W&F 2008/1

Salami-Taktik

von Jürgen Nieth

„Kaum Bedenken gegen Kampfeinsatz“, lautete am 18.01.08 die Überschrift in der Frankfurter Allgemeinen (FAZ). Bei anderen heißt es: „Kampftrupp für Afghanistan“ (tageszeitung, 17.01.08), „Kämpfen heißt der Auftrag“ (Der Tagesspiegel, 17.01.08), „Deutsche an die Front“ (Frankfurter Rundschau 17.01.08), „Bundeswehr plant Eingreiftruppe für Afghanistan (Süddeutsche Zeitung, 17.01.08) „Auf dem Weg in den Kampfeinsatz“ (Berliner Zeitung, 18.01.08).

Verharmlosen hat Methode

Die Presse spricht aus, was die Regierung nicht hören möchte. „Wenn es um Afghanistan geht, meiden die Spitzenpolitiker der Regierung das Wort »Kampfeinsatz« wie die Pest. In Reden von Kanzlerin Angela Merkel taucht das böse K-Wort nicht auf. Ebenso wenig in Stellungnahmen von Verteidigungsminister Jung (CDU) oder Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Sie verniedlichen den Militäreinsatz vielmehr regelmäßig als »Hilfe beim Aufbau« (Merkel), »Stabilisierung« (Jung) oder »Unterstützung der afghanischen Regierung« (Steinmeier).“ (Spiegel, 21.01.08, S.40). Das Verharmlosen hat Methode, doch jetzt haben wir eine Situation.

Schnelle Eingreiftruppe an den Hindukush

Norwegen wird seine »Quick Response Force« (QRF), die unter deutschem Oberkommando im Norden Afghanistans operiert, ab Sommer 2008 aufgeben. Die Aufgaben dieser Einheit soll die Bundeswehr übernehmen. „Von offizieller Seite ist der Auftrag zwar noch nicht bestätigt... doch im Prinzip ist die Sache klar: Die Bundeswehr wird voraussichtlich diesen Sommer eine bis zu 250 Soldaten umfassende Kampfeinheit nach Afghanistan schicken.“ (Der Tagesspiegel, 17.01.08, S.9)

Zeit des Frieden Sicherns vorbei

Der norwegische Kommandeur der QRF, „deren Aufgaben die Bundeswehr... übernehmen wird, sagt: ‚Nur Frieden sichern, diese Zeit ist jetzt vorbei' ... ‚In Nordafghanistan geht es um einen sehr offensiven Ansatz, nicht um Reaktion.' Die Deutschen... müssten ‚ihre Soldaten mental darauf vorbereiten, Krieg zu führen, anderen Verluste beizubringen', vor allem aber: ‚Sie müssen ihre Soldaten darauf vorbereiten, dass sie ihr Leben verlieren können.'“ (Der Tagesspiegel, 19.01.08, S.5).

Eine neue Qualität?

Von den Wehrexperten der Bundestagsopposition sieht Paul Schäfer (Linke) das ähnlich: „Mit der Ausgangsüberlegung eines Friedenssicherungsmandats hat so ein Einsatz nichts mehr zu tun... es muss klar sein: Es geht dabei um Töten und getötet werden.“ (taz, 18.01.08, S.5) Birgit Homburger (FDP) sieht eine neue Qualität des Einsatzes und fordert „das Verteidigungsministerium auf, (diese) offen und ehrlich zu benennen. Nach der Entsendung der Tornado-Aufklärungsflugzeuge im April 2007 würde das Aufgabenspektrum der Bundeswehr... durch »offensive Operationen« erneut erweitert.“ (SZ, 18.01.08, S.5) Grünen Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei räumt zwar ein, „dass für eine QRF ein »militärisch härteres und riskanteres Aufgabenprofil« gelte als für die Absicherung der Regionalen Wiederaufbauteams... Man könne jedoch nicht von einer neuen Qualität sprechen, weil diese Anforderung von Anfang an zu den Aufgaben der Bundeswehr gehört habe.“ (SZ, 18.01.08, S.5) Nachtweis Fraktionskollege Bonde beschreibt „den Unterschied zwischen dem laufenden Einsatz und der Arbeit der Eingreiftruppe mit »einem Tick mehr Material« - also anderen Fahrzeugen und anderen Waffen.“ (taz, 17.01.08)

Salamitaktik

Eine Bundeswehr zum Schutz von Wiederaufbauteams, ihr Einsatz auf den Norden Afghanistans beschränkt. Das war die Botschaft der Vergangenheit (die natürlich nie die ganze Wahrheit enthielt, siehe KSK-Einsätze). Dann folgte der Beschluss zur Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen. Jetzt geht es um eine Schnelle Eingreiftruppe, Einsatzgebiet der Norden. Aber: Das norwegische Kontingent, das die Funktion wahrnahm, die die Bundeswehr übernehmen soll, nahm „im Herbst 2007 an einer Offensive an der Grenze zwischen dem Norden und dem Westen teil - außerhalb des Einsatzgebietes der Bundeswehr.“ (FR 17.01.08, S.1) Und bereits im letzten November sprach sich SPD-Verteidigungsexperte Reiner Arnold für „eine landesweit agierende Isaf-Eingreiftruppe aus, die auch für Kampfeinsätze ausgerüstet sein müsse. Auch Deutschland solle sich mit Bundeswehr-Soldaten an einer solchen Eingreiftruppe beteiligen.“ (SZ 17.01.08, S.6) Diskutiert wird aber nicht nur eine Ausdehnung des Einsatzbereiches, sondern auch die Entsendung von mehr Soldaten. „Die Einschätzung Arnolds, dass die NATO künftig mehr deutsche Kampftruppen für Afghanistan fordern dürfte, wird in der Union im Grundsatz geteilt... CDU Verteidigungsexperte Bernd Siebert: ...'Wenn es am Ende auf uns zukommt, werden wir uns dem nicht entziehen können'.“ (SZ 17.01.08, S.6) SPD-Fraktionschef Struck sieht das wohl ähnlich: Wenn die Bundeswehr neue Aufgaben übernehme..., werde er sich bei der nächsten Mandatsverlängerung im Herbst nicht sperren, die Truppenstärke von derzeit maximal 3.500 Soldaten zu erhöhen.“ (Spiegel, 21.01.08, S.40)

Das Militär denkt noch weiter

Brigadegenerral Kasdorf, Chef des Isaf-Stabs in Kabul, hat laut über den Einsatz von Panzern nachgedacht. „'Man muss überlegen, welche Rolle schwere Ausrüstung künftig spielt... Ohne dass ich einen Panzerkrieg herbeireden möchte'.“ (FAZ 17.01.08, S.1) Und sieben der ranghöchsten ehemaligen Generäle wenden sich nicht nur gegen „zu frühe Festlegungen von Kontingentobergrenzen.“ Sie sehen angesichts der zunehmenden Auslandseinsätze der Bundeswehr vor allem Bedarf an Führung. Sie empfehlen „'eine in der Hierarchie des BMVG höher angesiedelte Operationsabteilung'. Diese solle unmittelbar dem Generalinspekteur unterstellt werden... Im Klartext: die Bundeswehr solle endlich so etwas wie einen Generalstab erhalten.“ (Die Zeit, 17.01.08, S.9) Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde - zumindest offiziell - in deutschen Militärkreisen dieser Begriff gemieden. Sind es nur die »Ehemaligen«, die so denken?

„Firmenchefs holen sich gern Unternehmensberater ins Haus, um bereits definierten Reformbedarf als Erkenntnis externer Fachleute ausgeben... zu können... (Der) Bericht einer Gruppe pensionierter Offiziere über die Organisation von Auslandseinsätzen der Bundeswehr liest sich streckenweise so, als habe Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhahn heimlich Regie geführt.“ (SZ 19.01.08, S.7)

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/1 Rüstungsdynamik und Renuklearisierung, Seite