W&F 2003/3

Sicherheitspolitische Folgerungen aus dem Golfkrieg

von Ingo Ruhmann

Von den Medien kaum beachtet, war der Golfkrieg 2003 ein Test für den militärischen Einsatz von Informationstechnik, die einen erheblichen Anteil an der technischen Überlegenheit der US-Truppen hatte. Soweit dies den Medienberichten zu entnehmen ist, spielten die dem IT-Einsatz zugeschriebenen militärischen Fähigkeiten auch eine große Rolle bei den politischen Überlegungen zur Durchführbarkeit im Vorfeld des Konflikts und den Schlussfolgerungen für den zukünftigen Einsatz militärischer Macht. Im folgenden sollen daher aus einer bewusst vorsichtigen Auswertung von Medienberichten einige Implikationen für die sicherheitspolitischen Konsequenzen des zurück liegenden Krieges abgeleitet werden.
Der Golfkrieg 1991 machte den Computer in »intelligenten« Waffensystemen zu einem der entscheidenden Teile militärischer Technik. Der Krieg wurde zu über 90% mit herkömmlichen Waffen geführt. Zur Demonstration alliierter Überlegenheit berichteten die Medien jedoch über jene 10% der Luftangriffe, die mit High-Tech-Waffen durchgeführt wurden. In der nach drei Wochen begonnenen, kurzen alliierten Bodenoffensive lieferten sich die dem irakischen Rückzug aus Kuwait nachsetzenden Alliierten mit den Irakern einige wenige größere Gefechte in einem Gelände, das für den Einsatz massiver Feuerkraft geeignet war. Bevor es zu langwierigen Bodenkämpfen kommen konnte, wurden die Kampfhandlungen beendet. Der Bodenkrieg und die Folgen blieben medial weitgehend unsichtbar.

Seit 1991 beschäftigen sich die Streitkräfte der USA, ihrer Verbündeten, aber auch verschiedener anderer Staaten mit der Vorbereitung auf Information Warfare, einer Kriegsführung nach Prinzipien, bei denen militärische und nicht-militärische Einsätze verwischen, Aufklärung und Kommunikation Vorrang vor reiner Feuerkraft haben und bei denen die vollständige Vernetzung eigener Kräfte im Zentrum stehen.

Vor Beginn des Golfkrieges 2003 war dieser als erster digitaler Krieg angekündigt worden, der durch die psychologische Wirkung massiver Schläge zu Beginn der Kampfhandlungen (»shock and awe«) und überlegene alliierte Truppenführung schnell gewonnen werden sollte. „Fast Allwissenheit plus intelligente Munition“ sollten die US-Truppen in die Lage versetzen, simultan wichtige Ziele anzugreifen und zu zerstören, bis zum Ende der ersten Woche dem gesamten irakischen Militärapparat einen vernichtenden Schlag zu versetzen sowie 75% des irakischen Territoriums zu besetzen.1 Frustrierend für die Planung des Information Warfare sei lediglich das »Chaos« der zivilen und militärischen irakischen Telekommunikationssysteme und die Probleme dort einzudringen.2 Medienberichten zufolge hatten US-Militärs vor Kriegsbeginn schon mit wichtigen irakischen Truppenkommandeuren über die Bedingungen ihrer Kapitulation verhandelt.3

Zu Kriegsbeginn wurden gleichzeitig irakische Kommandozentralen und Truppen bombardiert. In den ersten drei Tagen rückten US-Truppen fast ungehindert 400 km weit vor. Medial entsprach aber nur der erste Angriff auf Bagdad den Erwartungen an eine – von Reportern im Pressebriefing des Pentagon geäußerten – »Show«. Nach einer Woche mussten die Vorhersagen relativiert werden. Irakische Truppen leisteten Widerstand, obwohl ihre Zahl im Vergleich zu 1991 um 60% geschrumpft, ihre Ausrüstung lückenhaft und seither nicht modernisiert worden war.4 Das Bild dominierten Bodenkämpfe, Nachschubprobleme der Alliierten und eine heftige Debatte um eine in zu geringer Stärke in den Krieg geschickte alliierte Streitmacht.5 Unbeobachtet von den Medien sickerten jedoch gleichzeitig Spezialeinheiten in das Zielgebiet ein und griff die US-Luftwaffe irakische Stellungen an.Zum Ende der Kampfhandlungen zeigten sich die irakische Armee sowie die Republikanischen Garden und selbst die Fedajjeen Saddam in völliger Auflösung. In der zentralen alliierten Kommandoeinrichtung in Doha beobachteten skeptische US-Militärs auf ihren Bildschirmen, wie erste amerikanische Einheiten mit 60 Stundenkilometern in das Zentrum Bagdads vorrückten, ohne auf die erwartete Gegenwehr zu stoßen.6 Nach Ende der Kämpfe nahm die Zahl derer zu, die die ursprüngliche Planung als gelungen betrachteten und die Bedeutung der auf »intelligenten« Waffensystemen und vernetzten Einheiten beruhenden technologischen Entwicklung der letzten zwei Jahre hervorhoben.7Information Warfare unterlag gleichfalls während des Krieges einer widersprüchlichen Bewertung. Zeitweilig hieß es, die Rolle von Information Warfare-Instrumenten sei geringer als zu Beginn geplant. Auch die angekündigte »e-Bombe« zur Erzeugung eines elektromagnetischen Pulses mit konventionellen Mitteln wurde nicht eingesetzt.8 Mit dem Erfolg wurde dann schon vor Kriegsende in ersten Bilanzen die Rolle der Informationstechnik auf dem Schlachtfeld als entscheidender Faktor für den Sieg hervorgehoben.9

Medienberichte

Wenn der Kriegsausgang in den Medien damit kommentiert wurde, flexiblere und technisch überlegene Truppen hätten einen schwach agierenden Gegner besiegt, obwohl denselben Blättern zwei Wochen davor noch unerklärlich war, wie heftiger Widerstand der Iraker den alliierten Vormarsch zeitweise zum Stehen bringen konnte, sollte man auch nach diesem Golfkrieg ernsthaft keine genauen Analysen und Berichte über die Hintergründe wie auch die politischen Konsequenzen des Krieges im Irak erwarten. Auch wenn Journalisten gegenüber den Verlautbarungen der kriegführenden Seiten eine deutlich gewachsene Vorsicht an den Tag legten, wurde oft ein Bild gezeichnet, das nicht in Einklang mit den wenigen Informationshäppchen zu bringen war und ist.

In der Medienberichterstattung könnten trotz des großen Aufwands die Unterschiede zwischen den Golfkriegen kaum größer sein. 1991 entstanden in der Folge medienwirksamer Darstellungen der Zieleinwirkung steuerbarer Abstandswaffen für die öffentliche Wahrnehmung irreale Vorstellungen über die Steuerbarkeit von Kriegshandlungen und die technologische Überlegenheit durch Informations- und Kommunikationstechnik. Die seither geweckten Erwartungen wurden vor dem Krieg 2003 durch die Rhetorik eines schnellen Enthauptungsschlages nochmals angeheizt, aber dann durch die Kampfhandlungen nicht erfüllt.

Die aus der Perspektive der Bodentruppen genährten Medien berichteten nicht über High-Tech-Präzisionsschläge, sondern über die Kämpfe vorrückender Bodentruppen. Der Zusammenbruch der irakischen Armee vermittelte keinen Eindruck eines High-Tech-Krieges, sondern den eines aussichtslosen Kampfes einer demoralisierten und schwach gerüsteten Truppe gegen eine hochgerüstete, mechanisierte Armee. Wochen nach Kriegsende erschienen Berichte, nach denen es auch die Republikanischen Garden in vielen Teilen vorgezogen hatten, zu desertieren, statt einen aussichtslosen Kampf mit dem Leben zu bezahlen.10

Die von USA gewählte Form der Medienberichterstattung aus der Perspektive der Bodentruppen dürfte jedoch ein untrüglicher Anhaltspunkt dafür sein, dass sich die Planer im Pentagon davon den größten Effekt versprochen hatten, dass also beabsichtigt war, nicht auf den Effekt von High-Tech-Bomben und deren Zielvideos zu setzen, sondern auf die technologische Übermacht von Bodentruppen.

Information Warfare erschien in der medialen Darstellung des Krieges nur als abstrakte computergestützte Führungsfähigkeit der Alliierten und blieb ansonsten eine unbewiesene Behauptung und unfassbare Fähigkeit. Erst eine – bewusst vorsichtige – Betrachtung von Details macht deutlich, dass ein qualitativer Sprung durch den umfassenden Einsatz von IT zur Kriegsführung zu beobachten ist.

… und deren Interpretation

Aus dem Einsatz von IT in Golfkrieg 2003 lassen sich fünf Schlussfolgerungen ableiten.

  • Die erste Schlussfolgerung geht von der Beobachtung aus, dass sich größere irakische Verbände im Golfkrieg 1991 noch bis Kriegsende in relativ koordinierter Weise bewegten. Im Golfkrieg 2003 stellten sich zwar einzelne Einheiten den Alliierten entgegen, aber ohne nennenswerte Koordination mit anderen. Offensichtlich war die Unterbrechung der irakischen Kommando- und Kommunikationswege effektiv genug, um die Organisation größerer Kampfhandlungen zu verhindern. Insbesondere vor der Einnahme Bagdads am Ende des Krieges sorgte das Bombardement irakischer Kommandoeinrichtungen und Netzknoten dafür, dass auf irakischer Seite keine militärische Kommunikation mehr beobachtet wurde.11 Mit dieser Unterdrückung des gegnerischen Kommando- und Kontrollsystems hatten die Alliierten im diesem Golfkrieg eines der zentralen Ziele der Informationskriegsführung erreicht.
  • Die zweite Schlussfolgerung folgt aus der ersten und der Zwischenphase der Kampfhandlungen, in der irreguläre irakische Gruppen mit Pickups gegen den alliierten Vormarsch vorgingen12 und die alliierte Luftunterstützung in teilweise heftige Gegenwehr geriet.13 Nach herkömmlicher Denkungsart ist bei einer zerfallenden militärischen Kommandostruktur mit dem Beginn einer Guerillakriegführung zu rechnen, wovor in dieser Phase auch in den Medien gewarnt wurde. Begleitet wurde diese Warnung mit dem Vergleich zur Lage in Mogadischu 1993, als schwach bewaffnete Milizen die US-Truppen zum Rückzug zwangen. Entscheidend dafür, dass es im Irak nicht zum Übergang zu einer asymmetrischen Guerilla-Kriegsführung kam, war offenbar, dass der IT-Einsatz zur umfassenden Aufklärung und Vernetzung der US-Truppen einen Kampf sowohl in herkömmlicher Feldschlacht erlaubte als auch gegen sich auflösende Reste der irakischen Armee und irreguläre Gruppen. Damit bestätigte sich die Absicht der US-Truppen, durch die technische Vernetzung von Informationsflüssen den Kampf ohne definierte Frontlinie bewusst zu führen: „Man kann nicht auf einem unzusammenhängenden Schlachtfeld kämpfen ohne vernetzt zu sein“; nur aus der Vernetzung ließen sich operative Vorteile erzielen, so ein Pentagon-Direktor.14 Militärische Überlegenheit ließ sich offenbar im Golfkrieg 2003 herstellen durch Aufklärung und schnelles Reagieren auf veränderte Formen der Kriegsführung.
  • Die dritte Schlussfolgerung beruht auf grundlegenden Neuerungen, die einen deutlichen Geschwindigkeitsgewinn für militärische Operationen mit sich bringen. 1991 gelangten die täglichen Luftangriffspläne per Flugzeug auf die US-Flugzeugträger im persischen Golf, 2003 per sicherer Datenverbindung.15 Die Zielprogrammierung der Cruise Missiles wurde seit 1991 von drei Tagen auf 45 Minuten verkürzt.16 Für die Briten war es im letzten Golfkrieg schon ein Fortschritt, die von einem Flugzeug aufgenommenen Aufklärungsbilder nach dessen Landung digital zur Verfügung zu haben, statt wie ehedem erst Filme entwickeln zu müssen.17 US-Truppen konnten dagegen auf die in Echtzeit übermittelten Radaraufklärungsbilder von JSTARS-Aufklärern und die Videobilder von unbenannten Drohnen zurückgreifen, um sich ein aktuelles Bild ihres jeweiligen Kampfgebiets zu machen. Per Satellitenverbindung wurden Aufklärungsbilder unbemannter Global Hawk-Drohnen an Kampfverbände im Irak übermittelt.18 Rund um die Uhr und bei jedem Wetter waren die Iraker zermürbenden Angriffen mit »intelligenter« Munition ausgesetzt, die aus großer Höhe abgeworfen wurde und damit ohne Vorwarnung traf. Schutz bot weder das Verstecken von Panzern und anderen Fahrzeugen unter Bäumen, Brücken oder in engen Gassen, der einzige Schutz bestand darin, sich möglichst weit von den Fahrzeugen zu entfernen.19 Dies ist der informationstechnische Hintergrund der Fähigkeit der US-Truppen, auch kleine Ansammlungen gegnerischer Truppen sofort erkennen und bekämpfen zu können und den Gegner durch ununterbrochene Angriffe zu zermürben.

Sofern sich diese drei Schlussfolgerungen bewahrheiten, würde dies bedeuten, dass den US-Truppen nicht allein die Zerschlagung der gegnerischen Kommandoinfrastruktur gelungen ist, sondern auch das Zermürben der irakischen Armee und in der Folge das Unterbinden aufflammender Guerillakämpfe, was bislang der militärisch stärkeren Seite in asymmetrischen Konfliktkonstellationen kaum oder nur durch unverhältnismäßige Repression gelang.

  • Die vierte Schlussfolgerung resultiert aus der vergleichsweise geringen Truppenstärke der alliierten Angreifer. Bis Anfang der 90er Jahre galt ein Truppenverhältnis von etwa 3:1 zugunsten des Angreifers vor Ort als notwendige Voraussetzung für aussichtsreiche Angriffsoperationen. 1991 zogen die Alliierten noch eine etwa 500.000 Soldaten große Streitmacht zusammen, um an wenigen Stellen massiv und mit Übermacht vorzugehen. 2003 begannen die Alliierten den Krieg gegen das etwa 400.000 Mann starke irakische Heer bei noch nicht abgeschlossenem Truppenaufmarsch mit einer Streitmacht von gerade 250.000 Mann. Grund war der Glauben des US-Verteidigungsministers Rumsfeld und seines kommandierenden Generals Franks, bei einem geschwächten Gegner, vor allem aber durch IT-Einsatz auch mit reduzierter Truppenzahl siegen zu können. Statt der fünf von den Generälen zuerst geforderten US-Divisionen wurde mit drei geplant. Von diesen sollte eine über die Türkei einmarschieren, wurde aber während des Krieges nach der Ablehnung der türkischen Regierung erst nach Kuwait verlagert und stand während der Kampfhandlungen nicht zur Verfügung.20

Ungeachtet der Kritik verfolgte Franks diese knappe Kalkulation auch während der Kampfhandlungen weiter. Durch direkte Kommunikation zwischen Einheiten am Boden und in der Luft einerseits und durch »intelligente« Munition andererseits ersetzte die Luftwaffe große Teile der Artillerie.21 Die IT-gestützte Vernetzung erlaubte es in 15 Minuten, aus Aufklärungsdaten von Aufklärungsdrohnen die Zielkoordinaten für Bomber zu errechnen, an diese zu übermitteln und das ausgesuchte Ziel anzugreifen.22 Zur Unterstützung der 3. Infanteriedivision bei der Einnahme Bagdads – auf die Berichten zufolge drei Divisionen der Republikanischen Garde warten sollten23 – wurden statt der im Ersten Golfkrieg üblichen neun Artilleriebrigaden nur eine Brigade Artillerie abgestellt. Damit sollten logistische Probleme vermindert und die Geschwindigkeit des Vormarsches erhöht werden. Die zum Konzept von Information Warfare gehörende IT-Nutzung kann somit Flexibilität und Geschwindigkeit erhöhen. Allerdings spricht nichts dafür, dass die Umkehrung des Kräfteverhältnisses zwischen Angreifer und Verteidiger allein auf die Anwendung von Prinzipien des Information Warfare zurückzuführen ist.

  • Die fünfte Schlussfolgerung beruht auf dem Vergleich der Medienberichterstattung und der in den Berichten enthaltenen Darstellung einzelner Vorgänge einerseits und den politischen und militärischen Planungs- und Verlautbarungsaktivitäten andererseits. Von der Ankündigung eines auf »shock and awe« abzielenden Erstschlages über die mediale Kritik nach der ersten Kriegswoche bis zum unerwarteten Kriegsende ohne die angekündigte Gegenwehr lässt sich bilanzieren, dass die Vorhersagen und Planungen und zugleich die psychologische Bewertung der irakischen politischen und militärischen Führung trotz aller Aufklärung allenfalls ungenau geblieben ist. Selbst wenn man von den pressewirksamen Ankündigungen zuerst eines schnellen Sieges, später dann eines blutigen und länger andauernden Häuserkampfes um die als letzte irakische Bastionen gesehenen Städte absieht, die sich allesamt als unzutreffend erwiesen, so sollte man durchaus ernst nehmen, dass die Operationen der U.S.-Truppen, deren Stärke und Ausrüstung auf diese Annahmen abgestimmt waren.24

Die psychologische Kriegsführung, die im Information Warfare eine entscheidende Rolle bei der Interpretation der aufgeklärten Nachrichten über den Gegner und dessen Beeinflussung hat, ist damit offensichtlich kaum weiter entwickelt als in vorangegangenen Konflikten. Im Gegenteil liegt der – während des Krieges schon geäußerte – Verdacht nahe, dass Rumsfeld und Franks in ihrer Vorbereitung des Krieges selbst zu stark ihren eigenen Darstellungen militärischer Überlegenheit aufgesessen sind. Gerade weil dies durch das schnelle Kriegsende keiner weiteren Überprüfung unterzogen wurde und nun wohl nicht mehr wird, dürfte diese Frage eines letztlich kulturellen Zugangs zur Befindlichkeit eines Kriegsgegners für die Zukunft erheblichen Raum für Fehler bieten. Auch die besten Aufklärungsdaten tragen nicht das Geringste dazu bei, das Verhalten eines Gegners korrekt vorherzusagen oder kapitale politische Fehleinschätzungen zu verhindern.

Implikationen

Die gegenwärtig – und damit vor den offiziellen Analysen und vor einer potentiell tendenziösen Rekonstruktion von Ereignissen – verfügbaren Informationshäppchen lassen sich auf operativer Ebene soweit interpretieren, dass der technisch verbesserte, umfassende IT-Einsatz auf alliierter Seite in klare militärische Vorteile umgesetzt wurde, dass aus Fehleinschätzungen und dem mangelnden Verständnis der Lage zugleich aber unerwartete Risiken erwachsen sind. Dass der alliierte Sieg in dieser Form nicht möglich gewesen wäre, gegen die Armee einer von der Bevölkerung stärker getragenen Regierung, sollte ebenfalls deutlich sein. Gerade auf Seiten der US-Streitkräfte ist zu erwarten, dass in den nächsten Monaten der technologische Aspekt des Krieges intensiv mit neuen Details herausgestellt werden wird, viele offene Fragen dagegen ungeklärt bleiben werden. Dies ist insofern bedeutsam, da schon vor diesem Krieg aus technologischer Überlegenheit eine politisch-militärische Machbarkeit abgeleitet wurde.

Zugleich sollten die gravierenden sicherheitspolitischen Implikationen der technologisch gestützten militärischen Stärke der USA deutlich sein. Zur Abschätzung der Bedeutung der Aktivitäten der USA als »letzte verbliebene Supermacht« und, um die Geringschätzung der gegenwärtigen US-Administration gegenüber internationalen Bündnissen und den Glauben an eigene Stärke nachzuvollziehen, reichen ideologische Erklärungsversuche allein nicht aus. Erst die angemessene Kombination von militärischen Potentialen und politischen Zielen erlaubt die Bewertung der sicherheitspolitischen Konsequenzen. Information Warfare ist bei einer solchen Abschätzung militärischer Potentiale als Metapher und Zieldefinition einerseits, aber andererseits auch in der realen Wirkung ein wesentlicher Faktor mit weit reichenden politischen Folgen.

Auch bei einer vorsichtigen Bewertung der Medienberichte des Krieges lassen sich zahlreiche Argumente finden für die Stärkung militärischer Machtausübung durch den breiten militärischen Einsatz vernetzter IT. Der entscheidende Faktor ist dabei nicht im Einsatz vereinzelter Präzisionswaffen zu sehen, sondern in der Integration der Einzelteile in eine komplexe und integrierte Infrastruktur, mit der die Ausübung von Kommando und Kontrolle verbessert wird. Einerseits ist die informationstechnische Optimierung von Kommando und Kontrolle im Krieg notwendiges Hilfsmittel, wenn man mit einer begrenzten Zahl eigener Truppen operiert, statt auf die Überlegenheit der Zahl zu setzen. Andererseits ist die zugleich ermöglichte Zentralisierung von Kommando und Kontrolle die Bedingung für die politische Führbarkeit von Kriegen sowohl auf nationalem wie internationalem Parkett: Wer schon gegen Widerstände einen Krieg beginnt, dürfte wenig Interesse daran haben, dass dieser außer Kontrolle gerät und damit politisch gefährlich wird. Die Interimsphase des Krieges war ein schwaches Abbild der Widerstände, die bei länger anhaltenden Kämpfen im Irak zu erwarten gewesen wären.

Völlig unerheblich ist dabei die faktische Möglichkeit zur Kontrollausübung, entscheidend ist allein der halbwegs begründete Glaube, diese Kontrolle auch ausüben zu können. Der IT-Einsatz bei Planung und Durchführung größerer Militäroperationen hilft bei dem Glauben an militärische Vorbereitung und kontrollierte Durchführung von Kriegen. Gleichgültig, dass sich Kommandeure vor Ort während des Kriegsverlaufes über ihre irakischen Gegner äußerten, dies sei nicht die Art von Truppen, gegen die zu kämpfen man geübt habe, war entscheidend für die militärische und politische Führung die abstrahierte Lageübersicht in den Lagezentren und die dort dargestellte positive Entwicklung. Schon nach dem Golfkrieg 1991 hatte niemand anders als der damalige Stabschef und heutige US-Außenminister Powell die Funktion der Planungs- und Lagezentren bei der Vorbereitung dieses Golfkrieges beschrieben. Dabei hatten die Kriegsvorbereitungen für ihn einerseits den Charakter eines Videospiels, andererseits sei die Berichterstattung eine aseptische »Verzerrung« der Realität.25

Doch IT-unterstütztes Kommando und Kontrolle blieben in beiden Golfkriegen ein blinder Fleck der Berichterstattung. Die aus der Perspektive des einfachen Soldaten berichtenden Medien zeigten zu Anfang und Ende des Krieges technisch überlegene militärische Operationen. Die Zwischenphase der Kämpfe zeigte einiges vom typischen Durcheinander und der Ratlosigkeit einfacher Soldaten. Zugleich wurde aber zu jeder Zeit peinlich genau vermieden, irgendetwas über die Vorgänge in den Planungszentren und das dort ermittelte Bild der Lage nach außen dringen zu lassen. Genau in dieser Zusammenführung von Lageinformationen zu einem vereinheitlichten Kommando liegt aber der eigentliche Effekt, der durch den IT-Einsatz beabsichtigten Überlegenheit bei der so viel beschworenen umfassenden »situational awareness«, der umfassenden Kenntnis der eigenen und der gegnerischen Lage. Damit sollte auch deutlich sein, worin die Differenzen zwischen Medienberichterstattung und öffentlicher Wahrnehmung einerseits und der Bewertung der politischen Konsequenzen andererseits zu suchen sind: Erst die Perspektive aus der Kommandoebene lässt die militärische Überlegenheit erkennen und die politischen Implikationen abschätzen.

Die Entscheidung für den Krieg und die Art der Vorbereitung lässt sich dahin gehend interpretieren, dass in der US-Administration die Überzeugung vorherrscht, über die Mittel zu Expeditionskriegen neuer Güte zu verfügen, also mit relativ geringer Truppenstärke gegen eine größere Streitmacht umfangreiche Militärschläge rund um den Globus ausführen zu können. Diese Sichtweise macht nicht Halt bei der Ablösung der irakischen Führung, sondern zeigte sich in direktem Anschluss an die Kampfhandlungen in offenen Drohungen gegen Syrien, den Iran und verdeckten gegen Herrscherhäuser der gesamten Golfregion. Damit wird militärische Machtprojektion zur Option politischer Machtausübung nicht allein gegenüber einzelnen Staaten – ausgenommen die Atommächte Russland und China –, sondern ganzen Regionen.

Vorhersagen

Die Gefahr, dass Kriege durch IT-Einsatz mit größerer Erfolgsaussicht führbar und damit auch wahrscheinlicher werden, ist keine neue Erkenntnis. Schon vor einigen Jahren warnten wir vor „der Verwandlung der Armee des 21. Jahrhunderts zur »Strategischen Armee«. Sie dient der Umsetzung strategischer Ziele. Kriegerische Konflikte sollen dabei nicht länger zu ausgedehnten und umfangreichen Feldzügen werden, sondern sich ebenso begrenzt einsetzen lassen wie das Heer auf dem Schlachtfeld eines Napoleon oder Clausewitz. […] Möglich ist dies bei der Zerstörung von Kommando- und Kontrollnetzen heute auch unabhängig von massiver Gewaltanwendung. Voraussetzung dafür ist jedoch die andauernde Aufklärung all dessen, was möglicherweise militärisch bedeutsam werden könnte.

Diese Form ist kaum ein Mittel zur friedlicheren Konfliktlösung. Sie hat dann einen besonderen Wert, wenn es darum geht, politische Interessen mit der Drohung militärischer Gewaltanwendung durchzusetzen. Notwendiges Mittel dafür ist die Erhaltung der technologischen Vormachtstellung in der Informationstechnik. Die Logik der Abschreckung im Informationszeitalter wird damit sichtbar. Die Form ihrer Ausgestaltung muß die Zukunft zeigen.“26

Eine vorsichtige Analyse des Golfkrieges 2003 lässt den Schluss zu, dass die sicherheitspolitische Entwicklung seither in großen Schritten in die damals skizzierte Richtung fortgeschritten ist. Nicht nur die Form der Abschreckung im Informationszeitalter ist heute sichtbar, auch die Form der Machtausübung mit militärischen Mitteln ist unübersehbar. Zusätzlich zur IT-unterstützten globalen Machtprojektion haben wir heute mit den Planungen zu »Total Information Awareness«-Office in den USA die organisatorische Struktur zur allumfassenden und »andauernden Aufklärung« – zivilsprachlich also: Überwachung – potentieller Gegner außerhalb der USA genauso wie innerhalb.

Unter den gegenwärtigen politischen Voraussetzungen ist die IT-unterstützte Kriegsführung zu einem neuen sicherheitspolitischen Risikofaktor geworden. Zugleich haben sich die Gefahren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch Überwachungstendenzen vielerorts wieder verschärft. Für die dringend notwendigen Korrekturen auf diesem Kurs wird allmählich die Zeit knapp.

Anmerkungen

1) Mark Thompson: Opening With a Bang; in: Time, 17.03.03, S. 30-33, S. 30f.

2) David A. Fulghum: Frustrations and Backlogs; in: Aviation Week and Space Technology, 10.03.03, S. 33-37, S. 33.

3) Evan Thomas; Daniel Klaidman: The War Room; in: Newsweek, 31.03.03, S. 24-29, S. 28.

4) Martin van Creveld: Am Ende kann Bagdad wie Grosny aussehen; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.03, S. 35.

5) Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37; Markus Günther: Unser Angriff hat keine Dynamik mehr; in: General-Anzeiger, 28.03.03, S. 3; Kurt Kister: Schlacht an vielen Fronten; in: Süddeutsche Zeitung, 29.03.03, S. 5.

6) Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29, S. 24.

7) So zusammenfassend Charles Horner: Operation Iraqi Freedom and the Transformation of War; in: Aviation Week and Space Technology, 5.5.03, S. 66.

8) John Barry: High Tech, Low Effect; in: Newsweek, 7.4.03, S. 5.

9) Vgl. dazu Point, Click… Fire; in: Business Week online, 7.4.2003; http://www.businessweek.com/magazine/content/03_14/b3827608.htm; Mike Davis: Umzingelt von einer unfehlbaren Armee; in: Die Zeit Nr. 16, 10.4.03, S. 50; Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29.

10) Terry McCarthy: What Ever Happened to the Republican Guard? In: Time 12.5.03, S. 24-28.

11) Nancy Gibbs: When the Cheering Stops; in: Time, 21.04.03, S. 31-38, S. 34.

12) Kevin Peraino, Kevin Thomas: The Grunts‘ War; in: Newsweek,, 14.03.03, S. 20-29, S. 24.

13) Bei Helikopter-Angriffen auf Bagdad kehrten allein bei einer Aktion nur 7 von 35 Helikopter einsatzfähig zurück, der Rest musste nach Beschuss der Iraker instand gesetzt werden, so: Kurt Kister: Schlacht an vielen Fronten; in: Süddeutsche Zeitung, 29.03.03, S. 5; ebenso: Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37, S. 33. Ähnliches geschah auch in den folgenden Tagen, so: David A. Fulghum, Robert Wall: Battling for Baghdad; in: Aviation Week and Space Technology, 21.04.03, S. 27-28.

14) David A. Fulghum: Fast Forward; in: Aviation Week and Space Technology, 28.04.03, S. 34-35, S. 34.

15) Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29, S. 28.

16) ebd.

17) Robert Wall: Harrier’s New Tools; in: Aviation Week and Space Technology, 21.04.03, S. 28.

18) Craig Covault: Milstars Pivotal to War; in: Aviation Week and Space Technology, 28.04.03, S. 50-51.

19) Terry McCarthy: What Ever Happened to the Republican Guard? In: Time 12.5.03, S. 24-28, S. 25f.

20) Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37, S. 30.

21) Evan Thomas, Martha Brant: The Secret War; in: Newsweek, 21.4.03, S. 22-29, S. 28f.

22) David A. Fulghum, Robert Wall: Baghdad Confidential; in: Aviation Week and Space Technology, 28.04.03, S. 32-33, S. 32.

23) Evan Thomas, John Barry: A Plan Under Attack; in: Newsweek, 7.4.03, S. 25-37, S. 32.

24) vgl.: Kevin Peraino, Kevin Thomas: The Grunts‘ War; in: Newsweek, 14.03.03, S. 20-29, S. 27f.

25) Bob Woodward: The Commanders, New York, 1991, S. 375.

26) Ute Bernhardt, Ingo Ruhmann: Der digitale Feldherrnhügel; in: Wissenschaft und Frieden, Dossier Nr. 24, Heft 1, 1997; im Online-Archiv unter: http://www.uni-muenster.de/PeaCon/wuf/wf-97/9710603m.htm

Ingo Ruhmann arbeitet seit über 15 Jahren zu militärischen Seiten der Informatik. Er war Vorstandsmitglied des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V. und ist gegenwärtig u.a. Lehrbeauftragter für Informatik an der FH Bonn-Rhein-Sieg.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2003/3 Globalisierte Gewalt, Seite