W&F 2002/2

Sind Frauen eine Friedensmacht?

von Maren Haartje

Gibt es ein Frauenbild, welches der Friedenspolitik zugrunde liegt? Bekannt ist, dass Frauen in Gewaltkonflikten in erster Linie zu den Opfern gehören oder gar Ziel strategischer Kriegführung sind. Die sehr differenzierten Aufgaben und Rollen, die Frauen in Krisengesellschaften übernehmen, werden hingegen kaum wahrgenommen und sind selten Gegenstand politischer Friedensförderung. Wieviel Chancen für eine gewaltfreie Konfliktbeendigung werden verpasst, weil Frauen in Friedensprozessen nicht mitentscheiden? Eine maßgebliche Antwort darauf steht weiterhin aus, denn tatsächlich haben Frauen noch an keinem Friedensverhandlungstisch dominiert. Es wäre eine demokratische Entscheidung, einen Friedensprozess mit relevanter Partizipation von Frauen im Hinblick auf Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Zukunftsperspektiven für den Großteil der Bevölkerung und vor allem für jüngere Generationen zu entwickeln.

Die Voraussetzungen für die Partizipation von Frauen sind heute durch die internationalen Abkommen, die auf den Ergebnissen von Peking basieren, gegeben und weisen einen erheblichen Handlungsbedarf nach. Den Meilenstein setzte die 4. Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen im September 1995 mit dem Motto »Gleichstellung, Entwicklung und Frieden«. 189 (von 191) Staaten waren vertreten und mit mehr als 50.000 Teilnehmenden wurde sie zur größten UNO-Konferenz, die bislang stattgefunden hat. Der von den Teilnehmerstaaten verabschiedete Aktionsplan zielt auf die Umsetzung von koordinierten Maßnahmen ab, damit Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen, Entscheidungen und Begünstigungen erhalten. Mit der Strategie des »Gender Mainstreaming« sollen die Geschlechterperspektive und die Gleichstellung von Frau und Mann systematisch in Politiken, Projekten und Programmen überprüfbar gemacht und Ansätze zur Umsetzung aufgezeigt werden. Wie diese Aufgabe länderspezifisch bewältigt werden kann, haben die Unterzeichnerstaaten in ihren nationalen Aktionsplänen ausgearbeitet. Dabei ist interessant, dass von den insgesamt 12 Schwerpunktbereichen die Bearbeitung des Maßnahmenkataloges E (Bewaffnete Konflikte) in den Berichten eine marginale Beachtung gefunden hat. Auf der Folgekonferenz in New York im Juni 2000 wurden die Maßnahmen des Aktionsplanes verifiziert und in internationale Dokumente der UNO, EU, OECD und OSZE übernommen. Die Resolution 1325, die der UNO-Sicherheitsrat im Oktober 2000 verabschiedet hat, konkretisiert die Rolle von Frauen in der zivilen Konfliktbearbeitung: „The Security Council, reaffirming the important role of women in the prevention and resolution of conflicts and in peace-building, and stressing the importance of their equal participation and full involvement in all efforts for the maintenance and promotion of peace and security, and the need to increase their role in decision-making with regard to conflict prevention and resolution“.1 Dieses Leitbild umfasst 18 Maßnahmen.

Das Motto von Peking »Gleichstellung, Entwicklung und Frieden« weist auf den unauflösbaren Zusammenhang dreier Kriterien hin, die auch für Programme der Friedensförderung relevant sind. Um über den ersten Ansatz der weithin akzeptierten »Gender Balance« hinauszukommen, ist eine Auseinandersetzung über die Komplexität der geschlechtsspezifischen Rollenprägungen sowie über Auswirkungen von kultureller, struktureller und direkter Gewalt gegen Frauen notwendig. Insbesondere bei den Fragen der Beteiligung von Frauen an Macht und Ressourcen wird offensichtlich, dass einigen Entscheidungsträgern die patriarchalen Strukturen fundamentalistischer Regimes unter Umständen vertrauter sind als feministische Forderungen nach Partizipation.

In der Aufbauphase einer Nachkriegsgesellschaft sind der Kampf um Ressourcen und die Machtsicherung am heftigsten. In beiden Bereichen sind Frauen nach wie vor extrem untervertreten und werden nicht vermisst. Wie kann der Gender-Mainstreaming-Gedanke dazu beitragen, dass die Voraussetzungen einer tatsächlichen Partizipation von Frauen bei der Verteilung von Ressourcen und Macht verbessert werden?

Grundsätzlich besteht Übereinstimmung darüber, dass die Berücksichtigung des Gender Mainstreamings politisch korrekt ist. Die Anwesenheit von Frauen ist zwar erwünscht, aber der Übergang von einer quantitativen Beteiligung und dem Mittragen von Entscheidungen hin zu einer qualitativen Partizipation und Entscheidungsmacht ist noch nicht vollzogen. Diese Kluft lässt sich erst überwinden, wenn die Ursachen des systematischen Ausschlusses von Frauen realisiert werden und eine Bereitschaft zur Veränderung besteht. Für einen Friedensprozess bedeutet das, dass Gender Mainstreaming nicht umgesetzt werden kann, indem es einer Nachkriegsgesellschaft aufoktroyiert wird, sondern im gleichen Maße sind »Donors«, d.h. Staaten und Institutionen, die in der Aufbauphase einer Nachkriegsgesellschaft unterstützend beteiligt sind, vor diese komplexe Aufgabe gestellt.

Der Umsetzungsgrad der Gleichstellung von Frauen und Männern in einer Gesellschaft ist Ausdruck für ihr Demokratieverständnis. Ein demokratischer Ansatz geht über die Minimalforderung von 30 Prozent Frauenanteil (als »kritische Masse«) hinaus und liegt bei 50 Prozent. In diesem Verständnis werden Frauen nicht als eine (homogene) Gruppe gesehen, sondern als Vertreterinnen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen respektiert. Die amerikanischen WissenschaftlerInnen Mary Caprioli und Mark A. Boyer haben einen Zusammenhang zwischen dem Gleichstellungsniveau eines Staates und seiner Zurückhaltung bzw. Aggressivität in der Außenpolitik bis hin zum Einsatz von militärischer Gewalt in einer internationalen Krise hergestellt: „Our focus on gender equality represents a domestic norm of tolerance and equality that seems to be mirrored in states‘ international behaviour at least with respect to the level of violence used during international crisis.“2

Zwei wesentliche Merkmale für Gesellschaften mit einem hohen Demokratieverständnis und Gleichstellungsniveau sind u.a. auch die sinkende Bereitschaft von häuslicher Gewalt gegenüber Frauen sowie eine steigende Anzahl weiblicher Parlamentsabgeordneter.

Im Sinne von Mary Anderson, „learning from experiences and sharing it together“,3 könnte anhand der guten Erfahrungen und Ergebnisse, die mit Frauenprojekten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gemacht worden sind, nachgewiesen werden, dass auch speziell auf Frauen ausgerichtete Projekte gleichwohl positive Auswirkungen für Männer und Kinder haben und im Sinne der Friedensförderung nachhaltig sind. In der Tat besteht hier ein enormer Forschungsbedarf hinsichtlich der empirischen Untersuchungen sowohl von Frauenprojekten in Krisengebieten unter dem Aspekt der Friedensverträglichkeit und Krisenprävention (Peace and Conflict Impact Assessment) einerseits als auch von Projekten der politischen Friedensförderung unter dem Aspekt der Frauenverträglichkeit (Gender Impact Assessment) andererseits.

Mit Blick auf die Partizipation von Frauen an der Friedensentwicklung sind insbesondere die Ausbildungs- und Trainingsprogramme in der zivilen Konfliktbearbeitung für Teilnehmende an Friedensmissionen (Peace Corps) der UNO oder der OSZE geeignet, den Aspekt des Gender Impact Assessment zu thematisieren und in Fallbeispielen zu erleben. Das entspricht auch dem Ansatz der Resolution 1325 des UNO-Sicherheitsrates: „Recognizing that an understanding of the impact of armed conflict on women and girls, effective institutional arrangements to guarantee their protection and full participation in the peace process can significantly contribute to the maintenance and promotion of international peace and security“.

Eine konsequente Umsetzung der Gleichstellung bedeutet, dass die Partizipation von Frauen in Friedensverhandlungen zu einer Perspektivenerweiterung führt und dadurch neue Handlungsoptionen eröffnet werden, die insbesondere für den Aufbau einer Nachkriegsgesellschaft nachhaltig friedensrelevant sein können. Ebenso würden die Teilnehmenden an Friedensmission für die kulturellen Bedingungen für Frauen in Krisengebieten stärker sensibilisiert werden. Eine differenziertere Sichtweise würde es den Frauen vor Ort erleichtern, auch einen anderen Lebensweg als den traditionellen einzuschlagen, um ihre Befähigungen und Ausbildungswünsche außerhalb der für sie vorgesehenen Rollenerwartungen umzusetzen. Andererseits sind die Friedensmissionen selbst gefordert, höhere Positionen vermehrt mit Frauen zu besetzen, um einer Vorbildfunktion gerecht zu werden. Nachweisbar wenden Frauen aus der Region sich mit ihren Anliegen eher an Frauen als an Männer in einer Mission.4 Da viele Stellen innerhalb einer Mission nach sechs Monaten wieder neu besetzt werden, gilt es eine konti- nuierlichere Unterstützung und Si- cherheit von engagierten Frauen vor Ort zu gewährleisten um zu verhindern, dass es nach einem Personalwechsel einen Umkehreffekt in Richtung Gewalt und Repression gegen sie gibt. Eine stärkere Präsenz von Frauen in hohen Positionen würde zudem der Ausuferung der Prostitution und dem Frauenhandel im Umfeld von Missionen entgegenwirken.Wenn Frieden eine Kulturleistung ist5, sind die Mitwirkung und das Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Gruppen gefordert. In Zeiten des raschen Wandels, die nicht nur für Nachkriegsgesellschaften typisch sind, stellt die Hinterfragung und Überprüfung der eigenen Bilder vor Augen gerade im Hinblick auf die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen und Frieden eine starke Herausforderung dar.Der Abstand zu alten Rollenbildern fällt leichter, wenn neue Perspektiven vermittelt werden können, von denen sowohl Frauen als auch Männer profitieren können. Es ist nicht nur eine politische Aufgabe, sondern vor allem eine Aufgabe der Bildung und Kultur, sich von Dualismen wie Frau/Mann, Freund/Feind, Stärke/Schwäche, Reichtum/Armut zu lösen und Bilder aus den Dimensionen dazwischen zu entwickeln. Dann wird es interessant zu hinterfragen, welche Mechanismen spielen »hinter den Kulissen«, wenn Frauen aus verfeindeten Dörfern gemeinsam Wasser holen können (Mary Anderson: Mosambique) oder unter welchen Voraussetzungen Frauen und Männer in Krisenregionen auf den Markt gehen können. Wie wirkt die »Gender-Linse«? Als eine Schulklasse in Bosnien nach ihren Wünschen für den Schulsport befragt wurde, waren sich die Schüler einig, sie wünschten sich einen Handballplatz. Die OSZE-Mitarbeiterin hatte Zweifel, ob das wirklich dem Wunsch der Schülerinnen entsprach. Erst als sie mit den Schülerinnen alleine war, kam heraus, dass sie sich einen Aerobic-Raum und entsprechende Musik wünschten. Sie waren davon ausgegangen, dass ihr Wunsch in der Klasse lächerlich gemacht worden wäre und sie sowieso nicht damit durchgekommen wären. Beide Wünsche wurden realisiert.6

In der Nachkriegszeit werden insbesondere bei der Frage nach Heldentum die Rollenmuster deutlich: Sind es die Krieger oder diejenigen, die versucht haben Gewaltausbrüche zu verhindern? Welche Aufgaben werden Frauen zuerkannt? Werden sie als ehemalige Kämpferinnen anerkannt und entsprechend entschädigt? Sind sie auf das Kindergebären reduziert worden oder werden ihre Fähigkeiten, unter schwierigsten Bedingungen die Versorgung aufrecht erhalten zu haben, bewertet? Die Anerkennung der Leistungen und Überlebensstrategien der Zivilgesellschaft sind die Basis auf der die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Akteuren und Akteurinnen der Krieges stattfinden und ein Versöhnungsprozess einsetzen kann.

Die Internationale Gemeinschaft hat mit ihrem Auftrag, den Frieden auf der Welt zu erhalten, eine Verpflichtung übernommen, dass die Rechte der Frauen in den Verfassungen verankert und überprüfbar gemacht werden. Gleichzeitig kann sie mit der umgesetzten Gleichstellung von Frauen und Männern in ihren eigenen Institutionen als Vorbild dienen. Den Nachweis für die enge Verknüpfung von Gender und Frieden hat Mary Caprioli erbracht: „This study substantiates the theory that domestic gender equality has a pacifying effect on state behaviour on the international level. The inclusion of women as equal members of society will, therefore, result in fewer and less militarized international disputes.“7

Anmerkungen

1) Resolution 1325 (2000) adopted by the Security Council at its 4213th meeting, on 31 October 2000.

2) Mary Caprioli, Department of Political Science, University of Massachusetts-Dartmouth, Mark A. Boyer, Department of Political Science, University of Connecticut, Gender, Violence, and International Crises, in: Journal of Conflict Resolution, Vol. 45, No. 4, Sage Publications London 2000, p. 503-58.

3) Mary Anderson, Do no Harm, anlässlich eines Workshops in der Deza am 20.11.2001.

4) Hanne-Margret Birckenbach, Präventive Diplomatie. Das Beispiel der OSZE-Mission in Estland unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung von Frauen, Working paper 29 der Schweizerischen Friedensstiftung Bern, Mai 1999.

5) „Frieden ist eine Kulturleistung“, Zitat von Dieter Senghaas in der Sendung Musik und Frieden, Radio Bremen 1999.

6) Bericht von Patricia Barandun, Democratisation Unit, OSZE-Mission in Bosnien, 2001.

7) Mary Caprioli, Gendered Conflict, in: Journal of Peace Research, Vol. 37, No. 1, Sage Publications London, p. 51.

Maren Haartje, Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik, Referentin für Gender-Fragen in der Schweizerischen Friedensstiftung Bern

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/2 Frauen und Krieg, Seite