„SDI“ – Wird Europa totgeforscht?
von Jürgen Scheffran
Abzusehen war, daß die USA eine Zustimmung ihrer europäischen NATO-Verbündeten zu ihrem „Star-Wars“-Programm neuerdings auch „Strategische Verteidigungsinitiative“ (SDI) genannt, einfordern würden. Überrascht hat jedoch viele in welchem Tempo und mit welcher Unverfrorenheit es geschah: In nur drei Monaten – von der Wehrkundetagung Anfang Februar bis zum Reagan- Besuch Anfang Mai – soll eine Entscheidung Westeuropas erzwungen werden. Die Öffentlichkeit soll vor vollendete Tatsachen gestellt werden, bevor die Friedensbewegung ihre Aufklärungsarbeit breit entfalten kann.
Der Wilkinson Report
Während sich die westeuropäischen Regierungen zunächst skeptisch bis kritisch äußerten, bastelten SDI-Enthusiasten hinter den Kulissen eifrig an einem Star-War-Programm für Europa. Dabei sollten vor allem die Bestrebungen zur Reaktivierung der Westeuropäischen Union und ihre Entwicklung zu einer Rüstungskoordinationsbebörde genutzt werden.
Der Engländer Wilkinson stellte seinen Report „The military use of space“ im Juni 1984 der WEU-Versammlung vor und empfahl ein militärisch orientiertes Raumfahrtprogramm der Europäer.1
Die zivile ESA sollte dabei von einbezogen werden: Was aus der NASA seit ihrer engen Zusammenarbeit mit dem Pentagon wurde, ist bekannt (…)
Zum Aufbau einer Weltraummacht Westeuropa sollten eingeplant werden: eine bemannte Raumstation, die Ariane-Rakete, ein Mini-Shuttle („Hermes“), und verschiedene Satellitenprogramme. Zum „Schutz“ dieser Satelliten wurden Anti- Satelliten- Waffen gefordert. 2 Die in diesem Report ausgesprochene Unterstützung für das Programm Präsident Reagans wurde im Wilkinson-Report/Teil 2 im Dezember 1984 konkretisiert und der WEU vorgelegt.3 Doch in der damaligen Erklärung wurde auf Initiative Frankreichs noch ein Verbot von Waffensystemen im Weltraum unterstützt.
Nächste Station: Die Wehrkundetagung
Mittels einer großen, auf Publicity ausgerichteten Wehrkundetagung wollten die SDI-Befürworter am 9./10. Februar 1985 in München diese Schwierigkeiten aus dem Weg räumen.4 Bundeskanzler Kohl war die Rolle zugedacht, mit einer Grundsatzrede die Bundesrepublik zum Vorreiter zu machen. Kohl hob den „philosophisch- moralischen Ansatz“ der Initiative und das „zutiefst persönliche Engagement Präsident Reagans“ hervor. Er stellte fest: „SDI wird, unabhängig, ob die Forschungsarbeiten zu den beabsichtigten Zielen führen, einen erheblichen technologischen Innovationsschub in den Vereinigten Staaten bewirken. Ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik Deutschland und die übrigen europäischen Verbündeten dürfen nicht technologisch abgehängt werden.“
Es ist nicht unnütz, die Bedingungen Kohls für eine Unterstützung der SDI unter die Lupe zu nehmen:
- Volle Berücksichtigung der strategischen Einheit des Bündnisses
- Vermeidung strategischer Instabilitäten, insbesondere in einer Übergangsphase
- Vermeidung einer Erstschlagsfähigkeit und Verzicht auf strategische Überlegenheit.
- Bekräftigung des ABM-Vertrages
- Drastische Reduzierungen und Begrenzungen der nuklearen Interkontinental und Mittelstreckenwaffen
- Verhinderung eines Rüstungswettlaufs im Weltraum
- Vor der Stationierung von Raketenabwehrsystemen Verhandlungen mit der Sowjetunion
Abgesehen davon, daß insbesondere die letzte Forderung an den NATO-„Doppelbeschluß
1979 erinnert, enthalten die anderen Punkte doch einiges von dem, was star- wars- Kritiker vorbringen. Der Widerspruch zwischen den Forderungen Kohls und der US- Weltraumrüstung ist alles andere als eine Garantie für eine Weigerung Bonns, mitzutun. Aber die Friedensbewegung sollte bei jeder Gelegenheit auf ihn hinweisen.5 Dies auch deshalb, weil es noch beträchtliche Widerstände gegen SDI innerhalb der NATO gibt. Der französische Verteidigungsminister forderte ein fünfjähriges Moratorium für Strahlenwaffen im Weltraum. Der britische Außenminister wiederholte seine grundsätzlichen Bedenken und Außenminister Genscher unterstützte ihn vorsichtig. Beide mußten sich herbe Schelte durch amerikanische Regierungsvertreter und rechtslastige Presse gefallen lassen.
Das Ultimatum
Zur Tagung der Nuklearen Planungsgruppe der NATO Ende März in Luxemburg brachte US-Verteidigungsminister Weinberger einen Brief mit, in dem die NATO-Staaten, Australien, Japan und Israel aufgefordert wurden, binnen 60 Tagen ihr Verhältnis zur SDI zu klären. Dänemark und Australien lehnten sogleich ab. Die Bundesregierung zeigte sich zunächst etwas pikiert über die Form der Einladung, legte aber dann eine hektische Geschäftigkeit an den Tag.
Minister Wörner hatte sogleich einen Bericht parat, der eine mögliche Beteiligung der bundesdeutschen Industrie in 11 Technologiebereichen untersuchte. In fünf Bereichen (optische Sensoren, Spiegel oder Reflektoren, Hochfrequenztechnik und Signalverarbeitung, Systemkomponenten für extrem beschleunigende Hochgeschwindigkeitsraketen, Werkstofforschung) sei der Stand so gut, daß die USA auf deutsches know how nicht verzichten könnten. Im Rückstand befinde sich die Rüstungsforschung auf sechs Gebieten, darunter der Informationstechnik, der Miniaturisierung und bei Leichtbauweisen. 6
Rund 30 Firmen könnten sich „mit Aussicht auf Erfolg“ beteiligen, darunter AEG, Siemens, Zeiss, MBB, Nixdorf und Dornier. Die angesprochenen Firmen haben bereits großes Interesse signalisiert. „Sinnvoll wäre eine europäische oder deutsche Beteiligung nur, wenn wir in einem größeren Umfang Kenntnisse für uns gewinnen.“ hebt der Planungschef von Dornier, Holstein, einschränkend hervor, befürwortet aber im Prinzip die SDI-Beteiligung. 7 Es scheint danach nur noch darum zu gehen, ob sich die USA „zu fairen Bedingungen für eine Forschungspartnerschaft bereitfinden“.
Spitzentechnologie durch Weltraumrüstung?
Daß es den USA nicht nur um militärische Überlegenheit über die Sowjets geht, sondern auch um entscheidende Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt, beschreibt H. Gremliza in „konkret“ wie folgt: 8 „Wer soviel Staatsknete in ein Forschungsprojekt steckt, muß die technologische Konkurrenz aus dem Feld schlagen. Die Feinde werden totgerüstet, die Freunde totgeforscht.“ Die „Freunde“ scheinen jedoch nichts Eiligeres zu tun zu haben, als in diesen „Wettlauf“ einzusteigen. Besonders Baden- Württembergs Ministerpräsident Späth, der das Ländle zum Technologie- Eldorado der Nation ausbauen möchte, wie über die SDI- Beteiligung in ein neues technologisches Zeitalter vorstoßen.
„Die Initiative Präsident Reagans stellt die bislang umfangreichste und konsequenteste forschungspolitische Folgerung des Westens aus der Tatsache dar, daß moderne zivile und militärische Produkte auf weitgehend identischen Basistechnologien beruhen. Computer- und Sensortechnik, Laser-, Infrarot- und Röntgentechnologie, neue Werkstoffe und Verfahren bilden die Grundlage Für innovative Entwicklungen sowohl im zivilen wie im wehrtechnischen Unternehmensbereich.“ schreibt Späth im „SPIEGEL“.9 Etwas realistischer als Edward Teller, der von einem 90- prozentigen Transfer der SDI-Resultate in den zivilen Bereich ausgeht (!), 10 schätzt Späth den sog. „spin-off“ auf 50 Prozent. Damit ist zugleich gesagt, daß ein Anteil von 50 % des investierten „Geistkapitals“ zu militärischen Zwecken vergeudet worden ist. Warum es dann nicht einfacher und effizienter ist, die horrenden Summen direkt in die zivile Forschung fließen zu lassen, hat noch kein „spin-off“- Theoretiker plausibel begründen können. Dennoch wird weiter mit diesen Verheißungen gearbeitet. So verspricht ein Artikel in „International Herald Tribune“ eine „reiche Ernte von Spin- off- Entdeckungen und Zubehör, von denen viele den Fortschritt in Medizin, Industrie und Grundlagenforschung vorantreiben.“11 Dabei werden Wissenschaftler aus den Waffenlabors Lawrence Livermore und Los Alamos als Kronzeugen herangezogen, nach deren Auffassung ihre Forschung vielfältige Anwendungsmöglichkeiten biete. So könnten Röntgenlaser nicht nur zur Zerstörung von Raketen eingesetzt werden, sondern auch als Bestandteil eines „Supermikroskops“ zur Untersuchung des genetischen Kodes einer lebenden Zelle. Ein anderes Beispiel sei der Freie- Elektronen-Laser in Livermore, dessen Strahl geeignet sein soll, Obst und Gemüse haltbarer zu machen, indem die Parasiten durch hohe Energiezufuhr abgetastet würden. Warum in beiden Fällen Leistungen im Megawatt- Bereich oder unterirdische Nuklearexplosionen sowie eine bis auf Mikrorad feine Zielgenauigkeit notwendig sein sollen und was mit den derart bestrahlten Früchten und Zellen geschieht, bleibt unerfindlich. Gemeinsam ist den genannten Beispielen, daß die Waffentechnologien immer auf eine spezifische militärische Anwendung hin konzipiert wurden und werden. Direkten Nutzen für zivile Zwecke bringen sie in der Phase ihrer Endfertigung allemal nicht. Auch die Teilsysteme bei der Entwicklung müssen oft noch modifiziert werden, was natürlich zusätzliche Ausgaben erfordert.
Amerikanische Vorherrschaft in der Forschung?
Die Behauptung, die USA zögen mit dem SDI-Programm technologisch uneinholbar davon und daher sei westeuropäische Beteiligung geboten, ist vor diesem Hintergrund schlicht falsch. Das Beispiel Japans – dort werden bislang nicht mehr als 1 % des Etats Für militärische Zwecke eingesetzt – zeigt eher das Gegenteil: Nur wenn Westeuropa auf direkte Förderung nutzbringender ziviler Forschung setzte, könnte es mithalten. Die Integration des westeuropäischen Forschungspotentials in SDI würde das technologische know how der USA stärken und die ohnehin beschränkten Haushaltskapazitäten der Bündnispartner über alle Maßen strapazieren.
Es ist gut daran zu erinnern, daß der Technologie- und Wissenstransfer in der letzten Zeit besondere Einschränkungen erfährt:12
- Durch verschärfte Sicherheitsbestimmungen des Koordinationskomitees für den Ost- West- Handel COCOM ist der Export hochwertiger Technologie zunehmend Beschränkungen unterworfen. Weinberger prägte den Satz, daß sogar elektronisches Kinderspielzeug auf die „schwarze Liste“ gehöre. Die Bundesrepublik gilt den USA als gewisses Sicherheitsrisiko, das strengen Kontrollen unterworfen werden muß.13
- Zu wissenschaftlichen Konferenzen über bestimmte Technologien werden fast nur noch Staatsbürger der USA zugelassen.
- Innerhalb der NATO setzen die USA bevorzugt ihre eigenen Systeme durch, auch wenn Andere „leistungsfähigere“ entwickelt haben – wie der Streit um das Freund- Feind- Flugerkennungssystem zeigt.
- Im Raumfahrtsektor wird dies besonders deutlich: Das fast fertige bundesdeutsche Infrarotlabor GIRL wurde infolge der Beteiligung an der amerikanischen Raumstation gestrichen. Uneingeschränkter Zugang zu den Ergebnissen der Weltraumforschung wird bislang verweigert. Selbst Forschungsminister Riesenhuber fragt sich, wie die Kooperation dann erst bei der hochsensiblen SDI-Techologie aussehen soll.14
Angesichts der jüngsten Entwicklungen sollten die Europäer ihren Willen zu größerer Autonomie stärken. In diesem Sinne heißt es in einer Stellungnahme des SPD-Präsidiums vom 2.3.85.15
„Ein Wettlauf der Westeuropas um Beteiligung am Weltraumrüstungsprogramm in der Hoffnung auf technologische Teilhabe wäre politisch grotesk … Es ist eine Illusion anzunehmen, die Westeuropäer könnten an der technologischen Forschung dieses Programms teilnehmen, ohne die militärische Verantwortung, Konsequenzen und Lasten mittragen zu müssen. Technologiepolitisch wären die Westeuropäer besser beraten, ihre begrenzten Mittel im Bereich der europäischen Grundlagenforschung und der zivilen Weltraumfahrt einzusetzen, statt Milliardenbeträge in ein politisches und militärisches Programm zu investieren, dessen Nutzen für sie selbst fragwürdig ist.“
Anmerkungen
1 Wilkinson-Report, Military Use of Space vorgestellt auf der WEU-Versammlung Juni 1984, „Proceeding“ Assembly Documents Zurück
2 Wilkinson- Report, Military Use of Space, Part II, Assembly of Western European Union, „Proceedings“ December 1984 Star Wars- Koalition, „Bonner Energiereport“, 19. März 1985 Zurück
3 J. Scheffran, Die Europäische Weltraumgemeinschaft - Aufbruch in die Zukunft? „Blätter 2/85, S. 169 Zurück
4 Die für die Wehrkundetagung relevanten Dokumente, insbesondere die Reden von Kohl, Herne und Weinberger finden sich in: „Europa-Archiv“, Folge 6/1985 Zurück
5 Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der SDI-Befürworter findet Achim: E. Siecker, W. Zellner, „Strategic Defense Initiative“ - Aufbruch in die falsche Richtung, „Blätter“ 4/85, S. 490 Zurück
6 „Der Spiegel“, Nr. 14/1985, S. 21 Zurück
7 Dornier- Planungschef für Beteiligung an SDI-Forschungsprogramm, DDP 11.April 1985 Zurück
8 H. L. Gremliza, Stars and Stripes War „Konkret“, März 1985 Zurück
9 L. Späth, Wissen die Europäer was sie riskieren?, „Der Spiegel“, Nr. 1/1985, S. 128 Zurück
10 „Der Spiegel“, Nr. 15/1985, S. 21 Zurück
11 M. W. Browne, Star Wars Technology Promisses Host of Peaceful Inventions „International Herald Tribune“, 11. April 1985 Zurück
12 Siehe hierzu auch die Artikelserie von Rainer Rilling: Rüstung und Wissenschaftsfreiheit in den USA, „Informationsdienst“ 3/ 84, 4/ 84, 5/ 84 Zurück
13 COCOM: Boykott mit Folgen, „Wirtschaftswoche“, Nr. 9, 22.2.1985 Zurück
14 Auch das Forschungsministerium wünscht den „ungehinderten Technologietransfer“, „FAZ“ v. 12.4.1985 Zurück
15 Stellungnahme des SPD-Präsidiums zur strategischen Verteidigungsinitiative, „Vorwärts“, 2.3.85 Zurück
Jürgen Scheffran ist Dipl. Physiker und Stipendiat der VW-Stiftung.