W&F 2002/2

Religion, Islam, Christentum und Terror

von Claudia Haydt

In Wissenschaft und Frieden 1/2002 befasste sich Dr. Werner Thiede, Privatdozent im Fach Systematische Theologie, mit »Religiösen Hintergründen des Terrors«. Einige seiner Positionen haben in der Leserschaft von W&F zum Teil heftige Gegenreaktionen hervorgerufen. Claudia Haydt, Religionswissenschaftlerin, setzt sich mit den Positionen Thiedes auseinander.
Werner Thiede zitiert Huntingtons »Zusammenprall der Kulturen« und geht sofort noch einen Schritt weiter, indem er die Frage stellt, ob es sich wirklich um einen Zusammenprall handele oder ob der Westen sich nicht vielmehr nur gegen die „wachsende Aggressivität“ des „fundamentalistischen Islamismus“ verteidige. Diese »Verteidigungstheorie« wird dann noch untermauert mit der Formulierung, die „Beteuerungen westlicher Politiker, keinen »Zusammenprall der Kulturen« zu wollen, sind glaubwürdig, weil ihrem freiheitlich demokratischen Grundkonzept entsprechend.“ (W&F 1/2002, S. 30)

Die Aggression geht also von den »anderen« aus. Kein Wort von der wirtschaftlichen und militärischen Dominanz des Westens, von seiner kulturellen Hegemonie; von alledem, das dazu führt, dass sich viel mehr nicht-westliche Länder vom Westen bedroht fühlen müssen als umgekehrt. Kein Wort davon, dass häufiger Christen gegen Christen gekämpft haben und Muslime gegen Muslime als die beiden Gruppierungen gegeneinander. Kein Wort davon, dass ein »Konflikt der Kulturen« nicht zwangsläufig ist; dass sich im Gegenteil Kulturen auch befruchten können, dass sie den Horizont erweitern und gemeinsam zur Lösung von Menschheitsproblemen beitragen können.

Für Thiede spielt die »aggressive Auslegung« im Islam eine aktuelle Rolle, während das Christentum seine Aggressivität längst überwunden hat, für ihn ist der christliche Friedensbegriff Religionen und Kulturen übergreifend, beim Islam nährt er den Eindruck, dass mit dem Friedensbegriff nur ein „Frieden unter den Herrschaftsbedingungen des Islam selbst gemeint“ sein könne (W&F, S. 32). Diese einseitige Schuldzuweisung zieht sich durch den gesamten Artikel und ist in meinen Augen geeignet, die Bildung von Vorurteilen und Feindbildern zu verstärken.

Thiede arbeitet mit einem essenzialistischen Religionsbegriff. Für ein Verständnis der Funktionen und der Funktionalisierbarkeit von Religionen ist jedoch der soziopolitische Kontext meist aufschlussreicher als die Frage nach dem »Charakter« der jeweiligen Religion. Wer Religionen überhaupt vergleichen möchte, der sollte bitte nur tatsächlich Vergleichbares vergleichen. Also: Schrift mit Schrift, Auslegungsgeschichte mit Auslegungsgeschichte, religiöse Praxis mit religiöser Praxis, Mainstream mit Mainstream, Extrempositionen mit Extrempositionen usw. Insgesamt darf niemand aus den Augen verlieren, dass die religiöse und gesellschaftliche Realität bei »den anderen« mindestens so komplex und auch wandelbar ist wie bei »uns«.

Verhältnis von Religion und Gewalt

Werner Thiede hat an einem Punkt Recht: Religion und Terror schließen sich nicht grundsätzlich aus. Genau hier beginnt die spannende Frage des Verhältnisses von Religionen zur Frage von Gewaltanwendung, zur Frage danach, ob es religiöse Begründungen von Gewalt, Krieg und Terror gibt und welchen Stellenwert diese Begründungen haben. Und weil die Träger organisierter Gewalt in der Regel staatliche oder/und politische Akteure sind, geht es schließlich um die Frage des Verhältnisses von Religion und Politik. Leider nehmen sowohl im Christentum als auch im Judentum oder im Islam die VertreterInnen eines völligen Gewaltverzichtes eine Minderheitenposition ein.

Religion ist natürlich nicht gleich Moral. Aber Religionen stellen in der Regel moralische Ansprüche an ihre AnhängerInnen. Sie geben mehr oder weniger explizite Anweisungen dafür, wie das menschliche Miteinander zu regeln sei, z.B. welche Pflichten ein Individuum der Gemeinschaft gegenüber hat, wie mit Fremden umgegangen werden sollte und wie mit Schwachen. Der Schutz der Schwachen und Wehrlosen ist im Islam, Christentum und Judentum sowie in vielen anderen Religionen etwas, das von den Gläubigen eingefordert wird – im Koran mindestens so deutlich wie im Neuen Testament. Wer also die Anschläge des 11. September interpretiert als einen Anschlag von Kriminellen auf wehrlose Zivilisten, der kann daraus folgern, dass es hierfür keinerlei religiöse Begründung gibt.

Leider ist die Realität wohl nicht so einfach. Der Öffentlichkeit liegt zwar bis heute kein Bekennerschreiben vor, aber es gibt doch wohl einige Indizien dafür, dass es sich um politisch motivierte Terroranschläge handelte. Wobei das deutlichste Indiz für mich immer noch die Auswahl der Ziele ist, die sowohl symbolisch als auch konkret für militärische und ökonomische Herrschaftsansprüche der westlichen Welt stehen/standen.

Kann es für einen politisch motivierten Massenmord religiöse Begründungen geben? Ja, wobei eine solche Antwort nicht nur auf arabisch gegeben werden kann, sondern auch auf Englisch, Latein, Hebräisch oder Sanskrit. Und leider ist der 11. September kein Präzedenzfall. Allein die christlichen Kirchen haben eine lange Tradition der Durchführung oder der Beihilfe zum Massenmord: Inquisition, Verfolgungen von Hexen und Häretikern, Kreuzzüge, Judenverfolgung, unsägliche Verquickung von Missions- und Kolonialgeschichte bis hin zur Segnung der Atombomben, die auf Nagasaki und Hiroshima geworfen wurden.

Jenseits von Gut und Böse

Thiede versucht seinen LeserInnen klar zu machen, dass das Christentum aufgrund seiner Botschaft weniger zu Terrorismus oder Unterstützung von Terrorismus einlädt als der Islam. Und als Beweis für muslimische Blockbildung gegen die »Feinde des Islam« nennt er die Proteste gegen die Bombardierung Afghanistans, die in der Türkei, im Iran, in Pakistan, Indonesien und auf den Philippinen stattfanden. Diese Beweisführung ist aus vielen Gründen abzulehnen, erstens handelt es sich bei den Philippinen um ein fast vollständig katholisches Land, zweitens haben auch in anderen Ländern (auch nicht islamischen Ländern) Menschen gegen die Militärschläge demonstriert und drittens ist eine Demonstration gegen die US-Militärpolitik noch längst keine Demonstration für Terrorismus (auch wenn Präsident Bush ein großer Fan dieses dualistischen Weltbildes ist). An der Stelle sei daran erinnert, dass die Unterscheidung zwischen Krieg und Terror ohnehin meist eine Frage der Definitionsmacht ist: „Es ist ein schwerer analytischer Fehler, zu sagen (…), dass Terrorismus eine Waffe der Schwachen sei. Wie andere Formen der Gewalt, ist er vor allem eine Waffe der Starken (…). Er wird deswegen für eine Waffe der Schwachen gehalten, weil die Starken auch das Wertesystem kontrollieren und ihr Terror nicht als Terror gilt.“1

»Der Islam« wird bei Thiede pauschal und ahistorisch beurteilt, ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen geographischen, kulturellen und sozioökonomischen Kontexte, in denen er vorkommt. Beim Christentum dagegen wird jedes Indiz für Gewaltbereitschaft – meist korrekterweise – differenzierter betrachtet: Die Kreuzzüge seien ein »Irrglaube« und entstanden aus dem „Ineinander von weltlicher und kirchlicher Macht im damaligen Papstamt“, der „Weltherrschaftsanspruch Gottes“ sei nur eschatologisch zu verstehen, der Konflikt in Nordirland sei nur ein „vergleichsweise lokales“ (!) Phänomen und habe mit dem Christentum nichts zu tun, der gelegentlich vorkommende Bezug des Neuen Testaments auf Krieg und Schwert sei nur spirituell zu verstehen und christlicher Fundamentalismus kann auch „wirklich gefährlich“ sein, er bilde aber „in aller Regel keinen Nährboden für einen sich neutestamentlich legitimierenden Terrorismus“. Alle Gewalt- und Gräueltaten, die mit dem Christentum begründet wurden – nur Fehlinterpretationen? Und diejenigen, die mit Islam begründet wurden, entsprechen dessen Wesen?

Es gibt viele Fakten, die diese Position fraglich machen. Hier nur einige wenige Einwürfe:

Nicht nur das Christentum kennt die Gottesherrschaft als eschatologisches Konzept, auch das Judentum und der schiitische Islam kennen solche Traditionen. Nach schiitischer Überzeugung kann aufgrund der momentanen Unsichtbarkeit des Imam bis zu dessen Wiederkunft kein Dschihad im Sinne einer kriegerischen Ausbreitung der Glaubensordnung stattfinden. Inwieweit (auch sehr eindeutige) Konzepte allerdings die Auslegungsgeschichte und schließlich die politischen Positionen der jeweiligen religiösen Institutionen und der Gläubigen bestimmen, das ist in der Regel weniger eindeutig – bei jeder der genannten Religionen. Nicht nur das Christentum kennt »Kampf« als spirituelles Konzept. Dschihad (sinngemäß »Anstrengung«) wurde und wird im islamischen Kontext ganz überwiegend spirituell als Anstrengung in Richtung auf moralische und religiöse Vollkommenheit interpretiert und das, obwohl im Koran selbst Dschihad häufig im militärischen Kontext genannt wird. Ein klares Beispiel dafür, dass religiöse Texte nie ohne ihre Auslegungsgeschichte betrachtet werden dürfen!

Thiede allerdings argumentiert bezüglich des Christentums meist nur mit der Schrift, interessanterweise verlässt er diese Spur bei der Frage der Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Bei der Frage des Missionsauftrages ist das Neue Testament sehr eindeutig. Zum Glück haben sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts in der christlichen Auslegung dieses Missionsanspruchs die weniger aggressiven Interpretationen durchgesetzt – aufgegeben wurde der christliche Missionsgedanke damit noch lange nicht; selbst die Frage der so genannten Judenmission ist längst noch nicht überholt. Der Koran enthält klare Toleranzgebote und auch die soziale Praxis war i.d.R. eine des respektvollen Umgangs mit anderen Schriftreligionen. „Es gibt keinen Zwang in der Religion.“ (Sure 2,256)

Um nochmals zur Interpretation des Dschihad als »Heiliger Krieg« zurückzukommen – diese Interpretation lässt sich nur für die expansive islamische Anfangszeit aufrecht erhalten und in der Übersetzung als »Heiliger Krieg« tauchte der Begriff 1857 das erste Mal auf, als sich die englische Kolonialmacht den Mutiny-Aufstand der einheimischen Truppen in Indien besser durch den Dschihad-Gedanken erklären konnte oder wollte als durch das Bemühen nach Dekolonisierung.2

Thiede macht das, was jeder Konstrukteur von Feindbildern macht, er konstruiert einen Mythos der Konfrontation, er erklärt »die anderen« zu einer homogenen Gruppe und identifiziert schließlich die gesamte Gruppe mit der extremistischsten Ausprägung. Auf der anderen Seite sieht er beim Westen nur die hehren Ziele, die großen Ansprüche.

Was nicht in dieses Konzept passt wird weginterpretiert.

Auf diesem Wege wird legitimiert, dass »die eigenen Reihen« geschlossen und kampfbereit sein müssen – »die anderen« sind es ja auch. Der »Kampf gegen den Terror« kann beginnen – wenn nötig überall auf der Welt!

Die unvollkommene Säkularisation

Säkularisation war und ist eine wichtige Kraft, ein wichtiges Ideal in der Entwicklung vieler Staaten. Von einer völligen Realisierung ist sie allerdings noch weit entfernt, ein Blick auf das enge Verhältnis von Staat und Kirchen in Deutschland (Religionsunterricht an staatlichen Schulen, vom Staat eingetriebene Kirchensteuer…) zeigt dies deutlich. Doch laut Thiede neigt der Islam „wie keine andere (Weltreligion) zur Identifizierung von Religion und Politik“(W&F, S. 30). Möglicherweise liegt diese Wahrnehmung u.a. daran, dass hier westlicher Anspruch mit der von Thiede nur mäßig objektiv wahrgenommenen Realität in vielen islamischen Ländern verglichen wird und ihm die »zivilreligiöse« Verquickung von Wirtschaft, Politik und Religion im Westen gar nicht mehr auffällt. Aber wie soll der Rest der Welt wohl den westlichen Anspruch auf religiöse Neutralität und Säkularisation interpretieren, wenn auf jedem Dollarschein überall auf der Welt »In God we trust« zu lesen ist?

Islamismus ist nicht identisch mit Terrorismus

Wer nur nach dem »Wesen« von Religionen sucht, der verspielt die Chance zu verstehen, wie die Lebenslagen von Menschen, der politische Kontext, konkrete Machtverhältnisse usw. ihre Wirkung im Wechselspiel mit religiöser Interpretation, Legitimation oder auch religiöser Kritik entfalten. Dass Islam nicht gleich Terror ist, das gesteht auch Thiede zu; Islamismus, auch politischer Islamismus, ist jedoch ebenfalls nicht pauschal mit Terror gleichzusetzen. Terror ist im Gesamtspektrum des Islamismus ein relativ marginales Phänomen.

Islamismus als einseitige Welle, die auf die westliche Welt zurollt? Wer dies wie Thiede postuliert (W&F, S. 30), der verschließt die Augen vor den realen Machtverhältnissen und verliert so die Möglichkeit die sozialen Dynamiken hinter islamistischen Bewegungen zu verstehen. Der konkret erfahrbare Alltag z.B. für Menschen islamischen Glaubens, die rund um die arabische Halbinsel leben, sieht auch so aus: US-amerikanische Truppen sind seit mehr als einem Jahrzehnt in Saudi-Arabien stationiert (das Land mit den zwei wichtigsten islamischen Heiligtümern Mekka und Medina), seit Jahrzehnten leben Palästinenser unter menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingslagern (obwohl doch die USA als Gegenleistung für die Unterstützung gegen den Irak eine Lösung des Nahostkonfliktes in Aussicht gestellt hatten), undemokratische, korrupte und dekadente Herrschereliten werden vom Westen unterstützt (obwohl dieser doch für Demokratie und Freiheit steht) und die Dynamiken der Globalisierung sorgen – nicht nur in den Großstädten – für zunehmendes Elend und soziale Desintegration.

Das westliche Fortschritts- und Entwicklungsmodell hat sozial und ökologisch verheerende Konsequenzen gezeigt. Vielen Menschen im Westen ist dies klar – zu grundlegenden Veränderungen hat dies bis heute nicht geführt. Viele islamische Länder sind von diesen (nennen wir es einmal pauschal) Globalisierungsfolgen besonders hart getroffen. Millionen von Menschen sind von Armut betroffen, Familienverbände, die traditionellerweise soziale Absicherung boten, sind durch Landflucht aufgelöst. Viele Staaten sind nicht in der Lage dies durch öffentliche Einrichtungen zu kompensieren. Um in dieser Situation die eigene Existenz sichern zu können, sind die Betroffenen auf soziale Hilfeleistungen angewiesen. Islamistische Gruppierungen und Einrichtungen erfüllen diese Bedürfnisse, sie bieten medizinische Versorgung, Rechtsberatung, Bildungseinrichtungen (auch für Frauen), Versicherungen, Banken, Wohnungsvermittlung usw. Islamistische Einrichtungen liefern sowohl konkrete Unterstützung als auch Reintegration in eine soziale Gemeinschaft und versprechen gleichzeitig eine politische Alternative – jenseits westlicher Dominanz und jenseits der eigenen oft korrupten und westlich orientierten Eliten.

Diese objektiven Rahmenbedingungen dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, es sei denn man möchte das Phänomen »Islamismus« nur durch Irrationalität und Fanatismus erklären. Man wird sonst auch nie verstehen können, warum Frauen trotz der rigiden patriarchalen Moralvorstellungen mancher Islamisten zu den wichtigsten Unterstützerinnen dieser Bewegungen gehören. In einer Welt, in der Frauen – selbst wenn sie berufstätig sind – selten soviel verdienen, dass sie sich und ihre Familie allein davon ernähren könnten, ist eine religiöse Struktur, die Männer dazu verpflichtet ihr Einkommen zuhause abzuliefern und es nicht überwiegend für sich zu verwenden oder ihre Familie ganz zu verlassen, für viele Frauen sehr attraktiv.3

Seine Dynamik erhält der Islamismus nicht aus einem Weltherrschaftsanspruch des Islam, sondern aus erlebten Ungerechtigkeiten und Asymmetrien. Es gibt eine Minderheit, die aus diesen Asymmetrien den Schluss zieht, dass Terror eine »gerechte Waffe« im Kampf dagegen darstellt. Wer den Kampf gegen den Terror aber nur als Kampf gegen eine bestimmte Form der religiösen Legitimierung führt, der wird niemals erfolgreich sein, da er die Ursachen des Terrors ausblendet und gleichzeitig in der Form des »Kampfes gegen den Terror« die Argumentation der Ideologen des Terrors noch bestärkt. Diese Sackgasse kann niemand wollen.

Fundamentalismus ist eine christliche Erfindung

Fundamentalismus ist entstanden als sozial-religöse Strömung in den USA um die vorletzte Jahrhundertwende als Gegenposition zu Liberalismus und Modernismus. In den 20er Jahren wurden so genannte Fundamentals formuliert, zu denen auch der Glaube an die Verbal-Inspiration zählt, der bis heute, besonders in den USA, eine beachtliche Verbreitung hat. Aber laut Thiede gibt es den Glauben an die Verbal-Inspiration der Heiligen Schriften nur noch im islamischen Fundamentalismus. Als rigoroser, revitalisierter christlicher Traditionalismus ist er in den USA aber nach wie vor ein wichtiger politischer Faktor, der das erste Mal eindeutig wahlentscheidend war, als die »Moral Majority« für Ronald Reagan teure Kampagnen führte. Auch George W. Bush und sein Vize Dick Cheney wurden von diesem Lager unterstützt.

Christlicher Fundamentalismus und die konservative, zivil-religiöse Interpretation der USA als »God´s Own Country« sind, auch wenn sie eine Fehlinterpretation »christlicher Botschaft« sein mögen, ausgesprochen wirksam, nach innen wie nach außen. Wer das Christentum pauschal zur besseren Religion erklärt, der untermauert, ob er will oder nicht, westlich-christliche Überlegenheit à la Bush, Blair oder Berlusconi. Deren Sendungsbewusstsein (»infinite justice«) und deren dualistisches Weltbild (»Achse des Bösen«) haben ein erhebliches militantes Potenzial (»Crusade against Terrorism« – Kreuzzug gegen den Terrorismus). Sie verwechseln (bewusst?) ständig Normativität und Faktizität, verteidigen vorgeblich Menschenrechte, Demokratie und Freiheit und tragen doch selbst ständig dazu bei, dass die Errungenschaften der Aufklärung im eigenen Land und in ihren Interventionszonen regelmäßig verletzt und abgebaut werden.

Wer nur nach Religion als Konfliktursache sucht und dabei militärische, politische, geostrategische und ökonomische Interessen ausblendet, der muss sich wie Thiede im ideologischen Nebel verirren.

Welche Religion nun die friedlichere, die humanere, schlicht – die bessere ist? Auf diese alte Frage hat Lessing in seiner Ringparabel m.E. die am wenigsten ideologische Antwort gegeben. Da unklar bleibt, welcher Ring (sprich welche Religion) der eigentlich richtige ist, mögen ihre Besitzer durch ihr Handeln den Wahrheitsbeweis antreten. Und diese Beweislage ist längst nicht so eindeutig zu Gunsten der christlichen Kirchen, wie Thiede dies offenbar meint.

Anmerkungen

1) Noam Chomsky, The new War on Terror, in: War is Peace (The Spokesman/Bertrand Russell Peace Foundation 73/2002, S. 31).

2) Vgl. Rudolph Peters (1979), The Islam and Colonialism – The doctrine of Jihad and modern history.

3) Vgl. Birgit Rommelspacher (2001), Globalisierung und Geschlechterverhältnisse, in: Christine Gruber, Elfriede Fröschl (Hg.), Gender-Aspekte in der Sozialen Arbeit, Wien – Czernin Verlag.

Claudia Haydt ist Religionswissenschaftlerin und Soziologin, Mitglied im Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und im erweiterten Vorstand von Wissenschaft und Frieden.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/2 Frauen und Krieg, Seite