W&F 2007/2

Sondermentalität mit Tradition

Die Gebirgsjäger in der Bundeswehr

von Markus Mohr

Deutsche Soldaten, die in Afghanistan mit Totenschädeln und Menschenknochen vor der Kamera possieren. Bilder, die Ende Oktober 2006 durch die deutsche Presse gingen und die Öffentlichkeit erregten. Es handelte sich um Soldaten einer Gebirgsjägereinheit, einer Einheit mit Tradition. Auf diese sehr spezielle Traditionslinie machten allerdings nur wenige Medien aufmerksam. Der Bonner General-Anzeiger war am 27.10.2006 eher die Ausnahme: „Für den Einsatz am Boden in den unwegsamen Bergregionen am Hindukusch sind sie besonders geeignet. Das sichert den Gebirgsjägern eine Sonderstellung, geht häufig aber auch mit einer Sondermentalität einher: Die Totenkopf-Fotos, aufgenommen (…) in der Umgebung von Kabul, liefern den unrühmlichen Beweis dafür.“ Markus Mohr über den politischen Hintergrund, vor dem diese »Sondermentalität« entstehen konnte.

Der Ort, von dem die Gebirgsjäger mit ihrer »Sondermentalität« nach 1945 wieder in die ganze Welt ausgesandt werden, heißt Mittenwald. Dort liegt das historisch-politische Zentrum der deutschen Gebirgstruppe. Hier manifestiert sich seit über einem halben Jahrhundert eine militärische Praxis und Traditionspflege der ganz besonderen Art. Ihre Verbindungslinien reichen bis heute in die Spitzen der politischen und militärischen Gremien dieses Landes.

Gebirgsjäger im 3. Reich

Am 1. Juli 1944 würdigte im Schloss Kleßheim mit einem Staatsakt Adolf Hitler den durch einen Flugzeugunfall ums Leben gekommen Gebirgsjägergeneral Eduard Dietl. Als Reichswehrsoldat war Dietl bereits im Januar 1919 in München in die Vorläufergruppierung der NSDAP, die DAP, eingetreten. Er stand beim Hitler-Putsch von 1923 mit dem von ihm kommandierten Regiment für die Nationalsozialisten Gewehr bei Fuß. Die NS-Propagandamaschine machte Dietl neben Rommel zum populärsten Wehrmachtssoldaten.

Es verwundert kaum, dass der »Führer« über den plötzlichen Tod – des vermutlich noch vor ihm in die Partei eingetretenen Kompagnons – sehr betroffen war. So sprach er von einem seiner „treuesten Kameraden aus langer, schwerer gemeinsamen Kampfzeit“, einem „hervorragenden Soldaten“, der ein „Vorbild unnachgiebiger Härte und nie erloschener Treue bis zum Tode“ gewesen sei. Und dann wagte der »Führer« auch gleich noch eine Prognose: Der Name Dietls werde „in seiner stolzen Gebirgsarmee weiterleben“ (Kaltenegger, 1990).

Traditionspflege durch alte Kameraden

Betrachtet man nun die Geschichte der Bundesrepublik, dann sollte der »Führer« zumindest mit dieser Aussage Recht behalten: Der zur Jahreswende 1951/52 offiziell gegründete Kameradenkreis der Gebirgsjäger erwies bereits in den ersten Ausgaben seiner Mitgliederzeitschrift Generaloberst Dietl ein ehrendes Gedenken. Diese, einem engagierten Nationalsozialisten gewidmete, Traditionspflege sollte ihre Wirkung nicht verfehlen: Im Jahre 1964 wurde unter Bundesverteidigungsminister von Hassel der Beschluss gefasst, einer Liegenschaft der Bundeswehr in Füssen den Namen »Generaloberst Dietl-Kaserne« zu geben. Mit dem Traditionserlass konnten militärische Einrichtungen „nach Persönlichkeiten benannt werden, die in Haltung und Leistung beispielhaft waren.“ (Abenheim, 1989).

Als »beispielhaft« konnte die aufopferungsvolle Haltung Dietls gegenüber Hitler offenbar auch in der neu gegründeten Bundeswehr durchgehen.

Es sollte 30 Jahre dauern, bevor der zunehmende Protest an ein derartiges Gedenken – sowie der erneut geplante Einsatz von Gebirgsjägereinheiten im ehemaligen Jugoslawien – Ende 1995 dafür sorgten, dass die »Generaloberst Dietl-Kaserne« in Füssen und die »General Ludwig Kübler-Kaserne« in Mittenwald umbenannt wurden (vgl. Knab, 1995). Übrigens gegen den Widerspruch der Gemeinde und gegen Widerstand aus der Bundeswehr. Gebirgsjägergeneral Rainer Jung: „Man könne Dietl nichts vorwerfen, außer dass er ein treuer Gefolgsmann Hitlers gewesen sei“ (Die Welt vom 8.6.1995) .

Diese Geschichte wirft ein bezeichnendes Licht auf die Traditionspflege der Bundeswehr-Gebirgsjägertruppen. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Politik des Kameradenkreises. Dieser Verein diente Generalen, Offizieren und Unteroffizieren aus der Wehrmacht zunächst als eine Art soziales wie politisches Auffangbecken. In einer Anfang Dezember 1951 in München abgehaltenen Tagung werden in dem Protokoll als Ziel dieses Bundes „die Erhaltung des guten Rufes der Gebirgstruppe, für die Bewahrung des Geistes der Gemeinschaft und der Hingabe an Heimat, Volk und Vaterland“ genannt. Der „Schmähung des deutschen Soldatentums und der Zersetzung unseres Volkes als wehrbereite Lebensgemeinschaft“ solle begegnet werden, „auch um zersetzende Einflüsse der Sowjets abzuwehren und um zu zeigen, wie wir waren und sind.“ (Wittmann, 1957). Mit diesem militaristisch-antikommunistischen Selbstverständnis fungiert der Kameradenkreis bis auf den heutigen Tag als öffentlichkeitswirksame Pressure-Group.

Politisch-militärische Prominenz und die Tradition

Lässt man die politische Geschichte der Bundeswehrgebirgstruppe und des mit ihr personell vielfältig verbundenen Kameradenkreises aus über 50 Jahren Revue passieren, so müssen Namen von Militärs und Politikern, wie Hubert Lanz, Franz Josef Strauß, Karl Wilhelm Thilo, Hellmut Grashey, Edmund Stoiber, Klaus Naumann, und Klaus Reinhardt besonders hervorgehoben werden.

Der General der Gebirgstruppen Hubert Lanz, wurde für Kriegsverbrechen in Nürnberg zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch weit vor Ablauf der Strafe entlassen. Schon kurz nach der Haftentlassung bekam er ein Angebot des damaligen FDP-Vorsitzenden Thomas Dehler, der Partei beizutreten, um »militärische Sicherheitsfragen« zu behandeln. Von dort aus rückte Lanz in das »Amt für Sicherheit und Heimatschutz« ein; eine Keimzelle für das im Zuge der Remilitarisierung gegründete Amt Blank, das spätere Verteidigungsministerium. Schon anlässlich der Bundestagswahl 1953 kandidierte er im Landkreis Weilheim – in dem auch Mittenwald liegt – für die FDP, u.a. gegen den jungen CSU-Aktivisten Franz Josef Strauß, der dort das Direktmandat gewann.

Auch wenn Lanz eine ihm indirekt von Strauß 1961 angetragene Position als Bundeswehrgeneral aufgrund US-amerikanischer Widerstände nicht antreten konnte, so amtierte er doch bis zum Jahre 1982 als Ehrenpräsident des Kameradenkreises. Als solcher war er stets gern gesehener Gast auf Bundeswehrempfängen mit der bayrischen Staatsregierung. Noch 1989 hing in der Kaserne von Garmisch-Partenkirchen sein Konterfei im Andachtsraum.

Als gerade ins Amt gelangter Verteidigungsminister ließ es sich F. J. Strauß nicht nehmen am 19. Mai 1957 das erste öffentliche Rekrutengelöbnis in der Geschichte der Bundeswehr in Mittenwald zu zelebrieren. In der offiziellen Chronik der 1. GD ist vermerkt: „ Die Wpfl (Wehrpflichtigen) der 1. Gebirgsdivision legen als erste Soldaten der Bundeswehr das Feierliche Gelöbnis ab… Es erklingt zum ersten Mal der Große Zapfenstreich.“ (P.E. Uhde, 1982)

Dass sich die Wiedergründung der Gebirgsjägerdivision vor dem Horizont der alten Wehrmacht vollzog, wurde in der Kameradenzeitung »Die Gebirgstruppe« vom Kommandeur der 1. Gebirgsdivision, Buchner, offen angesprochen. Gerade die „große Anzahl von Soldaten (…) die sich (…) von den Gebirgs-Divisionen des Krieges her kennen“ seien „ein besonderes Glück“. Denn „jeder dieser alten Angehörigen der Gebirgstruppe“ trage dazu bei, „daß auch diese neue 1. Gebirgs-Division wieder von jenem Geist, von jener Haltung und von jener Eigenart erfüllt [werde, die] die Gebirgs-Divisionen der Wehrmacht (…) hatten.“ Und überhaupt, so Buchner mit Blick auf die Zukunft weiter, sei es „erfreulich, feststellen zu können, daß unsere jungen Freiwilligen auf dem besten Wege sind, diese wertvolle Überlieferung zu übernehmen und weiterzutragen.“ (Buchner 1957). Das Ergebnis dieser Bemühungen um eine unkritische Traditionspflege konnte auch noch Jahrzehnte später im Buch des Gebirgsjäger-Zeitsoldaten Kaltenegger nachgelesen werden: „Was über die allgemeinen Grundsätze der Ausbildung in der Gebirgstruppe der deutschen Wehrmacht gesagt wurde, hat im wesentlichen auch Gültigkeit für die 1. Gebirgsdivision der Bundeswehr. (…) So erwuchs die 1. Gebirgsdivision der Bundeswehr – ähnlich wie die alte 1. Gebirgsdivision der deutschen Wehrmacht – aus einer Gebirgsbrigade zu einer Gebirgsdivision.“ In ihrer Größenordnung entspreche sie „etwa dem ehemaligen Gebirgs-Armee-Korps der deutschen Wehrmacht.“ (Kaltenegger, 1980).

Auch nach seiner Entlassung als Verteidigungsminister hielt Strauß seine schützende Hand über die Soldaten aus der ersten Gebirgsdivision. Er wird sicher – zusammen mit dem BND-General Gehlen – seinen aktiven Anteil daran gehabt haben, dass die in den 60er Jahren gegen rund 300 Gebirgsjäger eingeleiteten Strafermittlungsverfahren – aufgrund von Massakern in Kommeno und Kephallonia im Zweiten Weltkrieg – in keinem einzigen Fall zur Anklage kamen. (Vgl. Herbert, 1996) Strauß bezeichnete sich noch im Jahre 1986 als »Vater der 1. Gebirgsdivision«. Selbst offenkundige NS-Bezüge stellten für ihn kein Problem dar: „Für die deutsche Gebirgstruppe war (der in Jugoslawien hingerichtete Kriegsverbrecher. D. Verf.) General Ludwig Kübler als Mensch und als Soldat ein Vorbild. Ihm hat die Truppe bis auf den heutigen Tag viel zu verdanken.“ (Kaltenegger, 1998).

Die in den 70er Jahren immer mal wieder von einem Teil der Spitze des Verteidigungsministeriums angestellten Überlegungen, die 1. Gebirgsdivison in eine andere Militärstruktur zu überführen, fanden in Strauß einen energischen und dann auch erfolgreichen Widersacher. Noch in seinen posthum publizierten Erinnerungen widmete Strauß mehrere Seiten seinem – gegen Widersprüche höchster Generäle – erfolgten Engagement für den Aufbau der Gebirgstruppe. (Strauß, 1989)

In der Geschichte der Bundeswehr sollten es auch die beiden Generäle der Gebirgsjäger und Mitglieder des Kameradenkreises, Hellmut Grashey und Karl Wilhelm Thilo, zu bundesweiter Prominenz bringen. Der im Stab Dietls ausgebildete Grashey forderte im März 1969 als stellvertretender Generalsinspekteur der Bundeswehr in einem Lehrgang für Generalstäbler an der Führungsakademie in Hamburg dazu auf, dass sich die Bundeswehr dazu bereit halten sollte, die Rolle eines »Ordnungsfaktors« in Staat und Gesellschaft zu übernehmen: „Die Zeit sei reif dafür, die ‚Maske’ der Inneren Führung, hinter der sich die Bundeswehr allzu lange habe verstecken müssen, nun endlich abzulegen“ (Bald, 2005). Doch damit nicht genug: Zusammen mit dem zum stellvertretenden Herresinspekteur aufgestiegenen Thilo hatte Grashey auch an den Ende des Jahres 1969 bekannt werdenden so genannten Schnez-Studien des gleichnamigen Heeresinspekteurs mitgearbeitet. Sowohl bei den »Gedanken zur Inneren Führung« wie in dem Papier »Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres« handelt es sich um zwei reaktionäre Manifeste, die zu Beginn des Jahres 1970 weite Verbreitung fanden und in denen sich nicht zufällig markige Formulierungen von „psychisch und physisch harten Kämpfern“ finden, denen Bundeswehrsoldaten genügen sollten. (Heßler, 1971). Die Schnez-Traktate, die ganz in dem Geiste des Kameradenkreises waren, wurden gleich zu Beginn der Kohl-Regierung im Jahre 1983 „in den Offizierkasinos (…) als heimlicher Besteller“ recycelt. (Spiegel 1983)

Nach der Vereinigung der beiden Deutschländer sollte es in einem politischen wie logistischen Sinne zu einer erneuten Aufwertung der im Militärzentrum Mittenwald stationierten Gebirgsjägereinheiten kommen. Ende 1991 hatte Bundeskanzler Kohl dem Kameradenkreis in einem persönlichen Anschreiben versichert, dass auch „in der neuen Bundeswehrstruktur (…) die Gebirgsjäger einen herausragenden Platz einnehmen“ werden. Dies biete, so Kohl weiter, die „Chance (…), bewährte Traditionen fortzusetzen und den Korpsgeist der Gebirgsjäger zu erhalten.“ (Kohl, 1991)

Ein Protagonist in Sachen Neuausrichtung deutscher Militärpolitik, war der 1991 in das Amt des Generalinspekteurs der Bundeswehr berufene Klaus Naumann. Ein halbes Jahr vor der Verabschiedung jener wesentlich von ihm auf den Weg gebrachten Verteidigungspolitischen Richtlinien im November 1992 hatte er es sich nicht nehmen lassen, auf dem Pfingsttreffen des Kameradenkreises in Mittenwald aufzutreten. Dort sprach er auch den Zusammenhang zwischen der Bundeswehr und der Nazi-Wehrmacht an. Er ließ dabei keinen Zweifel daran, dass die Wehrmacht im Grunde nur »missbraucht« worden sei, gleichwohl für „Bewährung in äußerster Not, für Erinnerung an und Verehrung von vorbildlichen Vorgesetzten, für Kameraden und Opfertod“ stehe, kurz: Für „jene vorzügliche Truppe, die Unvorstellbares im Kriege zu leisten und zu erleiden hatte.“ (Prior, 1992).

Gebirgsjäger im Auslandseinsatz

Blickt man auf die letzten anderthalb Jahrzehnte Militärpolitik der neuen Bundesrepublik zurück, so dürfen sich die Gebirgsjäger-Einheiten rühmen, fast immer zu den ersten Einsatzverbänden zu zählen, die seitens der Bundesregierung bei neuen Kriegseinsätzen ins Spiel gebracht werden. Ihre Stationen führten sie zwischenzeitlich von der Wüste in Somalia (FAZ, 22.1.1994), über das Territorium der zerfallenden Republik Jugoslawien bis nach Afghanistan.

Die Vorreiterrolle der Gebirgsjäger für die gesamte Bundeswehr wurde auch durch die Einrichtung eines neuen Lehrgangstyps an der Gebirgs- und Winterkampfschule in Mittenwald/Oberbayern, sinnigerweise am 8. Mai 1995, deutlich: Unter dem vieldeutigen Motto »Ganze Männer braucht das Land« beschreibt der dortige Presseoffizier Kutschera als „logische Konsequenz aus der neu gewonnenen internationalen Verantwortung Deutschlands in der Staatengemeinschaft“ als dessen Ziel, „die Kampf- und Überlebensfähigkeit der Infanteriesoldaten bis zur Ebene Kompanie in schwierigem Gelände unter extremen Witterungsbedingungen zu entwickeln bzw. zu erhöhen.“ (Kutschera, 1996) Zu einer der ersten Übungsgruppen zählte dabei eine Kompanie des Jägerbataillons 571 aus dem sächsischen Schneeberg, das von Mittenwalder Gebirgsjägeroffizieren aufgebaut worden war. (Sander, 2004) Diese Einheit – unter der Leitung des Fallschirmjägergenerals Günzel – wurde im Dezember 1997 bundesweit bekannt durch selbstgedrehte Videos, auf denen einige ihrer Angehörigen Nazi-Gesänge probten – »Ewiges Deutschland – heiliges Reich« –, Vergewaltigungen und Geiselerschießungen übten. (Schäfer, 1998)

Parallel zu diesen Vorfällen, die zu einem Untersuchungsausschuss des Bundestages führten, rückten Mittenwalder Gebirgsjäger in Kasernen auf dem Territorium der zerfallenden Republik Jugoslawien ein. Ende Februar 1999 zitierte die ZEIT in Einstimmung auf den Kosovo-Krieg einen älteren Offizier aus dem Gebirgsjägerbataillon 233 mit der Bemerkung: „Erst enthaupten, dann schlachten“. Und weiter heißt es: „In wochenlangen schweren Luftangriffen müssten die Hauptquartiere, die Leitstellen und die Depots der Serben zerstört werden. Danach begänne die Landschlacht. Doch anders als in der Wüste, wo Panzer ohne große Verluste schnell vorankommen können, müssten im gebirgigen Kosovo die Befreier zu Fuß oder – wie in Vietnam – mit Hubschraubern anrücken.“ (Schwelien, 1999). Zu einem Landkrieg ist es so bekanntlich nicht gekommen, allerdings: Am Ende des NATO-Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war es auch für deutsche Gebirgsjäger im Kosovo wieder soweit: „Erstmals seit dem zweiten Weltkrieg hat (in Prizren) ein deutscher Soldat den Befehl gegeben, im Gefecht das Feuer auf einen Menschen zu eröffnen“, vermeldet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Es handelte sich um Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 571 aus Schneeberg/Sachsen, das nach der Wende von Offizieren aus Mittenwald aufgebaut worden war.

Den Kosovo-Krieg führte auch zu neuen Ehren für einen weiteren Gebirgsjäger: Der aus Mittenwald stammende General Klaus Reinhardt wurde NATO-Kommandeur auf dem Balkan. In dieser Funktion trat er dann gleich vor dem Kameradenkreis. Vor 6.000 Zuhörern auf dem Hohen Brendten beantwortete er die Frage danach, warum denn „bei den Auslandseinsätzen des Deutschen Heeres immer wieder Gebirgsjäger dabei“ seien, mit dem Hinweis, dass „die Gebirgstruppe der Bundeswehr (…) von Männern aufgebaut und geistig ausgerichtet worden (sei), die als Kommandeure, als Kompaniechefs und Kompaniefeldwebel (einerseits) die schreckliche Erfahrung des Krieges und der Diktatur am eigenen Leib erlebt und durchlitten, (andererseits) uns die zeitlosen militärischen Werte wie Pflicht, Treue, Tapferkeit und Kameradschaft vorgelebt“ haben. „Diese Männer“, so Reinhardt, „waren unsere Vorbilder, und sie repräsentieren eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten, (die) der nachfolgenden Generation das Koordinatensystem ihrer Werteordnung“ weitergegeben hätten und natürlich „Respekt“ verdienten. Es sei gerade der Kameradenkreis gewesen, so Reinhardt, der „bei der Pflege dieser Tradition und ihrer Weitergabe an die nächste Generation (…) sein ganz besonderes Verdienst“ habe. (Reinhardt, 2000).

Ein Jahr später stellte sich für Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber die Erinnerungsarbeit des Kameradenkreises der Gebirgsjäger als eine „unangreifbare Traditionspflege“ dar, die für die „insgesamt traditionsarme Bundeswehr ihresgleichen“ suche und auf deren „Leistungen in Vergangenheit und Gegenwart“ man besonders stolz sein könne. (GBT 2001/Heft 4).

Derzeit vertritt die Interessen der Gebirgsjäger und ihres Kameradenkreises im Bundestag das CSU-Mitglied Christian Schmidt. Ende Mai 2006 beantwortete er als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium im Namen der Bundesregierung eine kleine Anfrage der PDS-Abgeordneten Jelpke hinsichtlich des Verhältnisses der Bundeswehr zum Kameradenkreis u.a. mit der schlichten Feststellung: „Der Kameradenkreis der Gebirgstruppe bekennt sich in seiner politischen Grundeinstellung zu den Werten und Zielvorstellungen unserer verfassungsgemäßen Ordnung. Die Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und dem Kameradenkreis der Gebirgstruppe sowie die Teilnahme von Soldaten der Bundeswehr an der so genannten Brendtenfeier sind daher nicht zu beanstanden.“ Selbstredend, das die Bundesregierung hier „die historische Aufarbeitung von Kriegsverbrechen durch einen eingetragenen Verein“ lieber nicht „kommentieren“ wollte. (Deutscher Bundestag, 2006) Der in der ersten Gebirgsdivision gediente Bundeswehrsoldat Schmidt ist übrigens selbst Mitglied des Kameradenkreises.

Ausblick

Eine Distanz zur Politik und Praxis der nationalsozialistischen Wehrmacht gehört zwischenzeitlich zur offiziellen Politik der Bundesrepublik. Gleichzeitig wird dieses Tabu aber durch die mit Unterstützung der Bundeswehr alljährlich in Mittenwald durchgeführten Gedenkfeierlichkeiten des Kameradenkreises der Gebirgsjäger ständig in Frage gestellt. Schließlich wird hier, wie Wolfram Wette einmal feststellte, das »Traditionsproblem« beständig neu vermessen. (Wette, 1997)

Ob die offizielle Distanz zur NS-Wehrmacht im militärischen Raum für die Bundeswehr in Zukunft aufrecht erhalten bleibt, darauf hat die »Traditionspflege« sicher einen Einfluss. Der kritische Blick auf die Kameradentreffen und der Protest gegen die Verherrlichung von Kriegsverbrechen und Kriegsverbrechern ist deshalb dringend notwendig. Genauso aber die Auseinandersetzung mit den Kampfeinsätzen der Bundeswehr. Die Gebirgsjäger stehen hier in der ersten Reihe und die sich dabei herausbildenden »Sondermentalitäten« – siehe Afghanistan – können schnell die offizielle Distanz ad absurdum führen.

Literatur:

Abenheim, Donald (1989): Bundeswehr und Tradition, Auf der Suche nach dem gültigen Erbe des deutschen Soldaten, München.

Bald, Detlef (2005): Die Bundeswehr, Eine kritische Geschichte 1955-2005, München.

Buchner, Hans (1957): Die neue deutsche Gebirgstruppe, in GBT 1957 / Heft 2-4, S.277-280.

Deutscher Bundestag (2006): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a. und der Fraktion DIE LINKE vom 29.5.2006, Drucksache 16/1623, Internet: kg.r2010.de/Media/3/178/1/2103.pdf

Herbert, Ulrich (1996): Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 1903-1989, Bonn.

Heßler, Klaus (1971): Militär – Gehorsam – Meinung, Berlin.

Kaltenegger, Roland (1980): Die Geschichte der deutschen Gebirgstruppe, Stuttgart.

Kaltenegger, Roland (1990): Generaloberst Dietl, München.

Knab, Jakob (1995): Falsche Glorie, Das Traditionsverständnis der Bundeswehr, Berlin.

Koelbl, Susanne (2000): Der Kampf, das ist das Äußerste, in Der Spiegel vom 7.2.00.

Kohl, Helmut (1991): Brief an den 1. Vorsitzenden des Kameradenkreis der Gebirgstruppe e.V., Herrn Heinz Jaumann vom 5.12.1991, in GBT Heft 1/1992, S.7.

Kutschera, Norbert (1996): Ganze Männer braucht das Land, Ein neuer Lehrgang an der Gebirgs- und Winterkampfschule, in Truppenpraxis – Wehrausbildung 1/1996, S. S.50-52.

Prior, Helmut (1992): Hoher Brendten 1992 – ein Höhepunkt, 10.000 kamen zum 35jährigen Jubiläum des Ehrenmals, in GBT, Heft 4/1992, S.4-8.

Reinhardt, Klaus (2000): Ansprache des Oberkommandierenden der Landstreitkräfte Europa Mitte, in GBT, Heft 4/2000, S.8-17.

Sander, Ulrich (2004): Die Macht im Hintergrund, Köln.

Schäfer, Paul (1998): Bundeswehr und Rechtsextremismus, in Wissenschaft & Frieden Nr. 2/1998 Dossier Nr. 28.

Schwelien, Michael (1999): Mit Monika nach Prishtina, In DIE ZEIT vom 25.2.1999.

Stoiber, Edmund (2001): Ansprache des bayrischen Ministerpräsidenten in GBT Heft 4/2001, S.10-13.

Strauß, Franz-Josef (1989): Die Erinnerungen, Berlin.

Spiegel (1983): Zurück zur Legende vom besonderen Sterben, Der Spiegel, 10.10.1983.

Uhde, Peter. E. (1982): 25 Jahre 1. Gebirgsdivision, Lahr.

Wette, Wolfram (1997): Brisante Tradition, in Die Zeit, 19.12.1997.

Wittmann, August (1957): 4 Jahre Kameradenkreis der Gebirgstruppe. Rückschau und Vorschau, in GBT, Heft 2-4/1957, S.223-229.

Markus Mohr Jg. der Kuba-Krise, Autoschlosser und Mitglied der IG Metall, nimmt seit 2002 an den Protesten gegen das Kameradenkreistreffen der Gebirgsjäger in Mittenwald teil.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/2 Menschenrechte kontra Völkerrecht?, Seite