W&F 2005/1

Rüstungsindustrie und Hegemonie

von Michael Hennes

Die internationale Politik zu Beginn des 21.Jahrhunderts vollzieht sich im Rahmen einer Hegemonialordnung, bestimmt von den Vereinigten Staaten als einzig verbliebener Supermacht der Welt. Mit der Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush hat die Mehrheit der amerikanischen Wähler der unilateralen Interessenpolitik ihres Präsidenten die Absolution erteilt. Die hegemoniale Machtpolitik der USA folgt den Interessen und Stimmungen einer neokonservativen Mehrheit im Land. Zu den diskreten Nutznießern dieser Politik zählt ein Militärisch-Industrieller Komplex, vor dem bereits 1961 der scheidende US-Präsident Dwight D. Eisenhower gewarnt hat.1

Laut Harry S. Truman waren die Repulikaner schon immer „die Partei der großen Wirtschaftsinteressen.“ 2 Doch überdeckt von den Feindbild-Fixierungen des Kalten Krieges wurde die industriepolitische Dimension der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik weithin übersehen. Wäre die Bipolarität das alles bestimmende Kennzeichen der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, hätte der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa und der Sowjetunion zu einer nachhaltigen Absenkung der Militärausgaben führen müssen. Tatsächlich gelang dies der Clinton-Administration nur über wenige Jahre hinweg.

Die Bush-Administration vertrat umgehend nach ihrem Amtsantritt und noch vor den Terroranschlägen des 11. September 2001 die Geschäftsinteressen der amerikanischen Luft- und Raumfahrtindustrie, die ein zentrales Element der amerikanischen Hegemonie seit dem Zweiten Weltkrieg bildet. Mit den Rüstungsaufträgen des Weltkriegs wurde die amerikanische Luftfahrtindustrie zum größten Industriezweig des Landes.3 Zugleich zeigte der Weltkrieg ganz im Sinne von Keynes, dass sich mit einer Steigerung der Staatsausgaben das Wirtschaftswachstum der USA antreiben ließ. Im Korea-Krieg wurden die Verteidigungsausgaben von der Truman-Administration gezielt als Instrument des »deficit spending« eingesetzt.4 Durch die Demobilisierung nach dem Weltkrieg war die Luftfahrtindustrie allerdings zunächst in große Auftragsprobleme geraten. Während sie 1944 noch 96.000 Flugzeuge hergestellt hatte, sank die Produktion bis 1947 auf 1.800 Maschinen ab5, obschon noch 1948 rund 90 Prozent ihrer Aufträge militärischer Natur waren.6 Die Unternehmen starteten eine öffentliche Kampagne und Präsident Truman beantragte für 1949 deutliche Haushaltssteigerungen für die militärische Luftfahrt.7 Der Korea-Krieg trieb die Militärausgaben auf breiter Front in die Höhe und löste den »Korea-Boom« aus, ehe die Sparpolitik des republikanischen Präsidenten Eisenhower das Land 1954 in eine neue Rezession führte.8

Eisenhower war der letzte US-Präsident vor Bill Clinton, der das nominale Wachstum der US-Militärausgaben nachhaltig eindämmen konnte. Seit der Ära Kennedy stiegen die Militärausgaben kontinuierlich an, in der Ära Reagan gingen sie in ein rasantes Wachstum über. Rechnet man die Preissteigerungen heraus, ergibt sich ein aufschlussreiches Bild: Real stiegen die US-Militärausgaben nur mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Korea-Boom, dem Vietnam-Krieg und in der Ära Reagan deutlich an, anschließend führten die US-Regierungen das Militärbudget wieder ungefähr auf das jeweils vor diesen Wachstumsschüben erreichte reale Ausgabenniveau zurück (vgl. Schaubild, S. 21). Alleine unter den Präsidenten Ronald Reagan ab 1981 und unter George W. Bush ab 2001 konnte das Pentagon und die Rüstungsindustrie ein reales Wachstum der Militärausgaben auch ohne bzw. vor aktuellen Kriegsanstrengungen durchsetzen.

Der Rüstungsboom des George W. Bush

Der wichtigste Indikator für die Bedeutung des Militärisch-Industriellen-Komplexes ist die Entwicklung von staatlichen Forschungs- und Beschaffungsausgaben, die im Gegensatz zu den Personal-, Verwaltungs- und Betriebskosten direkt in die Kassen der amerikanischen Rüstungsindustrie fließen. Auf Grund eines kontinuierlichen, preisbedingten Anstiegs der Betriebskosten und des tariflich bedingten Anstiegs der Personalkosten sinkt in Zeiten stagnierender Verteidigungsausgaben der Anteil der Rüstungsaufträge am Militärhaushalt kontinuierlich ab. Möglich waren Steigerungen der Rüstungsaufträge in den USA seit 1945 also nur durch eine Aufblähung des gesamten Pentagon-Etats. Vor der Ära Reagan gelang dies nur unter dem Druck der Kriege in Korea und Vietnam. Clinton nutzte das Ende des Kalten Kriegs in seinen ersten Amtsjahren für eine Friedensdividende. In der Ära Bush stiegen die Pentagon-Ausgaben für Beschaffung, Forschung und Entwicklung von 95,4 Mrd. Dollar im Haushaltsjahr 2001 auf 138,3 Mrd. Dollar im Haushaltsjahr 2004, also um nominal durchschnittlich 13 Prozent pro Jahr, an.9 Der Rüstungsboom begann unmittelbar nach dem Amtsantritt im Januar 2001.

Die Rüstungsunternehmen waren vital an Ausgabensteigerungen interessiert. Finanziert wird der amerikanische Rüstungsboom seit dem Haushaltsjahr 1999 durch wachsende Defizite im Bundeshaushalt. Zentraler Nutznießer dieser republikanischen Variante eines »deficit spending« ist das Oligopol der amerikanischen Rüstungsindustrie, die im bevölkerungsreichsten Bundesstaat der USA, in Kalifornien, sogar zum größten Industriezweig geworden ist. Der Militärisch-Industrielle-Komplex der USA ist heute eine durch finanzielle Interessen und langjährige Personalunion geschmiedete Verbindung aus den Spitzen der Verteidigungsbürokratie, aus zahlreichen Abgeordneten im US-Kongress mit den Führungsetagen der Rüstungsindustrie, die in den Vereinigten Staaten den Kern der Luft- und Raumfahrtindustrie mit 800.000 gut- bis hochbezahlten Mitarbeitern bildet.10 Das Pentagon kauft etwa ein Drittel aller Produkte dieser Branche, wodurch das seit dem 11. September 2001 in vielen Betrieben defizitäre Geschäft mit der zivilen Luftfahrt aufgefangen wird. Das zentrale Problem der amerikanischen Luft- und Raumfahrtindustrie ist ihre wachsende Konkurrenz aus Europa, die zu einem starken Verlust an Weltmarktanteilen im zivilen Flugzeuggeschäft geführt hat.11 Die Kompensation floss seit dem Amtsantritt von Bush aus den Kassen des Pentagon: Die Ausgaben des US-Verteidigungshaushaltes für Beschaffung, Forschung und Entwicklung liegen seit dem Haushaltsjahr 2002 im dreistelligen Milliardenbereich und erreichten im Jahr 2004 ein Volumen von 138 Mrd. Dollar.12 Der Rüstungsboom unter George W. Bush wurde bereits im November 1994, als die Halbzeitwahlen im US-Kongress zu republikanischen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses führten, eingeleitet.13 Im Wahlkampf hatten die Republikaner explizit gefordert, dass die Verteidigungsausgaben wieder erhöht werden müssten.14

Heute verfügt der Militärisch-Industrielle Komplex über hochrangige Interessenvertreter in der US-Regierung. So wählte der Präsidentschaftskandidat Bush im Frühjahr 2000 den ehemaligen Verteidigungsminister seines Vaters, Richard B. Cheney, zum »running mate«. Mit der Nominierung des Halliburton-Präsidenten war die Aussicht auf ein Aufrüstungsprogramm verbunden: 1997 hatte sich Cheney mit anderen Neokonservativen der Reagan-Ära in einem Think Tank zusammengeschlossen, dem »Project for the New American Century«. Die Gründungserklärung am 3. Juni 1997 unterschrieben unter anderem Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz. Das neokonservative Projekt verkündete, dass die Vereinigten Staaten ihr Militärbudget wieder erhöhen müssten, um auch im 21. Jahrhundert die amerikanischen Interessen in der Welt wirksam sichern zu können.15 Die republikanische Botschaft wurde in der Rüstungsindustrie aufmerksam registriert. Nach den Fusionen der 1990er Jahre besteht die Branche im Kern aus nur noch fünf Großunternehmen: Lockheed-Martin, Boeing, Northrop-Grumman, Raytheon und General Dynamics. Der Vorstandsvorsitzende von General Dynamics, Nicholas D. Chabraja, warf der Clinton-Administration im Oktober 1999 ganz gegen die Gepflogenheiten der verschwiegenen Branche öffentlich vor, mit ihren Haushaltseinsparungen die nationale Sicherheit gefährdet zu haben.16 Für die von einem republikanisch beherrschten Kongress herbeigezwungene Trendwende fand Chabraja Worte des Lobes: „Der Verteidigungshaushalt, der letzte Woche unterzeichnet wurde, beginnt einige dieser Probleme anzugehen. Er beginnt, einen 13 Jahre langen Niedergang der Beschaffungsausgaben zu revidieren – und er erneuert die Verpflichtung der Nation, unseren Kriegern die Waffen zu geben, die sie brauchen. Es ist nur ein Anfang. Aber es ist eine Verpflichtung, die unsere Unterstützung verdient. Nicht nur in diesem Jahr – sondern im nächsten Jahr und in allen weiteren Jahren vor uns.“17

Seither steigen die Rüstungsaufträge stärker als die Inflationsrate an. Mit dem Amtsantritt der Bush-Administration begann ein neuer Rüstungsboom. Donald H. Rumsfeld, der sich nach dem Irak-Krieg deutlich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, zeichnet als Verteidigungsminister alle Rüstungsprojekte ab und schleust sie mit einem engen Kreis von Mitarbeitern durch den Kongress. Die interne Planung und Budgetierung der Programme vollzieht sich im Verborgenen, denn die Details militärischer Projekte stehen bis zur Einführung der Waffensysteme unter Geheimhaltung. Der Rüstungsboom erhielt nach dem 11. September 2001 den »Krieg gegen den Terror« als programmatische Klammer. Doch schon unmittelbar nach seinem Amtsantritt erteilte Präsident Bush dem neuen Verteidigungsminister Rumsfeld den Auftrag, die amerikanischen Streitkräfte auf die neuen Bedrohungen des 21.Jahrhunderts vorzubereiten: „Sie reichen von Terroristen, die mit Bomben drohen, bis hin zu Tyrannen in Schurkenstaaten, welche die Absicht haben, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln.“18 Als militärische Supermacht sind die USA allen Staaten der Welt weit überlegen. Gegen terroristische Angriffe gibt es keine wirklich geeigneten Abwehrwaffen, solange Terroristen nicht den Fehler begehen, eine offene Feldschlacht mit den US-Streitkräften zu suchen. Terrornetzwerke wie El-Kaida nutzen die Möglichkeiten offener Grenzen und tauchen in der zivilen Gesellschaft unter, wie der 11.September 2001 schlagartig verdeutlichte. Für den Rüstungsboom der Bush-Administration gab es keine rationale sicherheitspolitische Begründung. Die groß angelegten Aufrüstungsprogramme sollten vielmehr das amerikanische Machtprestige in der Welt stärken und die nationale Luft- und Raumfahrtindustrie subventionieren.

Die Rüstungsindustrie in der Ära Bush

Verteidigungsminister Rumsfeld verstand sich von der ersten Stunde an als ein Modernisierer, der das Pentagon im Dienste des Hochtechnologiesektors umbauen sollte. Der Minister finanziert seither die Digitalisierung der US-Streitkräfte auf allen Ebenen, womit jedes Jahr Milliardenaufträge an amerikanische Zuliefererbetriebe in der Elektroindustrie und der Softwarebranche fließen. Die Hauptnutznießer sind die fünf Großunternehmen der Rüstungsindustrie:

Der in Bethesda/Maryland beheimatete Rüstungskonzern Lockheed-Martin ist der größte Rüstungshersteller der Welt und erzielt mit 130.000 Mitarbeitern19 über 90 Prozent seines Umsatzes (Geschäftsjahr 2003: 31,8 Mrd. Dollar) aus dem Verkauf militärischer Güter.20 Die wichtigsten Geschäftsfelder sind Kampfflugzeuge (F-16/22), militärische Transportflugzeuge (C-130), Satellitentransporte, Lenkwaffen und Verteidigungselektronik. Von den rückläufigen Beschaffungsaufträgen der Ära Clinton wurde das Unternehmen stark getroffen. In den Geschäftsjahren 1997 bis 2001 brach der Umsatz um 14,5 Prozent ein; durch den Rüstungsboom der Bush-Jahre kletterten die Umsätze in nur zwei Jahren wieder um 32,7 Prozent nach oben.21 Das Jahr des Irak-Kriegs schlug sich äußerst positiv in den Auftragsbüchern nieder, alleine 2003 zog der Umsatz um 19,7 Prozent an. Die Ertragsentwicklung des Unternehmens stellt sich bei Umsatzrenditen von 8,6 Prozent (Cash-Flow 2002) und 6,3 Prozent (Bilanzgewinn 2003) für die Verhältnisse eines Großunternehmens sehr positiv dar.22

Persönliche Verbindungen bis hinein in höchste Regierungskreise sichern den Geldfluss. Die Ehefrau des heutigen Vizepräsidenten der USA, Lynne Cheney, wurde 1994 in den Aufsichtsrat von Lockheed-Martin berufen. Als Cheney im Januar 2001 Vizepräsident wurde, legte seine Ehefrau ihr Mandat im obersten Aufsichtsorgan des Konzerns zwar nieder; bis dahin hatte sie allerdings durch Unternehmensaktien und Tantiemen über 500.000 Dollar verdient.23 Lockheed-Martin sichert seinen Einfluss nach wie vor auch durch direkte persönliche Verbindungen ab. Im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzen z.B. der vormalige Pentagon-Staatssekretär für Rüstungsbeschaffung und ehemalige Staatssekretär der Luftwaffe, Edward C. Aldridge, sowie der frühere NATO-Oberbefehlshaber Gen. Joseph W. Ralston.

Dass amerikanische Rüstungsaufträge zu einem erheblichen Anteil den Charakter von Subventionen tragen, verdeutlicht vor allem das Beispiel Boeing. Das Weltunternehmen aus Chicago leidet seit der Jahrtausendwende unter einem rückläufigen Umsatz im zivilen Flugzeugbau, der sich mit der Krise der Luftfahrtbranche nach dem 11. September 2001 verschärft hat. Das Unternehmen konnte sich nur durch drastischen Personalabbau in den schwarzen Zahlen halten. Als Reaktion auf die Krise im zivilen Flugzeugbau wurde die Rüstungssparte stetig ausgebaut; im Geschäftsjahr 2003 erreichte der Rüstungsanteil am Konzernumsatz nach mehreren strategischen Übernahmen24 einen Wert von 54 Prozent.25 In Südkalifornien ist die Rüstungssparte von Boeing mittlerweile zum größten Arbeitgeber der Region geworden.

Alleine in den Monaten Mai bis August 2003 erteilte das Pentagon dem Luftfahrtriesen drei Multi-Milliarden-Aufträge. Durch gezielte Indiskretionen einzelner Abgeordneter im Kongress und des Wettbewerbers Lockheed-Martin wurden seither aufschlussreiche Details über den Lobbyismus des Konzerns bekannt. Im Mai 2003 beauftragte die US-Air-Force das Unternehmen, 100 Jumbos vom Typ 767 zu Tankflugzeugen umzubauen, die von der Luftwaffe über sechs Jahre geleast und anschließend gekauft werden sollten. Für das Lobbying im Weißen Haus hatte Boeing im Dezember 2001 den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, J. Dennis Hastert, gewonnen.26 Hastert, der für den Boeing-Heimatstaat Illinois im Kongress sitzt, soll Präsident Bush als Gegenleistung für den Auftrag zugesagt haben, die zweite Runde der Steuersenkungen im Repräsentantenhaus durchzusetzen.27 Nach Berechnungen des US-Bundesrechnungshofes war der Leasingpreis für die 100 Tankflugzeuge mit 26 Milliarden Dollar jedoch viel zu hoch angesetzt. Eine komplette Modernisierung der bestehenden Tankerflotte der Luftwaffe wäre um acht Milliarden billiger gewesen.28 Nach heftigem Widerstand im US-Kongress reduzierte Boeing den Gesamtpreis auf 21 Mrd. Dollar, wobei der Vertrag immer noch eine Gewinnspanne von bis zu 15 Prozent vorsah.29 US-Verteidigungsminister Rumsfeld schaffte es mit diesem Zugeständnis, das Projekt durch drei der vier zuständigen Ausschüsse im Kongress zu schleusen.

Im August 2003 machte die unabhängige Haushaltsbehörde des Parlaments publik, dass ein kompletter Neukauf von 100 Tankflugzeugen immer noch um 5,6 Mrd. Dollar billiger als der Leasing-Vertrag wäre.30 Einige Republikaner unter Führung des Bush-Gegenspielers John McCain probten den Aufstand. Am 4. September 2003 verweigerte der Streitkräfteausschuss des Senats die Zustimmung und beauftragte das Pentagon mit einer neuen Kostenanalyse.31 Senator McCain nutzte die Gelegenheit, um seinen Intimfeind Bush mit brisanten Details aus internen Unterlagen von Boeing in Schwierigkeiten zu bringen. Demzufolge verriet die stellvertretende Abteilungsleiterin für Rüstungsbeschaffung bei der US-Air-Force, Darleen Druyun, dem Unternehmen vertrauliche Details über die Konkurrenzangebote von Airbus. Boeing besserte das eigene Angebot nach und im Januar 2003 wechselte Darleen Druyun in das Topmanagement des Konzerns.32 McCain veröffentlichte auch Firmenkorrespondenz über Kontakte zwischen dem Boeing-Management und dem Staatssekretär der Luftwaffe, James G. Roche. Der enge Vertraute des Ministers hatte den Unterlagen zufolge versprochen, dass sich Rumsfeld persönlich für die Projektgenehmigung im Weißen Haus und im Kongress einsetzen werde.33 Am Rande des Skandals wurde zudem bekannt, dass der Flugzeughersteller und seine Angestellten während des Präsidentschaftswahlkampfs 2000 Spenden in Höhe von zwei Millionen Dollar an das Bush-Lager geleistet hatten.34

Mit den Veröffentlichungen schien das Projekt zunächst erledigt zu sein. Der Vorstandsvorsitzende von Boeing, Phil Condit, entließ Finanzvorstand Michael Sears sowie Darleen Druyun und trat später selbst zurück.35 Der Wissenschaftliche Beirat des Pentagon, das »Defense Science Board«, kam im Mai 2004 nach intensiver Analyse zu dem Ergebnis, dass es „weder überzeugendes Material noch überzeugende finanzielle Gründe“ für die neue Tankerflotte gäbe.36 Der geschäftliche Schaden für Boeing war groß, zumal der Hauptkonkurrent Lockheed-Martin im Juli 2003 einen Diebstahl interner Firmenunterlagen durch Boeing bekannt gemacht hatte. Das Pentagon sah sich daraufhin zu einer Vertragsstrafe in Höhe von einer Milliarde Dollar gezwungen.37 Trotzdem erhielt Boeing mit dem »Future Combat System« im Mai 200338 und der Entwicklung einer neuen Flugzeugbombe im August 200339 umgehend zwei neue Milliardenaufträge aus dem Verteidigungsministerium.

Ein aufschlussreiches Beispiel für die Pflege politischer Beziehungen bietet auch Northrop Grumman. Durch den Aufkauf von 16 Rüstungsfirmen zwischen 1994 und 2002 ist das Unternehmen mit Stammsitz in Los Angeles und Filialen in allen 50 Bundesstaaten der USA40 zum weltweit größten Produzenten von Verteidigungselektronik geworden.41 Das zweite Standbein des Unternehmens, das heute mindestens 55 Prozent seines Umsatzes mit Rüstungsgütern erzielt,42 ist der Schiffsbau. Northrop Grumman hat in den Geschäftsjahren 2000 bis 2003 Umsatz und Belegschaft mehr als verdreifacht.43 Der sensationelle Umsatzsprung um 52 Prozent alleine im Geschäftsjahr 2003 ist vor allem durch die bevorzugte Auftragsvergabe des Pentagon zu erklären.

Im Mai 2003 ersetzte Verteidigungsminister Rumsfeld den Staatssekretär der US-Army, Gen. Thomas White, nach wiederholten Differenzen durch den Staatssekretär der US-Luftwaffe, James G. Roche. Die Personalie Roche zeigt an herausgehobener Stelle, wie eng die Bush-Administration mit den Interessen der großen Rüstungskonzerne verflochten ist. Der heutige Staatssekretär James Roche wechselte als Marine-Kapitän 1985 zum Rüstungsproduzenten Northrop und arbeitete sich dort ins Topmanagement hoch; aus der Chefetage von Northrop Grumman berief ihn Rumsfeld 2001 direkt als Staatssekretär an die Spitze der Luftwaffe.44 Bei der US-Air-Force trieb der Experte für Verteidigungselektronik die Digitalisierung der Waffen- und Kommunikationssysteme voran. Die gleiche Aufgabe verfolgte er seit dem Mai 2003 als Staatssekretär des Heeres. Der weltweit wichtigste Produzent der neuen Verteidigungselektronik ist sein früherer Arbeitgeber, das Unternehmen Northrop Grumman.

Lediglich zwei weitere Großunternehmen komplettieren den Kern der amerikanischen Rüstungsindustrie. Raytheon in Massachusetts konzentriert sich seit dem Jahr 2000 ebenfalls immer stärker auf die Rüstungsproduktion und erreicht mittlerweile einen Rüstungsanteil am Geschäftsumsatz von mindestens 60 Prozent.45 Im Geschäftsjahr 2003 konnte das zuvor kriselnde Unternehmen ein deutliches Umsatzwachstum von 8,05 Prozent erzielen.46 Das wichtigste Produkt von Raytheon ist das Patriot-Raketenabwehrsystem. Das Unternehmen ist zugleich Hauptauftragnehmer beim NMD-Programm einer nationalen Raketenabwehr der USA (National Missile Defense). Bereits im Mai 2001 kündigte Präsident Bush den umfassenden Ausbau des Programms an. In den Fünfjahresplan 2003-2007 stellte die Administration ein Programmvolumen von 45,8 Mrd. Dollar ein, was gegenüber dem vorherigen Fünfjahresplan der Clinton-Administration eine Steigerung um 47 Prozent bedeutete.47 Bush drängte darauf, bereits im Oktober 2004 mit der Stationierung der von Raytheon entwickelten Abfangraketen in Alaska und Kalifornien zu beginnen, obschon zwischen 1999 und 2003 nur fünf von neun Testabschüssen unter vereinfachten Versuchsbedingungen stattgefunden hatten.48 Nach wie vor ist das System unausgereift und gilt der strategische Wert als äußerst zweifelhaft. Dem US-Konzern Raytheon aber bringt das Projekt Jahr für Jahr Pentagon-Aufträge in Höhe von mehreren Milliarden Dollar ein.

Seit 1997 baut General Dynamics in Falls, Virginia, seine Rüstungsproduktion kontinuierlich aus. Das Unternehmen ist auf die Herstellung von Kampffahrzeugen (z.B. Kampfpanzer M1-Abrams) und Kriegsschiffen spezialisiert. Für das Jahr 2000 wurde der Rüstungsanteil am Geschäftsumsatz auf über 60 Prozent geschätzt;49 alleine durch die Übernahme der Rüstungssparte von General Motors im Jahr 2002 stieg der Umsatz um 1,1 Mrd. Dollar50 und der Rüstungsanteil auf mindestens 70 Prozent an. Das Unternehmen steigerte im Geschäftsjahr 2003 seinen Umsatz um über 20 Prozent.51

Ein Oligopol der Aufrüstung

Die fünf Großunternehmen bilden ein Angebotsoligopol, das in direktem Zusammenspiel mit dem Nachfragemonopol des Pentagon den Wettbewerb weitgehend auszuschalten versucht. Im Geschäftsjahr 2003 erzielten die fünf Konzerne mit 542.000 Mitarbeitern mit Rüstungsgütern einen Umsatz von mindestens 93 Mrd. Dollar, was gegenüber dem Vorjahr eine Umsatzsteigerung von 19 Prozent bedeutete. Kalkuliert man mit einem Exportanteil von höchstens zehn Prozent des Geschäfts,52 ergibt sich eine aufschlussreiche Zahl: Im Haushaltsjahr 2003 flossen mindestens 70 Prozent der Beschaffungs- und Forschungsaufträge des US-Verteidigungsministeriums (121 Mrd. Dollar) in die Kassen der fünf Großunternehmen. Es handelt sich um eine gezielte Subventionierung eines Oligopols in der amerikanischen Luft- und Raumfahrtindustrie.

Die Rüstungsriesen betreiben einen massiven Lobbyismus in Washington. Sie haben ehemalige Berufsoffiziere auf ihre Lohnlisten übernommen und in die Aufsichtsräte werden regelmäßig pensionierte Generäle berufen. Die Konzerne verteilen ihre Waffenfabriken und –labors über das ganze Land und können dadurch auf die Unterstützung einer großen Zahl an Kongressabgeordneten setzen, die an die Arbeitsplätze in ihren Wahlkreisen denken müssen und auf Wahlkampfspenden hoffen. Streitkräfte, Rüstungsindustrie und ein Teil der Kongressabgeordneten leben diskret in einer Art von symbiotischer Beziehung. Der Militärisch-Industrielle Komplex ist heute ein fester Bestandteil der gesellschaftlichen Elite der USA. Hegemoniale Machtpolitik und wirtschaftliche Interessen der USA hängen bis hinein in die Mikrobeziehungen des Big Business eng zusammen. Das lässt sich nicht nur am Beispiel der Rüstungsindustrie zeigen – die Ölbranche in Kalifornien und Texas unterhält bekanntlich ähnliche Beziehungen.

Anmerkungen

1) Vgl. hierzu auch Hennes, Michael (2003): Der neue Militärisch-Industrielle Komplex in den USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 46/03 (10.11.), S. 41-46.

2) Truman, Harry S. (1956): Memoiren, Bd. II: Jahre der Bewährung und des Hoffens (1946-1953), Stuttgart, S. 191.

3) Hooks, Gregory (1991): Forging the Military-Industrial Complex, Urbana/Chicago, S. 159.

4) Vgl. Note By the Executive Secretary to the National Security Council On the United States Objectives and Programs for National Security (NSC-68), Washington D.C., 14.4.1950. Dok. in: U.S. Department of State, 1977: Foreign Relations of the United States 1950, Bd.1, S. 282-286.

5) Yergin, Daniel (1979): Der zerbrochene Frieden, Lemgo, S. 328.

6) Ebd.

7) Ebd.: S. 328 f.

8) Van der Wee, Herman (1984): Der gebremste Wohlstand. Wiederaufbau, Wachstum und Strukturwandel der Weltwirtschaft seit 1945, München, S. 63-79.

9) Ebd.

10) Vgl. Douglas, John W.: President of the Aerospace Industries Association. Statement before the Subcommittee on Military Procurement. U.S. Congress. House Armed Services Committee, Washington D.C., 19.3.2002 (www.armedservices.house.gov), S. 1.

11) 1985 hielten US-Unternehmen noch 72 Prozent des Weltmarktes, heute nur noch 52 Prozent; vgl. ebd.

12) Ebd.

13) Czempiel, Ernst-Otto (1996): Rückkehr in die Führung: Amerikas Weltpolitik im Zeichen der konservativen Revolution. HSFK-Report 4/96, Frankfurt a.M., S. 5.

14) Ebd.: S. 7.

15) Project for the New American Century (1997): Statement of Principles, 3.6.1997 (www.newamericancentury.org).

16) Chabraja, Nicholas D. (1999): Rede vor dem Economic Club of Washington, 14.10.1999 (www.economicclub.org/pages/archive/fulltext/arch-chabraja.htm).

17) Ebd.

18) Bush, George W.: Address of the President to the Joint Session of Congress, Washington D.C., 27.02.2001, S. 4 (www.whitehouse.gov).

19) Lockheed Martin Reports 2003 Results, 27.1.2004 (www.lockheedmartin.com).

20) Im Geschäftsjahr 2001 erzielte der Konzern nur 6,2 % seines Umsatzes auf dem privaten Markt; vgl. Lockheed Martin 2001: United We Serve, 1.3.2002, S. 67 (ebd.).

21) Lockheed Martin 1999 Annual Report, 24.2.2000; Lockheed Martin Reports 2001 Earnings, 25.1.2002 (ebd.).

22) Ebd.

23) Nach: Vice president-elect’s wife steps down from Lockheed board, in: Washington Business-Journal, 5.1.2001 (www.washington.bizjournals.com).

24) Boeing erwarb 1997 den Flugzeughersteller McDonnell-Douglas und den Raketenbauer Rockwell sowie im Jahr 2000 Teile des Hubschrauber- und Raumfahrtkonzerns Hughes.

25) Der Bilanzgewinn schwankte in den Jahren 2000 bis 2003 zwischen 1,0 und 6,1 % des Umsatzes, der operative Cash-Flow zwischen 6,7 % und 11,6 % (vgl. Boeing Reports 1997, Full Year and 4<^>th<^*> Quarter Results, 27.1.1998 (www.boeing.com).

26) Vgl. Stan Crock/Lorraine Woellert u.a.: Inside Boeing’s Sweet Deal, in: Business Week, 7.7.2003, S. 33.

27) Ebd.

28) Vgl. Robert D. Novak: Pay Dirt For Boeing, in: Washington Post, 29.5.2003, S.A25.

29) Vgl. Stan Crock/Lorraine Woellert u. a.: Inside Boeing’s Sweet Deal, in: Business Week, 7.7.2003, S. 32.

30) Vgl. Leslie Wayne: Heat rises on U.S.-Boeing lease deal, in: International Herald Tribune, 28.8.2003, S. 13.

31) Renae Merle: Alternative to Boeing Tanker Deal Proposed, in: Washington Post, 5.9.2003, S. A4.

32) Peter Pae: Pentagon to Investigate Boeing Jet-Leasing Bid, in: Los Angeles Times, 4.9.2003, S. C4.

33) Vgl. Leslie Wayne: Boeing’s links with Pentagon face new scrutiny, in: International Herald Tribune, 4.9.2003, S. 13.

34) Stan Crock/Lorraine Woellert u .a.: Inside Boeing’s Sweet Deal, in: Business Week, 7.7.2003, S. 33.

35) Leslie Wayne: No need to replace U.S. air tankers, panel says, in: International Herald Tribune, 14.5.2004, S. 15.

36) Zit. n. Renae Merle: New Tankers Not Needed, Report Says, in: Washington Post, 13.5.2004, S. E1.

37) Boeing musste zur Entschädigung sieben Satellitentransporte an Lockheed-Martin abgeben; vgl. US-Air-Force banishes Boeing, in: International Herald Tribune, 26./27.7.2003, S. 10.

38) Das Zukunftsprojekt der US-Army zur digitalen Vernetzung des Heeres erstreckt sich über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren und ist vorläufig auf 14,92 Mrd. Dollar kalkuliert. Der Gesamtwert könnte auf bis zu 100 Milliarden steigen, wenn sich das Heer zur Einführung von unbemannten Kampffahrzeugen entscheiden sollte; vgl. Renae Merle: Boeing Wins Contract for Army Modernization, in: Washington Post, 16.5.2003, S. E1, E10.

39) Die US-Air-Force hat 25.000 Stück zu einem Gesamtpreis von 2,5 Mrd.Dollar in Auftrag gegeben; nach: BOEING CO.: $2,5 billion deal to deliver small bombs over 15 years, in: Chicago Tribune. Online edition, 29.8.2003 (www.chicagotribune.com).

40) Northrop Grumman Reports Record 2002 Fourth Quarter Results, 28.1.2003, S. 3 (www.irconnect.com).

41) Vgl. Seth Lubove, We See You, Saddam, in: Forbes, 6.1.2003, S. 102-108.

42) Berechnet nach Sköns, Elisabeth/Baumann, Hannes: Arms production, in: Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI Yearbook 2003. Armaments, Disarmament and International Security, Oxford, S. 379.

43) Vgl. Northrop Grumman Reports Strong 2000, Year-End And Fourth Quarter Results, 24.1.2001; Northrop Grumman 2003 Annual Report (www.irconnect.com).

44) Vgl. Thomas E. Ricks, Air Force‘s Roche Picked to Head Army, in: Washington Post 2.5.2003, S. A29.

45) Angabe für das Jahr 2000 bei Sköns, Elisabeth/Baumann, Hannes: Arms production, in: SIPRI 2003 (Fn.43): S. 380.

46) Vgl. Raytheon 1998 Annual Report; Raytheon Reports 1999, Full Year and Fourth Quarter Results, 23.1.2000 (www.prnewswire.com).

47) Wolfowitz, Paul: Prepared Statement for the Senate Armed Services Committee Hearing On Military Transformation, Washington D.C., 9.4.2002, S. 2 (www.defenselink.mil).

48) Vgl. Paul Richter: Agency Faults Haste of Missile Defense Development, in: Los Angeles Times, 5.6.2003, S. A8; Bradley Graham: GAO Cites Risks in Missile Defense, in: Washington Post, 5.6.2003, S. A6.

49) Vgl. Sköns, Elisabeth/Baumann, Hannes: Arms production, in: SIPRI 2003 (FN. 43): S. 380.

50) Ebd.: S. 381.

51) Vgl. die Geschäftsberichte unter General Dynamics Fourth Quarter per Share Earning Increase 5 Percent, 27.1.1999 (www.generaldynamics.com).

52) Die gesamten Rüstungsexporte der USA beliefen sich im Jahr 2002 auf 10,241 Mrd. Dollar; vgl. International Institute for Strategic Studies. 2003: The Military Balance 2003-2004, Oxford, Tab.34, S. 341.

Dr. phil. Michael Hennes ist Lehrbeauftragter und Habilitand am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/1 Triebfedern der Rüstung, Seite