Richtig angekoppelt? Militärische Interessen und die geplante US-Weltraumstation
von Dieter Engels, Ekkehard Sieker, Jürgen Scheffran
Am 25. Januar 1984 hat US- Präsident Reagen der NASA den Auftrag gegeben, innerhalb eines Jahrzehnts eine permanent bemannte Weltraumstation zu entwickeln. Die NASA hat u. a. den westeuropäischen Ländern angeboten, sich an dieser Entwicklung zu beteiligen. Der Nutzen der Raumstation für wissenschaftliche und kommerzielle Zwecke ist umstritten. Das Für und Wider einer solchen Unternehmung ist auch in der Bundesrepublik diskutiert worden. 1 Vollkommen ausgeblendet wird jedoch der militärische Nutzen, den die USA aus dem Bau dieser Station ziehen werden.
Die NASA selbst hat das Pentagon auf der Suche nach Finanzquellen heftig umworben. Ziel des NASA- Chefs James M. Beggs war es, eine Raumstation zu entwickeln, um eine „permanente zivile und militärische bemannte Präsenz der USA im Weltraum zu erreichen.“ 2 (Hervorhebung durch d. V.)
Nach seiner Ansicht könnte sich die Raumstation letztlich in einen Kommandoposten oder eine Operationszentrale des Verteidigungsministeriums (Department of Defense – DoD) entwickeln, ebenso wie in ein Lager und eine Basis, von der aus militärische Satelliten gewartet werden könnten. Vermutlich würde es später einmal zwei Raumstationen geben, eine in polaren Umlaufbahnen zur vornehmlichen Nutzung durch das Pentagon und eine in äquatornaher Umlaufbahn, hauptsächlich zur Nutzung für die NASA. 3 Das Pentagon reagierte zurückhaltend. Laut Richard DeLauer, dem Unterstaatssekretär für Forschung und Entwicklung im DoD, sieht sich das Pentagon nicht in der Lage, auch nur eine einzige militärische Aufgabe zu benennen, die man besser mit der Raumstation als durch einen unbemannten Raumflugkörper durchführen könnte. 4 Die Entscheidung der Reagen- Administration für den Bau der Raumstation wurde deshalb ausschließlich mit zivilen Zielen begründet. 5
Die Haltung des Pentagon erklärt sich die Wissenschaftszeitschrift Nature aus dessen Erfahrungen mit der Space- Shnttle Entwicklung: „Das DoD hatte gelernt, daß man, ohne sich an den Entwicklungskosten zu beteiligen, Zugang zu einem attraktiven Weltraumprojekt erhalten könne, in dem man sich uninteressiert gibt.“ 6 Aviation Week and Space Technology nennt weitere Gründe für die öffentliche Zurückhaltung des Pentagon: „Die Hauptbedenken des DoD sind, daß das Projekt die Finanzmittel für Entwicklung generell austrocknen würde und daß Mittel für wichtige Operationen das DoD mit dem Space- Shuttle eingeschränkt werden könnten. Im Weißen Haus wird angenommen, daß der starke Widerstand des DoD Präsident Reagan gelegen kam, um eine Entscheidung für die Station zu treffen, da der Rüstungshaushalt sowieso starker Kritik ausgesetzt war. Hätten DoD und Geheimdienste die Initiative stark unterstützt, hätte sich dies zuungunsten dieses Projekts auswirken können… So konnte das Weiße Haus sich für die friedliche Nutzung des Weltraums stark machen, obgleich die NASA ihre Verbindungen zum DoD während der ganzen Entwicklungsphase aufrecht erhalten wird.“ 7 Sowohl das Weltraumkommando der Luftwaffe als auch das der Marine haben einen Verbindungsoffizier in die NASA-Planungsgruppe entstand, um sicherzustellen, daß die Konzipierung der Raumstation eine mögliche zukünftige militärische Nutzung nicht vonvornherein ausschließt. 8
Trotz der öffentlichen Zurückhaltung des Pentagon existieren massive militärische Interessen am Bau permanent bemannter Raumstationen. Erste Forderungen wurden 1981 unmittelbar nach Reagans Amtsantritt laut. Amerikanische Militärs bedrängten Reagan, beim Kongreß Mittel anzufordern, um in einer ständigen Umlaufbahn um die Erde eine Kommandozentrale des Verteidigungsministeriums einzurichten. 9
Parallel dazu arbeiteten die NASA und das DoD eng zusammen, um die Anforderungen einer Raumstation zu definieren. Als mögliche militärische Missionen wurden unter anderem C3I-Funktionen (C3I = Kommando, Kontrolle Kommunikation und Aufklärung) und der Service von DoD- Satelliten genannt. Das Ausmaß der Beteiligung des Pentagon wollte man jedoch erst nach einer Kosten-Nutzen-Analyse festlegen. 10
Eine Mitte 1983 fertiggestellte Studie der drei US-Waffengattungen konnte eine Reihe neuer militärischer Aufgaben und Technologien identifizieren, die „die Teilnahme des DoD an einer bemannten nationalen Raumstation sinnvoll machen.“ 11 Dabei wird hauptsächlich an eine Nutzung der Raumstation als Forschungslabor gedacht; darüber hinausgehende kurzfristige Nutzungsmöglichkeiten würden ähnlich den zivilen sein: der Bau großer Antennenanlagen oder die Reparatur von Satelliten. 12 Weitere Einsatzmöglichkeiten sieht die Studie im Bereich der Frühwarnung, der Aufklärung und der strategischen Einsatzplanung. Die große Abhängigkeit von der Technik bei der Frühwarnung könnte durch Menschen im All verringert werden, die dann nämlich die Frühwarnmeldungen direkt überprüfen würden. Bestimmte Elemente im Kommando- und Kontrollbereich sowie der Aufklärung könnten besser mit einer bemannten Raumstation durchgeführt werden, und sinnvoll wäre es möglicherweise auch, die heute in Flugzeugen untergebrachten Funktionen des Strategischen Luftkommandos in den Weltraum zu verlegen (Kommandozentrale) 13
Zentrale Bedeutung werden bemannte Raumstationen für die Realisierung des „Star War“-Konzepts zur Raketenabwehr (ABM) bekommen. Die bemannte Raumstation könnte nach den Vorstellungen der Luftwaffe der USA für den Test z.B. der Ziel-, Ortungs- und Verfolgungssysteme für Laserwaffen als auch des Lasers selber genutzt werden. 14 Die gemeinsame Studie der drei US- Waffengattungen stellt heraus, daß die Einrichtungen, die im Weltraum für die Entwicklung von weltraumgestützten ABM-Systemen benötigt werden, ähnlich der Raumstationsinfrastruktur sind, wie sie die NASA in ihren Studien diskutiert. 15 Dies wird auch in dem Fletcher- Report zur Bewertung des Star Wars-Konzepts hervorgehoben. Ein weltraumgestütztes ABM- System würde möglicherweise permanent besetzte Raumstationen erfordern, um die benötigten Radargeräte, die Ziel- und Verfolgungseinrichtungen und die Strahlenwaffen zu bauen und zu warten. 16
Zusammenfassend lassen sich folgende militärische Nutzungsmöglichkeiten identifizieren:
- Militärische Forschungseinrichtung z. B. zur Züchtung von Kristallen zum Bau EMP-gehärteter Halbleitermaterialien
- Aufklärung, u. a. klassische Aufklärungsfunktionen, Überprüfungen von Frühwarnmeldungen, Ozeanüberwachung, Satellitenüberwachung
- Kommandozentrale für strategische Zwecke
- Werkstatt für den Bau von Antennen und zur Wartung von Satelliten
- Startrampe für militärische Satelliten die in geostationäre Bahnen (Satellit hat gleiche Umlaufgeschwindigkeit wie die Erde) gebracht werden sollen
- Testeinrichtung für Techniken zur Satelliten- und Raketenbekämpfung, einschließlich der Waffen.
Es ist unwahrscheinlich, daß die USA auf eine militärische Nutzung einer bemannten Raumstation verzichten werden, wenn vom Pentagon Anforderungen in diese Richtung formuliert werden. Derzeitige Strategie des Pentagons ist es, sich die Option offenzuhalten, zu einem späteren Zeitpunkt als Nutzer der geplanten Raumstation einzusteigen und gleichzeitig die bei dem Bau einer zivilen Raumstation gewonnenen Erfahrungen für den Bau möglicher eigener ausschließlich militärischer Stationen kostenlos zu nutzen. Um die Internationalität der jetzt geplanten Raumstation nicht zu gefährden, könnte sie in zivile und militärische Sektoren unterteilt werden, was durch den vorgesehenen modularen Aufbau der Station gefördert wird. Waffentests für das „Star Wars-Programm“ werden möglicherweise auch erst auf zukünftigen rein militärischen Raumstationen durchgeführt werden. Der Bau solcher Stationen erscheint wahrscheinlich 17 und könnte der Endpunkt einer Entwicklung werden wie sie durch das Space- Shuttle- Programm vorgezeichnet wurde. Das Raumfährenprogramm ist Anfang der 70er Jahre ebenfalls rein zivil begonnen worden und wird heute mindestens zur Hälfte durch das Pentagon genutzt. Im Januar dieses Jahres startete die Raumfähre Discovery erstmals mit einer rein militärischen Fracht. Schließlich wird das Pentagon mit der für 1986 erwarteten Fertigstellung da vierten und letzten Space Shuttle „Atlantiks“ erstmalig über ein eigenes bemanntes Raumschiff verfügen. Diese Raumfähre wird unter dem Kommando der US- Air Force stehen und rein militärische Aufgaben wahrnehmen.
Sollte sich die Bundesrepublik an der geplanten US-amerikanischen Raumstation beteiligen, kann sie in die Situation geraten, an einem militärisch genutzten Weltraumobjekt teilzuhaben, wenn dies vorher vertraglich nicht ausgeschlossen wird. Zu beachten ist auch, daß die westeuropäischen Länder durch eine Beteiligung das notwendige know how erwerben werden, um eventuell in Zukunft eine eigene militärische Raumstation zu bauen.
Anmerkungen
1 Vgl. Die bemannte Raumstation - pro und contra, in Phys. Blätter 40, (1984), Nr 11, S. 339 Zurück
2 C. Coveult, Consensus Nearing on Orbital Facilities, in AWST, 15.2.1982, S. 121 Zurück
7 AWST, 30.11.1984, S. 16 Zurück
9 „Pentagon fordert militärische Kommandazentrale im Weltraum“, in Bonner General-Anzeiger, 9.4.1981 Zurück
10 Department of Defense Authorization for Appropriations for FY 1983, 10.3.1982, S. 4616 Zurück
11 C. Coveult, Defense Department Studies Aid Space Station, in AWST, 3.10.1983, S. 19 Zurück
12 Vgl. M. Wadrop, NASA wants Space Station, in Science, 10.9.1982, S. 1021 Zurück
13 AWST, 3.10.1983, S. 19 Zurück
14 Science, 10.9.1982, S. 1021 Zurück
15 AWST, 3.10.1983, S. 19 Zurück
17 Laut NASA-Manager John Hodge, in Defence Daily, 20.8.1984 Zurück