W&F 1993/3

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Massenmedien, Rassismus und Gewalt

von Christoph Butterwegge

Bei der Analyse von Ursachen des rassistisch motivierten Terrors im vereinten Deutschland stößt man auf Politiker, die Wahlkämpfe mit einer mehr oder minder offen propagierten Fremdenfeindlichkeit zu gewinnen trachten, aber auch auf Medien, die solche Hetztiraden verbreiten oder durch ihre Berichterstattung erleichtern.

Diese Massenmedien erzeugen und/oder verfestigen bei ihren Rezipienten rassistische Haltungen: „Sie sind – auch in bezug auf das Phänomen Rassismus – als eine Art Vierte Gewalt zu betrachten, denn sie haben nicht nur enormen Einfluß auf die herrschenden Diskurse und damit auf das Denken und Handeln der Menschen im Lande, sondern sie tragen Mitverantwortung für die Eskalation von Gewalt gegen Einwanderer und Flüchtlinge.“1

Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Gewalt- und staatliches Machtverhältnis (institutioneller Rassismus: Ausländergesetze, Asylrecht und Abschieberegelungen), aber auch eine Ideologie, die Rangunterschiede zwischen Menschengruppen pseudowissenschaftlich zu rechtfertigen sucht (intellektueller Rassismus) sowie Denken und Handeln von Millionen Menschen beeinflußt (individueller bzw. Alltagsrassismus).2 Die Massenmedien, deren Rolle im folgenden beleuchtet werden soll, fungieren als Vermittler oder Bindeglieder zwischen den unterschiedlichen Wirkungsfeldern des Rassismus. Sie erzeugen, verbreiten und verstärken Feindbilder, die rassistische Gewalttäter als Folie für ihren Haß benutzen.

Die Medien als Sozialisationsinstanz

Auf dem wichtigen Feld der frühkindlichen Sozialisation sind die modernen Kommunikationsmedien, insbesondere das Fernsehen, seit geraumer Zeit auf dem Vormarsch: Da berufstätigen Eltern infolge ihrer Doppelbelastung, ständig steigenden Leistungsdrucks sowie des Verdrängungswettbewerbs auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt tendenziell immer weniger Zeit zur Kinderbetreuung übrigbleibt, erfüllen die Massenmedien im Leben der nachwachsenden Generationen neben Unterhaltungs- längst auch wichtige Erziehungsaufgaben. Das Fernsehen trägt nicht nur zum „Verschwinden der Kindheit“ (Neil Postman), sondern durch seine Gewaltdarstellungen – vor allem im Bereich der Nachrichtensendungen – auch zur Verrohung der Jugend bei.3

Sozialdarwinistische Denkmuster, die Ungleichheit der Menschen betreffend, entstehen nicht von selbst, sondern werden in früher Kindheit eingeübt. Man wird nicht als Rassist geboren, vielmehr dazu im Laufe seines Lebens gemacht. Die (neu)rechte Publizistik, deren Einfluß zunimmt4, aber auch »seriöse« Meinungsträger und Informationsmedien transportieren solche Ideologien in die Köpfe der Bürger/innen hinein – häufig genug, ohne sich dessen bewußt zu sein.

Innerhalb der sehr vielfältigen Medienlandschaft muß zwischen Organen verschiedener Richtungen differenziert werden, um keine Pauschalurteile zu fällen, sondern der Wirklichkeit, die äußerst kompliziert ist, Rechnung zu tragen. Der britische Soziologe Stuart Hall unterscheidet aus diesem Grund zwischen »explizitem« und »implizitem« Rassismus in den Medien, je nachdem, ob die Sachargumente der extremen Rechten offen propagiert werden oder ob rassistische Prämissen (der Ethnologie, Psycho- und Soziobiologie) als unhinterfragte Prinzipien in die Darstellung eingehen. Als Fallbeispiel für letzteres nennt er das liberale »Problem«-Fernsehen zur Einwanderung, wo die steigende Zahl der Flüchtlinge als Ursache der Schwierigkeiten angesehen und zum Ausgangspunkt der kontroversen Erörterung über mögliche Lösungsansätze gemacht wird.5

Die Medienöffentlichkeit prägt zusammen mit dem politischen Klima das Massenbewußtsein und beeinflußt so die Entstehung/Entwicklung des Alltagsrassismus. Während beispielsweise die Informationen über Fluchtursachen und deren Hintergründe – von der ungerechten Weltwirtschaftsordnung und Ausbeutungspraktiken kapitalistischer Großkonzerne über den Öko-Kolonialismus bis zu den Waffenexporten »unserer« Rüstungsindustrie – mehr als defizitär zu nennen sind, behandeln Reportagen aus der sog. Dritten Welt fast nur Kriege bzw. Bürgerkriege, Natur- und Technokatastrophen, Militärputsche und Palastrevolutionen, wodurch sich das Vorurteil verstärkt, daß die Afrikaner, Asiaten und Südamerikaner Nutznießer der westlichen Zivilisation und modernster Technologien sind, aber zur demokratischen Selbstverwaltung unfähig seien.

In der Wohlstands-, Wegwerf- und Walkmangesellschaft des modernen Metropolenkapitalismus zerfallen soziale Beziehungen und Milieus, die Menschen (unterschiedlicher Herkunft, aber auch Hautfarbe) bisher miteinander verbanden, so daß sich Kommunikationsmängel besonders gravierend auswirken. Bilder werden – genauso wie Wörter – zu gefährlichen Waffen, auch wenn sie keine blutenden Wunden hervorrufen. „Die kommunikative Gewalt muß gerade heute, in einer Zeit, in der Gruppen 'Ausländerschweine raus' schreien, bevor sie Asylbewerberheime anzünden, mindestens so ernst genommen werden wie personale, strukturelle und kulturelle Gewalt, zumal eine Interdependenz zwischen diesen besteht.“ 6

Besonders das Programm privater Fernsehanbieter ist überfüllt mit Gewaltdarstellungen. Zwar ist die Wirkung der Mediengewalt höchst umstritten, die Verantwortung der Kommunikationsmedien für das Ausmaß und die wachsende Akzeptanz rechtsextremer Militanz aber nicht zu leugnen. Vor allem die audiovisuellen Medien erfordern eine Konzentration auf die Rezeption sinnlicher Reize, zerstören Kreativität und Spontaneität und machen einen „konsumistischen Vergesellschaftungsmodus“ salonfähig.7

Wie Migranten zu »Fremden« gemacht werden

Den Bewohner(inne)n Mitteleuropas müßte im Zeitalter der modernen Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologien sowie des weltweiten Massentourismus keine Kultur mehr fremd sein. Und doch gelten bestimmte Gruppen von Ausländern als »Fremde«, wohingegen andere gern gesehene Gäste sind. Diese im Alltagsbewußtsein der Bundesbürger ausgebildete Hierarchie zementieren die Medien durch die Art und Weise, wie sie über Ausländer/innen, Flüchtlinge und Zuwanderer berichten. So läßt die Inhaltsanalyse der Tagespresse erkennen, daß Journalist(inn)en deutlich zwischen verschiedenen Gruppen differenzieren. Akzeptiert, wenn nicht gar hofiert werden Ausländer, die sich in ihrer Heimat oder in der Bundesrepublik als Touristen, Künstler oder Sportler aufhalten. Ganz anders fällt die Beurteilung aus, wenn sie in Deutschland arbeiten oder hier Asyl suchen.8

Klaus Merten spricht in diesem Zusammenhang von einem „Negativ-Syndrom“, das in der Lokal- und Boulevardpresse besonders stark ausgeprägt ist, weil beide das »Ausländerproblem« oft mit einer Gefährdung der inneren Sicherheit und einer angeblich drohenden Übervölkerung in Verbindung bringen. Ein Bonmot über Nachrichten („Only bad news are good news“) abwandelnd, könnte man sagen: Nur böse Ausländer sind gute Ausländer. Teun A. van Dijk faßt das Resultat diskursanalytischer Untersuchungen in Großbritannien und den Niederlanden, die durchaus übertragbar sind, dahin zusammen, daß der Rassismus durch den Elite- und Mediendiskurs induziert bzw. reproduziert wird. Seiner Meinung nach sind Presseorgane ein Teil des Problems Rassismus: „Die Strategien, Strukturen und Verfahren der Nachrichtenbeschaffung, Themenauswahl, der Blickwinkel, die Wiedergabe von Meinungen, Stil und Rhetorik richten sich alle darauf, 'uns' positiv und 'sie' negativ darzustellen. Minderheiten haben zudem einen relativ schwierigen Zugang zur Presse; sie werden als weniger glaubwürdig angesehen; ihre Sache gilt nur dann als berichtenswert, wenn sie Probleme verursachen, in Kriminalität oder Gewalt verstrickt sind, oder wenn sie als Bedrohung der weißen Vorherrschaft dargestellt werden können.“ 9

Auch eine Inhaltsanalyse im Bereich des Fernsehens ergab, „daß Angehörige ethnischer Minderheiten als Teilnehmer an Sendungen aller Art, als Gestalter von Beiträgen und als Urheber von Informationen nur beschränkten Zugang zu Massenmedien haben.“ 10 Sie erscheinen vornehmlich als Gegenstand politischer Aufmerksamkeit, administrativen Handelns oder fürsorglicher Zuwendung. Sofern Ausländer/innen – meist beiläufig – in einem anderen thematischen Kontext auftauchen, konzentriert sich die Darstellung gewöhnlich auf kulturgeschichtliche und alltagskulturelle Bereiche, die von der Mehrheitsgesellschaft für harmlos gehalten werden: Sport, Folklore, Musik, Mode, Gastronomie, Tourismus usw.11

(Ethnische) Minderheiten werden mit Hilfe der Massenmedien als solche identifiziert und häufig kriminalisiert.12 „Medien sind sicher nicht allein verantwortlich für die Stigmatisierung von Randgruppen, doch sie stricken mit an der Hervorbringung innergesellschaftlicher Feindbilder, und sie tragen dazu bei, diese aufrechtzuerhalten.“ 13 Überaus problematisch erscheint die Nennung der nichtdeutschen Herkunft von Tatverdächtigen und Straftätern in Zeitungsartikeln über Verbrechen, durch die der Eindruck entsteht, als seien überproportional viele Ausländer kriminell. Identifizierende Hinweise (auf Namen, Nationalität, Hautfarbe o.ä.) sind im Rahmen der Kriminalitätsberichterstattung nämlich nur dann zu rechtfertigen, wenn es die aktuelle Fahndung erfordert.14

Allerdings bedarf es keiner tendenziösen Schlagzeile wie „Türke überfiel Tankstelle“, um die Ausländer zu stigmatisieren und den Rassismus zu stimulieren. Schon eine – scheinbar »objektive« – Statistik zur Ausländerkriminalität, die nicht kommentiert wird, verbreitet die rassistische Botschaft, Menschen anderer Herkunft seien aufgrund ihrer biologischen und/oder kulturellen Disposition für Straftaten anfälliger. Journalist(inn)en, die das geistige Klima mit Horrorstories z.B. über vagabundierende Sinti und Roma (»Zigeuner«), kurdische Dealer (»islamische Drogen-Mafia«) und polnische Schlepperbanden oder Schwarzarbeiter vergiften, sind Wegbereiter der rechtsextremistischen Gewalttäter. In Wirklichkeit sind Ausländer nicht krimineller als Deutsche, und es gibt wohl kaum ein »Argument« von Rassisten, das durch kritische Reflexion und journalistische Recherche überzeugender zu widerlegen wäre.15

In den Äußerungen von Versuchspersonen, mit denen das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) Tiefeninterviews durchführte, um dem Alltagsrassismus auf die Spur zu kommen16, finden sich auffallend häufig die Ausländer in den Massenmedien charakterisierende Schlagwörter und Redewendungen wieder. Somit war der Einfluß des Mediendiskurses auf die Meinungsbildung deutscher »Durchschnittsbürger« nachweisbar. Außerdem beriefen sich Interviewte zum Teil explizit auf Presseveröffentlichungen („…steht doch in jeder Zeitung“).

Es ist so ähnlich wie im Kriegsfall: Bevor die Waffen sprechen, wird die Sprache zur Waffe. Ohne die alarmistischen Berichte der Massenmedien über »Scheinasylanten« und »Asylantenfluten« wären Pogrome wie in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen wohl kaum von einem großen Publikum mit Applaus bedacht worden. Im deutschen Mediendiskurs dominieren seit 1989/90 Kollektivsymbole wie »brechende Dämme« und das »volle Boot«, die keineswegs nur in rechtsextremen Presseorganen mit (neo)rassistischen Positionen verknüpft werden.17 BILD, auflagenstärkstes Boulevardblatt der Bundesrepublik, hatte die Stimmung gegen Flüchtlinge im Herbst 1991 so weit angeheizt18, daß sich rechtsextreme Gewalttäter der Sympathie breiter Schichten erfreuten.

Weshalb bezeichnen liberal-konservative Politiker und Publizisten die Zuwanderer aus Elendsregionen als »Wirtschaftsflüchtlinge«, statt beispielsweise Tennisstars wie Boris Becker und Michael Stich, die ihren Wohnsitz aus steuerlichen Gründen nach Monaco verlegt haben, so zu nennen? Migrant(inn)en aus Osteuropa und der sog. Dritten Welt eignen sich hervorragend, um von sozialen und mentalen Problemen im Gefolge der Wiedervereinigung Deutschlands abzulenken. Auch im Rahmen des Versuchs einer Reorganisation der »nationalen Identität« spielen die Massenmedien seit 1989/90 eine Hauptrolle. So hat Nora Räthzel gezeigt, wie die Asyldebatte in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften dazu benutzt wurde, ein homogenes deutsches Volk (als Opfer der Ausbeutung/Überfremdung durch »die Anderen«) zu konstruieren.19 Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung reklamierte die politische Klasse den Begriff »Solidarität« für sich und interpretierte diese (als Bringschuld der West- gegenüber den Ostdeutschen) nationalistisch um.20 Schließlich halfen die Massenmedien mit, daß Deutschlands Einheit als Grund für seine »weltpolitische Verantwortung« im Sinne militärischer Großmachtambitionen bemüht wurde. Durch den Hinweis auf die angebliche Notwendigkeit von UN-Operationen zu humanitären Zwecken legitimiert man den Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee.21

Die Berichterstattung über rassistische Gewalt und rechtsextreme Organisationen

Die jüngsten (Wahl-)Erfolge verdankt der Rechtsextremismus zwar nicht medialer Vermittlung seiner Politik und Programmatik, sie wären jedoch viel mühsamer gewesen, hätten Journalisten und Redaktionen keine gravierenden Fehler gemacht. Zuerst wurde das komplexe Phänomen Rechtsextremismus auf den Teilaspekt Neonazismus verkürzt. „Jahrelang galt die Devise: Spektakulär muß es sein, wenn Medien über Rechtsextremismus berichten. Und so wurden sie dann über die Bildschirme in die Wohnstuben transportiert wie eine Menagerie, die Neonazis: blöd, brutal und besoffen. Immer wieder grölende Skinheads, den Arm zum Hitler-Gruß gestreckt, verzerrte Fratzen. Stiefelgetrampel, Fahnenschwingen, plumpe Parolen.“22 Die Journalistin Franziska Hundseder wirft Berufskollegen vor, daß sie Michael Kühnen, Ewald Althans und andere selbsternannte Neonazi-Führer erst so richtig populär gemacht, den Massenmedien, daß sie rechtsextremen Medienprofis wie dem REP-Vorsitzenden Schönhuber eine öffentliche Bühne geboten haben.

Hinsichtlich rassistischer Gewalt erfüllen die Massenmedien eine Initial- bzw. Katalysatorfunktion und haben insofern gewissermaßen einen Verstärkereffekt, was auch umgekehrt gilt: „Die Erwartungen von Gewalttätern und Medien sind (…) wechselseitig aufeinander bezogen und bestärken sich gegenseitig.“23 Für Rechtsextremisten ist das Medienecho oftmals wichtiger als der Überfall auf ein Flüchtlingswohnheim, und Journalisten vermarkten die Nachricht darüber. In Einzelfällen ging der Kontakt zwischen beiden Seiten sogar bis zur Kumpanei oder Komplizenschaft: Fernsehteams sollen Skinheads für provokative Auftritte Honorar gezahlt haben.

Wenn überhaupt, informieren die Massenmedien ereignisorientiert über rassistisch motivierte Gewalttaten. Hintergrundberichte und anspruchsvolle Ursachenanalysen kommen demgegenüber viel zu kurz. Rechtsextremisten handeln, und die Medien reagieren darauf, wobei Urheber, Hintermänner und Opfer meistens im dunkeln bleiben. In der Berichterstattung über Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen wurde entweder durch völlige Ausblendung des organisierten Rechtsextremismus der Eindruck erweckt, als habe sich dort der »Volkszorn« eher naturwüchsig entladen24, oder durch Konzentration auf – meist jugendliche – Neonazis so getan, als stünden diese außerhalb eines gesellschaftlichen und politischen Bedingungszusammenhanges, der sie zu ihren Aktionen ermutigt. Nur selten gerieten jene »Skinheads in Nadelstreifen« aus der Grauzone zwischen etabliertem Nationalkonservatismus und Rechtsextremismus, die an den Schalthebeln der Macht von Wirtschaft, Wissenschaft und Publizistik sitzen25, in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Auch die vielfältigen – sich aber nicht, wie manche Linke meinen26, zu einem »Pakt« verdichtenden – Interaktionen zwischen Neonazis und Staat sind für die meisten Journalist(inn)en überhaupt kein Thema.

Für Übergriffe auf Flüchtling(swohnheim)e und die Eskalation der Gewalt wurde nicht etwa die demagogische Diskussion über das Asylrecht, sondern dessen angeblicher »massenhafter Mißbrauch« verantwortlich gemacht.27 Ohne die monatelange Medienkampagne zur Änderung des Grundgesetzes hätte aber vermutlich gar kein Pogrom stattgefunden. Die publizistische Stimmungsmache gegen Flüchtlinge half den geistigen Nährboden für Hetzpropaganda neonazistischer Organisationen und rassistische Übergriffe zu bereiten.

Brandstifter, Mordbrenner und Messerstecher fühlen sich nicht als Verbrecher, sondern als Märtyrer, weil ihnen Haftstrafen drohen, wenn sie den tagtäglich über die Medien vermittelten Grundgedanken der Regierungspolitik, wonach »Deutschland den Deutschen« gehört und Zuwanderer unerwünscht sind, mit Gewalt »vor Ort« umsetzen. Zwar erwecken die meisten Massenmedien gegenwärtig den Eindruck, das Flüchtlingsproblem sei durch die Änderung des Art. 16 GG (für Deutschland) gelöst. In Wahrheit wird die Asyldebatte fortdauern, sind doch weder die Fluchtursachen in den Herkunftsländern (Armut, Hunger, Seuchen, Ausbeutung und Unterdrückung) beseitigt, noch bedeuten die Abschottung gegenüber Flüchtlingen sowie die bloße Problemverlagerung gen Osten (nach Polen bzw. Tschechien), daß sich die Bundesrepublik den Folgen ihrer Politik entzogen hat. Außerdem haben nicht nur die rechtsextremen Parteien ein Interesse daran, das Thema im »Superwahljahr 1994« als Wahlkampfschlager zu mißbrauchen.

Neben der (Re-)Privatisierung sozialer Risiken, Deregulierung und Rationalisierung im Gefolge des Regierungswechsels Schmidt/Kohl 1982 hat die Privatisierung audiovisueller Medien zur dramatischen Rechtsentwicklung und zur Privatisierung der Gewalt beigetragen. Mit entsprechenden Landesmediengesetzen, dem 4. Rundfunk-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (November 1986) sowie dem 1991 auf die ostdeutschen Länder ausgeweiteten Staatsvertrag von 1987 wurde die neue Struktur, »duales System« genannt, festgeschrieben. Die Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Anstalten führt zwar zur »Belebung des Geschäfts«, zu einer Steigerung der Werbeeinnahmen, nicht aber zur Programmvielfalt und -verbesserung.

Ganz im Gegenteil ist zu befürchten, daß Kinder und Jugendliche auf Blutorgien des Reality-TV mit steigender Gewaltbereitschaft reagieren. Daher kann man die Verantwortung der Medienmacher für die Bestätigung oder Bekämpfung rassistischer Ressentiments im Massenbewußtsein gar nicht überschätzen. Georg Hansen vermutet denn auch, daß die Massenmedien im europäischen Einigungsprozeß jene Rolle einer geistigen Formierung der Nation und Ausgrenzung aller »Gemeinschaftsfremden« übernehmen, die der Schule im Rahmen der Reichsgründung 1870/71 zufiel.28

Alternativen zur bisherigen Medienpraxis

Genausowenig, wie der Rechtsextremismus/Rassismus ein Produkt der Massenmedien ist, genausowenig können sie ihn wieder verschwinden lassen.29 Durch die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sowie systematische Aufklärung des Publikums über seine Wurzeln, Methoden und Ziele wäre es jedoch möglich, eine weitere Vergiftung der politischen Kultur verhindern zu helfen. Als interessante Fragestellungen, die dabei ins Blickfeld gerückt werden sollten, seien beispielhaft genannt: Woher erhalten die Rechtsextremisten Geld? Wer sind ihre Unterstützer? Wie sieht die Tätigkeit der rechtsextremen Parteien in Kommunal- und Landesparlamenten aus? Welche Vorfeldorganisationen (Freundeskreise, Bildungswerke, Stiftungen usw.) arbeiten ihnen zu?30

Die unsägliche Asyldebatte hat das Bild des Durchschnittsdeutschen vom ausländischen Flüchtling derart verdunkelt, daß es in nächster Zeit schwerfallen dürfte, wieder für Klarheit, Warmherzigkeit und mehr Aufgeschlossenheit zu sorgen. Gutgemeinte moralische Appelle zugunsten ausländischer Mitbürger/innen können zudem fundierte Informationen über deren Alltag nicht ersetzen. Bisher fehlen der Berichterstattung darüber inhaltlicher Tiefgang und Kontinuität: „Wichtiges auf der Tagesordnung zu halten, obwohl, also weil es chronisch geworden ist, darin liegt heute eine der größten und anstregendsten Leistungen aller Medienarbeit, deren Charakteristikum und Schicksal doch zu sein scheint, alle Tage mit Neuigkeiten aufwarten zu müssen, wobei die letzte die jeweils vorletzte erledigt.“ 31

Aufklärung deutscher Rezipienten über die schwierige Lage von Migranten würde das Verständnis füreinander und das friedliche Zusammenleben erleichtern. Statt – häufig mit einem Anflug von Sensationsgier – über Probleme zu berichten, die Flüchtlinge machen, könnte etwa das Fernsehen mehr und genauer über Probleme berichten, die sie haben (Fluchttraumata, Angst vor Abschiebung und Anschlägen). Einwandererkinder als (freie) Mitarbeiter/innen der Massenmedien würden aufgrund ihrer intimen Kenntnis beider Kulturen ein genaueres Bild der Ausländerwirklichkeit vermitteln und das Vorurteil, »Gastarbeiter« und Asylbewerber/innen seien überwiegend Kriminelle bzw. »Sozialschmarotzer«, überzeugender widerlegen.32

Gängige Klischees sollten hinterfragt und Kollektivsymbole wie die »Wohlstandsfestung« als Bezeichnung für (West-)Europa nicht mehr benutzt werden. Die »Solidität des Denkens« und die »Sensibilität der Sprache« müssen durch eine »Solidarität des Handelns« ergänzt werden. ZDF-Intendant Stolte weist jedoch auf einen Widerspruch hin, den es aufzulösen gilt, bevor sich Erfolge im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus einstellen können: „Aufrufe zur Toleranz inmitten eines gewaltbeherrschten Programms wirken (…) unglaubwürdig.“ 33 Da die öffentlich-rechtlichen wie die privaten Fernsehanstalten unter dem Diktat der Einschaltquoten stehen, ist fraglich, ob Selbstbeschränkungen mittels eines Verhaltenskodexes für Journalisten die verantwortungsvolle Berichterstattung über Fremdenfeindlichkeit und Gewalt gegen Ausländer sicherstellen können. Wahrscheinlich lassen sich bloß die schlimmsten Auswüchse des Sensationsjournalismus eindämmen, wie etwa von skrupellosen Fernsehreportern inszenierte Gewaltakte: „Wer andere zu Gewalt oder kriminellen Handlungen auffordert, sie gar dafür bezahlt, um entsprechend spektakuläre Bilder zu erhalten, setzt nicht nur die Glaubwürdigkeit des Mediums aufs Spiel, sondern handelt selbst kriminell.“ 34

Um den Rechtsextremismus und die Jugendgewalt zurückdrängen bzw. eindämmen zu können, bedarf es grundlegender demokratischer und sozialer Reformen, nicht zuletzt im Medienbereich. Obwohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin unter finanziellem wie politischem Druck steht und eine neue Privatisierungsoffensive droht, gehört dazu eine Umstrukturierung des dualen Systems. Die Gefahr, daß Massenmedien zu Steigbügelhaltern der rechtsextremen Parteien werden, besteht so lange, wie Nachrichten eine Ware – nicht anders als Nescafé, Nähgarn oder Nerzmäntel – bleiben, zumal die Konzentration des Medienkapitals, verknüpft mit politischer Machtzusammenballung, Einschränkungen der Meinungsvielfalt und Möglichkeiten persönlicher Einflußnahme durch Privateigentümer, weiter fortschreitet.

Die Auflösung solcher Gruppierungen wie der »Nationalistischen Front«, der »Deutschen Alternative« und der »Nationalen Offensive« muß mit einer Aufklärung über ihre republikanisch-demokratischen Prinzipien widersprechenden Positionen verbunden werden, soll sie nicht zum politischen Feigenblatt gegenüber dem Ausland verkommen. Hierbei könnten die Medien ihre wichtige Aufgabe als öffentliche Kontrollinstanz und demokratisches Gewissen der Nation wahrnehmen.

Den Bürger(inne)n, die Angst vor Fremden haben, weil sie um ihren – oftmals bescheidenen – Lebensstandard fürchten, muß klargemacht werden, daß es ihren eigenen Interessen nicht widerspricht, wenn die Gleichheit der Menschen juristisch kodifiziert und realisiert wird. Statt monatelang über »Flüchtlingsströme« zu lamentieren, könnte man die für unser Gemeinwesen viel teurere Kapitalflucht (aufgrund der Zinsabschlagssteuer, die seit dem 1. Januar 1993 erhoben wird) problematisieren. Ansatzpunkte für antirassistische Strategien und Maßnahmen gibt es genug35; sie müßten nur in der Öffentlichkeit bekanntgemacht und sodann in die Praxis umgesetzt werden, wobei den Kommunikationsmedien wiederum eine Hauptaufgabe zufällt.

Anmerkungen

1) Siegfried Jäger/Jürgen Link, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Die Vierte Gewalt. Rassismus und die Medien, Duisburg 1993, S. 12 Zurück

2) Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge, Der Funktionswandel des Rassismus und die Erfolge des Rechtsextremismus, in: ders./Siegfried Jäger (Hrsg.), Rassismus in Europa, 2. Aufl. Köln 1993, S. 181 ff. Zurück

3) Vgl. Neil Postman, Das Verschwinden der Kindheit, Frankfurt am Main 1987, S. 111 Zurück

4) Vgl. dazu: Peter Dudek/Hans-Gerd Jaschke, Revolte von rechts. Anatomie einer neuen Jugendpresse, Frankfurt am Main/New York 1981; Siegfried Jäger (Hrsg.), Rechtsdruck. Die Presse der Neuen Rechten, Berlin/Bonn 1988; Astrid Lange, Was die Rechten lesen. Fünfzig rechtsextreme Zeitschriften. Ziele, Inhalte, Taktik, München 1993 Zurück

5) Vgl. Stuart Hall, Die Konstruktion von »Rasse« in den Medien, in: ders., Ausgewählte Schriften, Hamburg/Berlin (West) 1989, S. 155 f. Zurück

6) Christa Jenal, Zwischen Ungeschicklichkeit und Skandal. Die Gewaltsprache in Politik und Medien, in: Johan Galtung u.a. (Hrsg.), Gewalt im Alltag und in der Weltpolitik. Friedenswissenschaftliche Stichwörter zur Zeitdiagnose, Münster 1993, S. 167 Zurück

7) Siehe Götz Eisenberg/Reimer Gronemeyer, Jugend und Gewalt. Der neue Generationenkonflikt oder Der Zerfall der zivilen Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 126 Zurück

8) Vgl. Klaus Merten, Das Bild der Ausländer in der deutschen Presse. Ergebnisse einer systematischen Inhaltsanalyse, Frankfurt am Main 1986, S. 106 Zurück

9) Teun A. van Dijk, Intellektuelle, Rassismus und die Presse, in: FORUM WISSENSCHAFT 3/1992, S. 27 Zurück

10) Siehe Hildegard Kühne-Scholand, Die Darstellung der Ausländer im deutschen Fernsehen. Ergebnisse einer inhaltsanalytischen Untersuchung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Ausländer und Massenmedien. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Vorträge und Materialien einer internationalen Fachtagung vom 2. bis 4. Dezember 1986, Bonn 1987, S. 83 Zurück

11) Vgl. ebd., S. 84 Zurück

12) Vgl. dazu: Franz Hamburger (Hrsg.), Kriminalisierung von Minderheiten in den Medien. Fallstudien zum »Zigeuner«-Bild der Tagespresse, Mainz 1988 Zurück

13) Hans-Gerd Jaschke, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und das Fernsehen. Eine medienkritische Betrachtung, in: Institut für Sozialforschung (Hrsg.), Aspekte der Fremdenfeindlichkeit. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Frankfurt am Main/New York 1992, S. 56 Zurück

14) Vgl. Klaus Merten, Das Bild der Ausländer in der deutschen Presse, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Ausländer und Massenmedien, a.a.O., S. 77 Zurück

15) Vgl. z.B. Heiner Geißler, Ausländer in Deutschland – für eine Gesellschaft der Gleichberechtigung, in: Christoph Butterwegge/Siegfried Jäger (Hrsg.), Europa gegen den Rest der welt?, Flüchtlingsbewegungen – Einwanderung – Asylpolitik, Köln 1993, S. 279 ff. Zurück

16) Vgl. dazu: Siegfried Jäger, BrandSätze. Rassismus im Alltag, 3. Aufl. Duisburg 1993 Zurück

17) Vgl. Ute Gerhard, Wenn Flüchtlinge und Einwanderer zu »Asylantenfluten« werden. Zum Anteil des Mediendiskurses an rassistischen Pogromen, in: Siegfried Jäger/Franz Januschek (Hrsg.), Der Diskurs des Rassismus. Ergebnisse des DISS-Kolloquiums November 1991, Oldenburg 1992, S. 171 Zurück

18) Vgl. Andreas Quinkert/Siegfried Jäger, Warum dieser Haß in Hoyerswerda? – Die rassistische Hetze von BILD gegen Flüchtlinge im Herbst 1991, Duisburg 1991 Zurück

19) Vgl. Nora Räthzel, Zur Bedeutung von Asylpolitik und neuen Rassismen bei der Reorganisierung der nationalen Identität im vereinigten Deutschland, in: Christoph Butterwegge/Siegfried Jäger (Hrsg.), Rassismus in Europa, a.a.O., S. 216 ff. Zurück

20) Vgl. z.B. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Nationale Solidarität mit den Menschen in der DDR, Bonn 1990 Zurück

21) Vgl. dazu auch: Jürgen Link, Zu Hause »asylantenfrei« – in Übersee auf »Friedensmission«?, Über eine eigenartige diskursive Konstellation, in: Siegfried Jäger/Jürgen Link (Hrsg.), Die Vierte Gewalt, a.a.O., S. 31 ff. Zurück

22) Franziska Hundseder, Wie Medien mit dem Thema Rechtsextremismus umgehen, in: Kurt Faller u.a. (Hrsg.), Dem Haß keine Chance. Wie ist die Gewalt zu stoppen?, Köln 1993, S. 86 Zurück

23) Johannes Esser/Thomas Dominikowski, Die Lust an der Gewalttätigkeit bei Jugendlichen. Krisenprofile – Ursachen – Handlungsorientierungen für die Jugendarbeit, Frankfurt am Main 1993, S. 24 Zurück

24) Vgl. Martin Dietzsch, Rechte Träume vom Terror, in: DISS (Hrsg.), SchlagZeilen. Rostock: Rassismus in den Medien, Duisburg 1992, S. 52 Zurück

25) Vgl. dazu: Raimund Hethey/Peter Kratz (Hrsg.), In bester Gesellschaft. Antifa-Recherche zwischen Konservatismus und Neo-Faschismus, Göttingen 1991 Zurück

26) Siehe Bernd Siegler u.a., Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Der Pakt. Die Rechten und der Staat, Göttingen 1993, S. 9 Zurück

27) Vgl. Joachim Pfennig, Aus Opfern werden Täter. Verschärfung der Asyl- und Ausländerpolitik, in: DISS (Hrsg.), SchlagZeilen, a.a.O., S. 19 f. Zurück

28) Vgl. Georg Hansen, Die exekutierte Einheit. Vom Deutschen Reich zur Nation Europa, Frankfurt am Main/New York 1991, S. 111 Zurück

29) Vgl. Franziska Hundseder, Wie Medien mit dem Thema Rechtsextremismus umgehen, a.a.O., S. 81 Zurück

30) Vgl. ebd., S. 88 Zurück

31) Hans Janke, Vermittelte Fremde: Ausländer in den Medien, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Ausländer und Massenmedien, a.a.O., S. 63 Zurück

32) Vgl. Klaus Merten, Das Bild der Ausländer in der deutschen Presse; ebd., S. 78 Zurück

33) Dieter Stolte, Wehret den Anfängen! – Die Rolle des Fernsehens, in: Reinhard Appel (Hrsg.), Wehret den Anfängen! – Prominente gegen Rechtsextremismus und Fremdenhaß, Bergisch Gladbach 1993, S. 109 f. Zurück

34) Ebd., S. 109 Zurück

35) Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge, Die Rolle der Massenmedien in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus/Rassismus. Ansatzpunkte einer Gegenstrategie, in: Siegfried Jäger/Jürgen Link (Hrsg.), Die Vierte Gewalt, a.a.O., S. 305 ff. Zurück

Dr. Christoph Butterwegge (Politikwissenschaftler) ist Privatdozent an der Universität Bremen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1993/3 Medien und Gewalt, Seite