W&F 2003/4

Rüstungskontrolle adé?

Brüche und Kontinuität in der US-Politik

von Helmut Hugler

Rüstungskontrolle scheint heute ein Nicht-Thema zu sein. In vielen Bereichen scheint sie zu stagnieren: Bei den Verhandlungen um die Verifikation der B-Waffenkonvention gibt es keine Fortschritte; das Regime der nuklearen Nichtverbreitung ist in den letzten Jahren ausgehöhlt worden; die Kontrolle der Kleinwaffenflüsse ist zwar in aller Munde, die Ergebnisse der Verhandlungsdiplomatie stimmen aber eher pessimistisch. Blättert man in den Ausgaben des jährlich erscheinenden Friedensgutachtens, stößt man regelmäßig auf Befunde zur »Krise der Rüstungskontrolle«. Zugespitzt kann man heute fragen, ob die Krise der Rüstungskontrolle nicht bereits vorbei ist, weil das Thema Rüstungskontrolle als kooperativer Politikansatz in der praktischen Politik wesentlicher Staaten, vornehmlich der USA, gegenwärtig keine Rolle mehr spielt. Dieser Befund mag zu pessimistisch sein. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes konnte immerhin ein Großteil der Altlasten des Ost-West-Konfliktes durch Rüstungskontrolle erfolgreich beseitigt werden und im Bereich der humanitären Rüstungskontrolle gelang mit dem Abschluss des Ottawa-Vertrages ein Einstieg in das vollständige Verbot einer gesamten Waffenkategorie, der Anti-Personenminen. Aber genau hier liegt das Problem, die strategische Rüstungskontrolle war in den 90er Jahren rückwärtsgewandt und in den anderen Bereichen der Rüstungskontrolle beteiligten sich die »Großen« nicht konstruktiv. Stagnation und Rückschritte in den verschiedenen Bereichen der Rüstungskontrolle nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes – insbesondere aber in den letzten Jahren – zeugen von einem dramatischen Wandel in der Rüstungskontrollpolitik.
Ziel dieses Artikels ist es zu beleuchten, inwieweit die Vereinigten Staaten zum desolaten Zustand einiger Bereiche der Rüstungskontrolle beigetragen haben. Diese Begrenzung ist gerechtfertigt aufgrund der zentralen Rolle der Vereinigten Staaten für die Rüstungskontrolle, sie haben im Rahmen ihrer Nachkriegshegemonie das Konzept der »arms control« entwickelt und zu einer der tragenden Säulen der internationalen Sicherheitspolitik gemacht. Heute gelten sie als die »einzige Supermacht«. Die Abkehr der gegenwärtigen Administration von der Politik der »arms control« hat daher eine qualitative Bedeutung für die internationale Sicherheitspolitik. Wenn die Vereinigten Staaten Rüstungskontrolle nicht mehr als Teil ihrer Sicherheitspolitik betrachten, dann fällt eine wesentliches Betätigungsfeld für kooperative Sicherheitspolitik aus. Ich beschränke mich aus Platzgründen im wesentlichen auf den Aspekt der nuklearen Rüstungskontrolle, ohne die Relevanz anderer Bereiche – wie konventionelle Rüstungskontrolle und die B- und C-Waffenkonvention – zu bestreiten.

Diese Entwicklung im Bereich der Rüstungskontrolle hat auch Folgen für die Perspektiven von Abrüstung. Wenn auch Rüstungskontrolle in den Zeiten der Bipolarität nicht zur Abrüstung, sondern zur Stabilisierung des strategischen Verhältnisses geführt hat, so könnte doch eine erfolgreiche Rüstungskontrolle die Voraussetzung für den Einstieg in einen Abrüstungsprozess bilden. Für die Perspektive eines stufenweisen Abrüstungsprozesses bleibt Rüstungskontrolle daher unverzichtbar. Am Ende deute ich deshalb in einigen Überlegungen an, wo Auswege aus dem Elend der Rüstungskontrolle gesucht werden könnten. Dies bedürfte einer weiteren Diskussion.

Zur Einordnung der US-Rüstungskontrollpolitik

Wer die Entwicklung der Rüstungskontrolle in den Vereinigten Staaten betrachtet, muss die grundsätzlichen Kontinuitätslinien der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik berücksichtigen, um dann die Rüstungskontrollpolitik darin einordnen zu können. Vor allem zwei Aspekte sind hervorzuheben, die den Rahmen der Außenpolitik der Vereinigten Staaten vorgeben.

  • Erstens ist es das Ziel amerikanischer Außenpolitik, das eigene Umfeld nach den eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen zu organisieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich dieses Umfeld seit Gründung der USA dramatisch verändert und vergrößert hat. Im 19. Jahrhundert ging es wesentlich um das Fernhalten der europäischen Mächte von den beiden amerikanischen Teilkontinenten. Die Monroe-Doktrin hatte in den Worten von Zbigniew Brzezinski die Funktion, den Anspruch der Vereinigten Staaten „auf einen Sonderstatus als alleiniger Sicherheitsgarant der westlichen Hemisphäre“ zu verdeutlichen. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges stellte sich das erste Mal die Frage der Weltpolitik für die Vereinigten Staaten. Die Bereitschaft in den Eliten war jedoch für ein aktives politisches Engagement noch nicht groß genug. Nach den Erfahrungen mit Japan und Nazi-Deutschland konnte Roosevelt seine Konzeption einer Weltordnungspolitik in den USA durchsetzen. Seitdem umfasst das »Umfeld« der Vereinigten Staaten den Erdball. Das Verständnis der Reichweite der eigenen Interessen und das amerikanische Sicherheitsverständnis haben sich ungeachtet der geografischen Begrenzung unter den Bedingungen des Ost-West-Konfliktes globalisiert. Das heißt, dass sich diese Kontinuität historisch gewandelt hat: es geht um die Sicherung der Dominanz im internationalen System.
  • Auf die Gründungsväter geht zweitens die Tradition zurück, die eigenen Interessen möglichst frei und ungebunden zu vertreten und sich deshalb nicht mehr als notwendig in Bündnissen zu binden. Die Bewahrung der eigenen Handlungsfreiheit war immer ein wesentliches Grundmotiv der amerikanischen Außenpolitik. Strategien, wie Unilateralismus und Multilateralismus, müssen unter diesen Gesichtspunkten bewertet werden. Es gibt in der amerikanischen Elite kaum Vertreter eines grundsätzlichen Multilateralismus. Vielmehr werden multilaterale Strategien dann akzeptiert, wenn die eigenen Interessen damit besser oder wenn sie in anderer Weise nicht durchgesetzt werden können. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Administrationen in der praktischen Politik hängen von der Wahrnehmung des Charakters der internationalen Beziehungen durch die jeweiligen Administrationen ab. Präsident Clintons Außenpolitik folgte ebenfalls der Maxime der eigenen Handlungsfreiheit, auch wenn er multilaterale Instrumente einsetzte. Eine Unterscheidung zwischen Isolationisten und (idealistischen) Internationalisten betrifft daher die Frage der Handlungsfreiheit und der Reichweite der Selbsteinbindung in multilaterale Arrangements, nicht die des internationalen Engagements. Bei allen Unterschieden zwischen den Administrationen sollte diese Kontinuitätslinie nicht unterschätzt werden. Die unilaterale Ausrichtung der Politik der Bush-Administration ist daher kein radikaler Bruch mit der Tradition. Es handelt sich vielmehr um eine extreme Ausprägung im Spektrum der amerikanischen Außenpolitik.

In der amerikanischen Debatte über »arms control« und der Frage, wie mit der gegenseitigen Vernichtungsfähigkeit umgegangen werden sollte, besteht seit Mitte der fünfziger Jahre ein enger Zusammenhang zwischen der Theorie und Praxis der Rüstungskontrolle und der Entwicklung der nuklearen Strategie und Fähigkeiten. Die Bereitschaft, sich an Rüstungskontrollverhandlungen zu beteiligen, setzte sich durch, weil aus Sicht vieler Vertreter der »security community« ein ungewollter und strategischer Schlagabtausch zwischen den Nuklearmächten verhindert werden musste. Es gab nichts zu gewinnen, im Gegenteil, durch einen atomaren Schlagabtausch wären mit hoher Wahrscheinlichkeit beide Seiten vernichtet worden. Es entstand so etwas wie ein nukleares Tabu, das den Einsatz und den Besitz von Nuklearwaffen beschränkte und »nur« den politischen Gebrauch von Nuklearwaffen zuließ: Drohpolitik und Zusammenhalt des jeweils eigenen Lagers. Der theoretische Krieg und der kontrollierte Rüstungswettlauf ersetzten den realen (Nuklear-)Krieg. Rüstungskontrollpolitik wurde Bestandteil der amerikanischen Sicherheitspolitik.

Zunächst ging es, wie schon erwähnt, um die Verhinderung eines Nuklearkrieges. Um diesem Ziel näher zu kommen, wurden Stabilitätskriterien entwickelt, die speziell auf Nuklearwaffen zugeschnitten waren. Dazu gehörte die zuverlässige technologische und organisatorische Kontrolle des Nukleararsenals, um einen Krieg aus Versehen zu verhindern. Darüber hinaus wurde das Konzept der gesicherten Zweitschlagsfähigkeit entwickelt, damit keine der Seiten bei einem Erstschlag einen Krieg gewinnen konnte. Das beinhaltete, der jeweiligen Gegenseite die Fähigkeit zum Gegenschlag zuzugestehen. Der ABM-Vertrag ist nach Ansicht der Rüstungskontrolltheorie ein zentraler Pfeiler des nuklearen Rüstungskontrollregimes, da er verhindern sollte, dass eine der beiden Seiten ein Abwehrsystem installiert, das sie unverwundbar macht. Mit anderen Worten: Jede Seite sollte sich aufgrund von vertraglichen Vereinbarungen verwundbar machen und so die Zweitschlagskapazität als theoretische Möglichkeit offenhalten. Rüstungskontrolle war damit notwendigerweise als kooperative Politik angelegt.

Nach dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam gab es eine kurze Phase der Bereitschaft zum sicherheitspolitischen Pragmatismus und zum Kompromiss, die sich im Abschluss einiger Rüstungskontrollabkommen niederschlug. Seit Mitte der 70er Jahre wurden die Ergebnisse dieser Politik in der sicherheitspolitischen community der USA von konservativer Seite kritisiert. Diese Gruppe, die sich im »comittee on present danger« zusammenschloss und in der auch ehemalige Befürworter der Abschreckungs- und Rüstungskontrollstrategie mitarbeiteten, begann an der Wirksamkeit der Rüstungskontrolle zu zweifeln und trat für eine offensivere Politik gegenüber der UdSSR ein. Mit der Reagan-Administration bekamen die Vertreter dieser Richtung erstmals direkten Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik. Bereits damals wollten die Vereinigten Staaten sich aus der Rüstungskontrolle und damit aus einer kooperativen Sicherheitspolitik verabschieden. Das Programm der strategischen Raketenabwehr im Weltraum sollte eine lückenlose Verteidigung ermöglichen und damit die Abschreckung auf der Basis nuklearer Parität obsolet machen. Paradoxerweise war es dann genau diese Administration, die das Ende des Ost-West-Konfliktes kooperativ einleitete.

Rüstungskontrollpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes begann in den Vereinigten Staaten eine Grundsatzdebatte über die Außenpolitik der letzten Supermacht. In diesem Rahmen wurde die Rolle von Rüstungskontrolle jenseits der Bipolarität thematisiert. Rüstungskontrollspezifischer Hintergrund der Debatte war, dass ein Teil der US-amerikanischen »security-community« die kooperative Rüstungskontrolle immer als Beschränkung der eigenen Handlungsfreiheit betrachtet hat und grundsätzlich nur unter den Bedingungen des nuklearen Patts bereit war, sich auf vertragsgestützte Rüstungskontrolle und damit Selbstbindungen einzulassen. Das Anwachsen des Einflusses der rechtskonservativen Kräfte in den Vereinigten Staaten verschob bereits in den achtziger Jahren die Schwerpunkte der Debatte und versuchte Rüstungskontrolle als Bestandteil eines offensiven Konzeptes um zu interpretieren.

Gleichzeitig wurde das Thema der kooperativen Kontrolle durch das Thema der Proliferation ersetzt. Paradoxerweise begann die Proliferationsproblematik nach der unbefristeten Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages im Jahr 1995 erneut akut zu werden. Zunächst wurde die unbefristete Verlängerung des Vertrages eher positiv dargestellt, auch wenn sich die diskriminierende Schieflage des Vertrages zwischen Atomwaffenbesitzern und -nichtbesitzern durch die Verlängerung des Vertrages nicht veränderte. Das »Tabu« (Daase) bezüglich des Besitzes und des Einsatzes von Nuklearwaffen begann sich aufzulösen. Auch die Vereinigten Staaten haben an dieser Entwicklung einen Anteil. An der Ablehnung der Ratifizierung des umfassenden Teststoppabkommens durch den Kongress im Jahr 1999, kann man schließen, dass die konservative Mehrheit sich gegenüber der Clinton-Administration durchsetzte. Da die gegenwärtige Administration das Teststoppabkommen im Gegensatz zur Clinton-Administration ablehnt, wird es in diesem Bereich von amerikanischer Seite her auf absehbare Zeit keine Entwicklung geben.

Bereits die Clinton-Administration hat ihr multilaterales Engagement und die Unterstützung der Rüstungskontrolle zurückgefahren, z.T. aufgrund der konservativen Mehrheiten im Kongress. Dies betraf nicht nur die nukleare Rüstungskontrolle. Die C-Waffen-Konvention wurde im April 1997 vom Kongress unter Auflagen ratifiziert, die die Umsetzung des Vertrages erschweren. Das Ottawa-Abkommen über das Verbot von Anti-Personenminen (1997) wurde nicht unterzeichnet. Grundsätzlich hielt die Clinton-Administration jedoch an Rüstungskontrolle und kooperativer Sicherheitspolitik fest.

George W. Bush jr. trat seine Regierungszeit mit dem Ziel an, eine neue Sicherheitspolitik für die Vereinigten Staaten zu entwickeln, die von den Zwängen des Ost-West-Konfliktes befreit war. Die Zwillinge Rüstungskontrolle und Abschreckung waren in seiner Sicht Strategien des »Kalten Krieges«, geschuldet dem Kooperationszwang der bipolaren Parität. Die Handlungsfreiheit der amerikanischen Außenpolitik wurde durch multilaterale Abkommen eingeschränkt. Dieser Grundzug der amerikanischen Außenpolitik trifft in der gegenwärtigen Administration auf ein übersteigertes Sendungsbewusstsein, das die selbstbindende Qualität von multilateralen Abkommen und Völkerrecht als hinderlich sieht. Die Folge war eine systematische Erosion des Systems der Rüstungskontrollregime. Dabei vermischten sich außen- und innenpolitische Motive. Die Blockade bei den Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll für B-Waffen war zum Teil industriepolitisch, zum Teil durch Geheimhaltungsinteressen des Pentagon begründet.

Die Bush-Administration betreibt eine Aufwertung der Kernwaffen zum Instrument nationaler Sicherheitspolitik. Herrschaftslogisch mag das aus der Sicht der einzigen Supermacht rational erscheinen, da es sich hier um einen Bereich handelt, in dem waffentechnische Überlegenheit in direkte Macht umzusetzen ist. Die neue Nuklearpolitik zielt auf politische Nutzbarkeit in Konfliktfällen und Absicherung der eigenen Machtposition. In diesem Kontext sind Verträge, zu deren Abschluss die Bush-Administration bereit ist, so offen und flexibel formuliert, dass sich daraus keine Bindungswirkung ergibt. So hat der zwischen den Vereinigten Staaten und Russland abgeschlossene Vertrag zur Reduktion des Atomwaffenpotenzials (SORT) mit Rüstungskontrolle nichts mehr zu tun, da er nicht transparent ist und die Reduzierungen auf amerikanischer Seite nicht irreversibel sind.

Die Bush-Administration geht aber noch weiter und bereitet ein einsetzbares Potenzial an Nuklearwaffen vor, u.a. nukleare Gefechtsfeldwaffen. Durch dieses Verhalten verschiebt sich die gesamte Rüstungskontroll- und Proliferationsdebatte, da die Vereinigten Staaten damit de facto aus dem Nichtweiterverbreitungsregime aussteigen, wobei sie aber am Nichtverbreitungsvertrag festhalten wollen, da er sie zu nichts verpflichtet.

Ansätze für eine zukünftige Rüstungskontrollpolitik

Generell lässt sich sagen, dass die Administrationen der Vereinigten Staaten eine Politik verfolgten, die in ein Konzept des instrumentellen Multilateralismus passte. Nicht zu leugnende Unterschiede zwischen den Politiken der jeweiligen Präsidenten wurden, wie im Fall der Ratifizierung des umfassenden Teststopp-Vertrages, durch innenpolitische Blockaden im Senat ausgeglichen. Auch im Bereich der B- und C-Waffen zeigt die amerikanische Politik, dass sie zwar einerseits die Problematik der Proliferation ernst nimmt, sie anderseits aber mit dem Trend zum unilateralistischen Verhalten blockiert.

Zunächst sei davor gewarnt, zu denken, dass die Politik der Vereinigten Staaten, so sehr sie an dieser Stelle auch kritisiert wird, keine Ansatzpunkte für ein positives Herangehen an Rüstungskontrolle bietet. Dies hängt von der jeweiligen Administration und den Kräfteverhältnissen in Kongress ab. Dieses Kräfteverhältnis kann sich ändern und ist keine Konstante. Gleichzeitig darf man sich aufgrund der hinter der Rüstungskontrollpolitik liegenden »Philosophien«, auch der demokratischen Politiker, keine Illusionen machen. Paradoxerweise sind einige Rüstungskontrollabkommen unter republikanischer Präsidentschaft zustande gekommen. Unter anderen historischen Bedingungen hat beispielsweise eine ausgesprochen rüstungskontrollfeindliche Regierung, die Reagan-Administration, ihre Politik geändert und immerhin eine Waffenkategorie, die Mittelstreckenraketen (1987), abgerüstet.

Ziel einer vernünftigen deutschen oder im Idealfall europäischen Politik kann nur sein, auf Zeitgewinn und Lerneffekte zu zielen, die den unilateralistischen Charakter der gegenwärtigen US-Außenpolitik abschwächen helfen. Die gegenwärtige Lage macht es notwendig, über »Sonderwege« nachzudenken, um die kooperative und vertragsgestützte Rüstungskontrolle wieder zu stärken. Im Bereich der Landminen wurde das durch Kooperation von Nichtregierungsorganisationen und willigen Staaten bereits vorgemacht. Die Vorlage des Textes des Vertrages über einen umfassenden Teststopp vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, nachdem sich die Teilnehmer an den Genfer Verhandlungen nicht auf den Text einigen konnten, durch einige Staaten zeigt, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, pragmatisch zu handeln. Das Ergebnis sollte auch auf die Gefahr von unterschiedlichen Zonen und Sicherheitsbereichen der Rüstungskontrolle hin weiterentwickelt werden. Dies könnte auch Chancen bieten, da regionale Rüstungskontrolle auch regionale Sicherheitsprobleme ansprechen kann. Generell sollten Rüstungskontrollprozesse so offen organisiert werden, dass jeder Betroffene und Interessierte grundsätzlich auch später – während des Verhandlungsprozesses und nach dem Vertragsabschluss – beitreten kann.

Massenvernichtungswaffen können im Moment rüstungskontrollpolitisch wenig konstruktiv behandelt werden. Hier gilt es, eine internationale Öffentlichkeit zu schaffen, die rüstungskontroll- und abrüstungswillige Kräfte in den Vereinigten Staaten stärkt und einem Wiedereintritt der Vereinigten Staaten in die Prozesse gegenüber offen ist. In diesem Sinne sollten die Europäer gegenüber den USA eine empathische Rüstungskontrollpolitik entwickeln. Dies setzt aber auch von europäischer Seite die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Definition von Sicherheitsinteressen voraus. Verfehlt wäre die Akzeptanz einer Politik des Krieges für Abrüstung, die – wie der Irakkrieg zeigt – scheitert und das System des Multilateralismus und der Vereinten Nationen gefährdet.

Abschließend will ich daran erinnern, dass die Vereinigten Staaten trotz aller Kritik nicht alleine verantwortlich sind für die Misere der Rüstungskontrolle. Andere Staaten sind seit Jahren ebenso an der Unterminierung der Rüstungskontrollregime beteiligt. Eine Strategie zur Wiederbelebung der Rüstungskontrolle sollte sich daher nicht alleine auf die Vereinigten Staaten konzentrieren, sondern auch andere, regionale Akteure ansprechen. Das heißt, passend zur Ausdifferenzierung der Sicherheitsproblematik nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist es heute nötig, ein differenziertes Konzept der Rüstungskontrolle zu entwickeln und zu verfolgen.

Literatur

Daase, Christopher (2003): Der Anfang vom Ende des nuklearen Tabus. Zur Legitimitätskrise der Weltnuklearordnung, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 10. Jg., Heft 1, S. 7-41.

Friedensgutachten, Münster (jährl.).

Hippler, Jochen (2003): Die unilaterale Versuchung. Veränderte Dominanzformen im internationalen System, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2003: 818-825.

Koch, Jutta (1996): Pax americana forever? Über Wunsch und Vermögen der USA, die Weltpolitik zu führen, in: Meyer, Berthold (Red.): Eine Welt oder Chaos?, Frankfurt/M., S. 153-177.

Medick-Krakau, Monika (1996): Die Außenpolitik der USA, in: Knapp, Manfred; Krell, Gert (Hg.): Einführung in die Internationale Politik, München, Wien, 3. Aufl., S. 54-84.

Nassauer, Otfried (2003): Die Rückkehr der Atomkrieger, in: FriedensForum 2/2003, S. 43-46.

Rudolf, Peter (2002): USA – Sicherheitspolitische Konzeptionen und Kontroversen, in: Ferdowsi, Mir A. (Hg.): Internationale Politik im 21. Jahrhundert, München, S. 147-162.

Schaper, Annette (2003): Die Aufwertung von Kernwaffen durch die Bush-Administration, in: Friedensgutachten 2003, hg. v. Corinna Hauswedell, Christoph Weller, Ulrich Ratsch, Reinhard Mutz und Bruno Schoch, Münster, Hamburg, London, S. 138-147.

Helmut Hugler ist Historiker und Vorstandsmitglied im Institut für Internationale Politik

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/4 Friedensforschung, Seite