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W&F 1987/1

SDI – Eureka – Japans Computerprogramm. Unterschiedliche Modelle?

von Reinhard Franck

Das japanische Projekt zur Entwicklung der fünften Computergeneration ist von seiten der USA mit SCI und zum Teil wohl auch SDI beantwortet worden. Inzwischen versuchen auch die westeuropäischen Rechnerhersteller über ESPRIT und EUREKA nachzuziehen. Obwohl die Forschungs- und Entwicklungsgegenstände in allen drei Projekten weitgehend identisch sind, lassen sich doch wichtige Unterschiede in der Herangehensweise und konkreten Durchführung benennen: In den USA erfolgt die gesamte Entwicklung mit ausschließlich militärischer Zielsetzung; in Japan und Europa stehen zivile Fragestellungen im Vordergrund. Aus diesem Vergleich werden Aussagen über den Charakter der Informatik abgeleitet und die Möglichkeiten für alternative Entwicklungen abgesteckt.

Einleitung

Die Friedensinitiative am Studiengang Informatik der Universität Bremen hat 1985 eine Broschüre erstellt, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der militärisch bestimmten Weiterentwicklung der Informatik befaßt.1 Im Mittelpunkt dieser Ausarbeitung steht das amerikanische SCI-Projekt (Strategie Computing Initiative). Daneben wird in einem Bereich dieser Broschüre – als Gegenpol zur ausschließlich militärisch geprägten Informatik in den USA – das japanische FGCP (Fifth Generation Computer Projekt) beschrieben.

Die europäische EUREKA-Entwicklung war bei der Erstellung dieser Broschüre noch zu wenig absehbar, als daß sie damals schon in die Analyse hätte einbezogen werden können. Inzwischen hat EUREKA Profil gewonnen und im folgenden soll versucht werden, die US-amerikanische, japanische und europäische Strategie für die Entwicklung der DV-Technologie zu vergleichen und daraus Konsequenzen für die Friedensbewegung und das FIFF abzuleiten.

Das japanische Vorgehen

Jahrelang war das offizielle Japanbild in Westeuropa und den USA bestimmt von der Vorstellung der bienenfleißigen Japaner, die emsig alle westlichen Spitzenprodukte kopierten – dadurch jedoch zwangsläufig der. Entwicklung immer ein wenig hinterherhinkten. Diese Illusion war spätestens zu dem Zeitpunkt nicht mehr aufrechtzuerhalten, als japanische Produkte in wichtigen Wachstumsmärkten (optische Geräte, Unterhaltungselektronik) weltweit zu dominieren begannen. Ernstliche Betroffenheit begann sich jedoch erst auszubreiten, als traditionelle Export-Erbhöfe zunehmend in Bedrohung durch die Konkurrenz „aus dem Fernen Osten“ gerieten: Für die BRD ist dies der Kraftfahrzeugbau, für die USA die Computerindustrie.

Das japanische FGCP wurde Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre begonnen. Es soll entscheidend dazu beitragen, den weltweiten Übergang von der „Industrie-“ zur „Informationsgesellschaft“ zu ermöglichen, und ganz nebenbei soll dabei natürlich die Stellung der japanischen Elektronikkonzerne gefestigt und ausgebaut werden.2

Die Ergebnisse einer 1979 eingesetzten Studiengruppe wurden vom japanischen Ministerium für Handel und Industrie (MITI) aufgegriffen und führten zu einem 10-Jahresplan für das FGCP. Dessen Realisierung begann 1982: das Finanzierungsvolumen beläuft sich auf 360 Mio. $. Im Mittelpunkt der Projektaktivitäten steht das 1982 gegründete ICOT (Institut for New Generation COmputer Technology) in Tsukuba Science City. Getragen wird es – neben der relativ geringen staatlichen Unterstützung – von einem Konsortium von acht großen Elektronik-Monopolen (Fujitsu, Hitachi, NEC, Mitsubishi, Matsushita, Ohi, Sharp, Toshiba) sowie zwei staatlichen Forschungslabors. Diese Zusammenarbeit von konkurrierenden Konzernen unter Vermittlung des Staates stellt für japanische Verhältnisse ein absolutes Novum dar.

Das FGCP setzt schwerpunktmäßig auf die Entwicklung und Anwendung von Methoden der KI (Künstlichen Intelligenz). Diese Ausrichtung spiegelt sich in der Auswahl der Beförderten Teilgebiete wider:

  • Mechanismen zur Parallelverarbeitung – Expertensysteme
  • Entwicklung eines Sprachkerns, der logische Ableitungen gestattet
  • Verarbeitung natürlicher Sprache
  • theoretische Grundlagen

Das im Vergleich zu den übrigen Projekten relativ niedrige Fördervolumen ist teils darauf zurückzuführen, daß es sich hierbei um eine für Japan neue Ebene staatlicher Regulierung handelt; zum anderen hat das ICOT hauptsächlich die Aufgabe, die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der beteiligten Firmen zu koordinieren. Hervorzuheben ist die von Beginn an auf nationaler wie internationaler Ebene sehr offene Informationspolitik über Zielsetzung und Ergebnisse des FGCP.

Die amerikanische Entwicklung

Die bisherige Informatikgeschichte ist im wesentlichen durch US-amerikanische Entwicklungen geprägt. Entscheidende Anstöße resultierten dabei immer wieder aus militärischen Anforderungen.3 Beispiele für derartige Projekte aus jüngerer Zeit sind

  • Entwicklung der Programmiersprache ADA
  • Weitere Miniaturisierung und höhere Integration von Schaltkreisen im Projekt VHSIC (Very High Speed Integrated Circuits)
  • STARS (Software Technology for Adaptable and Reliable Systems)

Das japanische FGCP wurde während seiner Gründungsphase in den USA nicht sonderlich beachtet. Dies änderte sich erst nach der großangelegten KI-Konferenz, die in Japan als Auftakt des FGCP 1982 veranstaltet wurde. Danach begannen amerikanische KI-Wissenschaftler in ihrem Land für ähnliche staatliche Forschungsprogramme die Werbetrommel zu rühren. Argumentation von der Qualität „In der Hardware-Produktion haben die Japaner bereits aufgeholt – unser Vorsprung bei der Software droht durch das FGCP verlorenzugehen“ führten schließlich dazu, daß sich in den USA die Meinung ausbreitete, daß man der „japanischen Herausforderung“ mit geeigneten eigenen Maßnahmen begegnen müsse. Aus naheliegenden Gründen äußerten sich insbesondere interessierte KI-Forscher in diesem Sinne.4

Es liegt in der oben angedeuteten Tradition der bisherigen Informatik-Geschichte und paßt auch nur zu gut in die aktuelle politische Landschaft der USA, daß die inzwischen eingeleitete KI-Förderung durch rein militärisch definierte Forschungsprogramme geschieht. Das zentrale Projekt dabei ist SCI (Strategie Computing Initiative). Drei Teilprojekte sind in diesem Rahmen geplant – je eines für die Armee, die Luftwaffe und die Marine.

  • Für die Armee soll ein autonomes Vehikel gebaut werden. Es soll fähig sein, seine Umgebung zu erkennen und zu interpretieren, sich einen optimalen Weg selbständig zu suchen, Planungen anzustellen und mit Menschen zu kommunizieren. Es gehört nur geringe Fantasie dazu zu erraten, daß ein solches Vehikel vornehmlich für einen Einsatz in ABC-verseuchtem Gebiet wünschenswert ist.
  • Die Luftwaffe wünscht sich einen Pilotenpartner, der den (menschlichen) Piloten in Kampfsituationen unterstützt und berät. Dabei ist nur vordergründig an eine Erkennung und Auswertung aller von den Bordinstrumenten gelieferten Werten in Realzeit gedacht. Dahinter soll ein Expertensystem agieren, das Wissen über das Flugzeug, seine Umgebung, Freund-Feind-Erkennung und fortgeschrittene Luftkampftaktik enthält. Als besonderer Clou soll die Kommunikation zwischen dem Piloten und diesem Partner im geräuschigen Cockpit eines Kampfflugzeugs in natürlicher Sprache erfolgen.
  • Die Marine soll einen Schlachtenschlager (Battle Manager) für die Unterstützung bzw. weitgehend autonome Planung und Durchführung von Seeschlachten erhalten. Gedacht ist dabei an das Management eines Flottenverbandes um einen Kern von einigen Flugzeugträgern herum. Insbesondere muß ein solches System fähig sein, militärische Entscheidungen unter großer Unsicherheit zu fällen, strategische Varianten des Gegners im voraus zu erahnen und eigene Entscheidungen entsprechend zu optimieren. Realisiert werden soll dieser Schlachtenschlager auf Basis einer Reihe von Expertensystemen, und selbstverständlich ist auch dabei an eine natürlichsprachliche Benutzerschnittstelle gedacht.

Bei der Finanzplanung von SCI wurde nicht gegeigt: Für die ersten fünf des auf zunächst zehn Jahre angelegten Programms wurden 600 Mio. $ bereitgestellt.

Das jüngste und verhängnisvollste der gegenwärtigen amerikanischen Rüstungsprojekte ist SDI (Strategie Defense Initiative). Die eigentlichen Forschungsschwerpunkte dieses Programms liegen in der Laser- und Raketentechnologie – jedoch sind einige Prozent der zunächst veranschlagten Mittel für die Informatik vorgesehen: Dies macht immer noch etwa 400 Mio. $ in den bislang projektierten ersten fünf Jahren aus! Insbesondere soll damit die Softwaretechnik soweit entwickelt werden, daß die für SDI notwendigen riesigen Softwaresysteme realisierbar werden. In Anbetracht des langsamen Erkenntnisfortschritts, der bisher in diesem Bereich zu verzeichnen war, ist es völlig ausgeschlossen, daß derart komplexe Systeme mit der erforderlichen Zuverlässigkeit in zehn oder zwanzig Jahren realisierbar sein werden.5

Europäische Projekte

Die zwölf größten DV-Hersteller der EG hatten sich zu Beginn der 80er Jahre auf ein gemeinsames „Vorwettbewerbs“-Programm zur eigenen Förderung geeinigt. Dieses ESPRIT genannte Projekt (European Strategie Program for Research and Development in Information Technology) wird seit etwa drei Jahren mit einem Gesamtvolumen von ca. 20 Milliarden DM abgewickelt. Schwerpunkte des Vorhabens sind:

  • Weitere Miniaturisierung bei der Schaltkreisintegration
  • Rationalisierung der Softwareerstellung und -pflege
  • Wissensbasierte und Expertensysteme
  • Büroautomatisierung
  • DV-Einsatz in der unmittelbaren Produktion: CAD (Computer Aided Desgin), CIM (Computer Integrated Manufacturing).

Leider hatte man nicht gleich an alles Notwendige gedacht: Aktuell wird gerade das sogenannte RACE-Programm (Research and Development In Advanced Communication Technology for Europe) nachgeschoben, dessen Schwerpunkt die Förderung der Telekommunikation ist – jedoch z.B. auch die Entwicklung großer, superflacher Bildschirme umfaßt.

Trotz dieser existierenden bzw. absehbaren Projekte machte der französische Staatspräsident Mitterand Anfang 1986 den Vorschlag, ein neues europäisches Projekt im Bereich der Hochtechnologien zu starten: EUREKA (EUropean REsearch Coordination Agency) war geboren. Zu diesem Zeitpunkt wurde hinter den Kulissen schon heftig um die Formen einer europäischen Beteiligung an SDI gerangelt, so daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen SDI und der Entstehung von EUREKA zu vermuten ist. Genausowenig ist es ein Zufall, daß diese Initiative von Frankreich ausging 6:

- Die französische Industrie setzt traditionell sehr stark auf high-tech-Entwicklungen (z.B. Europarakete, Brütertechnologie).

  • In Zusammenhang mit seinen Großmachtambitionen benötigt Frankreich für die glaubhafte Weiterentwicklung seiner Militärproduktion modernste Technologiekenntnisse (z.B. Mirage 2000).
  • Auf dem Hintergrund der traditionell weniger US-abhängigen Politik Frankreichs als z.B. Englands oder der BRD wurde schnell erkannt und auch ausgesprochen, daß SDI – die Logik seiner Washingtoner Verfechter zuendegedacht – die Preisgabe Europas bedeutet.

Von der Entstehung des Projekts her sah es also ganz so aus, als sollte EUREKA für Frankreichs Rüstungsindustrie genau die gleiche Funktion haben wie SDI für die USA – wobei Frankreich für die Realisierung eines solchen Anspruchs jedoch in noch viel stärkerem Maße als die USA auf fremde Unterstützung angewiesen wäre.

In der Zwischenzeit hat sich das Projekt wohl doch in anderer Weise entwickelt. Seit der im Juli in London abgehaltenen EUREKA-Ministerkonferenz sind ca. 60 ausschließlich zivile Projekte als EUREKA-Projekte anerkannt. Diese Projekte befassen sich mit sehr unterschiedlichen Problemfeldern. In der folgenden Klassifikation ist jeweils das ungefähre Fördervolumen mitangegeben.

  • Laser- und Energietechnik (ca. 310 Mio.)
  • Fahrzeugbau: Entwicklung neuer Werkstoffe z.B. für den Karosseriebau oder keramischer Materialien für Motoren, Identifizierung von Geräuschquellen in Autos, automatisches Auto (ca. 480 Mio. DM)
  • Verkehrssysteme: Informationssystem für die Luftfahrtindustrie, Kontroll- und Informationssystem für den städtischen und zwischenstädtischen Verkehr, leistungsfähigeres und sichereres Straßenverkehrssystem, Erforschung von Schienenfahrzeugen für sehr hohe Geschwindigkeiten (ca. 520 Mio. DM)
  • Pharmazie, Medizin, Ökologie: Biotechnologie, Sensorforschung für Diagnosezwecke, Erforschung von komplexen Ursache-Wirkungsketten in europäischen Meeren (ca. 800 Mio. DM)
  • Robotertechnik: Entwicklung von mobilen Robotern und Einsatz in verschiedenen Anwendungsgebieten (ca. 2.530 Mio. DM)
  • Informatik: Schaltkreis-Miniaturisierung, automatische Chipproduktion, automatische Softwareerstellung, Software für Expertensysteme, KI zur Produktionssteuerung, Kommunikationssysteme und Software für Realzeitanwendungen, Multi-Media-Datendienste, Breitband-Telekommunikationssysteme (ca. 3.110 Mio. DM)

Bereits dieser Ausschnitt läßt erkennen, daß bei EUREKA im Prinzip weitgehend ähnliche Gebiete erforscht werden wie bei SDI; daß jedenfalls Fortschritte bei einem Projekt unmittelbar beim anderen Auswirkungen haben werden und umgekehrt. SEL-Vorstandsvorsitzender Meekinger: „Es existiert ein verblüffend hoher Grad an Übereinstimmung der Technologie-Matrix von SDI und EUREKA“.6 Dieser Effekt ist aus Sicht interessierter Konzerne sicher nicht zufällig: Einmal entwickeln – zweimal verkaufen!

Das ganz unkriegerisch daherkommende EUREKA hat vermutlich auch deshalb diese Form erhalten (müssen), um nicht zusätzliche Hindernisse für die Einbeziehung europäischen Know-Hows und Kapitals außerhalb der EG zu errichten. Aktuell sind Betriebe aus 19 europäischen Ländern an EUREKA beteiligt; neben den EG-Ländern sind dies Finnland, Irland, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz, Türkei. Leider kann man sich nun als besorgter Bürger und SDI-Gegner nicht befriedigt zurücklehnen und konstatieren, daß offensichtlich europäische Manager und Politiker in Auswertung unserer leidvollen Geschichte und der positiven Erfahrungen mit der Entspannungspolitik ihre Lektion (endlich!) gelernt hätten. Bei genauerem Hinsehen findet man auch in offiziellen Verlautbarungen entlarvende Hinweise:

  • BMFT Riesenhuber: „Es kann aber nicht so sein, daß bei der Fülle der Techniken, die anstehen, einzelne von ihnen deshalb für die zivile Entwicklung ausgeschlossen werden sollten, weil man befürchtet, daß sie irgendwann militärisch genutzt werden können. Dies wäre die Perversion einer vernünftigen zivilen Technologieentwicklung, und dies wäre von Grund auf falsch.“7
  • In einem Kommentar eines Dr. Richmann aus dem BMFT zu der Aussage der EUREKA-Grundsatzerklärung im November ´85 in Hannover „EUREKA-Projekte dienen zivilen Zwecken“ heißt es erfrischend deutlich: „Es wird nicht viele Techniken geben, die nur für zivile und nicht auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können. Die meisten Techniken werden dualen Charakter haben. Insofern dient die zitierte Aussage und Festlegung in der Grundsatzerklärung nur der innenpolitischen Kosmetik.“8 – Auf die Frage, ob EUREKA ein militärisches oder ziviles Projekt sei, antwortete der französische Forschungsminister Curien: „Viele europäische Länder haben nicht viel übrig für die Mobilisierung der Industrie zu militärischen Zwecken. Die europäische Zusammenarbeit muß sich daher zunächst auf zivile Gebiete erstrecken, vor allem wenn wir Länder wie Österreich, die Schweiz oder Schweden zur Teilnahme gewinnen wollen. Der Fortschritt auf dem Gebiet der Informatik ist für zivile wie militärische Programme entscheidend, es handelt sich um die gleichen Schaltkreise und Rechner.“9 Das auf dem Hintergrund solcher Äußerungen aufkeimende Mißtrauen erhält neue Nahrung, wenn man einbezieht, daß der Antrag Jugoslawiens auf Mitarbeit in einigen EUREKA-Projekten zu großen Auseinandersetzungen geführt hat und bis heute nicht positiv entschieden worden ist. Natürlich liegt die eigentliche Probe auf die Friedlichkeit und den europäischen Geist von EUREKA darin, ob sozialistische Länder bei EUREKA-Projekten mitarbeiten können oder nicht. Neben dem zitierten Streit um Jugoslawien, das in anderen EG-Projekten seit 15 Jahren gleichberechtigt beteiligt ist, hat Erich Honecker bereits vor etwa einem Jahr geäußert, daß die DDR an einer EUREKA-Mitarbeit interessiert sei. Bisher gab es darauf keine positive Antwort von Seiten der EG – und ebensowenig wurde bisher der Versuch unternommen, die zweifellos beachtlichen wissenschaftlichen Potenzen der UdSSR für EUREKA zu erschließen. Eine solche Öffnung wäre sicher der beste denkbare Beweis für die friedlichen Ziele dieser EG-Initiative.

Vergleich und Konsequenzen

Unter den drei beschriebenen Forschungsprogrammen ist zweifellos das FGCP das „friedlichste“. Dies liegt vermutlich primär daran, daß Japan im Ergebnis des zweiten Weltkriegs über keine nennenswerte eigene Rüstungsproduktion verfügt. Diese Tatsache – zusammen mit der Weltmarktposition Japans – kann auch als Beweis für die Argumentation vieler Ökonomen genommen werden, daß zivile Forschung effektiver als Rüstungsforschung ist. Zusätzlich schafft die anschließende zivile Produktion mehr Arbeitsplätze.10

Im Gegensatz dazu schreitet die Militarisierung der USA-Gesellschaft offensichtlich schnell voran: Die absolute Dominanz des DoD (Department of Defense) in der Forschungsförderung wurde erst kürzlich dadurch erneut gesteigert, daß nach der Challenger-Katastrophe die NASA offiziell dem DoD unterstellt wurde: In den Jahren zuvor war Kritikern an der militärischen Ausrichtung der USA Weltraumforschung von seiten der NASA immer deren Unabhängigkeit und ziviler Charakter entgegengehalten worden.

Der scheinbare Mittelweg von ESPRIT/EUREKA ist wahrscheinlich daraus zu erklären, daß ein unmittelbar militärisch definiertes EUREKA-Projekt – das Präsident Mitterand vermutlich noch lieber gesehen hätte – nicht realisierbar gewesen wäre:

  • Schon zwischen Frankreich und der BRD bzw. den jeweiligen Rüstungsbetrieben gibt es neben gemeinsamen auch gegensätzliche Interessen (Konkurrenz).
  • Eine Funktionalisierung der EG für die deutsch-französische Achse unter militärischen Vorzeichen würde die EG-internen Widersprüche verstärkt zum Tragen kommen lassen.
  • - Eine Einbeziehung der ökonomischen Potenzen der neutralen Länder Europas wäre gänzlich ausgeschlossen gewesen (vgl. obiges Zitat von Minister Curien).

Ich halte die oben zitierte Einschätzung des Dr. Richmann aus dem bundesdeutschen BMFT für richtig, daß im Grunde jede wissenschaftliche Erkenntnis und insbesondere die Technik sowohl zivil genutzt wie auch militärisch mißbraucht werden kann. Der wesentliche Weg, um zu einer „alternativen Informatik zu kommen, besteht dann darin, schrittweise die militärische Funktionalisierung der Informatik unmöglich zu machen. Dazu bedarf es nicht anderer Schaltkreise, sondern einer Entspannungs- und Abrüstungspolitik – vor allem in Europa „vom Atlantik bis zum Ural“. Nur unter dieser politischen Voraussetzung wird es möglich sein,

  • den Einfluß der Kräfte zurückzudrängen, die an weiterer Aufrüstung und Militarisierung interessiert sind
  • die Weiterentwicklung der Informatik nicht mehr primär und nahezu ausschließlich an militärischen Anforderungen auszurichten
  • die enormen Potenzen der Rechnertechnologie alternativ einzusetzen, d.h. für eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse der überwiegenden Mehrheit der Menschen.

Aktuell bedeutet dies die weitere Unterstützung der Friedensbewegung in unserem Land. Konkret für EUREKA ist zu fordern, daß sich alle interessierten europäischen Länder daran beteiligen können. Dies würde eine militärische Ausrichtung von Teilprojekten verhindern und einen militärischen Mißbrauch von Forschungsergebnissen erheblich erschweren.

Anmerkungen

1 Informatik 2000. Broschüre der Friedensinitiative am Studiengang Informatik, Universität Bremen, Fachbereich 3, 1985 Zurück

2  Shapiro, E. Y.: The fifth Generation Projekt A Trip Report. Communications of the ACM, Vol. 26, No 9, 1983, S. 637-641 Zurück

3 Bickenbach, J., Keil-Slawik, R., Löwe, M., Wilhelm, R.: Militarisierte Informatik. Schriftenreihe Wissenschaft und Frieden, Nr. 4, BdWi, Marburg, 1985 Zurück

4 Feigenbaum, E. E., McCorduck, P.: Die fünfte Computergeneration, Künstliche Intelligenz und die Herausforderung Japans an die Welt. Birkhäuserverlag, Basel, 1985 Zurück

5 Parnas, D. L.: Software Aspects of Strategie Defense Systems. ACM Software Engineering Notes, Vol. 10, No 5, 1985, S. 15-23; deutsche Übersetzung in: Kursbuch 83, Rotbuch Verlag, Berlin, 1986, S. 49-69 Zurück

6  Rugemer, W.: EUREKA als Alibi. Konkret Nr. 10, 1985, S. 44-46 Zurück

7 Rede des Bundesministers für Forschung und Technologie in der 172. Sitzung des Deutschen Bundestages am 8.11.85, Bulletin der Deutschen Bundesregierung, 9. 11. 1985, S. 1071 Zurück

8 Richmann: Was ist EUREKA? Interne BMFT-Kommentierung der EUREKA-Grundsatzerklärung, 1985 Zurück

9 Metall Pressedient XXXIII/95 vom 29.7.1985 Zurück

10 Rilling, R.: Zum „Spin-Off“ zwischen militärischer und ziviler Forschung. Blätter für Deutsche und Internationale Politik, Nr. 5, 1985 Zurück

Reinhard Franck ist Professor am Fachbereich Informatik der Universität Bremen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/1 1987-1, Seite