Rüstungswirtschaft – Konversion statt weitere Aufrüstung
von Herbert Wulf
Die rüstungswirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Mitte der achtziger Jahre ist geprägt durch das Auslaufen einiger großer Rüstungsprogramme (Fregatten, Leopard-Kampfpanzer, Alpha Jet, MRCA Tornado) mit entsprechendem Auftragsrückgang bei den großen Rüstungsbetrieben. Gleichzeitig aber wird die nächste Rüstungsrunde, die Waffengeneration der neunziger Jahre geplant und entwickelt. Hoher Finanzbedarf ist seitens des Verteidigungsministeriums angemeldet worden. Die langfristigen Bundeswehrpläne und das NATO-FOFA (Follow-on-forces-attack)-Konzept mit kräftigen Aufrüstungsschüben konventioneller Waffen verheißen den Rüstungsfirmen blühende Geschäfte ab Anfang/Mitte der neunziger Jahre.
Doch für die Rüstungsindustrie hat die jetzige Planung zwei Haken: Erstens helfen gute Geschäftsaussichten für das nächste Jahrzehnt heute nicht, Kapazitätsüberhänge auszulasten und zweitens ist die Rüstungsrunde in den neunziger Jahren längst noch nicht finanziell abgesichert Das Verteidigungsministerium rechnete 1985 mit einem Gesamtaufwand für die geplanten neuen Waffensysteme von 240 Milliarden Mark.
Doch Preisschätzungen für einige Waffensysteme mußten bereits jetzt nach oben korrigiert werden. Berücksichtigt man die in der Vergangenheit üblichen Preissteigerungen bei Waffen, so muß man ein Finanzvolumen von 500 Milliarden Mark als realistisch ansehen. Das heißt, die Bundeswehrplanung steht auf tönernen Füßen:
entweder muß die Zahl der geplanten Waffen reduziert werden oder aber es muß mehr noch als in der Vergangenheit kräftig zugunsten des Verteidigungsetats aus anderen Haushaltstiteln umgeschichtet werden. Die Politik des Sozialabbaus heute aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen ein primäres Ziel der Bundesregierung – fände eine zusätzliche Legitimation, weil „Sicherheit ihren Preis hat“. Die verheerenden Konsequenzen für Arbeits-, Sozial-, Bildungs-, Jugendpolitik usw. sind leicht vorstellbar.
Wie reagiert die Rüstungsindustrie? Erstens drängt die Industrie – nicht ohne Erfolg – auf die Lockerung der so schon durchlöcherten Exportrestriktionen. Doch den Wünschen der Industrie und dem Wohlwollen der Regierung steht sinkende Kaufkraft in Entwicklungsländern entgegen. Gute Geschäfte werden sicherlich auch in Zukunft gemacht werden, doch die Zeit der rasanten Wachstumsrate im Waffenhandel der vergangenen Dekade ist vorbei. Zweitens drängt die Rüstungsindustrie – ebenfalls erfolgreich – auf die Erhöhung der Aufträge der Bundeswehr. Außerhalb der Langfristplanung der Bundeswehr wurden 1986 aus rein industriellen Erwägungen 150 Leopard Kampfpanzer, 35 MRCA Tornados und zwei Fregatten zusätzlich bestellt. Den kriselnden Werften, den jammernden Panzer- und Flugzeugherstellern kann so kurzfristig aus der Patsche geholfen werden.
Die wirtschaftliche, sicherheits- und friedenspolitisch vernünftige Alternative, einen Konversionsplan zu erstellen und die Überkapazitäten abzubauen, wird weder in der Regierung noch in der Industrie ernsthaft erwogen. Damit sind weitere Aufrüstungsschübe programmiert und neue Hindernisse für eine Verständigung über Rüstungskontrolle oder gar Abrüstung aufgebaut. Soll der Teufelskreis der gegeneinander gerichteten Waffen durchbrochen werden, bietet ein Konversionsprogramm einen guten Ansatz. Finanzielle und wirtschaftliche Argumente sprechen eindeutig gegen den derzeit verfolgten Kurs. Das Einfrieren oder die Kürzung des Militärhaushaltes könnte offensiv als friedenspolitisches Signal vertreten werden und zudem könnten die im Rüstungsbereich eingesparten Mittel sinnvoll – und mit volkswirtschaftlichem Gewinn – in Bereiche gesellschaftlich hoher Priorität umgeleitet werden.
Konfrontiert mit drohender Arbeitslosigkeit, haben Arbeitnehmer in Rüstungsunternehmen Arbeitskreise „Alternative Fertigung“ gegründet, die konkrete Vorschläge zur Umstellung der Rüstungsindustrie vorlegen. Zahlreiche ökologisch und auch ökonomisch sinnvolle Produkte sind vorgeschlagen worden. Untersuchungen der
Umstellungsmöglichkeiten auf zivile Fertigung zeigten, daß die technischen Probleme bewältigbar sind. Vor allem sind in den meisten Betrieben Beschäftigte in der Rüstungsindustrie tätig, deren berufliche Qualifikation nicht nur in der Rüstung, sondern ebenso in ziviler Fertigung sinnvoll – und in der Regel ohne langfristige Umschulung – eingesetzt werden kann.
Konversionsvorschläge scheitern meistens nicht an produktionstechnischen Schwierigkeiten. Hindernisse, die es zu überwinden gilt, tun sich auf drei Ebenen auf:
Erstens weigern sich Firmenleitungen, die von Arbeitnehmern geforderte „Mitbestimmung über die Produkte“ zu akzeptieren. Wenn Beschäftigte in der Rüstungsindustrie die Produktion „sozial nützlicher Produkte“ fordern, heißt dies letztlich, über die Produktpalette, Investitionen des Unternehmens und den Ablauf des Produktionsprozesses mitbestimmen zu wollen.
Zweitens ist die Umstellung in der Rüstungsindustrie in einer wirtschaftlich krisenhaften Situation schwierig. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen in einer entwickelten Industriegesellschaft bedarf es für eine Umstellung mehr als nur einer Produktionsidee im zivilen Bereich. Gesellschaftlich noch so sinnvolle Produkte werden in einer kapitalistischen Gesellschaft nur produziert, wenn für diese Produkte ein Markt vorhanden ist. Ohne staatliche Hilfe ist für zahlreiche Produkte aus dem Umweltschutzbereich, alternativer Energieversorgung, öffentlichen Nahverkehrswesen usw. oftmals kein Markt vorhanden. Staatliche Eingriffe aber werden aus ordnungspolitischen Überlegungen abgelehnt, obwohl die Rüstungsindustrie wie kaum eine andere Branche von staatlichen Entscheidungen abhängig ist.
Drittens schließlich wird der Erhalt und teils gar der Ausbau rüstungsindustrieller Kapazitäten aufgrund sicherheitspolitischer Einschätzungen in den großen Industrieländern fr notwendig erachtet. Nicht Konversion, also der Abbau rüstungsindustrieller Kapazitäten, sondern das Gegenteil ist Ziel staatlicher Politik. Mit einem Konversionsplan kann sicherlich nicht Abrüstung, quasi hinter dem Rücken der politisch Verantwortlichen, erreicht werden; vielmehr – das haben Konversionsstudien gezeigt – ist die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Fertigung technisch und wirtschaftlich realisierbar, wenn der politische Wille zur Abrüstung vorhanden ist und die Aufwendung für Militär und Rüstung vermindert wird und damit für alternative Verwendungen zur Verfügung steht.
Dr. Herbert Wulf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.