Atomsprache und wie wir lernten, die Bombe zu streicheln (I)
Sex and death in the rational world of the defense intellectuals
von Carol Cohn
Lauscht man den Reden jener, deren Beruf die intellektuelle Beschäftigung mit militärischer Verteidigung ist, so verblüffen die emotionalen Untertöne in diesem von Männern beherrschten Diskurs. Doch wer selbst ihre Sprache erlernt, bemerkt zwangsläufig, wie abstrakt Denken werden kann – so abstrakt, daß das Überleben von Waffen das Überleben von Menschen dominiert.
Im Sommer 1984 begann ich mich eingehender mit nuklearstrategischen Studien zu beschäftigen. Zusammen mit 47 anderen College-Dozenten nahm ich an einem Seminar über Kernwaffen, strategische Doktrin und Rüstungskontrolle teil, das von einem der führenden Universitätszentren für nuklearstrategische Studien in den Vereinigten Staaten veranstaltet wurde. Bekannte Verteidigungsexperten hielten Vorträge – Männer, die seit Jahrzehnten sowohl im Wissenschaftsbetrieb als auch in den Amtsstuben in Washington zu Hause sind. Als man mir am Ende des Seminars anbot, als Gast an einem dieser universitären Zentren zu arbeiten, ergriff ich die Gelegenheit beim Schopf.
Während des folgenden Jahres tauchte ich ganz in die Welt der »geistigen Verteidigungselite« ein, – eine Welt von Männern (und es sind wirklich fast ausnahmslos Männer), die, so Thomas Powers, „den Begriff der Abschreckung benutzen, um zu erklären, warum es Sicherheit schafft, Waffen von solcher Art und in solcher Menge zu haben, daß ihr Einsatz die Sicherheit gefährden würde.“ Sie gehen in Washington ein und aus. Mal arbeiten sie als beamtete Staatsdiener, mal an Universitäten und in Expertengruppen. Die Theorie, die der nuklearstrategischen Praxis der USA zugrundeliegt, ist ihr Werk.
Ich besuchte Vorträge, hörte Argumente, sprach mit den Experten und interviewte Studenten. Die Frage ließ mir keine Ruhe: Wie können sie so denken? Doch je besser ich ihre Sprache kennenlernte, desto mehr bemerkte ich, daß sich mein eigenes Denken veränderte. Ich mußte mich einer neuen Frage stellen: „Wie kann ich so denken?“ Mit anderen Worten: Ich hatte meine eigenen Erfahrungen und Untersuchungen einzubeziehen, wenn ich verstehen wollte, wie nicht nur »sie«, sondern wie wir alle so denken können.
Dieser Aufsatz ist der Beginn einer Untersuchung über das Wesen des nuklearstrategischen Denkens. Dabei richtet sich mein Augenmerk auf die Frage, welche Rolle einer Fachsprache zukommt, die ich »technostrategisch« nenne. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß diese Sprache die nuklearstrategischen Projekte der Amerikaner sowohl widerspiegelt als auch prägt und daß diejenigen, die durch Kernwaffen und Atomkriege beunruhigt sind, sehr genau auf diese Sprache achten müssen – darauf, wie wir mit ihr kommunizieren, was zu denken und zu sagen sie uns gestattet.
Saubere Bomben und saubere Sprache
Als Leserin war mir die sonderbare Sprache im Zusammenhang mit dem Atomkrieg schon zuvor begegnet. Doch war es etwas anderes, sie gesprochen zu hören. Zunächst fällt der häufige Gebrauch von abstrakten Begriffen und Beschönigungen auf, mit deren Hilfe nahezu endlose Diskussionen über den nuklearen Holocaust geführt werden können, ohne je den Sprechenden zu zwingen oder den Zuhörer zu befähigen, mit der hinter den Worten liegenden Realität in Berührung zu kommen.
Wer einmal die Bilder von Hiroshima-Opfern gesehen hat, dem mag es pervers erscheinen, wenn er hört, daß von einer Sorte von Atomwaffen tatsächlich als von »sauberen Bomben« gesprochen wird; Waffen, bei denen die Kernschmelze die Kernspaltung überwiegt. Ein größerer Anteil ihrer Energie wird als unmittelbare Strahlung freigesetzt, so daß sie weniger radioaktiven fall-out produzieren als Spaltbomben. »Saubere Bomben« liefern die passende Metapher für die Sprache der Verteidigungsexperten und Rüstungskontrolleure: Diese Sprache birgt eine gewaltige Zerstörungskraft, jedoch ohne den emotionalen fall-out, der entstünde, würde deutlich, daß von Plänen für Massenmord, von zerfetzten Leibern und menschlichem Leiden die Rede ist. Verteidigungsexperten sprechen von »Gegenwert-Angriffen« anstatt von Städten, die in Schutt und Asche gelegt werden. Im atomaren Sprachgebrauch wird der Tod von Menschen meist auf den »Begleitschaden« reduziert. Daß Reagan die MX-Rakete in »Peacekeeper« umtaufte, trug ihm reichlich Spott aus den Reihen der Verteidigungsexperten ein: gleichwohl sind es dieselben Experten, die diese Waffe als »Schadensbegrenzungswaffe« bezeichnen.
Diese Beispiele – nur eine kleine Auswahl aus Hunderten – zeigen die erschreckende Kluft zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, die die technostrategische Sprache auszeichnet. Sie verweisen überdies darauf, in welch furchterregendem Maße die Existenz von Kernwaffen unsere Wahrnehmung verzerrt und unsere Welt neubestimmt hat. Der Ausdruck »saubere Bomben« suggeriert, die Radioaktivität sei das einzig »Schmutzige« am Töten von Menschen.
Es fällt schwer zu glauben, daß derart gesäuberte Abstraktionen nicht die Funktion erfüllen, die unkontrollierte Schmutzigkeit der Tatsachen zu leugnen, die zu schaffen man im Begriff ist. Wir haben nicht nur »saubere Bomben«, sondern auch »chirurgisch saubere Schläge«: »Counterforce«-Angriffe mit dem Ziel, die Waffen oder Befehlszentralen eines Gegners »auszuräumen« – soll heißen: zu zerstören –, ohne anderweitig nennenswerte Schäden zu verursachen. Nur, daß das chirurgische Werkzeug nicht ein mit Umsicht geführtes Skalpell, sondern ein atomarer Sprengkopf ist – da bleibt einem das Lachen im Halse stecken.
Anbetung des Phallus?
Feministinnen haben wiederholt behauptet, ein wichtiger Aspekt des Rüstungswettlaufes sei die Anbetung des Phallus. Der »Raketenneid«, um den von Helen Caldicott geprägten Begriff zu entleihen, sei eine bedeutende Triebkraft für den atomaren Apparat. Ich habe diese Erklärung stets für reduktionistisch gehalten und gehofft, meine internen Beobachtungen würden eine komplexere Analyse erbringen. Trotzdem war ich gespannt, in welchem Ausmaß sich sexuelle Untertöne in der Sprache von Verteidigungsexperten finden würden. Auf das, was ich fand, war ich freilich nicht vorbereitet.
Naiverweise hatte ich mir vorgestellt, ich müßte herumschleichen und Männer in jenen Momenten belauschen, da sie sich unbeobachtet wähnten, um ihren sexuellen Sprachbildern auf die Spur zu kommen. Ich hatte mir eingebildet, sie würden ihre Auftritte sauber inszenieren, hoffte, der eine oder andere würde während eines langen Gespräches über »Penetrationshilfen« zumindest an einer Stelle leicht verlegen aufblicken, weil er sich bei einer derart offenkundigen Bestätigung feministischer Thesen ertappt fühlen würde.
Doch ich irrte auf der ganzen Linie. Nichts wies darauf hin, daß feministische Kritik jemals die Ohren dieser Männer – von ihrem Bewußtsein ganz zu schweigen – erreicht hatte. Die militärische Abhängigkeit der USA von Kernwaffen wurde unter anderem mit den Worten: „Überwältigend! Du kriegst mehr Bums für's Geld
(„more bang for the buck“) erklärt. Feierlich wurde doziert: „Abrüsten heißt, Du verschleuderst Dein ganzes Zeug“ („To disarm is to get rid of all your stuff“). Ein Professor begründete die Unterbringung der MX-Rakete in den Silos der neuesten Minuteman-Raketen damit, daß sie da im hübschesten Loch sind – man nimmt doch nicht die hübscheste Rakete, die man hat, und steckt sie in ein mieses Loch. Andere Vorträge strotzen vor Erörterung über Abschüsse aus vertikal aufgerichteter Position (»vertical erector launchers«), das Verhältnis von Stoß und Gewicht, sanftes Hinlegen, tiefes Eindringen und die Vorteile eines hinausgezögerten gegenüber einem spasmischen Angriff – oder das, was ein Militärberater des nationalen Sicherheitsrates „Entladen von 70 bis 80 Prozent unserer Megatonnage in einem orgiastischen Stoß“ nannte.
Allerdings: Selbst wenn die Bilder transparent sind, sind die Bedeutungen noch lange nicht klar. Ich will nicht behaupten, daß sie etwas über die wirkliche Meinung oder die wahren Beweggründe der Militärstrategen aussagen. Individuelle Motive sind den in einem größeren Kulturzusammenhang wurzelnden Bildern nicht ohne weiteres direkt zu entnehmen. Die Geschichte des Unternehmens Atombombe selbst ist voller eindeutiger Bilder männlicher Sexualkonkurrenz; dasselbe gilt für die Äußerungen der Atomphysiker, Strategen und Mitglieder des Strategic Air Commands der ersten Stunde. Sowohl Militärs als auch Rüstungsproduzenten bedienen sich fortwährend des Phallus-Bildes und der Verheißung sexueller Dominanz, die ihre Waffen so naheliegend suggerieren. Nehmen wir die Juni-Ausgabe des Air Force Magazine. Groß aufgemacht in Fettdruck ist am oberen Rand einer doppelseitigen Anzeige für den AV-8B-Harrier II zu lesen: „Sprich leise und trag einen großen Prügel.“ Weiter unten ist stolz von „einem außergewöhnlichen Stoß-Gewichts-Verhältnis“ die Rede wie auch von der „radargesteuerten Stoßkraft, die die ... einmalig schnelle Reaktion ermöglicht.“
Eine weitere ergiebige Quelle für sprachliche Phallus-Bilder bieten die Schilderungen von Atomexplosionen. Etwa die des Reporters William Laurence, offizieller Berichterstatter des Bombenabwurfs in Nagasaki: „Dann, gerade in dem Augenblick als es aussah, als sei ein Zustand der Ruhe erreicht, schoß aus der Spitze ein riesiger Pilz, der die Höhe der Säule auf etwa 15000 Meter brachte. Die Spitze des Pilzes war noch lebendiger als die Säule, siedete und brodelte in weißem, wütendem Schaum, zischte himmelwärts und fiel wieder zur Erde, wie Tausende von Geysiren, die sich zu einem einzigen vereinen. Er kämpfte noch immer in elementarem Zorn, wie ein Wesen, das die Fesseln zu sprengen versucht, die es niederhalten.“1
Daß die mit der Verteidigung befaßten Denker reichlich Sexualmetaphern benutzen, kann nicht weiter überraschen, sieht man, wie sehr diese ihre Welt durchziehen. Auch ist dies an sich nicht hinreichend, ihnen niedrige Motive zu unterstellen. Interessant sind nicht so sehr die potentiellen psychodynamischen Ursprünge der Metaphern, als vielmehr die Frage nach ihrer Funktion. Die Frage also, welche Rolle sie dabei spielen, die eigene Arbeitswelt als offen und zugänglich darzustellen. Einige Begebenheiten vermögen die Komplexität des Problems zu erläutern.
Die Bombe streicheln
Mit einer Gruppe des Zentrums nahm ich an einer Exkursion zur New London Navy Base, auf der U-Boote gewartet werden, teil und zum Werksgelände der General Dynamics Electric Boat, die ein neues U-Boot vom Typ Trident konstruiert. Den Höhepunkt bildete die Besichtigung eines atomgetriebenen U-Bootes. In Kleingruppen stiegen wir in lange, dunkle und glänzende Röhren hinunter, in der Männer zusammen mit einem Kernreaktor bisweilen über Monate hinweg unter Wasser eingeschlossen sind. Wir zwängten uns durch Luken und neonbeleuchtete Gänge, die so schmal waren, daß man sich umdrehen und den Rücken an die Wand pressen mußte, wollte man jemanden hindurchlassen, passierten die engen Verschläge, in denen die Besatzung schläft, und die Warnschilder mit der Aufschrift »radioaktiv«. Als wir schließlich jenen Teil des Bootes erreichten, in dem die Raketen untergebracht sind, wandte sich der uns begleitende Offizier mit einem Grinsen um und fragte, ob wir Lust hätten, unsere Hand durch ein Loch zu stecken und „die Bombe zu streicheln“. Die Bombe streicheln?
In der folgenden Woche tauchte eben dieses Bild erneut auf, als ein Dozent spöttisch erklärte, für die Stationierung von Cruise Missiles und Pershing II in Westeuropa gäbe es nur einen einzigen Grund: „Damit unsere Verbündeten sie streicheln können.“
Ein paar Monate später besuchte ich zusammen mit einer anderen Gruppe des Zentrums die NORAD (North American Aerospace Defense Command). Auf dem Rückflug mußte das Flugzeug zum Auftanken auf dem Flugplatz der Befehlszentrale für strategische Bomber nahe Omah, Nebraska, zwischenlanden. Als bekanntgegeben wurde, daß unsere Landung sich verzögern würde, da der neue B-1-Bomber in der Gegend sei, breitete sich in der Maschine eine spürbare Erregung aus. Sie steigerte sich, als die Leute beim Anflug ihre Hälse reckten, um einen Blick auf die am Himmel vermutete B-1 zu erhaschen und erreichte ihren Höhepunkt, als wir nach der Landung an ihr vorbeibrausten. Später im Zentrum sagte mir ein Mann, der am Ausflug nicht hatte teilnehmen können, neidvoll: „Ich hab' gehört, Du durftest eine B-1 streicheln.“ Wozu dieses ganze Gestreichele? Streicheln ist ein Ausdruck der Intimität, des sexuellen Besitzanspruches, des zärtlichen Beherrschen-Wollens. Die Erregung und das Vergnügen, »die Rakete zu streicheln«, liegen in unmittelbarer Nähe zur phallischen Potenz, zur Möglichkeit, sie ganz und gar zu besitzen. Doch Streicheln ist nicht allein ein Akt sexueller Intimität: Man streichelt auch Babies, kleine Kinder und Hunde. Die gestreichelten Kreaturen sind klein, süß, unschuldig und harmlos – aber nicht erschreckend zerstörerisch. Streichele sie, und sie sind nicht mehr tödlich.
Viele der Sexual-Metaphern, die ich hörte, waren so hintersinnig, wie der Ausdruck »Raketen streicheln"andeutet. Die Metapher kann als tödlich ernster Ausdruck der Verbindung zwischen männlicher Sexualität und Rüstungswettlauf interpretiert werden. Doch zugleich klingt etwas anderes durch, der Versuch nämlich, den Ernst militärischer Bestrebungen zu mindern und ihre tödlichen Folgen zu leugnen. Ein vormals mit Zielanalysen befaßter Pentagon-Mitarbeiter begründete seine Auffassung, der »begrenzte Atomkrieg« sei lächerlich: „Wissen Sie, Sie müssen das so sehen: Das ist wie Wettpinkeln – man muß damit rechnen, daß die anderen alles rauslassen, was sie haben.“ Dieses Bild zeigt wohl deutlicher als jedes andere, daß es sich um eine Männlichkeitskonkurrenz handelt und somit ungeheure Gefahren birgt. Aber gleichzeitig behauptet es, das Ganze sei nicht so ernst zu nehmen – eben etwas, was kleine Jungs und besoffene Männer tun.
Häusliche Freuden
Selbst wenn es mich störte: Die klinisch reinen und abstrakten Begriffe wie auch die sexuellen Metaphern waren der maskulinen Welt der Planung eines atomaren Krieges durchaus angemessen. Weniger passend erschien allerdings eine weitere Gruppe von Worten, jene, die scheinbar alltägliche Normalität suggerieren.
Atomraketen sind in »Silos« stationiert. Auf einem Atom-U-Boot vom Typ Trident, bestückt mit 24 Mehrfachsprengkopf-Raketen, heißt jener Teil, in dem die Raketen abschußbereit aufgereiht sind, im Jargon der Mannschaft die »Christbaum-Farm«. In der freundlichen und romantischen Welt der Kernwaffen werden Sprengköpfe zwischen Gegnern »ausgetauscht«, können Waffensysteme »sich vermählen«. Die Vernetzung von Vorwarn- und Reaktionsmechanismen wie auch die psycho-politische Verknüpfung von strategischen mit Gefechtsfeldwaffen werden manchmal »Paarung« genannt. Die bei der Landung von Sprengköpfen bestimmter Raketen entstehenden Muster bilden »Fußstapfen«. Sprengköpfe werden nicht abgeworfen, vielmehr von einem »Bus« »abgeliefert«. Der Name dieser Vorrichtung: MIRVs (Multiple Independent Reentry Vehicles, Raketen mit unabhängig voneinander ins Ziel lenkbaren Mehrfachsprengköpfen), kürzer: »Reentry Vehicles«, noch kürzer: »RVs« – eine Bezeichnung, die nicht nur von der Realität einer Bombe weit entfernt ist, sondern die zugleich Assoziationen weckt von Sport- und Spielgeräten (Recreational Vehicles) beim Familienurlaub.
Solche Ausdrücke aus dem Alltagsleben beinhalten mehr als die bloße Fluchtmöglichkeit vor der gräßlichen, sich hinter den Worten verbergenden Wirklichkeit; zu diesem Zweck reicht in der Regel Abstraktion völlig aus. Das Muster, in dem die Bomben fallen, »Fußstapfen« nennen, erscheint fast als gewollte Verdrehung, als spielerische, perverse Weigerung, Verantwortung zu übernehmen. Denn der Wirklichkeit verpflichtet zu sein, bedeutet die Unfähigkeit, diese Arbeit zu verrichten.
Die durch solche Worte ausgelösten Bilder taugen zudem als Mittel, die unbeherrschbaren nuklearen Vernichtungspotentiale zu zähmen: Man nehme den feuerspeienden Drachen, der die eigene Familie, die Stadt, den Planeten zu zerstören droht, ins Bett und mache ihn zu einem netten Haustier, das man streicheln kann. Alltagsausdrücke können aber auch einfach dafür sorgen, daß sich alle wohler fühlen bei dem, was sie tun. »PAL« (Permissive Action Link, zusätzliches Einsatzglied und engl. Kumpel) ist die sorgsam konstruierte, freundliche Abkürzung für jenes elektronische System, das den unbefugten Abschuß von Atomsprengköpfen verhindern soll. Das jährliche Memorandum des Präsidenten über die Kernwaffenbestände, ein Überblick über die kurz- und langfristigen Planungen zur Produktion neuer Atomwaffen, wird gefällig »der Einkaufszettel« genannt. Zur Beschreibung eines speziellen atomaren Angriffstyps muß gar der »Plätzchenausstecher« (cookie cutter) herhalten.
Die Metaphern, mit denen fühllose Waffen domestiziert und humanisiert werden, können paradoxerweise auch zur Überzeugung verleiten, es sei in Ordnung, über fühlende menschliche Wesen hinwegzusehen. Seine Zeit mit Träumen von Szenarien für den Einsatz der Massenvernichtungstechnologie zu verbringen und Menschen aus dieser Technikwelt auszuschließen, ist vielleicht nur deshalb möglich, weil diese Welt nun das Häusliche und Familiäre, das Warme und Spielerische einschließt – die Christbäume, die Freizeitgeräte und all jene Dinge, die man zärtlich streichelt. Es ist eine gewissermaßen in sich vollkommene Welt: Sie schließt sogar Tod und Verlust ein. Das Problem ist, daß alles, was »getötet« wird, eigenartigerweise Waffen sind, und nicht Menschen. »Tötet« einer der eigenen Sprengköpfe einen anderen aus dem eigenen Arsenal, so ist die Rede vom »Brudermord«. Die besondere Sorge gilt der »Verwundbarkeit« und »Überlebensfähigkeit«, jedoch nicht die der Menschen, sondern die der Waffensysteme.
Männliche Geburt und Schöpfung
Eine andere Gruppe von Metaphern suggeriert das männliche Verlangen nach der Macht der Frau, Leben zu schenken. In Los Alamos hieß die Atombombe »Oppernheimers Baby«, in Lawrence Livermore war die Wasserstoffbombe »Tellers Baby«, obwohl jene, die Tellers Anteil an ihr schmälern wollten, behaupteten, er sei nicht der Vater, sondern die Mutter der Bombe. In diesem Zusammenhang sind vielleicht auch die ungewöhnlichen Namen zu verstehen, die man jenen Bomben gab, die Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche legten: »Little Boy« und »Fat Man«. Diese schlimmstmöglichen Zerstörer waren die männlichen Kinder der Atomwissenschaftler.
In der Tat scheint die ganze Geschichte der Bombe durchtränkt von Metaphern, in denen die überragende technologische Potenz der Menschheit, Natur zu zerstören, mit Schöpferkraft verwechselt wird: Metaphern, die die Zerstörungskraft von Männern in ihre Wiedergeburt verwandeln. Laurence schrieb über den Trinity-Test der ersten Plutonium-Bombe: „Man hatte das Gefühl, man hätte das Vorrecht genossen, bei der Geburt der Welt dabeigewesen zu sein.“ General Bruce K. Hollyway, von 1968 bis 1972 Oberbefehlshaber der Strategic Air Command, sagte 1985 in einem Interview, im Atomkrieg gäbe es „einen großen Knall, wie am Beginn der Welt.“
Das Letzte allerdings, was man in dieser Subkultur des starren Realismus und der Hyperrationalität zu finden erwarten würde, ist der wiederholte Bezug auf Religion. Und doch wurde der erste Atombombentest »Trinity« (Dreifaltigkeit) genannt. Als Robert Oppenheimer ihn sah, dachte er an die Worte, die Krishna in »Bhagavad Gita« zu Arjuna spricht: „Ich bin der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“ Wenn Verteidigungsstrategen um Stellungnahmen zu bestimmten Thesen gebeten werden, weichen sie oft in den flüchtig hingeworfenen Satz aus. „Ach, jetzt reden Sie von theologischen Dingen.“ Am erstaunlichsten ist wohl, daß die Schöpfer der strategischen Doktrin von ihresgleichen tatsächlich als von der Gemeinde der »Atompriester« sprechen. Schwer zu sagen, was daran bemerkenswerter ist: Die Arroganz des Anspruches, das stillschweigende Eingeständnis, sie seien wirkliche Dogmenschöpfer, oder die ungewöhnliche implizite Aussage darüber, wer, oder besser, was zum Gott geworden ist.
zu Teil II
Anmerkungen
1 William L. Laurence, Dawn Over Zero: The Study of theAtomic Bomb (London: Museum Press, 1974), P. 198f Zurück
Der vorstehende Beitrag wurde während eines Forschungsaufenthalts von Carol Cohn am Center for Psychological Studies in the Nuclear Age in Cambridge Massachusettes verfasst. Die Analyse erschien zuerst im Bulletin of the Atomic Scientists, June 1987, p. 17-24, eine erweiterte Fassung in: Signs. Journal of Women in Culture and Society 1987, vol. 12, no. 4. Der Beitrag erscheint in deutscher Fassung in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift Vorgänge. Wir drucken ihn mit freundlicher Genehmigung nach. Die Übersetzung fertigten Hedda Wagner (Frankfurt) und Sabine Lang (Berlin) an.