W&F 1990/1

Rüstungskonversions-
forschung

von Burkhart Freisleben

Die Diskussionen um die Einrichtung eines Forschungs- und Lehrbereiches Friedens- und Konversionsforschung an der Uni Bremen erhalten durch die politischen Umbrüche in Ost und West und den daraus sich ergebenden Abrüstungschancen für Rüstungsproduktion und Militärbeschäftigte eine neue, ungeahnte Dynamik.

Wenn die Abrüstungsprozesse mit dem Tempo der politischen Entwicklung einigermaßen Schritt halten, bedeutet dies einen ökonomischen und strukturpolitischen Umbruchprozeß größeren Ausmaßes, besonders in den von Rüstung bestimmten Regionen wie Bremen.

Damit drängt die Zeit, diesen Umbauprozeß sozial, ökologisch und demokratisch zu gestalten, da sonst die Gefahr besteht, daß dieser Strukturwandel naturwüchsig und krisenhaft verläuft, mit den negativen Erscheinungen für Beschäftigung, Qualifikation und Umwelt, wie wir das von den bisherigen Strukturkrisen her kennen (Stahl, Textil, Werften etc.). Für die Region Bremen würde sich diese Gefahr auf ein Mehrfaches potenzieren, da hier vier potentielle Krisenbranchen (Rüstung, Werften, Stahl, Auto) bestimmend sind, die sich gegenseitig überschneiden. Um diese Gefahr zu vermeiden, ist ein umfangreicher, konzeptioneller Vorlauf von Konversionsforschung notwendig. Dies wäre auch forschungspolitisch eine vorausschauende und zukunftsweisende Maßnahme, mit der die UNI Bremen beispielgebend Vorreiter in der forschungspolitischen Landschaft der BRD wäre.

In der Tradition der Kritischen Friedens- und Konfliktforschung geht es dabei um die Weiterentwicklung zu einer interdisziplinären Friedenswissenschaft, die alle relevanten gesellschaftlichen Aspekte der Rüstungskonversion einbezieht:

  1. ökonomische Aspekte
  2. gesellschafts- und geisteswissenschaftliche Aspekte,
  3. naturwissenschaftliche, technische und organisatorische und
  4. regionalpolitische Aspekte.

Ansätze, Möglichkeiten und Aspekte der Konversionsforschung:

Um der o.g. Gefahr eines krisenhaften Umbruches vorzubeugen, muß Rüstungskonversion nicht nur politisch gewollt, sondern systematisch vorbereitet werden. Dabei geht es weniger darum, erneut nachzuweisen, daß es einen großen und ungedeckten Bedarf an nützlichen und technologisch anspruchsvollen Gütern gibt, die mit der mehr oder minder modifizierten technischen Ausstattung und mit der Qualifikation der Beschäftigten in den heutigen Rüstungsbetrieben hergestellt werden können.“1

Diese schon reichlich vorhandenen Forschungen, sowie die bereits gemachten Erfahrungen aus Betrieben und Regionen (Arbeitskreise Alternative Fertigung/IG-Metall, Lucas Aerospace, Greater London Enterprise Board etc.) sind hierzu heranzuziehen, zu bündeln und müssen auf ihre Verwertbarkeit hin aktualisiert und modifiziert werden.2

Politische und ökonomische Steuerungskonzepte

Die Schwerpunkte im ökonomischen Bereich der Konversionsforschung müssen zukünftig darin liegen, wo die größten Forschungsdefizite liegen: In der Entwicklung von politischen und ökonomischen Steuerungskonzepten der Rüstungskonversion.3 Die Hauptfragestellungen auf diesem Gebiet heißen: Wie kann Rüstungskonversion so bewerkstelligt werden, „daß erstens krisenhafte Einbrüche bei der Beschäftigung vermieden werden können und zweitens die neue Produktion tatsächlich gesellschaftlichen Nützlichkeitsanforderungen entspricht?“ 4 und damit zweitens: Wohin soll konvertiert werden?5 Desweiteren: „Gegenstand der Konversionsforschung kann nicht nur die Konversion von Rüstungsproduktion sein. Untersuchungsgegenstand muß die Umwandlung von Produktion und Dienstleistungen für den und im militärischen Bereich in Dienstleistungen und Produktion für den zivilen Sektor sein.“ 6 (Bundeswehr, Zivilbeschäftigte bei BW und ausländischen Streitkräften, Auswirkungen auf Gewerbe, Handel und Dienstleistungen in strukturschwachen Gebieten mit konzentrierten Militärstandorten, z.B. Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz).

Darüber hinaus beinhaltet Konversionsforschung auch die Konversion von zivilen, sozial und ökologisch schädlichen und volkswirtschaftlich unökonomischen Produkten undd Produktionen (Automobil-, Chemieindustrie, AKW's etc.).

„(…) Konversionsforschung muß die Rolle der Politik in dem Umbauprozeß herausstellen und kann vielleicht neue Modelle dafür entwickeln, wie Umstrukturierungen auch in anderen industriellen Bereichen sozialverträglich ablaufen können.“ 7 Es geht insgesamt um die Aufgabe, neue gesamtgesellschaftliche Konzepte einer demokratischen, sozialen und ökologischen Industrie- und Strukturpolitik zu schaffen mit Konversion als deren Kern.

Gesellschafts- wissenschaftliche Aspekte

Die krisenhaften strukturellen Anpassungsprobleme könnten verringert werden durch gesamtgesellschaftliche Konzepte, die eine aufeinander abgestimmte Politik der Ab- und Umrüstung, der gemeinsamen Sicherheit und des Arbeitsmarktes nötig macht. Da Konversion eine komplexe Gemeinschaftsaufgabe, inter-, supranational, national, regional, kommunal, zwischen Unternehmen und Interessensvereinigungen ist, wären die Hauptfragestellungen für die Sozialwissenschaften:

Welche neuen Konzepte der politischen Regulierung, Abstimmung und Verzahnung, Kompetenzen- und Aufgabenverteilung, Demokratieentwicklung und Kommunikation werden für die Durch- und Umsetzung der Konversion benötigt? und:

Welche Instrumente sind notwendig, um demokratische Strukturen v.a. bei den Entscheidungskompetenzen über das Wie, Was und Wo der Produktion zu erreichen?

Daraus ergeben sich wiederum Fragestellungen für die Rechtswissenschaften:

Welche qualitativ erweiterten Mitbestimmungsgrundlagen müssen dafür auf der betrieblichen, unternehmensweiten, kommunalen und regionalen Ebene entwickelt werden, z.B. für Wirtschafts- und Sozialräte?

Für die Politik-, Sozialwissenschaften und die Friedens- und Konfliktforschung wären wichtige Fragen:

Welche individuellen und gesellschaftlichen Widerstände gegen die Konversion gibt es und welche Ursachen haben sie? „Konversionsforschung muß offenlegen, welche Interessen Konversion behindern oder gar unmöglich machen.“ 8

Welche Möglichkeiten und Potentiale der Formierung von Öffentlichkeit für Konversion gibt es und wie können sie wirksam werden?

Für die Friedens- und Konfliktforschung, Erziehungswissenschaften, Friedenspädagogik und Sozialpsychologie, Kulturwissenschaften ergeben sich aus den Umstrukturierungsprozessen in der Produktion und den sich damit verändernden Sozialisationsbedingungen in allen Lebensbereichen (Individualisierung, Feminisierung, Intellektualisierung) neue Anforderungen auf den Gebieten der Konfliktverarbeitung (neue, alte Feindbilder, Bedrohungsängste): das erfordert insbesondere neue Forschungen für die Entwicklung von ziviler und sozialer, kollektiver und individueller Verarbeitungs- und Umgangsformen und die Begründung von friedlichen und sozialen gesellschaftlichen Bedingungen für die Herausbildung von günstigen und produktiven Prozessen der Persönlichkeitsentwicklung.

Weitere wichtige gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen, die sich aus den Umstrukturierungsprozessen der Konversion ergeben, liegen auf den Gebieten Arbeitsmarktforschung/Weiterbildung.

Naturwissenschaftliche, technische, organisatorische Aspekte

Große Aufgaben gibt es für die Geowissenschaften, Biologie, Chemie, Physik und die Produktionstechnik.

1. bei der Suche nach Möglichkeiten der Umwandlung von stofflichen Prozessen, Produkten und Produktionsabläufen für den ökologischen, sozialen Umbau,

2. bei der Entwicklung neuer Methoden der Verifikation, der Kontrolle, Vernichtung von Waffen und deren ökologisch gefährlichen Substanzen.

Auch wenn die fachliche Arbeit im Bereich Mathematik und Informatik dieses Gebiet bisher nur vereinzelt und in geringen Prozentanteilen berührt, ist einiges Interesse vorhanden, die diversen Zusammenhänge zukünftig verstärkt mit Inhalt zu füllen. Die Berührungspunkte reichen, um nur einige Beispiele zu nennen, von mathematischen Modellen für Konfliktsituationen und zur Kalkulation von Produktionsumstellungen, über computergestützte Überwachungs- und Verifikationssysteme bei Abrüstungsmaßnahmen bis hin zu Konversionsdatenbanken und -planungssystemen.

Die Konversion in den Unternehmen erfordert neue Forschungen für gebrauchswertorientierte, ökologische Produkt- und Produktionsplanungen, für die dann entsprechende technisch-organisatorische Veränderungen der Unternehmensstruktur gefunden werden müssen. Hier sind technische und einzelwirtschaftliche Fragestellungen angesprochen, die sich aber nicht einseitig auf die Managementberatung reduzieren dürfen, sondern strukturell offen mit Belegschaften, Betriebsräten und Gewerkschaften in Projekten gemeinsam zu beantworten sind. Die erworbenen Kenntnisse aller Mitarbeiter eines Unternehmens aus einer Umstellung – (nicht nur des Management) – sind Bestandteil eines neuen Unternehmensprofils der Konversion und gehen in die Konversionsforschung ein. Zweitens: Alle müssen öffentlichen Zugang zu den Prozessen und Ergebnissen der Konversionsforschung haben. Konversionsforschung darf keine Geheimforschung für die Vorstandsetagen der heutigen Rüstungsunternehmen werden! Die Konversion auf Betriebsebene schließt auch von dieser Seite einen qualitativen Ausbau der Mitbestimmungsrechte ein (s.o.).

Aktive Regionalund Strukturpolitik-

Da wesentliche Rüstungsindustrien sich regional massiert in sogenannten Krisenregionen befinden und die naturwüchsige, den Marktkräften ausgelieferte Umstrukturierung der Konversion krisenverschärfend wirken würde (s.o.), liegt es nahe, die „Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion und regionale und kommunale Entwicklung miteinander zu verbinden, … zu versuchen, das bislang durch Rüstungsforschung und -produktion eingesetzte wissenschaftliche und produktive Potential in einer aktiven Regional- und Strukturpolitik in Kooperation aller Beteiligten zu nutzen.“ 9

Aufgabe einer regionalen Konversionsforschung wäre es, eine Konzeption zu entwickeln, die drei Schritte berücksichtigt:

  1. „Eine Struktur- und Defizitanalyse, in der die besonders gravierenden regionalen und kommunalen Belastungen, Unterversorgungen und Problembereiche herausgearbeitet werden …
  2. Eine Potentialanalyse, in die u.a. mögliche Beiträge der wissenschaftlichen und Produktionskapazitäten, die bisher in der Rüstung eingesetzt werden, zur Überwindung der Regionalprobleme einbezogen werden.
  3. Ein regionales Entwicklungsprogramm, das natürlich mehr als ein Rüstungskonversionsprogramm sein muß, in das die Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion jedoch als ein Element präzise integriert sein muß.“ 10

Hochschulpolitische Anforderungen an die Konversionsforschung

Ein zukünftig einzurichtender Bereich für Konversionsforschung müsste u.E. folgende Kriterien berücksichtigen:

  1. Demokratische Öffentlichkeit (Einbezug aller Hochschulangehörigen, der Gewerkschaften, Belegschaftsinitiativen für Alternative Fertigung und der Friedensbewegung);
  2. Interdisziplinarität
  3. Projektorientierung und
  4. Praxisrelevanz, d.h. an konkreten Problemen für bestimmte Betriebe, Kommunen, Regionen etc. in Projekten Lösungskonzepte für die Umstellung und den Umbau zu entwickeln;
  5. die Integration der Forschung in die Lehre: die Forschungsvorhaben werden in Lehrprojekte transformiert. Studierende haben als Lernende am Forschungsvorhaben teil (forschendes Lernen). Interdisziplinäre Lehrveranstaltungen zu diesen Themen werden für alle Interessierten angeboten und sind so konzipiert, daß sie mit der jeweiligen Schwerpunktsetzung in Richtung auf das jeweilige Studienfach für diese »scheinfähig« werden. Das bedeutet Öffnung und Flexibilisierung der jeweiligen Prüfungsordnungen; d.h. »Scheinanerkennung« dieser Veranstaltungen in den jeweiligen Fachbereichen.

Nachdem der Stein für Konversionsforschung und andere alternative Felder wie Frauenforschung, Energiewirtschaft, Biotechnologie durch die Arbeit und Beschlüsse der Hochschulentwicklungsplanungs-Kommission ins Rollen gekommen ist, gilt es jetzt die Durchsetzung voranzubringen. Wir werden über den Fortgang dieser Auseinandersetzung berichten.

Kontaktadresse: Bremische Stiftung für Rüstungskonversion, Goetheplatz 4, 2800 Bremen

Anmerkungen

1) Jörg Huffschmid, Referat, Kongreß „Chancen für Rüstungskonversion“, Bremen, 18.11.89. Zurück

2) vgl. Klaus Potthoff, Thesen zur Konversionsforschung, Kongreß „Chancen für Rüstungskonversion“, Bremen, 18.11.89. Zurück

3) vgl. Huffschmid, a.a.O. Zurück

4) vgl. Huffschmid, a.a.O. Zurück

5) vgl. Potthoff, a.a.O. Zurück

6) vgl. Potthoff, a.a.O. Zurück

7) vgl. Potthoff, Thesen, a.a.O. Zurück

8) vgl. Potthoff, a.a.O. Zurück

9) vgl. Huffschmid, a.a.O. Zurück

10) vgl. Huffschmid, a.a.O. Zurück

Burkhart Freisleben

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1990/1 1990-1, Seite