Rüstung durch die Hintertür
Das EU-Sicherheitsforschungsprogramm
von Sabine Lösing und Jürgen Wagner
Im Jahr 2003 fällte die EU-Kommission die Entscheidung, künftig unter dem Dach des 7. Forschungsrahmenprogramms 2007-2013 (7FPR) einen eigenen Budgetposten für Sicherheitsforschung (ESRP) einzurichten. Die für diesen Zeitraum bereit gestellte Gesamtsumme umfasst 1.4 Mrd. Euro.1 Um die Ausgestaltung dieses Sicherheitsforschungsprogramms zu konkretisieren und erste Projekte auf den Weg zu bringen, wurde eine »Group of Personalities« (GoP) und ein weiteres Beratungsgremium (ESRAB) einberufen. Dies alles geschah ohne irgendeine Beteiligung des europäischen oder eines nationalen Parlaments, geschweige denn der Zivilgesellschaft. Im stillen Kämmerlein konnten sich somit Vertreter der Rüstungslobby sowie staatlicher Sicherheitsorgane daran machen, die künftige europäische Sicherheitsforschungsagenda auszutüfteln. Für die Ausarbeitung einer Zukunftsagenda wurde darüber hinaus im Jahr 2007 das ebenso unrepräsentativ und undemokratisch zusammengesetzte »European Security & Information Forum« (ESRIF) ins Leben gerufen, das im Dezember 2009 seinen 324-seitigen Forderungskatalog vorlegte.
Auch wenn dies sicherlich nicht für jede einzelne geförderte Maßnahme zutrifft, so ist die gesamte Ausrichtung des Sicherheitsforschungsprogramms überaus Besorgnis erregend. Trotz der Tatsache, dass sich dort mit nahezu jedem erdenklichen Aspekt von Sicherheit beschäftigt wird, sind die Lösungen nahezu immer dieselben, wie Ben Hayes von »Statewatch« kritisiert: „Für jeden dieser scheinbar unterschiedlichen Bereiche stellt sich heraus, dass dieselbe Antwort vorgeschlagen wird: Maximierung des Einsatzes von Sicherheitstechnologie; Verwendung von Risikoabwägungen und Modellen, um menschliches Verhalten vorherzusagen (und darauf Einfluss zu nehmen); die Gewährleistung schneller »Antworten auf Störungen«; und schließlich die Intervention, um die Gefahr zu neutralisieren, automatisch, sofern möglich. [...] Was sich hinter der irritierenden Zahl an Aufträgen, Abkürzungen und EU-Politiken verbirgt, ist die rasche Entwicklung eines mächtigen neuen »interoperablen« europäischen Überwachungssystems, das für zivile, kommerzielle, polizeiliche, sicherheits- wie auch verteidigungsbezogene Zwecke eingesetzt werden wird.“ (Hayes 2009: 30)
Eine Forschungsagenda von Lobbyisten für Lobbyisten
Schon durch die Zusammensetzung der entscheidenden Gremien wurde sichergestellt, dass Konzerninteressen ausgiebig Berücksichtigung finden würden. Die Tradition, Firmenvertretern in der GoP und im ESRAB eine maßgebliche Rolle zuzugestehen, fand im ESRIF seine ungebrochene Fortsetzung. So setzen sich sowohl das 65 Personen umfassende Direktorium als auch seine 660 Berater etwa je zur Hälfte aus Industrievertretern (vorrangig von Rüstungsunternehmen) und aus Repräsentanten staatlicher Sicherheitsorgane zusammen.2 Weit und breit finden sich keine Vertreter der Bürgerrechts- oder der Friedensbewegung oder wenigstens der ein oder andere Datenschutzbeauftragte. Mit der Ausarbeitung der Forschungsagenda wurden also genau jene Konzerne und Organe betraut, die am meisten an einer ausufernden Sicherheitspolitik interessiert sind (Nagel 2009: 4).
Da im Sicherheitsbusiness einiges zu verdienen ist - das Auftragsvolumen beträgt weltweit etwa 140 Mrd. Dollar im Jahr 2009 -, besteht eines der Hauptziele der ESRIF-Agenda in der Herausbildung eines international wettbewerbsfähigen europäischen Sicherheitsindustriellen-Komplexes. Bislang verhindere der »fragmentierte Markt« innerhalb der Europäischen Union eine optimale Positionierung im internationalen Wettkampf. „Sollte dies behoben werden, würde dies die Tür für eine globale Führungsrolle auf dem Sicherheitsmarkt öffnen.“ (ESRIF 2009: 13) Folgerichtig will man nicht nur Investitionen der öffentlichen Hand anregen, sondern durch einen einheitlichen europäischen Sicherheitsmarkt das Auftragsvolumen und damit die Wettbewerbsfähigkeit vergrößern: „Durch seine Tätigkeit wird ESRIF dazu beitragen, einen europaweiten einheitlichen Markt für Sicherheitsequipment und Sicherheitsdienstleistungen zu fördern.“ (ESRIF 2009: 245)
Zivil-militärische Vermischung
Ein Hauptkritikpunkt am EU-Sicherheitsforschungsprogramm besteht darin, dass es munter die - sinnvollen und wichtigen - Grenzen zwischen »innerer« und »äußerer« Sicherheit sowie »ziviler« und »militärischer« Forschung verwischt, und zwar gezielt: „ESRIF befürwortet, dass die externe Dimension von Sicherheit auf der Agenda jeglicher künftigen Sicherheitsforschungs- und Innovationspolitik eine große Rolle spielen soll. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten sind Teil einer hochgradig komplexen und interdependenten Welt. Gescheiterte Staaten, Grenzstreitigkeiten, umweltbedingte Migration und Ressourcenkonflikte haben allesamt interkontinentale, wenn nicht globale Auswirkungen. Europa kann diese externen Risiken und Bedrohungen [...] für seine innere Sicherheit nicht ignorieren. [...] Aber dies erfordert auch eine neue Mentalität, um die Zusammenarbeit ziviler und militärischer Autoritäten auszubauen, die in vielen Fällen auf die gleichen Organisationen und Kapazitäten zurückgreifen.“ (ESRIF 2009: 10)
Hier wächst offensichtlich zusammen, was in den Augen derjenigen, die diese Forschungsagenda ausgearbeitet haben, schon lange zusammengehört. Von politischer Seite ist dies jedenfalls explizit gewollt. Auf dem EU-Ratstreffen Mitte November 2009 wurde in der Abschlusserklärung festgehalten: „Der Rat unterstreicht die Notwendigkeit, Synergien hinsichtlich verteidigungs- und sicherheitsforschungsbezogener Aktivitäten zu finden.“
Freier Strom der Güter, nicht der Menschen
In elf Arbeitsgruppen wurden im Rahmen des ESRIF Detailvorschläge für die künftige Sicherheitsforschungsagenda ausgearbeitet. Die größte dieser Arbeitsgruppen beschäftigte sich mit dem »Schutz kritischer Infrastrukturen«, wozu normalerweise sensitive Gebäude (Banken und Behörden), Bahnhöfe, die Energieversorgung, Informationssysteme u.ä. gezählt werden. Das ESRIF erweitert die Definition aber auch auf wichtige »natürliche Ressourcen« und, so sich diese im Ausland befinden, auch auf deren Zuleitungswege. Dabei handele es sich auch um eine „sicherheitspolitische Frage“, weshalb die Forschung einen Beitrag zur Sicherheit von Gütern von der „Farm bis zur Gabel“ leisten müsse. Als Begründung wird angegeben: „Europa ist extrem abhängig vom regionalen und globalen Fluss von Gütern und Menschen.“ (ESRIF 2009: 25)
Allerdings will man dabei nur, dass sich bestimmte - gewünschte - Personen frei bewegen können. Mit dem ganzen Rest beschäftigte sich die ESRIF-Arbeitsgruppe 3 (»Grenzsicherheit«): „Die Hauptaugenmerke im Bereich der Grenzsicherheit sind die effiziente und effektive Kontrolle des Flusses von Menschen und Gütern an Grenzübergängen und die Überwachung der Grenzregionen - zu Lande, zu Wasser und im Luftraum - jenseits dieser Grenzübergänge.“ (ESRIF 2009: 29) Wie ein Blick auf die bislang begonnen Projekte zeigt, zielen viele von ihnen tatsächlich auf eine Verbesserung der Überwachungskapazitäten an den EU-Außengrenzen ab (European Commission 2009).
Militärisches und paramilitärisches Krisenmanagement, die Bekämpfung von Symptomen statt Ursachen steht jedoch nicht nur im Migrationsbereich im Zentrum des Sicherheitsforschungsprogramms. Ein solches Vorgehen ist charakteristisch für eine »Sicherheitsgesellschaft« wie sie von Tobias Singelnstein und Peer Stolle (2008: 75) beschrieben wurde: „Der vormalige Anspruch, zugrunde liegende soziale Konflikte zu lösen, wird zugunsten einer reinen Verwaltung von Problemen durch dauernde Kontrolle aufgegeben.“
Bevölkerungskontrolle innen wie außen
Die ESRIF-Arbeitsgruppe 1 beschäftigte sich mit der »Sicherheit der Bürger«; bei genauerer Betrachtung drängt sich jedoch der Verdacht auf, dass es hierbei eher um die Sicherheit vor den Bürgern geht. U.a. wurde dabei untersucht, wie der „Radikalisierung von Gruppen in der Bevölkerung“ begegnet werden kann. Dabei wird folgende Bedrohungsanalyse präsentiert: „In bestimmten Gruppen der Bevölkerung, die über bestimmte Charakteristika verfügen (zB ethnische Herkunft, Religion, Studenten, Armut) kann sich eine Stimmung von Entfremdung und Ausgrenzung breit machen. Sollten diese Gefühle ignoriert werden, besteht die Gefahr, dass ungewünschte Entwicklungen ausgelöst werden, die zu einer sich verschlimmernden Unzufriedenheit in organisierten Gruppen und Netzwerken führen. Das nächste Stadium könnte die Mobilisierung möglicher Akteure sein, um ihre Rechte zu verteidigen. Am Ende sind gewalttätige Handlungen möglich.“ (ESRIF 2009: 49)
Als ein Teil der künftigen Forschungsagenda soll deshalb die Bevölkerung über die „Grenzen des politischen Aktivismus“ aufgeklärt werden. „Wo befinden sich die so genannten roten Linien sozialer Proteste? Mehr Forschungsanstrengungen müssen darauf verwendet werden, wie weit politischer Aktivismus gehen kann und sollte.“ (ESFRIF 2009: 235) Überschreitet die Bevölkerung diese vom Sicherheitsforschungsprogramm gezogenen roten Linien, so sind bereits jetzt zahlreiche Programme zur Verbesserung der Bevölkerungskontrolle bei Demonstrationen und anderen Großveranstaltungen angelaufen. Ein Beispiel hierfür ist das Sicherheitsforschungsprogramm für die »Automatische Aufspürung abnormalen Verhaltens und von Bedrohungen in bevölkerten Räumen« (ADABTS): „ADABTS zielt auf den Schutz von EU-Bürgern, Eigentum und Infrastruktur gegen Gefahren des Terrorismus, Kriminalität und Unruhen durch das automatische Aufspüren abnormalen menschlichen Verhaltens ab.“ (European Commission 2009: 6f.) Es liegt auf der Hand, dass derlei Fähigkeiten sich auch zur Aufstandsbekämpfung im Ausland bestens eignen (Hayes 2009: 63f.). Nicht nur hier sind die Synergieeffekte zwischen »ziviler« und militärischer Anwendung ebenso offensichtlich wie erwünscht.
Verdeckte Rüstungsforschung
Ganz offen fordert das ESRIF (2009: 38), dass zivile Sicherheitsforschung auch für Militäreinsätze nutzbringend sein sollte: „Aufgrund der hohen Priorität der externen Sicherheitsdimension [...] sollten Forschungs- und Innovationsprogramme Friedenseinsätze sowie humanitäre und Krisenmanagementaufgaben unterstützen.“ Dass man deshalb sogar von einem Etikettenschwindel sprechen kann, wird teils sogar offen eingestanden: „»Sicherheit« ist ein politisch akzeptablerer Weg etwas zu beschreiben, was früher traditionelle Verteidigung war“, so Tim Robinson, Vizepräsident der Sicherheitsabteilung von Thales, der als ehemaliger ESRAB-Vorsitzender maßgeblich an der Ausarbeitung der Forschungsagenda beteiligt war (Hayes 2009: 72).
Nachdem die EU-Verteidigungsminister im Mai 2009 die Verteidigungsagentur damit beauftragt haben, einen »Europäischen Kooperationsrahmen für Sicherheits- und Rüstungsforschung« auszuarbeiten, scheint endgültig klar, wohin die Reise wohl gehen wird. „Dieser neue Rahmen wird die übergreifende Struktur zur Maximierung von Komplementarität und Synergie zwischen Forschungsaktivitäten mit Verteidigungs- und zivilem Sicherheitsbezug bereitstellen.“ (European Defence Agency 2009)
Abschließend sollte noch betont werden, dass das bislang relativ geringe bereitgestellte Budget sich bald erhöhen dürfte. Schon jetzt fordert das ESRIF (2009: 37), die EU solle schnellstmöglich 1 Mrd. Euro jährlich bereitstellen, also den Etat verfünffachen. Grund genug also, diesem Forschungszweig künftig deutlich mehr Beachtung zu schenken, als dies bislang der Fall ist.
Literatur
European Commission (2009): Security Research Projects under the 7th Framework Programme for Research, Brüssel.
European Defence Agency (2009): EDA and Commission to Work Closely Together on Research, Press Release vom 18. Mai 2009.
ESRIF (2009): Final Report, December 2009, URL: http://www.esrif.eu/documents/esrif_final_report.pdf (18.12.2009).
Hayes, Ben (2009): Neoconopticon - The EU Security-Industrial Complex, Statewatch/Transnational Institute.
Nagel, Sarah (2009): Hochschulen forschen für den Krieg, in: Ausdruck - Das IMI-Magazin (Juni), S.1-6.
Singelnstein, Tobias & Stolle, Peter (20082): Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert, Wiesbaden.
Anmerkungen
1) Darüber hinaus sind im 7FPR noch 1.4 Mrd. für »zivile« Weltraumforschung eingestellt, mit denen direkt militärrelevante Forschung betrieben wird (Hayes 2009: 52ff.).
2) Hinzu kommt eine Handvoll Nichtregierungsorganisationen, die sich aber nahtlos, wie etwa die interventionistische Crisis Management Initiative, in diesen illustren Haufen einfügen.
Sabine Lösing ist Mitglied des Europäischen Parlaments, Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung und Redaktionsmitglied von »Wissenschaft & Frieden«.