W&F 2024/4

Es stand in W&F


Neue Leitlinien Arktispolitik

Heft 1/2024 thematisierte die zunehmende Versicherheitlichung der Arktispolitik, auch wenn ein direkter Konfliktaustrag in der Arktis als unwahrscheinlich betrachtet wurde. Die im September 2024 veröffentlichten neuen »Leitlinien deutscher Arktispolitik« der Bundesregierung bestätigen nun leider diesen Trend: „[V]erstärktes sicherheitspolitisches Engagement im Rahmen von NATO und EU“ in der Arktis ist als primäres Aktionsfeld benannt, Aufrüstungsprojekte in der Arktis sollen aktiv angegangen werden. Noch in vorherigen Leitlinien (2019) galten der Erhalt der konfliktarmen Zone und die Entmilitarisierung der Arktis als zentrale Kriterien für eine nachhaltige Nutzung der Arktis.

KI ist nun im Krieg

Gegen die Entgrenzung bei der Nutzung Künstlicher Intelligenz in der Kriegsführung betonte Elke Schwarz in Dossier 93 (4/2021): „Die Maschinen-Logik hat Grenzen und wir als Menschen haben auch Grenzen im Umgang mit unseren Maschinen. Ohne diese grundlegende Einsicht wird es uns kollektiv schwerfallen, (…) ein Mindestmaß an Menschlichkeit in der Kriegsführung aufrecht zu erhalten.“ Schon jetzt bröckelt genau dieses Mindestmaß: So sprechen Berichte über Zielautomatisierung der israelischen Armee im Gazakrieg (»Lavender« und »Habsora/Gospel«) und die damit einhergehende Entgrenzung der Kriegsführung eine deutliche Sprache. Das Maß der Verfügbarkeit der KI-Modelle und die Anpassung der Rüstungsindustrie auf Systeme mit integrierten KI-Anwendungen, machen das Wettrüsten in diesem Bereich deutlich – eine dazu passende Rüstungskontrollregulierung fehlt vollkommen.

Podcast Fokus Frieden

Im Oktober 2024 ist bei unserem Partnerpodcast »Fokus Frieden« (Friedensakademie RLP) ein Gespräch mit Jannis Grimm erschienen, aufbauend auf seinem Beitrag (3/2024, S. 6-11) zu gewaltfreiem Widerstand und »Disruption« zur Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse.

Berliner Notizen

Anmerkungen aus dem Politikbetrieb


Neue rechte EU-Kommission

Die Auswahl der neuen EU-Kommissare sowie das begleitende Strategiedokument (»Political Guidelines 2024-2029«) der Kommissionspräsidentin machen einen deutlichen Rechtsruck der politischen Führung der EU sichtbar: Viel wurde über die Berufung von Raffaele Fitto diskutiert, der von der Leyens Umarmung nach ganz rechts personifiziert. In den Befragungen der Kommissare traten allerdings noch weitere Entwicklungen deutlich zutage: ein konservativer Backlash zeigt sich auch u.a. in den Äußerungen des ungarischen Kommissars für Gesundheit, der den konservativen sexual- und familienpolitischen Idealen der EVP-Mehrheit ein Gesicht und eine Stimme verleiht. Die Bestrebungen, die EU zu einem militärisch hochgerüsteten Akteur zu machen, wurden in den Aussagen des kommenden ersten Kommissars für Verteidigungsaufgaben, Kubilius, glasklar deutlich.

Auslandseinsätze »evaluiert«

Die Bundesregierung hat im Juni 2024 einen knappen Bericht über die »Evaluation« der Auslandseinsätze der Bundeswehr vorgelegt von nicht einmal vier Seiten. Die Evaluation selbst wird nicht veröffentlicht. Somit ist nicht nachvollziehbar, wie die Bundesregierung zu ihren Schlüssen gelangt. Dies verleiht der Forderung nach transparenter, öffentlicher Evaluation militärischer Einsätze Nachdruck. Aus der Evaluation leitet die Bundesregierung aber neue Prioritäten ab: 1. Priorisierung der Einsätze nach nationalen sicherheitspolitischen Interessen, mit Fokus auf die direkte Nachbarschaft sowie die Sicherung geostrategisch wichtiger Räume und kritischer Handelsrouten. 2. Begrenzte Zielsetzungen von Auslandseinsätzen, die nicht zur Gesellschaftstransformation gedacht seien. 3. Bundeswehreinsätze seien nur ein Mittel im Sinne der »Integrierten Sicherheit«, regelmäßige Einsatzüberprüfung solle Standard werden, Mandate allerdings mehr Flexibilität enthalten. 4. Die »vollumfängliche Ausstattung« der Bundeswehr müsse priorisiert werden. 5. Es bedürfe einer »vorbehaltlosen« Debatte über den Umgang mit komplexer werdenden und von Systemrivalitäten geprägten Vorgängen des Multilateralismus.

Koloniale Kontinuitäten in der Außenpolitik?

Der Auswärtige Ausschuss hat sich im Oktober mit den Auswirkungen des deutschen Kolonialismus auf die aktuelle deutsche Außenpolitik beschäftigt. Die meisten Sachverständigen betonten die besondere Verantwortung, die sich aus den langen Kontinuitätslinien (auch übergenerationell) des Kolonialismus für heutige Politik ergäben (Prof. Speitkamp, Prof. Ziai, Stefan Friedrich). Tanja Manchano betonte auch die essentielle Bedeutung der Erinnerungsarbeit im Inland und die zentrale Rolle der Zivilgesellschaft bei der Ermöglichung dieser Erinnerungswende. Der auf Betreiben der AfD zur Aussprache geladene Prof. Gilley setzte in seiner schriftlichen Ausarbeitung seine wissenschaftlich diskreditierte Position fort, ehemalige Kolonialmächte hätten sich für den Kolonialismus nicht zu entschuldigen, er sei eine prinzipiengeleitete positive Entwicklung gewesen.

Folter in Deutschland

Die »Nationale Stelle für die Verhütung von Folter« stellt in ihrem Jahresbericht 2023 (BT-Drucksache 20/12750) erneut viele Menschenrechtsverletzungen fest. Mitarbeiter*innen der Nationalen Stelle seien immer wieder auf „gravierende Situationen“ und eine „große Anzahl problematischer Inhalte“ gestoßen. Dies umfasst eklatante Lücken in den gesetzlichen Regelungen, die verfassungs- und menschenrechtliche Mindeststandards (u.a. bei Fixierungen) nicht beachteten – oder dies mit Verweis auf »Nichtumsetzbarkeit« verweigerten. Weiter kritisiert die Nationale Stelle unrechtmäßige, teils wochenlange »Absonderungen« von Personen in Psychiatrien und an Isolationshaft erinnernde Unterbringung in »Kriseninterventionsräumen«. Kritisch sieht die Nationale Stelle erneut auch die Missachtung des Kindeswohls bei Sammel­abschiebungen. Vermutlich können viele Fälle von unwürdiger Behandlung oder Folter nicht erfasst werden können, da das Budget keine kontinuierliche und umfängliche Kontrolle zulässt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/4 Eskalationen im Nahen Osten, Seite 4