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W&F 1986/2

Rüstungsforschung an der Gesamthochschule Kassel: Denkwürdig! - Merkwürdig?

von Ralf Schaper

Seit letzten Sommer dringen immer wieder Nachrichten über ein Rüstungsforschungsprojekt aus der Gesamthochschule Kassel (GhK) an die Öffentlichkeit. Das Forschungsvorhaben am Institut für Mechanik ist im Sinne des Drittmittelgebers, des Bundesministers der Verteidigung (BMVg), sicherlich ein ganz normales Projekt, also keineswegs merkwürdig, im Bewußtsein vieler Angehöriger der GhK ist es jedoch sehr denkwürdig, und daher wird es auch für die andere Seite zunehmend des Merkens würdig.

Merkwürdig

Der offizielle Titel des Forschungsvorhabens lautet: „Untersuchungen über Kriterien zum Versagen von Werkstoffen bei ballistischen Beanspruchungen“. Das Wort ballistisch macht natürlich stutzig. Sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in amtlichen Schreiben wurde es von der anderen Seite sehr schnell ausgetauscht. Sogar die Hessische Landesregierung spricht in der Beantwortung einer kleinen Anfrage vor dem Landtag von „...einem Forschungsvorhaben auf dem Gebiet des Materialverhaltens bei hochdynamischer Beanspnuchung“. Der das Forschungsprojekt leitende Professor B. schreibt in einem offenen Brief: „Inhalt des Forschungsvorhabens ist ... eine rein theoretische Untersuchung von mathematischen Modellen zur Beschreibung inelastischen Materialverhaltens unter besonderer Berücksichtigung hoher Verformungsgeschwindigkeiten. Eine Aufgabenstellung, die üblicherweise und ohne jeden Zweifel dem Bereich der Grundlagenforschung zuzuordnen ist und die - wie vieles aus der Hochtechnologie Anwendung bei zivilen wie auch bei militärischen Problemen finden kann.“

Hier tauchen sofort einige Fragen auf: Was wird denn untersucht: Materialien oder mathematische Modelle? Wozu werden Werkstoffe bzw. Materialien ballistisch beansprucht? Falls nicht Werkstoffe untersucht werden sollen, sondern „nur“ mathematische Modelle: Wozu lassen sie sich einsehen und welche Schlußfolgerungen lassen sich aus den Modellrechnungen ziehen? Und: Welches sind die Interessen des Geldgebers an den Modellen?

Die Auseinandersetzungen und Diskussionen um den „Fall“ vollziehen sich formal auf zwei Ebenen: der rechtlichen, d. h. hier insbesondere der personalrechtlichen, und der politischen, also insbesondere der hochschulpolitischen. Natürlich lassen sich die verschiedenen Aspekte nicht streng auseinanderhalten. Des besseren Verständnisses halber seien sie hier jedoch getrennt dargestellt.

Nach Vorgesprächen zwischen Professor B. und dem Bundesminister für Verteidigung beauftragt der BMVg im März 1985 die GhK mit dem o. g. Forschungsvorhaben. Der endgültige Vertrag zwischen GhK und BMVg wird von der GhK erst im Herbst 1985 unterzeichnet. Die Laufzeit des Projektes geht bis Ende 1986. Von den zur Verfügung stehenden ca. 390.000 DM fallen ca. 270.000 DM auf Personalkosten für mindestens zwei wissenschaftliche Mitarbeiter. Und bei diesem Einstellungsvorgang kommt das Projekt nun - natürlich unbeabsichtigt - an die Öffentlichkeit. Ursprünglich plante Professor B., die beiden Mitarbeiter mit sog. „Privatdienstverträgen“ einzustellen. Da jedoch die finanziellen Mittel von der Hochschule verwaltet werden sollten, mußten in diesem Falle sog. „Landesverträge“ aufgestellt werden - und dabei ist der Personalrat zu beteiligen. In intensiven Diskussionen und Gesprächen mit der Hochschulleitung wird der Fall im Personalrat behandelt. Gemäß Hessischem Personalvertretungsgesetz (HPVG) haben Dienststelle und Personalrat „alles zu unterlassen, was geeignet ist die Arbeit und den Frieden in der Dienststelle zu gefährden“. Deshalb und aus anderen mehr formalen Gründen lehnt der Personalrat am 18.6.1985 die Einstellung der beiden Mitarbeiter ab. Am selben Tage läßt sie der Präsident der GhK jedoch einstellen. Gemäß § 60 HPVG kann er „bei Maßnahmen die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden, bis zur endgültigen Entscheidung vorläufige Regelungen treffen“. (Gegen diese Maßnahme klagt der Personalrat mittlerweile in zweiter Instanz.) Gleichzeitig ist ein sog. Stufenverfahren einzuleiten, an dem der Hauptpersonalrat beim Hessichen Minister für Wissenschaft und Kunst und das Ministerium selbst beteiligt sind. Die angerufene Einigungsstelle hat inzwischen aus formalen Gründen der Einstellung der beiden Mitarbeiter widersprochen und sich damit faktisch dem Spruch des Personalrats der GhK angeschlossen. Der Beschluß der Einigungsstelle ist vom Ministerium jedoch bisher nicht umgesetzt worden.

Daß es im Rahmen des normalen Verfahrens, etwa bei der Behandlung des Forschungsvorhabens im zuständigen Fachbereich, zu nicht alltäglichen Begebenheiten kam und auch andere - aber letztlich juristisch nicht relevante - Merkwürdigkeiten passierten, mag einschlägig Interessierte nicht verwundern und sei hier auch nur am Rande erwähnt.

Denkwürdig

Die Gesamthochschule versteht sich als Reformhochschule. Im Konvent besitzen die gewerkschaftlichen Gruppen von GEW und ÖTV zusammen mit einigen studentischen Gruppierungen die Mehrheit.

Im Rahmen der bundesweiten Friedenswoche im Herbst 1983 fand am 20.10. eine Hochschulversammlung statt, auf der der Präsident der GhK, Professor Franz Neumann, erklärte:

„Die Gesamthochschule Kassel muß und will eine Universität des Friedens sein.“

In einer verabschiedeten Resolution heißt es: „Wir erwarten,

  • daß sich alle Hochschulmitglieder in Lehre und Forschung für Frieden und Abrüstung einsetzen,
  • daß sie die Möglichkeit der Forschung für Rüstung und Krieg überprüfen, solche Forschung ggf. ablehnen und publik machen,
  • und daß sie wissenschaftliche Erkenntnisse einsetzen zur Entwicklung von Alternativen zur Rüstungsproduktion.“

Eigentlich hätte es jedeR klar sein müssen, daß aufgrund dieser Resolution sollte sie nicht nur ein schönes Papier für frohe Feste sein - und des Klimas an der GhK die Einwerbung eines Rüstungsforschungsprojektes zu erheblichen Auseinandersetzungen an der Hochschule führen mußte. Mittlerweile gibt es nicht nur zwei Anfragen im Hesssichen Landtag, der Konvent der GhK hat sich zweimal ausführlich mit dem Problem der Rüstungsforschung und dem speziellen Fall beschäftigt. Diskutiert wurde u.a. die gesellschaftliche Verantwortung von WissenschaftlerInnen und die Rolle von Öffentlichkeit und Kommunizierbarkeit von Forschung. Die öffentliche Diskussion war erregt und führte u. a. zu den unvermeidlichen Ausfällen in den Leserbriefspalten der örtlichen Presse. Gefordert wurde von der Mehrheit des Konvents die Rückgabe des Forschungsvorhabens an den Drittmittelgeber. Dies wurde aus formalen Gründen vom Präsidenten und aus inhaltlichen von Professor B. abgelehnt.

Innerhalb der Hochschulen allein können die Probleme der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaftler/inne/n und der Ambivalenz des Technikeinsatzes nicht gelöst werden. Die Gruppen, die an der GhK Rüstungsforschung ablehnen und verhindern wollen, versuchen z.B. durch sozialwissenschaftliche Anteile in den Technikstudiengängen den Studierenden Lösungsansätze darzustellen. Die Gruppen, zu denen Professor B. hochschulpolitisch gehört und die weiterhin Rüstungsforschung an der GhK betreiben wollen, fordern die Reduzierung des Projektstudiums und die Abschaffung eines von zwei Semestern berufspraktischer Studien. Die Einrichtung eines Interdisziplinären Zentrums „Mensch, Umwelt, Technik“ an der GhK versuchen die gleichen Gruppen nach wie vor zu hintertreiben.

Mancher mag jetzt fragen: Was habt ihr denn in den anderen Fällen von Rüstungsforschung an eurer Hochschule getan? Es gibt Vermutungen, daß es auch an der GhK noch andere Beispiele gibt; überzeugend bekannt geworden ist uns jedoch noch kein weiterer Fall. Doch: Gegebenenfalls werden wir uns wieder entsprechend dem hier Geschilderten verhalten und versuchen, die oben erwähnte Resolution zu erfüllen. Solidarität ist dabei hilfreich!

Dr. Ralf Schaper ist Akademischer Oberrat im Fachbereich Mathematik der Gesamthochschule Kassel.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1986/2 Europa wird verteidigt, Seite