Es stand in W&F
Zwei Jahre Krieg in der Ukraine
Seit zwei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine – ein Friedensschluss scheint nicht in Sicht. Die noch 2022 für einen Friedensschluss viel beschworene Kriegsmüdigkeit und die Situation eines »gegenseitig schmerzhaften Patts« sind mittlerweile gegeben – der erst kürzlich abgesetzte ukrainische General Saluschnyi hatte dies im November 2023 so benannt. Doch weshalb sehen wir keine konkreten Schritte hin zu einem Friedensschluss?
In Heft 2/2022 thematisierten Paul Schäfer, Marius Pletsch und Marek Voigt die Problematik, dass „der Fokus […] auf »staatliche Sicherheit« [, die][…]Wiederkehr der Abschreckungslogik(en) des Kalten Krieges und [ein][…] »systemisch« apostrophierte[r] Konflikt zwischen West und Ost […] [die] Aufrüstungsdynamik über Jahre an Fahrt gewinnen lassen, Mittel und Aufmerksamkeit binden und Kooperation bei globalen Herausforderungen hemmen oder komplett zum Erliegen bringen [wird]“ (S. 10).
In Heft 3/2022 formulierte Wolfgang Schreiber zu den Bedingungen für Kriegsbeendigung: „Am ehesten lässt sich der Krieg […] mit anderen Kriegen vergleichen, wo eine Großmacht einem vermeintlich militärisch unterlegenen Gegner gegenüberstand. Wenn es keine schnellen Siege gab […] so dauerten diese Kriege vergleichsweise lang. Insbesondere für die Erkenntnis, dass ein Krieg nicht zu gewinnen ist, brauchten Großmächte in der Regel lange“ (S. 14).
In Heft 2/2023 benannte zudem Jonas J. Driedger die Rolle des Territoriums in diesem Krieg. Er machte deutlich, dass Territorialitäts-Konflikte besonders schwierig zu bearbeiten und in einen Friedensschluss zu bringen sind (S. 50).
Dennoch erarbeitete (als exklusive Beilage zu W&F 3/2023) die Friedensorganisation »Inclusive Peace« in einer umfassenden Studie die Vorbedingungen und Notwendigkeiten für mögliche Friedensverhandlungen in der Ukraine – bislang ohne merkliche Resonanz in der deutschen Politik.
Berliner Notizen
Anmerkungen aus dem Politikbetrieb
»Restriktive Rüstungsexportpolitik«?
In ihrer Antwort (20/9686) auf eine Anfrage der ehemaligen LINKEN-Fraktion widersprach die Bundesregierung der Einschätzung, wonach das Rüstungskontrollsystem „nicht restriktiv, sondern unberechenbar ist“. Die LINKE hatte sich zu widersprüchlichen Exportentscheidungen an im Jemenkrieg beteiligte Parteien (bewilligte Lieferung von Transportflugzeugen an die Vereinigten Arabischen Emirate vs. versagte Lieferung von Eurofightern an Saudi-Arabien) erkundigt. Die Bundesregierung verfolge laut Antwort eine restriktive Rüstungsexportpolitik, mit »Einzelfallprüfung« „nach sorgfältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen“. Doch nur wenige Tage nach der Antwort gab die Bundesregierung ihren Widerstand gegen die Lieferung der Eurofighter an Saudi-Arabien auf und genehmigte im Bundessicherheitsrat noch vor Jahresende gar selbst die Lieferung von Lenkraketen zur Bewaffnung der Kampfjets – in klarer Abkehr der im Koalitionsvertrag vereinbarten „wertebasierten Außenpolitik“ und einer „restriktiven Exportpolitik“.
Die voranschreitende Militarisierung – Haushalt 2024
Deutschland wird in diesem Jahr rund 72 Mrd. € für Verteidigung ausgeben – knapp 52 Mrd. € aus dem regulären Verteidigungshaushalt und rund 20 Mrd. € aus dem »Sondervermögen«. Verteidigungsminister Pistorius forderte ganz im Sinne seiner ausgegebenen Formel von der »Kriegstüchtigkeit«, dass trotz des „historischen Höchstwerts“ bei den Ausgaben und einer NATO-Quote von 2,1 % der Verteidigungshaushalt in Zukunft weiter ansteigen müsse. Das Sondervermögen für die Bundeswehr sei „nur ein erster Schritt“. Entsprechend stiegen auch die für die kommenden Jahre vermerkten »Verpflichtungsermächtigungen« auf knapp 49 Mrd. €; diese sind teilweise als Anschlussfinanzierung ab 2028 für Projekte aus dem Sondervermögen gedacht.
Hierzu passte auch die erneut erhobene Forderung der Wehrbeauftragten Högl nach insgesamt 300 Mrd. € für die Ausstattung der Bundeswehr. Die Preisentwicklung auf dem Energie- und Rohstoffmarkt sowie die gestiegene internationale Nachfrage nach militärischer Ausrüstung machten steigende Verteidigungsausgaben auch in Zukunft notwendig. Wenige Wochen später erfolgte im Februar im niedersächsischen Unterlüss unter Begleitung des Bundeskanzlers der Spatenstich für ein weiteres Rheinmetall-Werk zur Fertigung von Munition.
Kommissionen: Friedenspolitische Einschätzungen zu Afghanistan
In der Enquete-Kommission »Lehren aus Afghanistan« wurden im September 2023 internationale Experten gehört. In der Befragung sagte der Leiter der norwegischen Untersuchungskommission, dass der kombinierte Ansatz aus dem Kampf gegen den Terror und Entwicklungshilfe nicht funktioniert habe. Die Taliban hätte man in einem inklusiven Ansatz am besten von Beginn an in einen Friedensprozess einbezogen. Prof. Christoph Zürcher kritisierte, dass die Projekte der Entwicklungszusammenarbeit kein wirksames Instrument für Gewaltverminderung oder für Legitimitätszuwachs für staatliche Strukturen gewesen seien. Zudem sei die Bundesregierung von überambitionierten Zielen nicht abgerückt und habe Grundannahmen, die sich im Lauf der Zeit als nicht zutreffend erwiesen hätten, nicht hinterfragt.
Im Untersuchungsausschuss zu Afghanistan erklärte im November 2023 ein Experte der Berghof Foundation, die Interessen in den Doha-»Friedens«-Verhandlungen seien sehr unterschiedlich, eine kollektive Lösung kaum möglich gewesen. Ein ehemaliger Berater von Präsident Ghani, Nader Nadery, betonte jedoch, die Taliban hätten von Anfang an kein Interesse an den Verhandlungen gezeigt – und seien erst dann pünktlich und entspannt zum Verhandlungstisch zurückgekehrt, nachdem sie vermutlich Garantien von der amerikanischen Seite erhalten hatten.
In einer weiteren Anhörung kritisierte ein Mitglied des internationalen Beraterteams der afghanischen Verhandlungsdelegation, dass ein Friedensschluss viel früher zu erreichen gewesen wäre (u.a. in 2001!). 2021 sei das Ziel der Verhandlungen nie ein echtes Friedensabkommen für Afghanistan gewesen.