
Militär in zivilen Medien
Neben Veranstaltungen und eigenen Armee-Medien gelangt die Bundeswehr heute vor allem durch Werbeanzeigen in Schüler- und Jugendzeitungen in die Klassenräume und Kinderzimmer der Republik sowie zunehmend auch in Wohnzimmer und in die Öffentlichkeit. Egal ob in Zeitungen, im Radio, im Fernsehen oder im Kino – die Bundeswehr ist überall vertreten.
Für Werbung in Printmedien, Radio und Kino wendete die Bundeswehr von 2006 bis 2009 über 15 Millionen Euro auf.18 Zwischen 2009 und 2011 haben sich die Ausgaben für personalwerblichen Anzeigen auf 5,7 Millionen Euro im Jahr gesteigert.19 So wirbt sie beispielsweise mit Anzeigen regelmäßig in der mit einer Auflage von einer Million Exemplaren größten Schülerzeitung Deutschlands, dem »SPIESSER«. Mit dem Jugendmagazin »BRAVO« besteht sogar eine noch engere Kooperation: Jährlich führen Armee und Magazin für rund dreißig Jugendliche die »Bw Adventure Games« durch, bei denen die jungen Leute ein Wochenende lang eine Bundeswehr-Einheit besuchen.20 Im Rundfunk richten sich die Militärs ebenfalls an Jugendliche. Auf Jugendsendern sucht die Bundeswehr nach neuen Piloten für ihre Hubschrauber und Kampfjets. Dies ist ebenfalls in den Kinospots der Armee der Fall. Ein breites Publikum erreichte die Bundeswehr erstmals im Frühjahr 2010 und danach noch einmal im Frühjahr 2011 im Fernsehen. In dem 20-sekündigen und 189.000 Euro teuren Spot warb die Armee für den Dienst an der Waffe: „Herausforderung meistern, Teamgeist beweisen, Technik beherrschen. Bundeswehr, Karriere mit Zukunft“ bzw. später mit dem Slogan „Bundeswehr-Reform – Ihre Chance“.21
Um das Image weiter zu verbessern, subventioniert die Bundeswehr außerdem immer mehr deutsche Filmproduktionen. 2005 waren es elf Produktionen, 2006 nur vier, 2007 waren es acht, 2008 schon zwölf, und 2009 unterstützte die Bundeswehr sogar 22 Filmprojekte.22 Sie stellt z.B. militärisches Großgerät, Dreherlaubnisse oder auch finanzielle Mittel zur Verfügung. Es werden vor allem Kino- und Spielfilmproduktionen sowie TV-Serien und Dokumentationen unterstützt, die die Bundeswehr wohlmeinend porträtieren oder ihr anderweitig nutzen.
Ein von der Bundeswehr bisher vernachlässigtes Werbemittel ist die Darstellung in Videospielen. Gerade unter jungen Leuten – der Zielgruppe der Bundeswehr – erfreuen sich (militärische) Videospiele großer Beliebtheit. Die US-Armee hat z.B. mit dem First-Person-Shooter »America’s Army« seit 2002 ein eigenes Videospiel, welches laut US-Militärs das erfolgreichste Rekrutierungswerkzeug ist, das die US-Armee je besessen hat. Die Bundesregierung gab 2002 an, in absehbarer Zeit kein ähnliches Spiel zur Bundeswehr-Nachwuchsgewinnung entwickeln zu wollen.23 Dies hängt sicherlich auch mit der in Deutschland immer wieder aufkeimenden Debatte um »Killer-« bzw. »Ballerspiele« zusammen.
Ob die Bundeswehr bei einigen kommerziellen Videospiel-Produktionen mitgewirkt hat, ist bislang unbekannt. Das Verteidigungsministerium gibt kaum Auskunft über die Förderung ziviler Unterhaltungsmedien. Weitere Nachforschungen zu dem Thema sind daher nötig.
Bundeswehr-Umbau und intensivierte Rekrutierung
Aktuellen Zeitungsberichten zufolge scheint die Bundeswehr ihr Rekrutierungsziel von über 5.000 Soldaten in diesem Jahr bereits erreicht zu haben.24 Dennoch wird es für die Bundeswehr auf Dauer nicht einfach, genügend Freiwillige zu finden – neben mangelnder Attraktivität und der Konkurrenz mit der Wirtschaft fürchten die Militärs vor allem den demografischen Wandel.
Auch der einflussreichste deutsche Think-Tank, die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hat das Nachwuchsproblem der Bundeswehr mittlerweile wahrgenommen: „Während die deutsche Bevölkerung zunehmend durch Alterung, Schrumpfung, regionale Unterschiede und ethnisch-kulturelle Heterogenisierung gekennzeichnet ist, fragt die Bundeswehr junge, leistungsfähige Rekruten mit deutscher Staatsbürgerschaft nach.“ 25 Gerade in den ostdeutschen Bundesländern, aus denen aktuell ein im Vergleich zur Gesamtbevölkerung hoher Teil der Soldaten stammt, wird die Zahl junger Menschen rapide abnehmen. Unverblümt macht die Denkfabrik Vorschläge für eine Trendwende: „Zum einen könnte man das Rekrutierungspotential auf Personen ausdehnen, deren physische und kognitive Fähigkeiten zunächst noch unzureichend sind, jedoch dem soldatischen Anforderungsprofil angeglichen werden können. Zum anderen wäre daran zu denken, bisher unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen (Frauen sowie ethnische, kulturelle und religiöse Minderheiten mit deutscher Staatsbürgerschaft) verstärkt anzuwerben und bislang ausgeschlossene Gruppen (Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft sowie Ältere) zu legitimieren.“
Daneben hat die Bundeswehr selbst im Februar 2011 ein 82 Punkte umfassendes „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“ erarbeitet. Tenor: Die bisherige Nachwuchsarbeit soll weiter ausgearbeitet werden, um der Armee genügend junge Leute zuzuführen. Außerdem will man mit der zu Beginn des Jahres 2011 initiierten dreistufigen „Medienkampagne zur Nachwuchsgewinnung“ an weitere Rekruten gelangen.26 In Zukunft wird die Bundeswehr also noch öfter im öffentlichen Raum Aktionen durchführen, ihre eigenen, einseitigen Werbemedien verteilen und auch in zivilen Medien, vor allem im Internet, präsent sein.
Anmerkungen
1) Bundesministerium der Verteidigung: Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr. Berlin 2006, Seite 144.
2) Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, am 18. Mai 2011 in Berlin.
3) Schnittker: Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr 2009. Berlin 2010, Seite 4.
4) Bundestags-Drucksache 17/1511.
5) KarriereTreff on Tour. In: aktuell – Zeitung für die Bundeswehr Nr. 35/2006.
6) Michael Schulze von Glaßer (2010): An der Heimatfront – Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr. Köln: PapyRossa.
7) Bundestags-Drucksache 17/715.
8) Bundestags-Drucksache 16/12012.
9) Michael Schulze von Glaßer: Die Bundeswehr im Kampf an der Heimatfront. IMI Studie 01/2009.
10) Frank Schuldt: Einmal Deutschland. In: Y – Magazin der Bundeswehr, November 2006, Seite 106.
11) Bundestags-Drucksache 16/12038.
12) Schulze von Glaßer 2009.
13) Bundestags-Drucksache 16/14094.
14) Gerhard Groeneveld: LUZ, Eloka und Patrouille – Ein Tag in der nordafghanischen Provinz Kunduz. In: infopost 3/2008, Seite 4/5.
15) Michael Schulze von Glaßer: Westerwelles Werbetruppe. In: Neues Deutschland, 12. März 2010.
16) Bundestags-Drucksache 16/8852.
17) Michael Haid: „Wann ist Krieg erlaubt?“ – Anmerkungen zu skandalösen Schulmaterialien. IMI-Standpunkt 2011/032.
18) Bundestags-Drucksache 16/14094.
19) Bundestags-Drucksache 17/4634.
20) Michael Schulze von Glaßer: Armee umwirbt Kinder. In: telepolis.de, 10. Mai 2009.
21) Menschen, Technik, Chancen (Sprechertext). In: bundeswehr.de, 17. Februar 2010.
22) Bundestags-Drucksache 16/14094.
23) Bundestags-Drucksache 14/9764.
24) De Maizère übertrifft Ziel von 5.000 Freiwilligen. In: faz.net, 10. Juni 2011.
25) Wenke Apt: Demographischer Wandel als Rekrutierungsproblem? Regionale Ungleichheit und unerschlossene Potentiale bei der Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr. SWP-Aktuell 41, Mai 2010.
26) Christian Stache: Neuer Minister, alte Pläne: Die Rekrutierungsoffensive 2011 der Bundeswehr. In: AUSDRUCK – Magazin der Informationsstelle Militarisieruntg e.V. (April 2011).
Michael Schulze von Glaßer ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung und Autor des Buchs »An der Heimatfront – Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr« (Köln: PapyRossa, 2010).