Die Atomteststoppbehörde
Rüstungskontrolle im Schwebezustand
von Oliver Meier
Die internationale Atomteststoppbehörde (Comprehensive Test Ban Treaty Organization, CTBTO) befindet sich fast acht Jahre nach ihrer Gründung in einem eigenartigen politischen Schwebezustand. Aufgabe der Organisation ist es, die Einhaltung des Vertrags über das Umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty, CTBT) zu überwachen. Aber das Abkommen, das seine Mitglieder verpflichtet „keine Versuchsexplosionen von Kernwaffen und keine andere nukleare Explosion durchzuführen“1, kann nicht in Kraft treten, obwohl es mittlerweile 176 Staaten gezeichnet und 125 ratifiziert haben.
Damit der Atomteststoppvertrag völkerrechtliche Verbindlichkeit erhält, müssen alle 44 Staaten, welche bei Vertragsabschluss 1996 Mitglieder der Genfer Abrüstungskonferenz waren und über Atomprogramme verfügten, den CTBT ratifizieren. Von diesen Staaten haben den Vertrag bisher
- weder unterschrieben, noch ratifiziert: Indien, Nordkorea und Pakistan,
- unterschrieben aber noch nicht ratifiziert: Ägypten, China, Indonesien, Iran, Israel, Kolumbien, USA und Vietnam.
Diese elf Staaten verhindern damit, dass die Ergebnisse der Arbeit der CTBTO auch tatsächlich und völkerrechtlich verbindlich zur Teststopp-Verifikation genutzt werden können.
Der Aufbau des Überwachungssystems für den Teststopp-Vertrag durch eine Vorbereitungskommission und das Provisorische Technische Sekretariat (PTS) in Wien hat trotz dieser politischen und rechtlichen Hängepartie gute Fortschritte gemacht. Mittlerweile beschäftigt die CTBTO fast 270 Mitarbeiter aus 69 Staaten. Wenn man von der ungewissen Zukunft des Vertrags selbst absieht, arbeitet die Organisation schon jetzt wie eine normale Abrüstungsbehörde.
Die amerikanische Abwendung
Die klare Ablehnung des CTBT durch die gegenwärtige US-Regierung bildet das größte Hindernis auf dem Weg zum Inkrafttreten des Vertrages. Solange die größte Militär- und Nuklearwaffenmacht der Welt nicht auf die Option zur Wiederaufnahme von Kernwaffentests verzichtet, werden auch andere Staaten, die über Kernwaffen verfügen oder verfügen möchten, sich die Möglichkeit zur Durchführung von Atomexplosionen offen halten wollen.
Präsident Bill Clinton unterzeichnete noch voller Stolz als erster Staatschef am 24. September 1996 den CTBT am Sitz der Vereinten Nationen. Damit schien der jahrzehntelange Kampf der USA um einen überprüfbaren Teststopp-Vertrag erfolgreich zum Abschluss gebracht. Aber die Hoffnung auf ein dauerhaftes Verbot aller Kernwaffentests geriet bald ins Wanken. Im Oktober 1999 weigerte sich der republikanisch dominierte Senat, den vom verhassten demokratischen Präsidenten favorisierten CTBT zu ratifizieren. Seitdem hat sich Washington kontinuierlich vom Vertrag distanziert.
Amerikanische CTBT-Gegner halten den Vertrag für nicht verifizierbar und befürchten, dass ein dauerhafter Verzicht auf Atomtests das eigene Nuklearwaffenarsenal gefährden könnte. Alterungsprozesse in vorhandenen Atomwaffen könnten Kernwaffentests zur Prüfung von Sicherheitsmängeln notwendig machen, so amerikanische Teststopp-Kritiker. Aber auch die Entwicklung neuartiger Atomwaffen wie »Mininukes« oder bunkerbrechende Kernwaffen soll möglich bleiben.2
Die USA bleiben durch die Unterschrift Clintons an den CTBT gebunden, bereiten aber einen möglichen vollständigen Rückzug aus dem Teststopp-Vertrag vor. Amerikanische Diplomaten weigern sich, jedem internationalen Dokument zuzustimmen, das den CTBT auch nur erwähnt. Und im August 2003 wies Präsident Bush das Energieministerium an, die Vorbereitungszeit für eine mögliche Wiederaufnahme von Kernwaffentests von ehemals 2-3 Jahren auf 18 Monate zu verkürzen.
Die Ablehnung des Teststopp-Vertrages durch Washington behindert auch den Aufbau der CTBTO. Seit August 2001 kürzt Washington den eigenen finanziellen Beitrag und behält eigenmächtig die Kosten für die Vorbereitung von Vor-Ort-Inspektionen ein. Begründung: solche Inspektionen, die die CTBTO nach einer vermuteten Vertragsverletzung zur Klärung des Sachverhalts durchführen könnte, würden erst nach Inkrafttreten des Vertrages durchgeführt werden – und genau dieses Inkrafttreten des Vertrags lehnt Washington ab.3
Aus Sicht der CTBTO ist die Kürzung finanziell noch zu verkraften weil sie bisher nur rund 5% (rund US$ 1 Millionen jährlich) des veranschlagten amerikanischen Beitrags beträgt. Aber möglicherweise stehen bald noch weitere Kürzungen ins Haus. Der US-Senat hat insgesamt US$ 7,5 Millionen aus dem diesjährigen Beitrag in Höhe von US$ 22 Millionen herausgeschnitten. Derartige Kürzungen, die vom US-Repräsentantenhaus in dieser Form abgelehnt werden, wären ein schwerer Rückschlag für die Arbeit der CTBTO auch wenn Außenministerin Condoleezza Rice am 16. Februar beteuerte, dass eine weitere Kürzung der US-Beiträge „… keine Änderung der US-Politik gegenüber dem CTBT“ bedeuten würde.4
Um den Aufbau des Systems zu vollenden und fertig gestellte Stationen zu betreiben, ist eine stabile Finanzierung notwendig. Jährlich benötigt die CTBTO etwa US$ 100 Millionen. Bisher wurden rund 95% der Beiträge von den Unterzeichnern des Vertrages eingetrieben. Dies ist eine im Vergleich zu anderen UN-Organisationen gute Quote. Einzelne Staaten, wie Brasilien und Argentinien, zahlen allerdings seit Jahren ihre Beiträge nicht. Damit schwächen sie die CTBTO auch wenn die Arbeit der Behörde (noch) nicht gefährdet ist.
Der Aufbau des Internationalen Überwachungssystems
Trotz der politischen Ablehnung des CTBT unterstützen die USA den Aufbau des internationalen Überwachungssystems (International Monitoring System, IMS) voll und ganz. Ein Grund für diese schizophrene Politik liegt im Interesse amerikanischer Geheimdienste an den IMS-Daten. Für die amerikanische Regierung dürften vor allem Daten aus Regionen interessant sein, in denen sie selber nicht über ausreichend hochwertige Überwachungsstationen verfügt, wie etwa in Zentral- und Südasien. Die USA sind als größter Abnehmer von IMS-Daten sogar bereit, der CTBTO für die Übermittlung aller verfügbaren Daten mehr zu zahlen als den regulären Satz. Das US-Interesse an den Daten der CTBTO ist ein eindrucksvoller Beleg für deren Qualität.
Das IMS selbst ist bereits zu zwei Dritteln fertig gestellt. Zweihundertundneun der insgesamt 321 Überwachungsstationen sind errichtet. Das seismische Netzwerk, das darauf ausgelegt ist, Signale von unterirdisch durchgeführten Atomtests aufzunehmen, ist das Herzstück des Überwachungssystems. Fünfzig Stationen werden kontinuierlich Daten nach Wien übermitteln, weitere 120 Hilfsstationen können bei Bedarf zugeschaltet werden. Elf im Meer an Bojen verankerte Hydrophone oder in der Nähe von steil abfallenden Küsten stationierte Hochfrequenz-Seismometer können Explosionen in den Ozeanen oder auf kleinen Inseln feststellen. Das Infraschall-Überwachungsnetzwerk von 60 landgestützten Stationen dient dem Ziel, die von atmosphärischen Nukleartests verursachten Schallwellen festzustellen und diese Tests so zu lokalisieren. Achtzig Radionuklidstationen werden rund um die Uhr radioaktive Aerosole und Edelgase in der Atmosphäre messen, die von atmosphärischen Atomtests stammen oder von unterirdischen Tests, die ausgasen.
Von den Stationen werden die Daten an das International Data Centre (IDC) in Wien und von dort zügig an die Mitgliedstaaten übermittelt. Ein groß angelegter Dauertest im April und Mai diesen Jahres hat belegt, dass der für eine erfolgreiche Vertragsüberwachung notwendige Dauerbetrieb, inklusive sicherer Datenübertragung aus Wien gewährleistet werden kann.5
Die CTBTO bewertet und analysiert IMS-Daten nicht. Es obliegt den Mitgliedstaaten festzustellen, ob ihrer Meinung nach ein Vertragsverstoß vorliegt. Nach Inkrafttreten des Vertrags kann jeder Mitgliedsstaat eine Sitzung des Exekutivrats der Organisation beantragen, wenn er vermutet, dass ein anderes Mitglied gegen den Vertrag verstoßen hat. Stimmen 31 der 50 Mitglieder des Exekutivrats zu, wird eine Vor-Ort-Inspektion zur Klärung des Sachverhalts angeordnet. Klare Vertragsverstöße kann die Vertragsstaatenkonferenz an den UN-Sicherheitsrat melden.
Während der Aufbau des Überwachungssystems Fortschritte macht, bleibt die Vorbereitung der Vor-Ort-Inspektionen schwierig. Der Vertrag selbst beschreibt nur die groben Parameter künftiger Inspektionen, wie etwa Dauer und Umfang. Seit Jahren verhandeln Mitgliedstaaten in Wien über ein Handbuch zu Vor-Ort-Inspektionen, das Einzelheiten über die Rechte und Pflichten künftiger Teststopp-Inspekteure festlegen soll.
Der amerikanische Boykott der Vorbereitungen für Vor-Ort-Inspektionen stellt den Wert der Verhandlungen über ein Inspektionsregime insgesamt in Frage. Aber auch andere Staaten, wie etwa Israel, achten mit Argusaugen darauf, dass künftige Inspektoren nicht zu weitreichende Rechte erhalten. Sie fürchten, dass Inspektionen dazu missbraucht werden könnten vertragsfremde Einrichtungen auszuspionieren, etwa die geheime Atomanlage in Dimona.
Wie andere Verifikationssysteme, kann auch das IMS keine hundertprozentige Sicherheit bieten, dass alle Vertragsverletzungen aufgedeckt werden. Das System zielt eher darauf ab, Vertragsbrüche mit hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen, und potenzielle Vertragsverletzer dadurch abzuschrecken.
Ein Unterlaufen des Überwachungssystems durch einen geheimen Kernwaffentest – ein Szenario das CTBT-Kritiker in den USA immer wieder als Schwachpunkt des Vertrages angeführt haben – dürfte ausgeschlossen sein. Militärisch relevante Tests haben eine Sprengkraft von mehreren Kilotonnen TNT-Äquivalent. Das IMS ist aber darauf ausgelegt, weltweit Explosionen mit einer Sprengkraft von mindestens einer Kilotonne zu entdecken. In vielen Gegenden kann das IMS schon jetzt Explosionen von wesentlich kleinerer Sprengkraft – in einzelnen Fällen von 10-25 Tonnen – feststellen und in den meisten Fällen auch lokalisieren.6
Zusätzliche Nutzung des IMS?
Schon seit Jahren gibt es Vorschläge, die Daten des IMS auch für andere Zwecke als zum Aufspüren von Kernwaffentests zu verwenden,. Das Überwachungssystem ist weltweit einmalig, nicht nur auf Grund seiner globalen Reichweite sondern auch wegen der schnellen Datenverfügbarkeit und der sicheren Übertragung an Empfänger weltweit. So könnten z.B. die Daten aus dem Infraschallnetzwerk dazu verwendet werden, die Luftfahrt vor Vulkanausbrüchen zu warnen. Möglich wäre es auch, bestimmte IMS-Daten zur Überwachung anderer internationaler Abkommen, insbesondere Rüstungskontrollabkommen, zu nutzen. Das Netzwerk von Radionuklidstationen etwa könnte auch geheime Produktionsanlagen für Kernwaffenmaterialien aufspüren.
Jahrelang scheiterten solche Vorschläge zur Nutzung von Synergieeffekten jedoch an den Ängsten einiger Staaten wie China, die eine Aufweichung der Regeln zum Schutz »vertraulicher« Informationen befürchten. Sie bestanden darauf, dass nur staatliche Datenzentren IMS-Daten empfangen dürfen. Erst die Tsunami-Katastrophe vom letzten Jahr hat solche Bedenken hinweg gespült. Achtundsiebzig IMS-Stationen hatten das Seebeben am 26. Dezember 2004 registriert und die Daten schon nach zwei Stunden an alle Mitgliedstaaten übermittelt. Dies schloss auch betroffene Staaten in der Region ein, wie etwa Indonesien und Thailand.7 Diese Daten wurden dort allerdings nicht entsprechend ausgewertet und damit eine wichtige Chance zur Frühwarnung vertan.
Im März diesen Jahres beschlossen die Vertragsmitglieder, dass das PTS auf Probebasis Daten an zwei Tsunami-Frühwarnorganisationen der UNESCO übertragen soll. Ob dieser wichtige Schritt zur Öffnung des Systems auch weitere Möglichkeiten für eine Nutzung der Daten zur Frühwarnung und Katastrophenhilfe eröffnet, muss allerdings abgewartet werden.8
Wie weiter?
Trotz beeindruckender Fortschritte beim Aufbau des Überwachungssystems liegt die Frage des Inkrafttretens des Vertrages wie ein dunkler Schatten über der Arbeit der CTBTO. Alle zwei Jahre beraten die Mitgliedstaaten, was unternommen werden kann, um das Inkrafttreten des Teststopp-Vertrags zu beschleunigen. Auf der vierten, nach dem entsprechenden CTBT-Paragrafen benannte Artikel XIV-Konferenz, die vom 21.-23. September 2005 in New York stattfand, wurde erneut deutlich, dass ein stetiges und druckvolles Drängen auf Vertragsbeitritt bei den noch außerhalb des CTBT stehenden Staaten ohne politische Alternative ist. Je kürzer die Liste der Blockierer ist, desto größer wird der politische Druck auf die noch ausstehenden Verweigerer und desto stärker ist die internationale Norm gegen Atomtests.
Der Sonderbeauftragte zur Förderung des Ratifizierungsprozesses, Jaap Ramaker, berichtete von seinen weitgehend erfolglosen Bemühungen weitere Annex II-Staaten von einem Vertragsbeitritt zu überzeugen.9 Die chinesische Regierung beteuerte gegenüber Ramaker, dass sie guten Willens sei, den CTBT zu ratifizieren und »nur« noch auf den Abschluss des parlamentarischen Ratifizierungsverfahrens warte. Gleichlautende Beteuerungen gibt es allerdings seit Jahren aus Peking. Pakistan erklärte, dass ein Beitritt zum Teststopp-Vertrag gegenwärtig keine Priorität besäße und die indische Regierung empfing Botschafter Ramaker erst gar nicht. Der wichtigste Schlüssel zum politischen Erfolg liegt aber weiterhin in Washington.
Der Fortschritt beim Aufbau des Verifikationssystems durch die Wiener Teststoppbehörde ist dabei ein wichtiges Seismometer für die politische Unterstützung für den CTBT insgesamt. Auch deshalb ist es wichtig, dass diejenigen Regierungen, die an den Zielen des Teststopp-Vertrags festhalten, die CTBTO weiter nach Kräften unterstützen. Nur dann ist gewährleistet, dass „bei Inkrafttreten des Vertrages … das Verifikationssystem in der Lage [ist], den Verifikationsanforderungen des Vertrages zu genügen.“10
Anmerkungen
1) Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, Artikel I (1).
2) Eine Diskussion dieser Argumente findet sich in dem Report des CTBT-Sonderbeauftragten General John M. Shalikashvili (USA Ret.): Report on the Findings and Recommendations Concerning the Comprehensive Test Ban Treaty, January 4, 2001, http://www.armscontrol.org/act/2001_01-02/ctbtreport.asp
3) Philipp C. Bleek: White House to Partially Fund Test Ban Implementing Body, in: Arms Control Today, September 2001, http://www.armscontrol.org/act/2001_09/ctbtsept01.asp.
4) Daryl G. Kimball: The Status of CTBT Entry Into Force: the United States, Presentation at the VERTIC Seminar on the Comprehensive Test Ban Treaty on the Occasion of The Fourth Article XIV Conference on Accelerating Entry Into Force, New York, September 22, 2005, http://www.armscontrol.org/events/20050921_VERTIC.asp.
5) Background Document by the Provisional Technical Secretariat of the Preparatory Commission for the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization prepared for the Conference on Facilitating the Entry into Force of the CTBT, CTBT-Art.XIV/2005/3/Rev.1, 7 September 2005.
6) Einschätzungen zur Verifizierbarkeit des Vertrages finden sich unter anderem im Bericht der Unabhängigen Kommission zur Verifizierbarkeit des Teststopp-Vertrages, London 7. November 2000, http://www.ctbtcommission.org/germanreport.htm und Ben Mines: The Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty: virtually verifiable now, VERTIC Brief 3, London, April 2004, http://www.vertic.org/assets/BP3_Mines.pdf.
7) Northern Sumatra Earthquake and the Subsequent Tsunami on 26 December 2004, CTBTO Press Release, 5. Januar 2005.
8) Oliver Meier: CTBTO Releases Test Ban Monitoring Data for Tsunami Warning, in: Arms Control Today, Vol. 35, No. 2, April 2005, S. 39-40.
9) Report of Ambassador Jaap Ramaker, Special Representative to promote the ratification process of the CTBT to the Conference on Facilitating the Entry into Force of the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, New York, 21-23 September 2005.
10) Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, Artikel IV (1).
Dr. Oliver Meier ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sowie Internationaler Repräsentant und Korrespondent der Arms Control Association in Berlin.