W&F 2020/3

Sicherheitsrisiko KSK

von Jürgen Nieth

„Ein Sturmgewehr AK-47, Tausende Patronen, kiloweise Plastiksprengstoff mit Zünder, ein SS-Liederbuch, Zeitschriften für ehemalige Angehörige der Waffen-SS, mehrere Thor-Steinar-Shirts. Was bei einem KSK-Soldaten Mitte Mai gefunden wurde, beschrieb Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) als ‚neue Dimension‘.“ (Sebastian Erb in taz, 4.7.20, S. 10)

Die »neue Dimension« hat einen Namen. „Oberstabsfeldwebel Philipp Sch. diente fast zwei Jahrzehnte beim KSK, war etliche Male in Afghanistan und bei anderen Auslandseinsätzen der Bundeswehr dabei. Im Kommando nannten ihn viele den »Nazi-Opa«, weil er schon deutlich über vierzig war.“ (Spiegel, 27.6.20, S. 29)

Und die »neue Dimension« hat eine lange Vorgeschichte.

„Chronik der Unrühmlichkeiten“

überschreibt die Welt (6.7.20, S. 8) die Geschichte rechtsextremer Vorfälle im KSK. Es ist eine lange Liste. Hier nur ein paar Auszüge.

1997 berichtete ein Soldat, der sich 1995 zur Kommandokompanie in Nagold-Calw gemeldet hatte, aus der später das KSK hervorging, über seine Lehrgänge in sieben verschiedenen Kasernen: „[E]r habe in jeder Kompanie rechtsextreme Vorgesetzte und Vorgänge erlebt. Er schildert unter anderem das Singen von Wehrmachtsliedern, Schindereien und Nazisprüche.“ Das Verteidigungsministerium bestritt die meisten Vorwürfe.

2003 lobt der „damalige KSK-Kommandeur Reinhard Günzel […] die antisemitische Rede des früheren CDU- und heutigen AFD-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann. Günzel dankt Hohmann für den ‚Mut zur Wahrheit‘, er habe ‚der Mehrheit unseres Volkes eindeutig aus der Seele gesprochen‘.“ Günzel wurde daraufhin unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen. (Am 5.7.20 heißt es dazu in der FAS auf S. 3: „Der Fall Günzel beschäftigte die Soldaten damals nicht weiter. Obwohl er entlassen war, blieb er ‚der Papa da, der wurde respektiert‘.“)

2007 versendet der KSK-Hauptmann Daniel K. „eine Drohmail […]: ‚Ich beurteile sie als Feind im Inneren und werde mein Handeln daran ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen.‘“ Daniel K. wurde trotz Diziplinarmaßnahme später befördert und erst zwölf Jahre später vom Dienst suspendiert.

2017 feiern 60 Elitesoldaten der 2. Einsatzkompanie den Abschied ihres Kompaniechefs: „Die Rede ist vom Werfen mit Schweineköpfen, von Hitlergrüßen und Rechtsrock.“ Es gab Disziplinarverfahren gegen mehrere Beteiligte.

Rechte Netzwerke

Alles Einzelfälle oder stecken dahinter rechte Netzwerke? Am 4.7.20 berichtet die SZ auf S. 2: Im KSK „hat es Partys gegeben, bei denen der Hitlergruß gezeigt wurde, und selbst die Vorgesetzten haben sich offenbar nicht daran gestört, dass viele ihrer Leute sich nicht als Team Grundgesetz begriffen, sondern als Team 88 feierten und inszenierten, der rechtsradikale Szenecode für Heil Hitler, weil H der achte Buchstabe des Alphabets ist – das war das Rufzeichen der Kommandozentrale. Ganz offiziell.“

In der taz (4.7.20, S. 10) heißt es: Ende 2018 sagte der Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), es „gebe keine rechtsextremen Netzwerke in der Bundeswehr. Und 2019: Es gebe Vernetzung aber kein Netzwerk. In dieser Woche sprach er dann von ‚Netzwerken und Strukturen‘. Die Rechtsextremisten sind aber nicht erst kürzlich mit Ufos […] in die Bundeswehr geflogen.“

AKK zieht die Reißleine

In einem Interview mit der SZ (1.7.20, S. 2) spricht die Verteidigungsministerin davon, dass sich Teile des KSK verselbstständigt hätten, „auch weil es eine toxische Führungskultur Einzelner gab“. Sie kündigte als Schlussfolgerungen an, dass „die 2. Kompanie zum 1. August ersatzlos aufgelöst [wird]. Das unbelastete Personal wird – soweit möglich – die verbleibenden Kompanien aufstocken. Andere werden aus dem KSK herausversetzt.“ Weiter soll das „System der in sich geschlossenen Ausbildung beim KSK aufgebrochen und „innerhalb des Verbandes ein Rotationsprinzip eingeführt“ werden. Das KSK wird „bis auf Weiteres keine Übungen und internationalen Einsätze und Kooperationen mehr wahrnehmen“. Kramp-Karrenbauer spricht davon, dass man beim Aufklärungsversuch zur Abschiedsfeier des Chefs der 2. Kompanie bisher „auf eine Mauer des Schweigens gestoßen [ist]. Bei manchen aus Zustimmung, bei anderen aus Angst.“ Eine Mauer, die aber Risse bekomme.

Schlussfolgerungen

Ist das KSK reformierbar und wenn ja, wie? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Die neue Wehrbeauftragte des Bundesstages, Eva Högl (SPD), plädiert für die Wiedereinführung der Wehrpflicht und bekommt Widerspruch von ihren Parteivorsitzenden: Die Wehrpflicht „steht nicht im Zusammenhang mit der gefährdeten Demokratiefestigkeit einzelner Bereiche der Bundeswehr, die nie mit Wehrpflichtigen besetzt worden sind“ (ND 6.7.20, S. 5). Peter Dausend (Zeit, 9.7.20, S. 1) hält wie andere fest: „Rechtsextreme Auswüchse gab es vor der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 – und es gibt sie seitdem […] Wehrpflicht ist kein Gegengift gegen Rechtsextremismus in Uniform.“

Andere sehen in der Aufnahme von Frauen einen wichtigen Schritt, um die „Männerwelt“ des KSK aufzubrechen und die „Truppe wieder näher an die Zivilgesellschaft“ heranzuführen (Joachim Käppner in SZ 6.7.20, S. 4).

Das nd (2.7.20, S. 1) zitiert Tobias Pflüger (Linke): Das KSK „gerät seit Jahren immer wieder und auf allen Führungsebenen mit rechtsradikalen Vorfällen in die Schlagzeilen“. Die Vorfälle seien „Grund genug, einen Schlussstrich unter das Kapitel KSK zu ziehen“.

Das heute etwa 1.700 Soldaten umfassende Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr wurde 1996 nach dem Vorbild US-amerikanischer, britischer und französischer Elitetruppen aufgestellt. Es besteht „aus sechs Einsatzkompanien, vier davon als Kommandokompanien spezialisiert unter anderem auf Geiselbefreiungen und Terroristenbekämpfung“ (Spiegel 27.6.20, S. 27). Die Soldaten sind strengster Geheimhaltung verpflichtet. Über die verdeckten Einsätze werden auch nur wenige Abgeordnete des Bundestages im Geheimen informiert.

Zitierte Presseorgane: FAS – Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, nd – Neues Deutschland, DER SPIEGEL, SZ – Süddeutsche Zeitung, taz – die tageszeitung, DIE WELT, DIE ZEIT.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2020/3 Der kranke Planet, Seite 4