W&F 2014/4

Soldatinnen

von Cordula Dittmer

Fast 14 Jahre sind vergangen, seit der Europäische Gerichtshof im Fall Tanja Kreil entschied, die Gleichstellungsrichtlinie der EU sei auch vom Arbeitgeber Bundeswehr einzuhalten (Dittmer/Mangold 2005). Der Ausschluss der Frauen vom Dienst an der Waffe wurde damit aufgehoben, und innerhalb eines Jahres wurden die rechtlichen, organisatorischen und infrastrukturellen Voraussetzungen für die Aufnahme von Soldatinnen in den bewaffneten Dienst der Bundeswehr geschaffen (Apelt/Dittmer/Mangold 2005). Für das deutsche Militär, das sich bis dato als »Hort der Männlichkeit« verstanden hatte, war und ist dies eine Herausforderung und bedingt anhaltende geschlechtsspezifische Verhandlungen innerhalb der Streitkräfte.

Zum 1. Januar 2001 traten die ersten Soldatinnen ihren Dienst in den Streitkräften an; mittlerweile stellen Frauen rund 10% aller Soldaten, von diesen 10% sind ca. 30% im Sanitätsdienst eingestellt. Seit der Öffnung hat sich für die Bundeswehr auch ansonsten vieles geändert: Die Wehrpflicht wurde abgeschafft; die Streitkräfte wurden zur Freiwilligenarmee umgestaltet; das Verteidigungsministerium wird gegenwärtig von einer Frau geführt. Außerdem nimmt Deutschland eine immer aktivere Rolle in der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik ein.

Die Bundeswehr präsentiert sich in der Öffentlichkeit als attraktiver Arbeitgeber, als „hochmoderner, global agierender Konzern“ (Bundeswehr 2014a), für den sowohl die Gesundheit seiner Mitarbeiter*innen als auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Flexibilität im Arbeitsalltag eine zentrale Rolle einnehmen. Dem Thema »Frauen in der Bundeswehr« hingegen wird, anders als zur Zeit der Öffnung, medial und in der Selbstdarstellung keine große Aufmerksamkeit mehr geschenkt, es wird als „gelebte Normalität“ verstanden (Bundeswehr 2014b). Die offizielle Website der deutschen Streitkräfte zeigt denn auch Fotos lachender Soldatinnen, die in der Bundeswehr ihre berufliche und private Erfüllung gefunden zu haben scheinen.

Blickt man hinter die Kulissen der »Attraktivitätsoffensive«, sieht die Sache allerdings anders aus. So ist in der aktuellen Studie »Truppenbild ohne Dame?« des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zu lesen, dass es deutliche Schwierigkeiten - wörtlich „Eintrübung“ (Kümmel 2014, S.5) - bei der Integration und Anerkennung der Soldatinnen gibt. Rund 40% der männlichen und knapp 30% der weiblichen Soldaten äußerten z.B. die Meinung, Frauen sollten von „Kampfverwendungen ausgenommen“ werden, und knapp ein Viertel der männlichen Soldaten sieht die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch die Frauen massiv gefährdet (Kümmel 2014).

Über die Gründe, warum auch ein derart großer Anteil an Soldatinnen Frauen in Kampfpositionen ablehnt, kann nur spekuliert werden: Da mögen zum einen die eigenen negativen Erfahrungen in diesen Positionen sein, die zu einer erheblichen Frustration führen. Weitaus wichtiger erscheint jedoch, dass Frauen in ihrer Selbstdefinition als Soldatinnen männlich geprägte und dominierte Erklärungs- und Legitimationsstrategien übernehmen, um als Soldatinnen anerkannt zu werden (Dittmer 2008).

Das Militär als Hort von Männlichkeit

Mit der Einführung der männlichen Wehrpflicht 1913/14 wurde das deutsche Militär, in dem zuvor auch Frauen als Tross- und Schanzweiber, Marketenderinnen oder Kämpferinnen ihren Platz hatten, vollständig zu einer „Schule der Männlichkeit“ (Frevert 1997, S.145). Das Militär fungierte fortan als Symbol des nationalen Bewusstseins und stand für die „Schlagkraft und Männlichkeit einer Nation“ (Däniker 1999, S.116). Zentrales Definitionskriterium militärischer Männlichkeit war der Soldat als Kämpfer, der mittels der Beherrschung und Anwendung von Gewalt und der soldatischen Tugenden, wie Gehorsam, Opferbereitschaft, Mut und Disziplin, bereit war, sein Leben für die Nation zu opfern (Apelt/Dittmer 2007). Die anfängliche Begeisterung für den Ersten Weltkrieg speiste sich auch aus der Hoffnung auf eine Bewährung der Männlichkeit in Heldentum und Kampf (Frevert 1990: S.103ff.). Dieses Kämpferbild wurde auch nach der Niederlage des deutschen Militärs 1918 aufrechterhalten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlitt der Soldatenberuf aufgrund der Verbrechen deutscher Soldaten an der Zivilbevölkerung und der als Folge davon verfassungsrechtlich zugestandenen Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern, einen hohen Prestigeverlust. Ganz erloschen ist die „Ausstrahlungskraft des soldatischen Männlichkeitskonstrukts“ (Frevert 1990, S.370) allerdings auch dann nicht.

Die umfassende Integration von Frauen in alle Bereiche der militärischen Organisation fordert(e) die konstitutive Funktion dieses soldatischen Männlichkeitskonstrukts heraus und führte zu einer umfassenden Verunsicherung der beteiligten Akteure. Zunächst versuchte man, die Organisation möglichst wenig zu verändern und Sondermaßnahmen für Frauen einzuführen, die die bereits bestehenden Stereotype eher zementierten, als eine Veränderung der Geschlechterordnung zu bewirken. Frauen wurden weiterhin als Abweichung von der männlichen Norm definiert.

Im Jahr 2005 wurde ein Gleichstellungsgesetz für Soldatinnen und Soldaten verabschiedet, welches eine Frauenquote, das Recht auf Teilzeitarbeit (mit Ausnahmen) und familiengerechte Arbeitszeiten, die Einführung von Gleichstellungsbeauftragten und einen stärkeren Schutz gegen sexuelle Belästigung für Männer und Frauen vorsieht und vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Soldatinnen und Soldaten verankert. Erst jetzt wurden auch die organisatorischen Strukturen an die veränderten gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst (dazu ausführlicher Dittmer/Mangold 2007). Die Bundeswehr und der Soldatenberuf changieren damit zwischen den Erfordernissen und Anforderungen an zivile Organisationsformen einerseits und der besonderen Position des Militärs als Schutzorgan des Staates gegen äußere Bedrohungen, für das zivile Anforderungen nur bedingt gelten, andererseits. Je nach Kontext wird der eine oder andere Deutungsrahmen in Anspruch genommen, wenn es darum geht, die Rolle der weiblichen Soldaten in der Organisation auszuhandeln.

Geschlechtsspezifische Verhandlungen

Das Ideal des Soldaten speist sich aus einer Vielzahl an historisch und gegenwärtig aufgeladenen Bedeutungsdimensionen, wie einer hohen körperlichen Leistungsfähigkeit, der Verbindung von Waffengebrauch und Männlichkeit oder der Heterosexualität. Dies lässt sich exemplarisch anhand der Bereiche sexuelle Belästigung und Umgang mit Waffen zeigen.

Sexuelle Belästigung

In den ersten Jahren nach der Öffnung wurden publik gewordene Fälle der sexuellen Belästigung in der Bundeswehr von der medialen Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt. Die männlichen Soldaten fühlten sich massiv verunsichert und äußerten große Ängste, unschuldig der sexuellen Belästigung beschuldigt zu werden (Dittmer 2008). Diese vorwiegend medial inszenierte Aufregung hat sich mittlerweile zwar gelegt, sexuelle Belästigung ist bundeswehrintern aber nach wie vor ein wichtiges Thema. Der Wehrbeauftragte berichtete für das Jahr 2013 von 64 gemeldeten Fällen, in denen Soldatinnen Übergriffen von männlichen Kameraden oder Unbekannten ausgesetzt waren (Könighaus 2014). Kümmel (2014), der den Begriff der sexuellen Belästigung weiter fasst (von sexistischen Witzen bis hin zu Übergriffen), stellte in seiner Befragung von 2011 fest, dass mehr als die Hälfte der Soldatinnen mindestens einer Belästigung ausgesetzt war, rund ein Viertel erfuhr unerwünschte körperliche Berührungen, ca. 3% erlebten eine Vergewaltigung (Kümmel 2014). Aber auch rund ein Zehntel der männlichen Soldaten fühlten sich sexuell belästigt; in diesen Fällen wurde für mehr als die Hälfte der »Belästiger« als Geschlecht »weiblich« angegeben.

In der feministischen und gendersensiblen Forschung wird sexuelle Belästigung vor allem als Mittel der Ausübung und Verstetigung von Machtverhältnissen, der Polarisierung der Geschlechterdifferenzen und der Abwertung von Weiblichkeit diskutiert. Frauen werden über das Mittel der sexuellen Belästigung für den Übertritt von Gendergrenzen sanktioniert und daran erinnert, dass „du in meinen Augen nur eine Frau bist“ (Cockburn 1993, S.161). Dabei ist problematisch, dass die juristische, wissenschaftliche und alltagspraktische Definition dessen, was als sexuelle Belästigung verstanden wird, weit auseinanderklafft und man bei Befragungen dementsprechend sehr unterschiedliche Angaben erhält; oft verschwimmen die Grenzen zwischen sexueller Belästigung und »normalem« sexuellen Umgang bzw. Flirten (Dittmer 2008).

Die Soldatinnen und Soldaten betonen durchweg, dass es in der Bundeswehr über das Disziplinarrecht bessere Möglichkeiten als im zivilen Leben gibt, sich gegen sexuelle Belästigung zur Wehr zu setzen. Die weiblichen Soldaten nehmen für sich in Anspruch, sich gegen sexuelle Belästigung durchaus zur Wehr setzen zu können. Das hat seinen Grund: Es ist im männlich definierten Feld »Bundeswehr« für die Soldatinnen existentiell, nicht als potentielle Opfer männlicher Handlungsmacht zu gelten, sondern als gleichberechtigte Kameraden, die keine Angriffspunkte für Übergriffe bieten (Dittmer 2008).

Umgang mit Waffen

Zentrales Definitionskriterium und - neben der Polizei - Alleinstellungsmerkmal des Soldatenberufs ist die Möglichkeit und Pflicht, an der Waffe ausgebildet zu werden und im Ernstfall auch davon Gebrauch zu machen. Für Soldatinnen ist die Ausbildung an der Waffe oft sogar ein Grund, sich für den Dienst in der Bundeswehr zu entscheiden. Sie sind begeistert von der Schießausbildung und sehr stolz, wenn sie die Ausbildung erfolgreich absolvieren und dabei zum Teil besser abschneiden als ihre männlichen Kameraden. Soldatinnen sehen „das Tragen einer Waffe als Privileg und als Ausweis ihres militärischen Wertes sowie als Quelle von Autorität und Selbstvertrauen“ (Sasson-Levy 2003, S.84).

Im Prozess der »Soldatwerdung« müssen Frauen, die in das Militär eintreten, die männlich besetzten Räume erobern und sich aneignen. Neben dem Tragen der Uniform, dem Bestehen militärischer Übungen, dem Beweis körperlicher Leistungsfähigkeit und der Ausübung von Kameradschaft stellt die Ausbildung an der Waffe die letzte Hürde in der Identifikation mit dem Soldatenberuf und der „Aneignung von Verletzungsmacht“ dar (Dittmer 2014). Erst durch das Beherrschen der Waffe können sie also an militärischer Männlichkeit teilhaben und die Geschlechtergrenzen überschreiten.

Auf der anderen Seite zeigt sich im Diskurs um den Waffengebrauch auch die Schwierigkeit der Frauen, ein positives soldatisches Selbstbild zu entwickeln. Sie identifizieren sich einerseits nicht mit dem vorgegebenen militärischen Weiblichkeitsideal - der schwachen und zu beschützenden Frau -, können andererseits aber die soldatische Identität als Kämpfer nur unter großer Anstrengung erlangen. So beschreiben viele Soldatinnen das Tragen und den Gebrauch von Waffen explizit als körperlich sehr anspruchsvolle Aufgaben, denen sie als Frau nicht gut gewachsen seien.

Soldatinnen sind also in einer ambivalenten Position: Die Ausbildung an und der Gebrauch von Waffen sind zentral, um an der militärischen Männlichkeit zu partizipieren und »richtige« Soldaten zu werden. Zugleich werden sie immer auch als Frauen mit bestimmten weiblich konnotierten Eigenschaften wahrgenommen.

Schluss

Abgesehen von einer kurzen Phase der medialen Aufmerksamkeit und der Öffnung der Bundeswehr für bundeswehrferne und/oder -kritische Beobachter, ist es sehr still geworden um die Frage nach der Integration von Frauen in die Streitkräfte. Erst als im Dezember 2013 mit Ursula von der Leyen eine Frau an die Spitze des Verteidigungsministeriums rückte, wurden einige wichtige, lang zurückgehaltene Studien veröffentlicht. Sie geben einen Einblick in die Entwicklungen der letzten Jahre. Wie sich die Bundeswehr und die Soldatinnen und Soldaten in dem immer größer werdenden Spagat zwischen Unternehmen/ziviler Arbeitgeber und schlagkräftiger Einsatzarmee positionieren und wie sie ihre soldatische Geschlechtsidentität definieren werden, ist momentan völlig offen.

Durch den zunehmenden Einsatz von Drohnen werden traditionelle Vorstellungen vom Soldatenberuf, in dem körperliche Leistungsfähigkeit eine so zentrale Rolle einnimmt, verstärkt in Frage gestellt und damit auch die Gestaltungs- und Handlungsspielräume von Frauen - und Männern - erweitert. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass Phasen zunehmender Technisierung von Kriegswaffen historisch immer wieder mit der Aufwertung kognitiver und der Abwertung körperlicher Fähigkeiten einhergingen, traditionelle Männlichkeitskonzepte in Frage stellten und mehr Frauen die Teilhabe an soldatischer Identität ermöglichten bzw. diese erzwangen.

Literatur

Maja Apelt, Cordula Dittmer, Anne Mangold (2005): Die Bundeswehr auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter? In: Jens-Rainer Ahrens, Maja Apelt, Christiane Bender (Hrsg.): Frauen im Militär. Erste empirische Befunde zur Integration von Frauen in die Streitkräfte. Wiesbaden: VS Verlag, S.108-133.

Maja Apelt und Cordula Dittmer (2007): »Under pressure« - Militärische Männlichkeiten im Zeichen neuer Kriege und veränderter Geschlechterverhältnisse. In: Mechthild Bereswill, Michael Meuser, Sykla Scholz (Hrsg.): Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit. Münster: Westfälisches Dampfboot, S.68-83.

Bundeswehr 2014a: Aktiv. Attraktiv. Anders. - Bundeswehr in Führung. bundeswehr.de.

Bundeswehr 2014b: Gelebte Normalität: Frauen in der Bundeswehr. bundeswehr.de.

Kathrin Däniker (1999): Die Truppe - ein Weib? Geschlechtliche Zuschreibungen in der Schweizer Armee um die Jahrhundertwende. In: Christine Eifler und Ruth Seifert (Hrsg.): Soziale Konstruktionen - Militär und Geschlechterverhältnis. Münster: Westfälisches Dampfboot, S.110-134.

Cordula Dittmer (2008): Gender trouble in der Bundeswehr. Bielefeld: transcript.

Cordula Dittmer: Genderdimensionen des Waffengebrauchs. APuZ, Jg. 64, Nr. 35-37/2014, 25.8.2014, S.34-39.

Cordula Dittmer und Anne Mangold (2005): Die Integration von Frauen in die europäischen Streitkräfte - das Militär zwischen internationalem Recht und nationaler Sicherheitspolitik. In: Annette Jünemann und Carmen Klement (Hrsg.): Die Gleichstellungspolitik der Europäischen Union. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S.65-80.

Cordula Dittmer und Anne Mangold (2007): Auf dem Weg zu einer Gleichstellung der Geschlechter? Das Gleichstellungsgesetz für Soldatinnen und Soldaten. femina politica, Nr. 1/2007, S.78-88.

Ute Frevert (1997): Das Militär als »Schule von Männlichkeit«. Erwartungen, Angebote, Erfahrungen im 19. Jahrhundert. In: Ute Frevert (Hrsg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart: Klett-Cotta, S.145-172.

Hellmut Könighaus (2014): Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten. Jahresbericht 2013 (55. Bericht). Deutscher Bundestag, Drucksache 18/300.

Gerhard Kümmel (2014): Truppenbild ohne Dame? Eine sozialwissenschaftliche Begleituntersuchung zum Stand der Integration von Frauen in die Bundeswehr. Potsdam: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.

Orna Sasson-Levy (2003): Frauen als Grenzgängerinnen im israelischen Militär - Identitätsstrategien und -praktiken weiblicher Soldaten in »männlichen« Rollen. In: Christine Eifler und Ruth Seifert (Hrsg.): Gender und Militär. Internationale Erfahrungen mit Frauen und Männern in Streitkräften. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, S.74-100.

Dr. Cordula Dittmer, Soziologin, arbeitet an der Katastrophenforschungsstelle der Freien Universität Berlin und ist Frauenbeauftragte der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/4 Soldat sein, Seite 21–23