W&F 2008/3

Religion als Friedensressource

Potenziale und Hindernisse

von Markus A.Weingardt

Im Kielwasser von Samuel Huntingtons gewagter These entspann sich in den vergangenen Jahren an Stammtischen und Universitäten, in Gotteshäusern und Parlamenten eine rege Diskussion über den »Kampf der Kulturen«. Religionen als elementarem Teil von Kultur kommt bei Huntington eine genuin Konflikt stiftende Bedeutung zu. Darum zieht er seine Bruchlinien auch entlang religiöser bzw. konfessioneller Grenzen. Unter den verschiedenen Schwächen der »clash«-These war die Beschränkung der politischen Rolle von Religionen auf deren Konflikt stiftende bzw. verschärfende Wirkung besonders folgenreich, weil der wissenschaftliche Diskurs - bei aller Detailkritik an Huntington - dieser Engführung nahezu blindlings folgte.

Die Ambivalenz von Religionen wurde und wird hingegen selbst in der Friedens- und Konfliktforschung weitgehend ignoriert - und damit auch ihre u.U. deeskalierende und Frieden stiftende Einflussnahme in Gewaltkonflikten. Nur bei Anerkennung dieser Ambivalenz aber lässt sich das friedensförderliche Potenzial von Religionen erschließen.

Die Liste der mit der »Rückkehr der Religionen« in die Politik fast ausschließlich unter negativem Vorzeichen befassten Autoren ist lang und prominent besetzt. Man darf wohl annehmen, dass ihnen das religiös motivierte, gewaltlose Wirken von Gandhi, Martin Luther King oder Desmond Tutu bekannt ist. Gleichwohl hat niemand die Frage gestellt, ob sich der Friedensanspruch der Weltreligionen möglicherweise auch jenseits dieser einsamen Heroen der Gewaltlosigkeit in erfolgreicher Konfliktbearbeitung niederschlägt. Dabei muss man noch nicht einmal tief graben um festzustellen, dass es tatsächlich auch ein signifikantes, politisch wirksames Friedenspotenzial von Religionen gibt: religionsbasierte Akteure - Einzelpersonen, Gruppen, Institutionen, Massenbewegungen -, die entscheidende Beiträge zur Deeskalation politischer Gewaltkonflikte leisten, also Beiträge zur Vermeidung von Gewalt und zur Beilegung von Konflikten durch konstruktive Interventionen.

Unter religionsbasierten Akteuren werden in diesem Zusammenhang anerkannte Weltreligionen bzw. Religionsgemeinschaften und (inter-)religiöse Institutionen bzw. deren Vertreter verstanden. Darüber hinaus zählen dazu auch Institutionen, Initiativen, Bewegungen oder Einzelpersonen, deren Friedensarbeit ausdrücklich und umfassend auf religiösen Grundlagen basiert, d.h. auf Schriften, Überlieferungen, Lehren und Traditionen anerkannter Weltreligionen, und aus den jeweiligen Glaubensüberzeugungen resultiert, ohne dass sie durch institutionelle, personelle, materielle oder finanzielle Abhängigkeit an andere religiöse Institutionen gebunden wären.

Beispiele der »anderen Seite« religiöser Wirklichkeit

Religionsbasierte Einflussnahme in politischen Gewaltkonflikten geschieht nicht allein in zahllosen lokalen Initiativen, sondern auch auf überkommunaler Ebene, d.h. in zwischenstaatlichen Kriegen, in Bürgerkriegen oder im Widerstand gegen repressive Regime. Einige Beispiele seien stellvertretend genannt:

Im bürgerkriegsgeschüttelten Mosambik vermittelte die katholische Laienbewegung Sant' Egidio zusammen mit Bischof Goncalves 1992 ein stabiles Friedensabkommen.

Die Protestbewegung in der DDR hätte sich ohne die Mitwirkung der evangelischen Kirche kaum entwickeln können, und die »friedliche Revolution« wäre mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gewaltlos verlaufen.

Während des Genozids in Ruanda (1994) mit rund einer Million Toten widersetzte sich nur eine Bevölkerungsgruppe dem Morden: die ruandischen Moslems. Sie verweigerten sich der Gewalt und halfen Flüchtlingen - gleich welcher Religion oder Ethnie - den Todesschwadronen zu entkommen, versteckten sie, versorgten sie mit Lebensmitteln, stellten sich schützend vor sie, nicht selten um den Preis des eigenen Lebens.

Nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen verhinderte Papst Johannes Paul II. 1978 in buchstäblich letzter Sekunde einen blutigen Krieg zwischen Chile und Argentinien; seine Sondergesandten arbeiteten sechs Jahre lang am letztlich erfolgreichen Abschluss eines »Friedens- und Freundschaftsvertrags«.

Nach der Schreckensherrschaft der Roten Khmer unter Pol Pot, der rund ein Viertel der Bevölkerung zum Opfer gefallen war, begann der buddhistische Mönch Maha Ghosananda 1979 eine Friedens- und Versöhnungsbewegung in Kambodscha, die sich zu einer wichtigen Kraft und unüberhörbaren Stimme in Politik und Gesellschaft entwickelt hat.

Im britisch besetzten Indien zur Zeit Gandhis war es der Moslem Khan Abdul Ghaffar Khan, der in der Nordwest-Grenzprovinz eine streng islamische, doch ebenso streng gewaltlose und religiös tolerante Widerstandsbewegung aufbaute, die »Diener Gottes« (Khudai Khidmatgaran). Ausgerechnet im Volk der Paschtunen (Pathanen), die für ihre Gewaltneigung berühmt und berüchtigt waren, entwickelte sich eine oppositionelle Massenbewegung, die friedlich für ethnische Selbstbestimmung und zugleich ein einheitliches, multireligiöses Indien kämpfte.

Auf den Philippinen war die weitgehend gewaltlose Überwindung der Diktatur von Ferdinand Marcos 1986 in erster Linie dem Engagement großer Teile der katholischen Kirche zu verdanken. Vor allem Ordensleute und Priester in den Basisgemeinden überzeugten das Volk von einem gewaltlosen Vorgehen und legten den Grundstein für den Erfolg der »Rosenkranz-Revolution«.

Schon im indisch-pakistanischen Grenzkonflikt in Kaschmir (1965/66) und im blutigen Bürgerkrieg in der nigerianischen Provinz Biafra (1967-70) waren Vertreter der Quäker vermittelnd aktiv und sind dies bis heute in zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen - jedoch ganz bewusst hinter den Kulissen, abseits der medialen Aufmerksamkeit, in größter Diskretion.

In Nicaragua, El Salvador, Guatemala und anderen lateinamerikanischen Staaten waren (besonders in den 80er- und 90er-Jahren) einzelne katholische Bischöfe, aber auch der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) oder der Lutherische Weltbund in vielfältiger Weise an der Überwindung von Gewaltkonflikten beteiligt.

Im Irak stellte der schiitische Großayatollah Ali Al-Sistani Fatwas gegen die Anwendung von Gewalt aus, egal vom wem und gegen wen sie angewandt würde. Durch seine Intervention konnten im Jahr 2004 die wochenlangen Kämpfe US-geführter Truppen gegen die islamistische Mahdi-Armee in Nadschaf beendet und eine Erstürmung der bedeutenden Imam-Ali-Moschee abgewendet werden.

In Bosnien-Herzegowina und im Kosovo, in Liberia und Sierra Leone trugen nationale »Interreligious Councils«, initiiert von der Weltkonferenz der Religionen für Frieden (WCRP), in herausragender Weise zur konstruktiven und friedlichen Bearbeitung von politischen Konflikten bei.

Diese Beispiele machen deutlich, dass die über vierzig untersuchten Konfliktfälle hinsichtlich ihrer Konflikt-, Akteurs- und Interventionsmerkmale höchst unterschiedlich und nur bedingt vergleichbar sind (vgl. Weingardt 2007). Kultureller, religiöser und politischer Kontext, Art, Gegenstand, Reichweite, Parteien und (gewaltförmige) Austragungsstrategien variieren ebenso wie Konflikt-Intensität, -Dauer und -Entwicklung. Die religionsbasierten Akteure gehören unterschiedlichen Religionen und Konfessionen an, treten als Einzelne oder in interreligiöser Zusammenarbeit auf, praktizieren verschiedene Formen von Religiosität bzw. Spiritualität, und sind auch hinsichtlich institutioneller Verfasstheit, Bekanntheit, politischem Einfluss bzw. Profil und Verhältnis zum Konflikt ausgesprochen divergent. Dasselbe gilt für Vorgehensweise, Aktionsebene, Methoden, Maßnahmen und Wirkungsweise der religionsbasierten Konfliktbearbeitung, insbesondere für die Bedeutung religiöser Elemente und den Eskalations- oder Konfliktreifegrad zum Zeitpunkt der Intervention.

Merkmale religionsbasierter Akteure

Die wesentlichen Konflikt-, Akteurs- und Interventionsmerkmale weisen also eine enorme Bandbreite auf und ergeben ein vielschichtiges, äußerst komplexes und jeweils einzigartiges Geflecht. Gemeinsam ist allen untersuchten Konflikten lediglich, dass sie mit physischer bzw. militärischer Gewalt ausgetragen wurden, dass frühere (säkulare) Beilegungsbemühungen ausblieben oder scheiterten, dass die intervenierenden Akteure religionsbasiert sind - und dass deren Interventionen insofern erfolgreich waren, als sie zur Verhinderung oder Verminderung von Gewalt beitrugen. Zugleich ist festzustellen, dass dezidiert religiöse Elemente innerhalb der konkreten Interventionspraxis nur teilweise von Bedeutung sind, die zahlreichen Erfolge religionsbasierter Akteure also nicht hinreichend erklären können. Das legt den Schluss nahe, dass die Erfolgsbedingungen bei den Akteuren zu suchen sind, folglich in den betrachteten Konflikten ein Zusammenhang zwischen der Religionsbasiertheit der Akteure und ihren Erfolgen bestehen muss. Es stellt sich daher die Frage, was religionsbasierte Akteure jenseits der bislang identifizierten Merkmale verbindet bzw. auszeichnet und welche Bedeutung dies für die Wirksamkeit ihrer Intervention hat.

Religionsbasierte Akteure haben in der Regel weder die Möglichkeit noch den Willen, politischen oder ökonomischen Druck auszuüben oder nennenswerte materielle Anreize in Aussicht zu stellen. Der Erfolg ihrer Intervention beruht vielmehr auf ihrer Überzeugungskraft und -fähigkeit. Diese wiederum hängt davon ab, ob ein Akteur glaubhaft machen kann, dass er als Vermittler geeignet ist, also über die notwendigen Kompetenzen verfügt, und ob er überhaupt als solcher akzeptiert wird, d.h. die notwendige Reputation genießt. Die Suche nach den Gründen für den Erfolg religionsbasierter Akteure läuft also hinaus auf die Frage nach den Gründen für ihre Eignung und Akzeptanz.

Bei aller Unterschiedlichkeit weisen religionsbasierte Akteure einige gemeinsame Charakteristika auf. Diese sind für den Erfolg der Friedensbemühungen von entscheidender Bedeutung, da sie die Eignung und Akzeptanz der Akteure als konstruktive Konfliktbearbeiter begründen.

a) Fachkompetenz: Eine Mindestkompetenz in konstruktiver Konfliktbearbeitung und eine sehr gute Kenntnis des konkreten Konflikts und seines Kontextes sind unabdingbar. Defizite können aber teilweise durch Erfahrung oder ein entsprechend behutsames Vorgehen kompensiert werden. Religionsbasierte Akteure gewinnen ihre konfliktspezifischen Kenntnisse zumeist dadurch, dass sie entweder aus der Konfliktregion stammen oder dort durch langjährige Hilfsprogramme präsent sind. Dadurch verfügen sie in der Regel auch über nützliche Kontakte, Ressourcen und Informations- bzw. Kommunikationsstrukturen.

b) Glaubwürdigkeit: Konstruktiv intervenierende Akteure werden von den Konfliktparteien nur dann als Vermittler oder Schlichter akzeptiert, wenn sie als fair und gerecht gelten, wenn sie im Ruf eines verlässlichen und ehrlichen »Maklers« stehen. Dieser Ruf entsteht durch entsprechende Erfahrungen und Erfolge der Akteure oder durch die Glaubwürdigkeit ihres Auftretens, also etwa durch die Übereinstimmung von Reden und Handeln, durch uneigennütziges und unparteiliches Engagement und durch die Verkörperung jener Werte, die im Rahmen der Deeskalationsbemühungen von den Konfliktparteien gefordert werden (Gewaltlosigkeit, Versöhnung, Toleranz u.a.m.). Religionsbasierte Institutionen und Personen sind häufig Bindeglieder zwischen politischer Ebene und Gesellschaft oder zwischen verfeindeten Staaten, zumal wenn diese mehrheitlich derselben Religion angehören. Deswegen werden sie von den Konfliktparteien oftmals als nicht-parteiisch angesehen und akzeptiert.

c) Konfliktnähe: Nähe der Akteure zum Konflikt wird hier verstanden als eine Form glaubhafter persönlicher Verbundenheit mit dem Konflikt und den betroffenen Menschen. Dieser schwer operationalisierbare Aspekt geht über die Kenntnis des Konflikts und der Situation der Bevölkerung hinaus; es geht auch um das Empfinden innerer Anteilnahme. Präsenz und humanitäres Engagement in der Konfliktregion sind hier wichtig, aber nicht zwingend. Die Nähe zu den Menschen kann auch in einer eher spirituell-emotionalen als realen Verbundenheit bestehen, wie sie Religionsführer häufig qua Amt genießen (etwa der Papst als »Heiliger Vater«).

Vertrauensvorschuss für religionsbasierte Akteure

Die genannten gemeinsamen Merkmale lassen sich auch als Formen des Vertrauens in die Eignung intervenierender Akteure beschreiben, aufgrund dessen diese von den Konfliktparteien als Vermittler/Konfliktbearbeiter akzeptiert werden: Fachkompetenz ist gleichbedeutend mit Vertrauen in die fach- und konfliktspezifische Qualifikation des religionsbasierten Akteurs; Glaubwürdigkeit entspricht dem Vertrauen in seine ethisch-moralische (»charakterliche«) Qualifikation; Nähe bzw. Verbundenheit lässt sich als Vertrauen in die emotionale Qualifikation des religionsbasierten Akteurs beschreiben.

Diese Vertrauen konstituierenden Merkmale müssen im Prinzip von religiösen und säkularen Akteuren der konstruktiven Konfliktbearbeitung gleichermaßen erfüllt werden. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass die religionsbasierten Akteure in den identifizierten Konfliktbeispielen einen Vertrauensbonus gegenüber nichtreligiösen Akteuren genießen, vor allem hinsichtlich ihrer moralisch-ethischen Konfliktkompetenz. Offenbar trägt der religiöse Charakter dieser Personen oder Institutionen maßgeblich dazu bei, dass die Konfliktbeteiligten Vertrauen in deren fachliche und konfliktspezifische, ethisch-moralische und emotionale Qualifikation fassen. Einige ursächliche Aspekte drängen sich aus zahlreichen Fallstudien auf:

In allen Religionen gibt es Schriftstellen, Interpretationen, Überlieferungen und Traditionen, die Frieden fordern und Gewalt ablehnen. Die Berufung auf religiöse Quellen und Traditionen gilt darum in allen Religionen und Kulturen - trotz gegenteiliger Beispiele - als nachvollziehbare und respektable Begründung für den Einsatz für Frieden und Gewaltlosigkeit. Dies gilt auch, wenn Konfliktparteien und intervenierende Akteure unterschiedlichen Religionen angehören.

Religionsbasierte Akteure unterstreichen ihr umfassendes Konfliktverständnis, indem sie nicht nur »harte Fakten«, sondern auch tiefer liegende Konfliktdimensionen wie Moral und Verantwortung, Schuld und Vergebung, Verletztheit und Versöhnung zur Sprache bringen. In diesen Themen wird religiösen Akteuren ein Kompetenzvorsprung gegenüber säkularen Akteuren zugesprochen bzw. unterstellt.

Religionsbasierte Akteure gelten sehr oft als (hinreichend) unabhängig und gerecht, zudem werden bei ihnen seltener eigennützige materielle oder machtpolitische Interessen vermutet. Säkulare Akteure sind hier sehr viel größerem Misstrauen ausgesetzt, zumal wenn sie aus dem Ausland kommen oder vom Ausland finanziert werden.

Religion bzw. Religiosität genießt also in aller Regel (zumindest auch) ein positives Ansehen, und zwar über religiöse oder konfessionelle Grenzen hinweg. Äußerlich erkennbar ist dies beispielsweise an dem besonderen Respekt, der religiösen Würdenträgern oder heiligen Stätten entgegen gebracht wird; sie anzugreifen gilt zumeist als Tabu und stößt auch bei andersreligiösen Konfliktparteien in der Regel auf Ablehnung.

Hier ist freilich nicht zu übersehen, dass in manchen Konflikten gerade die Religions- oder Konfessionszugehörigkeit des Konfliktgegners der Gewaltlegitimation dient, selbst wenn es dabei im Kern um politisch motivierte Machtkämpfe geht. Allerdings sind solche Konflikte bei genauer Betrachtung noch immer die Ausnahme. Zudem ist auch in diesen Auseinandersetzungen häufig zu beobachten, dass Angriffe auf Gotteshäuser und Geistliche eine »rote Linie« darstellen, die nur sehr selten überschritten wird (vgl. Nordirland, Irak, Israel/Palästina).

Wie Religion bzw. Geistliche in besonderer Weise respektiert werden, so werden auch Friedensakteure, die sich explizit und glaubwürdig auf ihre religiöse Überzeugung berufen, in besonderer Weise geachtet: Sie erfahren »Vorab-Respekt« und haben einen Vertrauensbonus. Infolgedessen werden religionsbasierte Personen, Gruppen oder Institutionen als konstruktiv intervenierende Drittpartei akzeptiert, wo säkulare Akteure gescheitert oder zurückgewiesen worden waren. Selbstverständlich müssen sie sich des Vertrauens würdig erweisen, es also durch die erläuterten Qualifikationen bestätigen und unterstreichen. Allerdings haben sie es wesentlich leichter, überhaupt die Aufmerksamkeit von Konfliktparteien und ein Mindestvertrauen zu gewinnen; die Hürden sind niedriger, Skepsis und Vorbehalte geringer.

Religionsbasiertheit qualifiziert also nicht per se für eine kompetente und erfolgreiche konstruktive Konfliktbearbeitung, kann aber als der entscheidende »Türöffner« bei den Führern von Konfliktparteien wie in der Bevölkerung fungieren. Darum sind Institutionen der zivilen Konfliktbearbeitung und Vertreter der Konfliktparteien, internationale Organisationen (wie die UNO) und indirekt betroffene Drittstaaten gut beraten, bei ihren Friedensbemühungen nach geeigneten religiösen Kräften Ausschau zu halten und sie einzubeziehen.

Hindernisse religionsbasierter Friedensarbeit

Obschon religionsbasierte Konfliktbearbeitung in faktisch keinem Konflikt bzw. Konfliktkontext a priori als aussichtslos betrachtet werden darf, lassen sich Merkmale von Konflikten, Akteuren oder Interventionen identifizieren, die eine erfolgreiche Konfliktbearbeitung erschweren oder behindern können. Daraus ergeben sich wiederum Schlussfolgerungen für (säkulare) zivile Konfliktbearbeitung und Politik, die zugleich auf weiteren Handlungs- und Forschungsbedarf verweisen:

Fehlende finanzielle, technische oder personelle Ressourcen der religionsbasierten Akteure verhindern die Ausbildung von Fachleuten, eine professionelle (internationale) Netzwerkarbeit, größere Öffentlichkeitskampagnen, den Unterhalt eigener Medien, weiterreichende Aktivitäten bspw. im Bereich der Jugend- und Bildungsarbeit oder Menschenrechts- und Wahlbeobachtung, Projekte der Gewaltprävention oder Versöhnungsarbeit und dergleichen mehr. Ohne unterschiedlichste externe Unterstützung wäre ein Großteil religionsbasierter Konfliktinterventionen gescheitert.

Konfliktvermittlungen erfolgen zumeist unter Federführung interner religionsbasierter Akteure; auch externe Mediatoren sind auf die Unterstützung interner Partner angewiesen. Voraussetzung ist aber, dass solche internen Institutionen, Initiativen oder Personen überhaupt zur Verfügung stehen. Sie müssen durch frühzeitige Organisation, Kooperation, Vernetzung, Schulung etc. aufgebaut und durch Kontakte zu politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren (insbesondere Medien) ergänzt werden.

Mangelnde religiöse Bildung in der Gesellschaft kann es politischen Führern zwar erleichtern, Religion konflikt- und gewaltverschärfend zu instrumentalisieren, wie Scott Appleby etwa mit Blick auf Bosnien feststellt (Appleby 2000: 64-71). Das Konfliktverhalten der ruandischen Moslems (1994) und die gewaltlosen Bewegungen in Kambodscha oder auf den Philippinen zeigen allerdings, dass verbreiteter »religiöser Analphabetismus« (Appleby) weder zwangsläufig zu Gewalteskalation führt noch ein Hindernis sein muss, um Menschen für Frieden und Versöhnung zu mobilisieren. Problematisch ist jedoch eine einseitige religiöse Bildung, die nur die konfrontativen und Gewalt verherrlichenden Elemente einer Religion vermittelt. Darum würde es eine konstruktive Konfliktbearbeitung und deren gesellschaftliche Unterstützung erheblich fördern, wenn das Wissen über die friedensorientierten Aspekte und Traditionen der eigenen - und natürlich auch der anderen - Religion(en) größer wäre.

Eine besondere Verantwortung tragen dabei selbstverständlich geistliche Führer und religiöse Oberhäupter. Sie genießen in der Regel große Aufmerksamkeit und ihr Wort hat inner- wie interreligiöses und politisches Gewicht. Gemäßigte Kräfte müssen ausfindig gemacht und unterstützt werden. Sie müssen als religiöse Dialog- und Kooperationspartner gestärkt werden, wo andernfalls intolerant-fundamentalistische Strömungen Gesellschaft und Politik dominieren. Dieser »Kampf um die Köpfe« muss jedoch frühzeitig einsetzen, damit gemäßigte Kräfte schon bei den ersten Anzeichen eines Konfliktes diesen aktiv in die Bahnen einer friedlichen Bearbeitung lenken können.

Der »Kampf um die Köpfe« ist aber nicht weniger hierzulande zu führen: In Schulen und Universitäten, in Parlamenten und Parteien, in Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit und der politischen Bildung, bei Medien und Militärs und nicht zuletzt bei den Religionen, in den Kirchen. Dem guten Willen zum Friedensengagement oder zur interreligiösen Annäherung, gar Kooperation - auf welcher politischen Ebene auch immer -, fehlen oftmals die guten Beispiele, die ermutigenden Vorbilder. Genauer: Es fehlt das Wissen um diese Vorbilder. Das durchaus verbreitete (religiös oder humanistisch gespeiste) Gefühl einer Verantwortung für den Frieden hat keine empirische Basis, keine Verankerung in der friedenspolitischen Praxis. Guten Ansätzen und Anläufen mangelt es vielfach an Substanz, Tragfähigkeit und Durchhaltevermögen. Ohne gute (politische) Argumente und ohne Hoffnung machende Beispiele aus der Praxis ist der täglichen Entmutigung durch die neuesten Kriegsberichte aber kaum Stand zu halten.

Literatur

Appleby, Scott (2000): The ambivalence of the sacred. Religion, violence and reconciliation. Lanham, Mass.: Rowman & Littlefield.

Huntington, Samuel .P. (1993): The clash of civilizations, in: Foreign Affairs, 72 (2), 22-49.

Weingardt, Markus A. (2007): RELIGION MACHT FRIEDEN. Das Friedenspotential von Religionen in politischen Gewaltkonflikten. Stuttgart: Kohlhammer.

Dr. Markus A. Weingardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg, sowie bei der Stiftung Weltethos, Tübingen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/3 Religion als Konfliktfaktor, Seite