W&F 1989/3

Rüstungskonversion – für eine Ökonomie des Friedens

von Gert Weiskirchen / Eckhard Fischer

Wer sich gegenwärtig mit Rüstungskonversion beschäftigt, an den werden eine Reihe von Fragen gerichtet: • aus der Wissenschaft: Warum erst jetzt? Die Kernzeit der wissenschaftlichen Konversionsforschung liegt 10 Jahre zurück. • aus der Industrie: Solle die heimische Rüstungsindustrie abgeschafft werden oder die Arbeit in Rüstungsbetrieben geächtet werden?

  • aus den Gewerkschaften: Strukturprobleme gibt es in vielen Bereichen, soll der Rüstungsbereich bevorzugt saniert werden?
  • aus den Betrieben: Was können wir im Werk X alternativ produzieren?
  • aus der Friedensbewegung: Wann nehmt ihr Abschied von der Rüstungsproduktion insgesamt? Warum fangt ihr nicht mit einem Stopp des Waffenexports an?

Die Erwartungshaltung aus diesen Bereichen übersteigt das heute Umsetzbare.

Alle Diskussionen der Vergangenheit führen zu der übereinstimmenden Feststellung, daß es für die Umstellung keine gravierenden technischen Probleme gibt; auch die Qualifikation der Beschäftigten in Rüstungsbetrieben erleichtert die Umstellung.

Die Untersuchung einer konkreten Umstellung wird erschwert durch zwei Faktoren:

  • Statistisches Material ist – anders als in den USA (ACDA) – einer übertriebenen Geheimhaltung unterworfen. So ist auch dem IFO/München der Zugang zu Informationen über die Rüstungswirtschaft nicht gestattet, obwohl es vom Bundeswirtschaftsminister beauftragt wurde, eine Untersuchung zur Produktion von Wehrgütern zu erstellen.
  • Definitionsprobleme; das verfügbare Zahlenmaterial – teilweise durch Untersuchungen engagierter Friedensforscher erarbeitet – ist unscharf, da es keine durchgängigen Abgrenzungen gibt. Exportanteile von Rüstungsgütern beispielsweise werden nach Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz ermittelt; die Rüstungsgüterproduktion hingegen erfaßt alles Material, welches im militärischen Bereich Anwendung findet. Die Angaben über Rüstungsexporte der Bundesrepublik sind daher zweifelhaft. Die von der SPD-Bundestagsfraktion im März des Jahres durchgeführte Anhörung zur Rüstungskonversion hat vor allem durch die Untersuchungen von Christian Wellmann die Datenlage der im militärischen Bereich Beschäftigten aufzuhellen vermocht.

Beschäftigungswirkung der Abrüstung

Demnach stellt sich die Beschäftigungswirkung militärischer Sicherheitspolitik wie folgt dar:

rüstungsabhängig Beschäftigte
inländisch finanziert 256.000
Rüstungsexporte 37.000
durch ausländische Stationierung bedingt 190.000
militärabhängige Beschäftigung
Soldaten der Bundeswehr 481.000
Zivilbeschäftigte bei der Bundeswehr 182.000
Zivilschutz und Zivildienst 42.000
Zivilbeschäftigte bei den Alliierten in Berlin (West) 11.000
Zivilbeschäftigte bei den ausl. Stationierungstruppen 106.000

Die Datenlage ergibt, daß in der Bundesrepublik einschließlich der Rüstungsindustrie, der Streitkräfte und deren ziviles Personal ca. 1,3 Millionen Erwerbstätige beschäftigt sind, für die im Falle von Abrüstung und Konversion alternative Arbeitsplätze gefunden werden müssen. Würde jährlich um 5% abgerüstet, müßten jährlich ca. folgende alternative Arbeitsplätze gefunden werden:

in der Rüstungsindustrie 8.000 – 12.000
Soldaten der Bundeswehr 25.000
Zivilbeschäftigte der Bundeswehr 9.000
Zivilbeschäftigte der ausländischen Streitkräfte 6.000
Gesamt 38.000 – 40.000
sofortige Streichung des Rüstungsexports außerhalb der NATO (einmalig) 30.000 – 40.000

Abrüstung setzt Mittel frei, mit denen neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Nicht so bei den Zivilbeschäftigten der ausländischen Streitkräfte und für die im Rüstungsexport Tätigen. Etwa 5.000 Berufssoldaten sowie etwa 3.000 Zivilangestellte scheiden jährlich aus der Bundeswehr aus.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Rüstungsproduktion

Rüstungsproduktion in der Bundesrepublik hat einen relativ geringen Anteil am Bruttosozialprodukt; er beträgt etwa 0,8%. Die These „Rüstungskonversion ergebe sich im Selbstlauf, wenn die Nachfrage durch politische Zielsetzung der Bundesregierung gedrosselt wird“, liegt daher nahe. Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Rüstungsproduktion jedoch als überaus einflußreicher Produktionszweig mit Auswirkungen auf nahezu alle Marktbereiche. Ein Umbau in den wichtigsten Rüstungskonzernen hat immer Auswirkungen auf die Marktlage des ganzen Unternehmens. Aus vielfältigen Überlegungen versuchen Unternehmen die zumeist als »intelligente Technologie« eingestufte Rüstungsproduktion auf jeden Fall im Unternehmen zu halten.

Jedes größere Beschaffungsvorhaben der letzten 15 Jahre wurde auch mit dem Arbeitsplatz- Argument begründet.

Ebenso ist die Tendenz erkennbar, daß die sich beschleunigende Konzentration in der europäischen Rüstungsindustrie einen einflußreichen militärisch-industriellen- Komplex entwickelt. Die angestrebte Fusion der Daimler-Benz AG mit MBB ist ein Lehrstück dafür. Die Kapitalverflechtung wird heute – anders als früher – in der Rüstungsindustrie auch über Landesgrenzen hinweg angestrebt (Siemens-Plessey). Mehr noch: Die Mechanismen der Rüstungsproduktion selbst sind abrüstungsfeindlich. Die Strukturen von Forschung, Auftragsvergabe, Produktion und Abnahme sind dringend zu reformieren. Monopolunternehmen für Großwaffenproduktionen bestimmen weitgehend die Auftragsbedingungen. Nun versucht das BM der Verteidigung beim Jäger 90 mit einem »Meilensteinplan» die Entwicklung und die Preiskonditionen verbindlich vorzuschreiben. Als Ergebnis ist bisher nur erkennbar, daß die Kostenexplosion schon in den F&E-Bereich vorgelagert wird. Die Schwierigkeiten lassen sich an der Karriere des Arbeitsplatz-Arguments ablesen:

  • es wurde nie geäußert, daß dieses Projekt neue Arbeitsplätze schaffen soll;
  • gemäß MBB-Chef Vogels (Die Zeit, 28.10.88) sollen 20.000 Arbeitsplätze in der Produktion und 5.000 in der Entwicklung gesichert werden;
  • am 13. Dezember 1988 erklärt Staatssekretär Prof. Dr. Timmermann, daß in der Produktion lediglich 15.000 Arbeitsplätze bis 2005 gesichert werden;
  • in der Februar-Ausgabe der wehrtechnik 1989 erklärt Staatssekretär Dr. Riedl, daß der Jäger 90 die bestehenden Kapazitäten im Kampfflugzeugbau nicht auslastet.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt muß resümiert werden, daß der Westen aus industriepolitischen Gründen nicht abrüstungsfähig ist.

Konversion ist eine Möglichkeit, den Druck des Arbeitsplatz-Arguments aus der Abrüstungsdebatte zu nehmen. Konversion ist die ökonomische Kehrseite von Abrüstung. Wenn Unternehmen wie beispielsweise AEG-Ulm mit 5000 Arbeitsplätzen zu 95% ihres Bestandes an der Auftragsvergabe »Jäger 90« hängen, läßt sich die Unternehmenspolitik vorhersehen. Konversion kann aber nicht Reparaturbetrieb für Fehler in der Unternehmensführung sein.

Diversifikation als erster Schritt

Der erste Schritt einer Konversionsmaßnahme muß daher die Diversifikation sein, d.h. die Förderung einer verbreiterten Produktpalette eines Rüstungsunternehmens im zivilen Bereich. Die vorgefundenen Strukturen der Rüstungsindustrie sind jedoch »barock«. Teilweise sind diese Unternehmen ohne Umstrukturierungen unter den Bedingungen des zivilen Marktes nicht überlebensfähig. Es ist davon auszugehen, daß Strukturveränderungen bis zu einem bestimmten Maße von der Industrie völlig ohne Zutun von außen aufgefangen werden.

Fortschritte in der Abrüstungspolitik werden sich – im Gegensatz zu den Ballungszentren München und Stuttgart – vor allem in den strukturschwachen angestammten Zentren der Rüstungsindustrie auswirken: Im Ruhrgebiet, bei den Werften an der norddeutschen Küste, in Nordhessen, im Raum Speyer usw.. Ebenso beim Abzug ausländischer Streitkräfte; hier ist vor allem die ländliche Region von Rheinland-Pfalz betroffen.

Allein die US-Stationierungstruppen beschäftigen in der Bundesrepublik 71.500 zivile Angestellte und geben jährlich etwa 14 Mrd. DM in der Bundesrepublik aus, um den Bedarf der etwa 242.000 amerikanischen Soldaten zu decken.

Die Rüstungsindustrie rechnet mit einer durchschnittlichen Vorlaufzeit von 10 Jahren, um eine relevante Technologie in einem Unternehmen zur Serienreife zu bringen. Aus diesem Umstand wird das Argument abgeleitet, alle Wehrtechnologien ständig weiter zu entwickeln , auch wenn sie aus sicherheitspolitischer Sicht verzichtbar sind.

Neue Industriepolitik

Sinn macht die Forderung nach Konversion in einem Gesamtkonzept einer neuen Industriepolitik. Die Anpassungsprobleme können verringert werden durch ein gesamtgesellschaftliches Konzept, das eine aufeinander abgestimmte Politik der Abrüstung, Sicherheit und des Arbeitsmarktes nötig macht. Konversion ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Länder und Gemeinden.

Rüstungskonversion ist technisch und wirtschaftlich machbar – sie muß politisch gewollt werden. In einigen Betrieben sind bereits konkrete Pläne für eine alternative Produktion vorhanden – teilweise sind die Belegschaften innerhalb der Betriebe in Arbeitsgruppen und außerhalb in Vereinen alternativer Fertigung organisiert. Diese AG's und Vereine brauchen finanzielle, politische und personelle Unterstützung zur Entwicklung von Prototypen und Expertisen. Die Konversion eines Betriebes schließt einen Ausbau von Mitbestimmungsrechten der Belegschaft mit ein. Die erworbenen Kenntnisse aller Mitarbeiter eines Unternehmens aus einer Umstellung – nicht nur des Managements – sind Bestandteil des neuen Unternehmensprofils.

Soweit möglich, sind die Konversionsschritte regional transparent zu machen und zusätzlich regional zu fördern.

Erfahrungen im Ausland

Im Ausland ist Konversion vor allem in Schweden und nunmehr auch in der UdSSR als Problem erkannt worden. Entsprechende Pläne liegen vor.

Schweden:

  • Staatliche Initiativen wurden entwickelt und teilweise bereits erfolgreich umgesetzt (Fairchildprojekt von Saab);
  • Unternehmen im wehrtechnischen Bereich sollen einen Fonds schaffen, in den 2% der Rüstungsumsätze fließen; aus diesem Fonds sollen Forschung, Entwicklung und Erprobung ziviler Güter finanziert und in den Produktionsprozeß eingebunden werden;
  • 50 Mill. SEK werden bereitgestellt, um regionale und lokale Investitionen vorzunehmen;
  • die Universität Uppsala errichtet eine Informationsbank zur Konversion;
  • Ein nationaler Bericht gemäß Beschluß der UN-Vollversammlung 1982 zur Umstellung militärischer auf zivile Produktion (Thorsson-Bericht) wurde vorgelegt.

M. Gorbatschow hat in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 8. Dezember 1988 angekündigt, „im Laufe des Jahres 1989 als Experiment Pläne für die Umwandlung von 2-3 Verteidigungsunternehmen vorzubereiten,(…) sowie die Nutzung ihrer Ausrüstung, Gebäude und Industrieanlagen in der zivilen Produktion zu veröffentlichen. Es ist wünschenswert, daß alle Staaten (…) ihre diesbezüglichen nationalen Pläne vorstellen“

USA:

  • drei Gesetzentwürfe zur Rüstungskonversion wurden vorgelegt;
  • Erfahrungen auf lokaler Ebene wurden seit den 60er Jahren gemacht.

Vorschläge

Folgende Vorschläge zur Unterstützung von Konversionsmaßnahmen sind denkbar:

  • Die durch Abrüstung frei werdenden Mittel im Bundeshaushalt werden in einem Zeitraum von 10-15 Jahren zur Förderung von umweltschonenden Technologien und für die Belebung des Handels mit der Dritten Welt an solche Unternehmen gegeben, die ihren Anteil an Rüstungsproduktion reduziert haben;
  • Bildung eines Konversions-Fonds, der aus einem Prozentsatz der Rüstungsumsätze und einer gesonderten Besteuerung der Rüstungsexporte gespeist wird;
  • die öffentlich geförderte militärische F + E wird umgestellt; zeitlich befristet werden parallel nebeneinander militärische und zivile Projekte unter vergleichbaren Bedingungen gefördert; Schritt für Schritt soll an der Stelle der Ausgaben für militärische Zwecke die Entwicklung alternativer Produkte gefördert werden (Umschichtung der entsprechenden Mittel aus dem BM der Verteidigung ins BM Forschung und Technologie);
  • die Auftragsvergabe eines Rüstungsproduktes ist mit Auflagen zu versehen, einen Konversionsplan vorzulegen;
  • Bildung bzw. Unterstützung von Beschäftigungsgesellschaften bzw. die Entwicklung von Beschäftigungsplänen;
  • jährlich soll der Wirtschaftsminister einen Bericht zur Lage der Rüstungsindustrie vorlegen;
  • regionale, lokale und betriebliche Arbeitsgemeinschaften sollen öffentlich gefördert werden, in denen Vertreter von Forschung und Wissenschaft, der Kommunalpolitik und der Firmen Konversionsmodelle erarbeiten;
  • das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung übernimmt Aufgaben der Strukturanalyse und der Darstellung der Rüstungsproduktion.

Parallel zur Rüstungskonversion sollen die Rüstungsproduktion – und auch bereits Planungen – transparent gemacht und der Sicherheitspartnerschaft geöffnet werden.

Bilaterale und multilaterale Abkommen sind dafür dienlich. Anzustreben ist die Bildung einer Ost-West-Expertengruppe aus dem Bereich der Rüstungsproduktion, die den Mindestbedarf von modernen Industrienationen an Rüstung ermittelt und Vorschläge defensiver Rüstungsgüter entwickelt, die in Ost-West- Koproduktion gefertigt werden.

Prof. Gert Weisskirchen, MdB-SPD Vorsitzender der Arbeitsgruppe Rüstungskonversion
Eckhard Fischer Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Rüstungskonversion der SPD-Bundestagsfraktion

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1989/3 1989-3, Seite