Soldatentod in heutigen Kriegen
Herausforderungen für politische Normenbildung und Erinnerungskultur
von Bentje Woitschach
Unter dem programmatischen Titel »Soldatentod in heutigen Kriegen - Herausforderungen für politische Normenbildung und Erinnerungskultur« fand vom 6. bis 8. Juni 2008 in der Evangelischen Akademie Loccum in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (Landesverband Niedersachsen) und der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung unter der Leitung von Prof. Rolf Wernstedt (Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge) und Dr. Corinna Hauswedell (Evangelische Akademie Loccum) eine rege besuchte Tagung statt.
Die Diskussion um das politische Mandat der Bundeswehr und den soldatischen Auftrag hat, vor allem im Zusammenhang mit den erweiterten Einsätzen in Afghanistan, an Schärfe gewonnen. Dabei wird deutlich, dass sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in rechtlicher, politischer und ethischer Hinsicht auf ungeklärtem Terrain bewegt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers, auf dem Gelände des BMVg ein Ehrenmal für die Toten der Bundeswehr zu errichten, als Versuch, einen neuen politischen Symbolakt und -ort der Gedenkkultur zu befestigen, um der strategischen Umorientierung der Bundeswehr, die konsequenterweise auch tote deutsche Soldaten zur Folge haben kann, Rechnung zu tragen. Die Tagung beabsichtigte, den Diskurs um das Ehrenmal des BMVg in den politischen Kontext der sich wandelnden Rolle, Funktion und Legitimität des Militärs in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu stellen und dabei Möglichkeiten einer (neuen) deutschen Erinnerungskultur, aber auch deren spezifische Problembereiche, zu erörtern.
Der erste Teil der Tagung trug den Titel „Probleme politischer und ethischer Fundierung militärischer Einsätze der Bundeswehr“. So betrachtete Lothar Brock (Frankfurt) in seinem Vortrag militärische Interventionen aus völkerrechtlicher Perspektive. Einerseits lege das Völkerrecht hohe materielle Normen fest (Schutz der Menschenrechte), andererseits fehle es an konkreten Verfahrensregeln, um diese Normen durchzusetzen. Die Konsequenz sei, dass entweder nicht oder unilateral gehandelt werde. Angesichts dieses Handlungsdilemmas entwickelte die UNO das Konzept der »responsibility to protect« (Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft), das Brock als eine Möglichkeit darstellte, dem Handlungsdilemma zu entrinnen.
Roland Kaestner (Hamburg) zeichnete ein Bild des heutigen Krieges, das deutliche Tendenzen zur Entgrenzung aufweise, bezogen auf Akteure, Ziele, Methoden, Raum. Moderne arbeitsteilige und komplexe Gesellschaften vertragen keinen Kriegszustand, er würde zu ihrer Auflösung führen. Aus diesem Grund setzten diese Gesellschaften Gewalt nur auf fremdem Territorium ein, um die eigenen Kosten gering zu halten und ihre Interessenpolitik durchzusetzen. Kaestner plädierte für eine Eingrenzung des Krieges durch das internationale System, das auf der Basis des Rechts und nicht der Gewalt beruhen solle.
Natascha Zupan (Bonn) erweiterte die vorgetragenen völkerrechtlichen und militärischen Gedanken um die Perspektive der zivilen Friedensförderung und widmete sich verstärkt dem Thema Gedenkkultur. Neben toten deutschen Soldaten seien auch verstärkt tote zivile Helfer zu beklagen, denen ähnlich wie den Soldaten keine staatliche Erinnerungskultur Rechnung trage. Staatliches Erinnern sei immer mit Gestaltungsmacht verbunden und identitätsbildend: Aus diesem Grunde sollten geplante Denkmäler besonders an zivile Helfer erinnern, um das Primat des Zivilen in der deutschen Politik zu festigen.
Am Abend räsonierte Klaus Naumann (Hamburg) über das Ausbleiben der öffentlichen Reaktion bezüglich des Ehrenmals des BMVg. Der Grund sei für ihn eine »Leerstelle« in der Gedenkkultur, die sich bisher vornehmlich dem Opfergedenken und damit der Vergangenheit widmete. Das geplante Ehrenmal beziehe sich aber auf die (ungeklärte) Gegenwart; die Soldaten im Einsatz seien keine Opfer im herkömmlichen Sinne, sondern von der Republik entsandte Freiwillige. Die Politik stelle die toten Soldaten jedoch als Opfer von Fremdeinwirkung dar und entziehe sich damit ihrer eigenen Verantwortung als entsendende Instanz.
Jost Dülffer (Köln) eröffnete mit seinem Vortrag den zweiten Teil der Tagung mit der Überschrift „Formen, Symbole und Dilemmata einer deutschen Gedenkkultur“ und betrachtete die deutsche Gedenkkultur im internationalen Vergleich. So warf der Zweite Weltkrieg lange Schatten auf die europäische Gedenkkultur und dominierte alle nationalen Denkmäler; in vielen Ländern würden Soldaten und Zivilisten allerdings gemeinsam gedacht. Das deutsche Dilemma liege darin, dass Gedenken an tote Deutsche besonders problematisch sei, weil es immer auch Täter mit einschließe. Daher entwickelte sich ein Gedenkbrei: »Den Opfern von Krieg und Gewalt«, der sowohl tote Deutsche als auch von deutschen Getötete einschloss.
In dem anschließenden Gespräch brachte Armin Wenzel (Kiel) die Sicht der Militärseelsorge in die Diskussion ein: So sprach er sich für das geplante Ehrenmal aus, gab aber zu bedenken, dass Ort und Einbezug von Zivilisten neu überdacht werden und die ethischen und sicherheitspolitischen Gründe für die Auslandseinsätze noch deutlicher als im Weißbuch vermittelt werden müssten.
Stärker noch als sein Vorredner betonte Daniel Gaede (Weimar) die Notwendigkeit, Mittel und Zwecke von militärischen Interventionen zu überprüfen. Gedenken allein für tote Soldaten sei fragwürdig, vielmehr müssten zivile Helfer und vor allem die Bedürfnisse der Angehörigen mit einbezogen werden. Mit Verweis auf seine Gedenkarbeit im KZ Buchenwald gab er zu bedenken, dass Gedenken notwendig sei, dabei aber zwischen Tätern und Opfern differenziert werden müsse, die immer situationsbedingt gesehen werden müssten.
Der dritte Teil der Tagung „Denkmal als Ressortaufgabe? Die (fehlende) Debatte um das neue »Ehrenmal« der Bundeswehr“ wurde eingeleitet durch Thorsten Kähler (Berlin), der die Motive für das Ehrenmal erläuterte und sich mit den öffentlichen Kritiken auseinandersetzte. Kähler zufolge befinde sich die Bundeswehr in sicherheitspolitisch notwendigen und legitimierten Einsätzen. Das Ehrenmal sei eine Ressortangelegenheit, der Minister käme damit seiner Fürsorgepflicht den Soldaten gegenüber nach, die schon seit längerem den Wunsch nach einem Gedenkort für ihre toten Kameraden hegten. Keineswegs sei mit dem Ehrenmal eine Überhöhung des Militärischen oder eine Heroisierung der Toten beabsichtigt. Die Gründe für die Auslandseinsätze könnten nur politisch beantwortet werden, eine erste Auseinandersetzung damit biete das Weißbuch zur Sicherheitspolitik. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, warum das Ehrenmal eine Ressortangelegenheit sei, immerhin sei die Bundeswehr und damit auch die dort zu beklagenden Toten Teil des deutschen Volkes.
In dem anschließenden Round Table ging es weiterhin um die Frage, was die Intention des Ehrenmals sei und wie man den Verfahrensprozess bewerten solle. Robert Birnbaum (Berlin) kritisierte, dass die wirkliche Auseinandersetzung - nämlich die Debatte um die Einsatzgründe - in Wirklichkeit gar nicht geführt worden sei, weshalb man mit dem Ehrenmal über tote Soldaten redete, ohne wirklich über tote Soldaten zu reden. Christian Fuhrmeister (München) betrachtete das Ehrenmal aus kunsthistorischer Sicht. Wie Birnbaum kritisierte er vehement das abgeschirmte Verfahren im BMVg. Gerade weil das Denkmal nationalen Rang besäße, sei es keine Ressortangelegenheit. Fuhrmeister forderte, den Baubeginn sofort zu stoppen und die bisher fehlende öffentliche Debatte zu beginnen. Erik Meyer (Gießen) schloss sich Birnbaum und Fuhrmeister an und forderte deliberative Verfahren, die dem Ehrenmal die notwendige Zustimmung einbringen würden. Corinna Hauswedell (Loccum) fasste in einem Schlusswort die bisherigen Punkte zusammen: Die Diskussion um das Ehrenmal sei ein gesamtgesellschaftliches Dilemma, das die Unsicherheit über die deutsche Sicherheitspolitik und die mangelnde Reflexion über den Wandel der Bundeswehr beinhaltete. Sie rief Thorsten Kähler dazu auf, die auf der Tagung geführte Debatte ins BMVg zu tragen. Allerdings sei das BMVg nicht allein in der Lage, die Mängel der Politik zu überdecken, vielmehr müsste es diese verstärkt in die Pflicht nehmen, weil die Frage um Auslandseinsätze und das damit verbundene Totengedenken gerade keine Ressortangelegenheit sei.
Am Abend erörterte Manfred Hettling (Halle-Wittenberg) die Frage, wie unterschiedliche Nationen ihrer toten Soldaten gedenken. Bedeutend für die jeweilige nationale Gedenkkultur seien nationale Traditionen, die besonders in Deutschland mit negativen Konnotationen belastet seien. Hettling schlussfolgerte, dass Gedenken in demokratischen Gesellschaften nicht problematisch sei, dass aber Deutschland kein Formenarsenal aus der Vergangenheit übernehmen könne, und sah es daher als gegenwärtig dringliche Aufgabe, über neue Formen der Gedenkkultur öffentlich zu debattieren.
Der vierte Teil der Tagung „Trauma, Ehre, Anerkennung“ wurde durch Boris Schmuda (Hannover) eröffnet, der in einem bewegenden Bericht seine traumatischen Erlebnisse bei dem Attentat in Kunduz im Mai 2007 darstellte. Besonders schmerzhaft seien für ihn das mangelnde öffentliche Interesse und die fehlende Anerkennung gewesen. Schmuda betonte, es sei keine Ehre, für sein Land zu sterben, aber den toten Soldaten gebühre ein angemessenes Gedenken, wofür Politik und Öffentlichkeit Verantwortung zu tragen hätten. In der anschließenden Podiumsdiskussion knüpfte Klaus Naumann an Boris Schmuda an und kritisierte den mangelnden Mut der Politiker, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Monika Brüning (Berlin) betonte die sicherheitspolitische Notwendigkeit der Auslandseinsätze und verteidigte das Ehrenmal-Projekt damit, dass der Wunsch nach einem Gedenken von den beteiligten Soldaten selbst vorgebracht wurde. Sebastian Edathy (Berlin) räumte ein, dass die Notwendigkeit der Auslandseinsätze möglicherweise nicht ausreichend vermittelt würde, begrüßte dennoch das Ehrenmal des BMVg und stellte die Überlegung an, ob das Parlament ein zusätzliches Denkmal für Tote außerhalb des Militärs errichte.
Die anschließende Diskussion verdeutlichte, dass es einen Konsens darüber gab, dass den toten deutschen Soldaten angemessen gedacht werden müsse. Dabei dürfe aber die Einsatzdiskussion nicht übergangen werden, denn die Debatte um das Ehrenmal sei in Wirklichkeit eine Debatte um die deutsche Sicherheitspolitik. Es müssten transparente Verfahren entwickelt werden, in deren Verlauf angemessene Formen einer deutschen Erinnerungskultur unter möglichst breiter gesellschaftlicher Beteiligung gefunden würden. Dabei sollte nicht die Sicherheitspolitik im Vordergrund stehen, sondern die Friedenssicherung.