W&F 2007/1

Unterschiedliche Grundauffassungen:

Staatsterrorismus

von Deutscher Bundestag

Der Bundestag hat am 1. Dezember, sowohl die Einrichtung einer Antiterrordatei als auch ein »Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz« beschlossen. Doch eine einheitliche Definition darüber, was als Terrorrismus bezeichnet werden kann oder muss, gibt es nicht. Geht Terrorismus immer nur von Personen und Personengruppen sowie Organisationen aus oder fällt auch staatliches Handeln, das gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstößt, darunter? In einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion »Die Linke« vom 28.10.2006 und in der Antwort der Bundesregierung vom 14.11.2006 werden die unterschiedlichen Grundauffassungen besonders deutlich. Wir dokumentieren zuerst die Vorbemerkungen der Fraktion und der Regierung und dann den Text der Anfrage mit den Antworten (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/3412)

Vorbemerkung der Fragesteller:

Die Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern hat am 4.September 2006 die Einführung einer sogenannten Antiterrordatei gefordert. Problematisch daran ist nicht nur, dass diese Datei das Trennungsgebot von Polizeibehörden und Geheimdiensten weiter einschränkt. Genauso schwer wiegt der Umstand, dass die Bundesregierung bislang keine präzise Definition von »Terrorismus« vorgelegt hat.

Zuletzt hat die Bundesregierung am 8. September 2006 der Resolution A/60/L.62 der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus zugestimmt. Doch auch hierin findet sich keine Definition dessen, was unter Terrorismus verstanden werden soll. Die Vertreterinnen und Vertreter Kubas und Venezuelas haben darauf hingewiesen, dass ihre Regierungen auch den von Staaten ausgehenden Terror für bekämpfenswert halten (www.un.org/News/Press/docs/2006/ga10488.doc.htm).

In den bisherigen Debatten über die Antiterrorbemühungen der Bundesregierung fehlt eine solche Präzisierung. Im Gesetzentwurf zur Antiterrordatei, der die Innenministerkonferenz am 4. September 2006 grundsätzlich zugestimmt hat, ist die Rede von „Personen, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen.“

Das Problem des internationalen Terrorismus würde jedoch nicht im erforderlichen Maße angegangen, wenn man den von Regierungen betriebenen Terror ausklammern wollte. Bedauerlicherweise lässt sich feststellen, dass auch die Bundesregierung bereits rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer Belange angewandt hat; besonders augenfällig wurde dies 1999 mit dem Angriff auf die damalige Bundesrepublik Jugoslawien, der ohne UN-Mandat erfolgte. Auch in Zusammenhang mit dem Irak-Krieg hat die Bundesregierung eine solche rechtswidrige Gewaltanwendung unterstützt, wie das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung vom 21. Juni 2005 festgestellt hat. Mit Blick auf die Gewährung von Überflugrechten für US-Militärflugzeuge, die Bewachung von US-Kasernen und andere Unterstützungsleistungen für den völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak hielt das Gericht fest: „Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt“ (Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04).

Versteht man unter Terrorismus die widerrechtliche Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele, so fallen dem Staatsterrorismus weit mehr Menschen zum Opfer als terroristischen Vereinigungen, wie sie etwa im Strafgesetzbuch beschrieben sind. Hierunter müssen nicht nur völkerrechtswidrige Kriege gefasst werden, sondern auch solche Kriege, die zwar mit einem UN-Mandat legitimiert sind, in deren Verlauf die Kriegsparteien aber immer wieder vorsätzlich oder grob fahrlässig Zivilisten töten, wie etwa beim Enduring-Freedom-Einsatz in Afghanistan. Im weiteren Sinne ist die gewaltförmige Aufrechterhaltung einer Weltordnung, die Milliarden von Menschen in Elend hält, ebenfalls geeignet, Gewalt hervorzurufen. Ernsthaften Willen zur Bekämpfung jeder Form des Terrorismus vorausgesetzt, ergeben sich daraus erhebliche Konsequenzen für die Politik der Bundesregierung.

Vorbemerkung der Bundesregierung

Die Bundesregierung teilt die Ansicht, dass es den Rechtsbegriff »Staatsterrorismus« gibt, ausdrücklich nicht. Das bedeutet nicht, dass die in der Kleinen Anfrage mit dem Begriff des »Staatsterrorismus« in Verbindung gebrachten Handlungen von Staaten keinerlei rechtlichen Regelungen unterlägen. Das Gegenteil ist der Fall. Handlungen von Staaten, insbesondere die Anwendung bewaffneter Gewalt durch diese, unterliegen Normen des Völkerrechtes, insbesondere dem humanitären Völkerrecht und dem System der Menschenrechte. Sie dem Begriff des »Terrorismus« zuzuordnen, ist daher weder systemgerecht noch erforderlich.

Diese Ansicht vertritt die Bundesregierung auch auf internationaler Ebene. Sie wird auch im Kreise der Europäischen Union geteilt, wie der Gemeinsame Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP – ABl. EG 2001 L 344/93) demonstriert. Die Handlungen, die nach diesem Gemeinsamen Standpunkt als terroristische Straftaten, als Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung oder als Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten eingestuft und näher bezeichnet werden, werden danach von »Personen, Vereinigungen und Körperschaften« begangen. Staaten werden davon nicht umfasst.

Es trifft zu, dass auf globaler Ebene immer wieder versucht wird, den Begriff des »Staatsterrorismus« in die Definition des »Terrorismus« einzuführen. Hierin liegt allerdings einer der wichtigsten Gründe dafür, dass bisher kein Konsens über eine umfassende Konvention über die Bekämpfung des Terrorismus gefunden werden konnte. Auch hier vertreten die Bundesregierung und die EU ihre Position, dass »Terrorismus« ein strafrechtlich zu bewertendes Phänomen ist, das von Personen und den von ihnen gegründeten Organisationen, nicht aber von Staaten begangen wird. Diese Auffassung unterstützt u. a. auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen (VN) Kofi Annan: „We do not need to argue whether States can be guilty of terrorism, because deliberate use of armed force by States against civilians is already clearly prohibited under international law“, (Wir müssen nicht darüber streiten, ob Staaten sich des Terrorismus schuldig machen können, weil das Völkerrecht es bereits klar verbietet, dass Staaten ihre Waffen vorsätzlich gegen Zivilisten einsetzen) bei der Vorstellung der Elemente einer umfassenden VN-Antiterrorismusstrategie in einer Rede am 10. März 2005 in Madrid.

Die Bundesregierung setzt sich auf internationaler Ebene nachhaltig für den Entwurf der umfassenden Konvention über internationalen Terrorismus ein, wie er von den Verhandlungskoordinatoren der Generalversammlung der VN vorgelegt wurde. Dieser Entwurf enthält eine Definition des »terroristischen Akts«, die mit derjenigen der Europäischen Union weitgehend übereinstimmt. Darüber hinaus gibt es auf der Ebene der Vereinten Nationen eine Reihe von Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus, in denen einzelne Begehungsarten terroristischer Handlungen für die Zwecke der jeweiligen Konvention definiert sind. Die Bundesregierung ist gleichwohl der Meinung, dass die Schaffung einer umfassenden VN-Terrorismuskonvention mit einer klaren, verbindlichen Definition von Terrorismus bzw. des »terroristischen Akts« auf internationaler Ebene unerlässlich ist. Dies würde unter anderem eine willkürliche Auslegung der Begriffe »Terrorismus« und »Terrorismusbekämpfung« (z.B. den Einschluss legitimer politischer Opposition) durch einzelne Staaten einschränken.

Kleine Anfrage

Wir fragen die Bundesregierung

Frage 1: Stellt nach Ansicht der Bundesregierung die widerrechtliche Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele auch dann eine Form des Terrorismus dar, wenn sie von Regierungen demokratischer Staaten ausgeht? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland in EU und NATO?

Frage 2: Ist nach Ansicht der Bundesregierung Krieg eine Form des Terrorismus, insbesondere ein völkerrechtswidriger Krieg, und wie begründet sie ihre Position?

Frage 3: Sind nach Ansicht der Bundesregierung jahrelange Freiheitsberaubung von Menschen ohne Rechtsgrundlage sowie ihre Demütigung und Misshandlung durch staatliche Behörden eine Form des Terrorismus, und wie begründet sie ihre Position?

Antwort: Nein. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen.

Frage 4: Will die Bundesregierung zur Bekämpfung des Terrorismus auch diejenigen bekämpfen, die ihrer Ansicht nach rechtswidrige Gewaltanwendung unterstützen, und wenn ja, wie definiert sie den Begriff der Unterstützung?

Antwort: Die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung im repressiven Bereich richten sich gegen Personen, die nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches strafbare Handlungen begangen haben; hierzu ist insbesondere auf §§ 129a, b StGB zu verweisen. Nach § 129a Abs. 5 StGB ist strafbar, wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 des § 129a StGB bezeichnete Vereinigung unterstützt. Der Begriff der Unterstützung – nach der herrschenden Meinung eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe eines Nichtmitglieds – ist in Rechtsprechung und Literatur näher konkretisiert worden. Soweit sich die Frage auf den Entwurf des Gesetzes zu Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz) bezieht, wird auf die Begründung zu § 2 Satz 1 Nr. 2 ATDG-E verwiesen (Seite 29 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung – Bundesratsdrucksache 672/06).

Frage 5: Versteht die Bundesregierung unter »Unterstützung« des Terrorismus auch die Mitwirkung an der Operation Enduring Freedom, weil in Afghanistan immer wieder unschuldige Zivilisten durch die dortigen NATO-Truppen getötet werden, und wie begründet sie ihre Position?

Antwort: Nein. Die »Operation Enduring Freedom« dient im Gegenteil der Bekämpfung des Terrorismus, wie aus dem Antrag der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag vom 7. November 2001 (Bundestagsdrucksache 14/7296) auch hervorgeht. Im übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen.

Frage 6: Versteht die Bundesregierung unter »Unterstützung« des Terrorismus auch die Gewährung von Überflugrechten für fremde Militärflugzeuge, wenn diese an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen wie denjenigen gegen den Irak im Jahr 2003 beteiligt sind, und wenn nein, welchen grundsätzlichen Unterschied sieht die Bundesregierung zwischen einer völkerrechtswidrigen Bombardierung durch staatliches Militär und rechtswidrigen Bombenanschlägen nichtstaatlicher Akteure?

Antwort: Nein. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen.

Frage 7: Will die Bundesregierung zur Bekämpfung des Terrorismus auch diejenigen bekämpfen, die ihrer Ansicht nach rechtswidrige Gewaltanwendung zur Erreichung politischer Ziele befürworten, und wie definiert sie den Begriff des Befürwortens?

Antwort: Die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung richten sich auch gegen Personen und Organisationen, die durch Aufstachelung zu Hass oder Willkürmaßnahmen die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern und den öffentlichen Frieden stören: Terrorismusbekämpfung muss präventiv, also bereits im Vorfeld möglicher terroristischer Straftaten ansetzen. Soweit sich die Frage auf den Entwurf des Gesetzes zu Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz) bezieht, wird auf die Begründung zu § 2 Satz 1 Nr. 2 ATDG-E verwiesen (Seite 29 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung – Bundesratsdrucksache 672/06). Im übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen.

Frage 8: Versteht die Bundesregierung unter der »Befürwortung« von Terrorismus auch das öffentliche Eintreten zugunsten von Regierungen, die wie etwa in Afghanistan oder im Irak immer wieder die Tötung unschuldiger Zivilisten zu verantworten haben, und wie begründet sie ihre Position?

Antwort: Die Bundesregierung teilt die der Frage zugrundeliegenden Prämissen nicht. Im übrigen wird auf die Antwort zu Frage 7 und die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen.

Frage 9: Will die Bundesregierung zur Bekämpfung des Terrorismus auch diejenigen bekämpfen, die ihrer Ansicht nach die rechtswidrige Anwendung von Gewalt hervorrufen, und wie definiert sie den Begriff des Hervorrufens?

Antwort: Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen.

Frage 10: Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, das Führen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, das Töten unschuldiger Zivilisten etwa in Afghanistan durch die NATO-Truppen oder jahrelanges Festhalten von Menschen ohne Rechtsgrundlage durch staatliche Behörden seien geeignet, Gewaltanwendung hervorzurufen, und wie begründet sie ihre Position?

Antwort: Die Bundesregierung teilt die der Frage zugrundeliegenden Prämissen nicht. Offenkundig ist aber, dass politische und soziale Konflikte zur Entstehung von gesellschaftlicher Gewalt beitragen können. Dennoch ist die Bundesregierung der festen Überzeugung, dass terroristische Anschläge durch nichts zu rechtfertigen sind.

Frage 11: Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, die herrschende Weltordnung mit ihrer ungerechten Verteilung des Reichtums sei geeignet, Gewalt hervorzurufen, und wie begründet sie ihre Position?

Antwort: Auf die Antwort zu Frage 10 wird verwiesen.

Frage 12: Beurteilt die Bundesregierung die Anwendung von Gewalt zur Stabilisierung der weltweiten Vorherrschaft der kapitalistischen Industriestaaten anders als die Anwendung von Gewalt zur Destabilisierung dieser Vorherrschaft, und wie begründet sie ihre Position?

Antwort: Die Bundesregierung teilt die der Frage zugrundeliegende Prämisse nicht. Ungeachtet dessen ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Anwendung von Gewalt nach den jeweils anwendbaren völkerrechtlichen Regelungen beurteilt werden muss. Im übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen.

Frage 13: Will die Bundesregierung zur Bekämpfung des Terrorismus auch diejenigen bekämpfen, die ihrer Ansicht nach mit Terroristen oder Terrorverdächtigen in Verbindung stehen, und wenn ja, was versteht sie darunter?

Antwort: Auf die Antwort zu Frage 4 und die Vorbemerkung wird verwiesen.

Frage 14: Steht die Bundesregierung nach eigener Einschätzung mit Kräften, die völkerrechtswidrige Kriege führen, Menschen jahrelang ohne Rechtsgrundlage ihrer Freiheit berauben oder auf andere Weise rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen, in Verbindung, und wenn ja, mit welchen, und auf welche Weise?

Antwort: Die Bundesregierung teilt die der Frage zugrundeliegende Prämisse nicht. Die Bundesregierung steht mit den Regierungen aller Staaten, mit denen sie diplomatische Beziehungen unterhält, in Verbindung. Sie ist der Auffassung, dass diese diplomatischen Beziehungen auch zur Durchsetzung völkerrechtlicher Standards nützlich und notwendig sind

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/1 Terrorismus - Ursachen und Folgen, Seite