SDI – das Geschäft des Jahrhunderts
von Christopher Cohen, Karlheinz Müller
In der Diskussion um die „Strategic Defense Initiative“ stehen bislang Fragen nach der militärstrategischen Tauglichkeit und der technischen Machbarkeit im Vordergrund. Also: dient die Militarisierung des Weltraums wirklich der Verteidigung oder ist sie in gefährlicher Weise destabilisierend? Ist es möglich, einen hundertprozentig wirkenden Schutzschild gegen Atomraketen aufzubauen? Wenn nicht, welchen Charakter hat ein solches Abwehrsystem im Rahmen offensiver Optionen? Seitdem sich herumgesprochen hat, daß SDI „das teuerste Forschungsprogramm (ist), das es je gegeben hat“ 1, geraten die Fragen der Ökonomie stärker ins Blickfeld. Dabei wird zumeist problematisiert, ob ein solches Raketenabwehrsystem Überhaupt finanzierbar sei. Vor allem die seitens der USA nunmehr betriebene Einbindung Westeuropas in SDI hat hierzulande die Frage aufkommen lassen, welche Belastungen der Bundeshaushalt dadurch erfahren würde. Zu wenig ist bis dato darüber geredet worden, daß mit SDI auch Geschäft gemacht wird. Wenn es realisiert würde, einträglicher als Rüstungsaufträge je zuvor!
Innerhalb von fünf Jahren soll die Rekordsumme von über 24,2 Mrd. $ unmittelbar von dieser Initiative verschlungen werden 1. Die Dimensionen werden in Vergleichen mit dem Apollo-Programm oder dem Manhattan-Projekt beschrieben. 2 Sollte die strategische Raketenabwehr in Produktion gehen, würde sie alle Rekorde bisheriger Rüstungsausgaben in de r Geschichte der Menschheit in den Schatten stellen.
Mit einem geschätzten Umfang von 500 Mrd bis zu 1,25 Billionen $ 3 wäre sie: DAS JAHRHUNDERTGESCHÄFT!
Ausgehend von dieser Erkenntnis ist es notwendig, den ökonomischen Rahmen der SDI genauer zu untersuchen und die mit der Errichtung einer strategischen Raketenabwehr verbundenen Interessen zu beleuchten, um die ökonomische Bedeutung der SDI adäquat bestimmen zu können.
Der Umstand, daß die Ausgaben des DoD (Department of Defense, Verteidigungsministerium) für SDI-R&D (Research and Development, Forschung und Entwicklung) erst einen relativ kleinen Anteil (1984 = 3,7 %) an den gesamten R&D Ausgaben des DoD ausmachen 4, verschleiert, daß schon mit den jetzigen, relativ geringen Ausgaben, entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt werden.
Tatsächlich lassen sich absolut betrachtet beträchtliche Ausgaben für SDI nachweisen, allein im Haushaltsjahr 1984 betrugen sie annähernd 1 Mrd $.5
Für SDI-R&D sind in der Planung des DoD-R&D-Budgets der nächsten Jahre überproportionale Steigerungen vorgesehen. Die Ausgaben im Budget 1986 werden ca. das 2,5-fache der Ausgaben für 1985 erreichen 6 und über 28 % der realen Steigerung der Gesamtausgaben für R&D in den USA vereinnahmen.7
1989 soll der SDI-Anteil am DoD-R&D-Budget 15,7 % betragen 8, das sind über 4,5 % der staatlichen und privaten Gesamtausgaben für R&D in den USA.9
Entsprechend dem frühen Stadium der Entwicklung sind für fast alle Projekte sowie das Gesamtsystem konzeptionelle Grundüberlegungen und Planungen eingeleitet worden, mit denen die Rüstungskonzerne durch entsprechende Verträge betraut worden sind.
Verwiesen sei insbesondere auf die „system architecture“- Verträge. Um diese 10 Aufträge (zu je 1 Mio $), Gesamtkonzeptionen für ein integriertes Abwehrsystem zu erstellen, bewarben sich über 240 Rüstungsfirmen. Im Dezember 1984 erhielten Mc Donnell Douglas, Lockheed, Teledyne, TRW, Rockwelt International, Martin Marietta, Hughes Aerospace, Sparta, General Research und Science Applications den Zuschlag. 10
Für Einzelprojektstudien wurden vom DoD ähnliche Verträge nur die Planung vergeben oder befinden sich in: der Ausschreibung.
Die frühe Beteiligung der Rüstungsfirmen an den SDI-Planungsprozessen mittels dieser Konzeptionsverträge sichert ihnen einen wichtigen Einfluß auf Entscheidungen über Produktionsbeginn und Ausgestaltung des ABM-Systems. In allen Teilbereichen der SDI ist die Rüstungsindustrie mit der Beurteilung der Durchführbarkeit und möglichen Ausgestaltung der Einzelprojekte beauftragt und somit in die wesentlichen Entscheidungsprozesse integriert. Es ist zu befürchten, daß die Grundentscheidung, ob eine weltraumgestützte BMD errichtet werden soll, dem parlamentarisch- politischen Prozess weitgehend entzogen ist und dessen Spielraum lediglich in der Frage der Ausgestaltung des Systems besteht.
Die Konzerne werden ihren Einfluß v. a. für einen baldigen Produktionsbeginn geltend machen, da in der Produktion höhere Renditen als in der Forschung und Entwicklung zu erwarten sind. So auch ein Repräsentant eines Rüstungskonzerns gegenüber der „Washington Post“: „Jeder weiß, daß man kein Geld mit technologischen Forschungsprogrammen macht. Wir brauchen die Produktion!“11
Der hohe Einfluß privatwirtschaftlicher Unternehmen auf die SDI- Planung und -Gestaltung macht sich auch anhand der jetzt schon zu verzeichnenden Konzentration auf wenige, große Firmen fest. Die 10 größten Vertragsnehmer im Haushaltsjahr 1983 und 1984 für SDI erhielten alleine 80 % der zu vergebenden Aufträge.12
Interessanterweise sind die meisten dieser Konzerne auch die führenden Vertragspartner in der Entwicklung und Produktion der neuen Offensivwaffensysteme:13
Boeing | - MX- Rakete, B 1-Bomber, Cruise Missile |
McDonnell Douglas | - Cruise Missile |
Lockheed | - Cruise Missile, Trident |
LTV Aerospace | - B l-Bomber |
TRW | - MX-Rakete |
Rockwell Int | - MX-Rakete, B 1- Bomber |
Martin Marietta | - MX-Rakete, Pershing II |
Hughes | - Cruise Missile |
Litton | - Cruise Missile |
Daß es keine moralischen Gründe sind die die Rüstungsunternehmen zur Arbeit an „defensiven“ Waffensystemen treiben, ist anzunehmen: „Hier ist eine kolossale Menge Geld drin, und an dieser Art Tätigkeit ist Boeing interessiert. Wenn wir etwas für die Regierung tun können, das in unseren Kräften liegt, und das Geld bringt, dann werden wir es tun. Wir sind keine Philantropen.“14
Neben einer Konzentration auf wenige Firmen kann auch eine geographische Konzentration festgestellt werden. Vier Bundesstaaten ragen mit den größten SDI-R&D-Anteilen heraus: Californien (49,3 %), Washington (22,5 %), Alabama (9,9 %) und Texas (6,4 %). 15
Aus dieser hohen geographischen Konzentration ergeben sich schwerwiegende Auswirkungen auf die. Entscheidungsprozesse in den Häusern des Kongresses. Die Senatoren und Abgeordneten dieser Bundesstaaten werden einem erhöhten Druck ausgesetzt, sich für die SDI und alle damit verbundenen Konsequenzen einzusetzen. Ca. 99 % der seit 1983 vergebenen Aufträge für die Entwicklung des strategischen Abwehrsystems flossen in solche Bundesstaaten oder Distrikte, deren Abgeordnete und Senatoren in den Schlüsselausschüssen Für militärpolitische Fragen vertreten sind.16
Ihren Einfluß auf die militärpolitischen Entscheidungen sichern sich rüstungsorientierte Firmen über Lobbyisten, Political Action Committees, die die Wahlkämpfe der Abgeordneten und Senatoren finanzieren, sowie durch direkte Beteiligung in Planungs- und Beratungsausschüssen des DoD.17
Das starke Drängen dieser Großunternehmen auf Verwirklichung der SDI in der Produktion gründet auf die riesigen, kaum abzuschätzenden finanziellen Ausmaße dieses Jahrhundertgeschäfts und der erhofften Gewinne.
Die US-amerikanische Union of Concerned Scientists geht in ihrer Studie über eine weltraumgestützte Raketenabwehr davon aus, daß „viele Hundert Milliarden Dollar“ zur Produktion aufgewendet werden müßten 18. Eine Realisierung des Projekts hätte ungeheure Auswirkungen auf die US-Ökonomie und insbesondere den Staatshaushalt. 1985.wird das Haushaltsdefizit der USA bereits 700 Mrd DM betragen, die USA werden erstmals in ihrer Geschichte zum Nettoschuldnerland werden. 1986 werden sie bereits das größte Schuldnerland der Erde sein. 19
Diese Prognosen in all ihrer Dramatik haben die Kosten für SDI noch nicht einbezogen. Ginge die SDI in Produktion, hätte das eine zusätzliche wesentliche Verschärfung dieses Defizits zur Folge.
Parabel dazu gäbe es eine weitere Umverteilung staatlicher Mittel aus bereits jetzt stagnierenden Industrien in die stark monopolisierte Rüstungs- und Elektronikindustrie, nicht zu vergessen einen noch massiveren Sozialabbau.
Das Rechtfertigungsargument zu erwartender Technologieentwicklungen, die für die gesamte US-Industrie, inklusive der zivilen, nutzbar gemacht werden könnten, – Hauptargument, um auch das europäische Kapital für das Vorhaben eines weltraumgestützten BMD-Systems zu gewinnen – vermag angesichts der skizzierten Gefahren kaum zu überzeugen.
In den Diskussionen innerhalb der Friedensbewegung wird in Zukunft stärker darauf einzugehen sein, welche Interessen des „big business“ mit der SDI verbunden sind, welche Auswirkungen sie auf die US-amerikanische und europäische Ökonomie haben wird und welche Bündnispartner resultierend aus dieser Erkenntis für den Kampf gegen ein strategisches Raketenabwehrsystem gewonnen werden können und müssen.
Wachstum in den Ausgaben für SDI von Haushaltsjahr 1985 auf 1986 nach Programmelementen | |||
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Programmelemente | 1985 Budget in Mio.$ | 1986 Forderung in Mio.$ | Wachstum 85–86 in % |
Ortung, Identifizierung und Verfolgung | 546 | 1386 | 154 |
Laser- und Teilchenstrahlenwaffen | 376 | 965 | 157 |
Konventionelle Waffen | 256 | 860 | 236 |
Systemanalyse und Gefechtsführung | 99 | 243 | 145 |
Unterstützungsprogramme | 112 | 258 | 130 |
SDI Total | 1389 | 3712 | 167 |
Strategic Defense – Haushalt (Planung) in Mio $ | |||||||
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Programmelement | 1984 | 1985 | 1986 | 1987 | 1988 | 1989 | 1985–1989 |
Ortung, Identifizierung und Verfolgung | 367 | 721 | 1491 | 1944 | 2656 | 3331 | 10143 |
Laser- und Teilchenstrahlenwaffen | 323 | 498 | 1020 | 1222 | 1377 | 1437 | 5545 |
Konventionelle Waffen | 196 | 356 | 870 | 1274 | 1514 | 1683 | 5697 |
Systemanalyse und Gefechtsführung | 83 | 99 | 138 | 227 | 260 | 288 | 1012 |
Unterstützungprogramme | 23 | 112 | 271 | 322 | 453 | 666 | 1824 |
SDI Total | 992 | 1777 | 3790 | 4989 | 6260 | 7405 | 24221 |
Die Top 10 SDI-Vertragspartner | ||
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Konzern | 83/84 Verträge in | % der Gesamtausgaben |
Höhe von (in Mio $) | für SDI des DoD | |
Boeing | 320,343 | 21,3 |
McDonnel Douglas* | 237,76 | 15,9 |
Lockheed* | 231,727 | 15,5 |
LTV Aerospace | 90,989 | 6 |
Teledyne* | 88,057 (Angaben 83 fehlen) | |
TRW* | 70,064 | 4,7 |
Rockwell International* | 55,097 | 3,7 |
Martin Marietta* | 40,974 | 2,7 |
Hughes* | 39,001 | 2,6 |
Litton | 25,316 | 1,7 |
Total | 1199,328 | 80 |
* Diese Konzerne erhielten einen „System
Architecture“-Vertrag Quelle: CEP- Studie, S. 42 |
Anmerkungen
1 Council an Economic Priorities (CEP) (Hrsg.), „Star Wars: The Race of Contracts. A Draft Report by William Hartung and Rosy Nimroody.“, unv. Manuskript Jan. 1985, S. 14, im folgenden: CEP-Studie. Zurück
2 Robinson Jr. Clarence A., „Study Urges Exploiting of Technologies“, in: Aviation Weck & Space Technology v. 24. Okt. 1983, S. 50; DeLauer, Richard, DoD Unterstaatssekretär nur Forschung und Entwicklung, zit. in: Hartung, William/ Nimroody, Rosy, „What Price Strategie Defense?“, in: CEP-newsletter, Jan. 1985, S. 2. Zurück
3 Steinhaus, Kurt, „Wie stark sind die USA wirklich?“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/1984, S. 1097. Zurück
5 Aerospace Daily, 8. Feb. 1984, zit. nach Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a. O., S. 2. Zurück
7 Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a. O., S. 4. Zurück
9 Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a.O. S. 2.Zurück
10 CEP-Studie, S. 16, S. 42, S. 68.Zurück
11 Hartung, William, Nimroody, Rosy, a.a.O. S. 3.Zurück
13 ebd., S. 43; Murphy, Paul, Tobias, Kochelle, „Record Awards Mark Arms Buildup“, CEP-newsletter, Okt. 1983, S. 2Zurück
15 ebd., S. 47. Die prozentualen Angaben wurden von den Verfassern nachgerechnet und korrigiert.Zurück
17 Vgl. Adams, Gordon, „The Iron Triangle. The Politics of Defense Contracting.“, New York 1981.Zurück
18 Union of Concerned Scientists (Hrsg.), „Space- Based Missile Defense“, Cambridge Mass., März 1984, S. 3.Zurück
19 Zellner, Wolfgang, „Wettlauf mit der Zeit“ in: DVZ v. 8.3. 1985, S. 10, zur Wirtschaftsentwicklung in den USA vgl. Steinhaus, Kurt, a.a.O., S. 1089 ff.; Will, Helga, „Wirtschaftsentwicklung in den USA“, in: IPW-Berichte, Nr. 6/1984, S. 39 ff.Zurück
Christopher Cohen und Karlheinz Müller arbeiten in einem Projekt „SDI und Rüstungswirtschaft“ an der Universität Marburg.