W&F 2002/1

Stärkung der Versager

Nachrichtendienste im Anti-Terror-Krieg

von Erich Schmidt-Eenboom

Bei den monströsen Attentaten vom 11. September 2001 erlitten die US-Nachrichtendienste ihr Vietnam der Terrorabwehr. Die Vorfeldaufklärung bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus – ein selbstgestecktes Hauptziel dieser Behörden – hatte auf der ganzen Linie versagt. Weder war es der Central Intelligence Agency gelungen, während der monatelangen Vorbereitungen der Al-Qaida-Organisation aus ihrem weltweiten Quellennetz einen brauchbaren Hinweis auf den teuflischen Plan zu fischen, noch konnte die National Security Agency aus der globalen Überwachung aller Telekommunikation irgendeine verdächtige Botschaft herausfiltern. Erich Schmidt-Eenboom geht ein auf die strukturellen Defizite, die Schlussfolgerungen, die in den USA und in der internationalen Zusammenarbeit gezogen wurden, sowie auf unterschiedliche Geheimdienstinteressen.
Die Kenner der US-Geheimdienstszene hat diese Unfähigkeit nicht überrascht. Als am 6. September 2001 im Senat das Budget der Intelligence Community für das kommende Haushaltsjahr auf mehr als 30 Milliarden Dollar festgesetzt wurde, da charakterisierte Bob Graham, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, diesen Finanzschub als Startschuss für ein mehrjähriges Programm zur Beseitigung ernsthafter Defizite, die sich in der zurückliegenden Dekade in der Geheimdienstgemeinde entwickelt hatten. Die CIA sollte künftig in mehr Agentenführer investieren, um Quellen in Terrorgruppen, im Drogen- und Waffenhandel sowie im Umfeld fremder Regierungen zu erschließen.

Auf den Punkt brachte ein langjähriger CIA-Mitarbeiter im Mittleren Osten die Tatsache, dass nicht ein Lawrence von Arabien, sondern der Etappenhengst längst der Prototyp in Langleys geheimer Armee geworden war: „Falls nicht einer von bin Ladens Fußsoldaten durch die Türen eines US-Konsulats oder einer Botschaft tritt, sind die Chancen, dass ein Antiterror-Offizier der CIA jemals einen sehen wird, äußerst dürftig“, schrieb Reuel Marc Gerecht im Juli in der Atlantic Monthly und zitierte einen Kollegen mit der defätistischen Äußerung: „Die CIA hat wahrscheinlich nicht einen einzigen wirklich qualifizierten arabisch sprechenden Offizier mit Mittelost-Hintergrund, der glaubhaft einen muslimischen Fundamentalisten spielen könnte, der freiwillig Jahre seines Lebens mit beschissenem Essen und ohne Frauen in den Bergen Afghanistans leben will.“

Defizite der NSA erkannten die Senatoren im Wettlauf mit der raschen Verbreitung von Verschlüsselungstechniken, beim Abhören von Glasfaserkabeln, aber vor allem bei den Linguisten, die im Kalten Krieg zu 80 Prozent auf russische Kommunikation ausgerichtet waren, zehn Jahre später nur mehr zu 15 Prozent, aber weniger häufig gesprochene Sprachen auch 2000 nicht hinreichend bewältigen konnten. Das hatte sich bereits 1993 als Manko erwiesen, als die NSA einen Warnhinweis auf den ersten Anschlag auf das World Trade Center erst 14 Tage nach dem Anschlag aus dem Arabischen übersetzt hatte. Inzwischen überbieten sich NSA und CIA mit Stellenanzeigen, in denen sie Mitarbeiter suchen, die Paschtu oder Dari sprechen. Wie schlagartig sich der traditionelle Fehler der puritanisch dominierten Geheimdienstgemeinde, das multiethnische Potenzial der USA nicht für sich auszunutzen, auswirken sollte, hatte da noch niemand geahnt.

Während sich über die handwerklichen Fehlleistungen die geballte Häme der Medien ergoss, wurden Hemmnisse der Terrorabwehr durch die politische Auftragssteuerung kaum thematisiert. Osama bin Laden wurde bis 1996 im Sudan von Ali Mohamed im Dienste des US-Militärnachrichtendienstes Defense Intelligence Agency (DIA) behütet. Und auch in Afghanistan wurde der exilierte saudische Multimillionär mindestens bis 1998 in Ruhe gelassen, obwohl er als Hintermann des ersten Anschlags auf das World Trade Center 1993, der Angriffe auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 und die Attacke auf die USS Cole im Jahre 2000 gesucht wurde. Bis dahin nämlich hofften die USA auf ein großes Geschäft mit seinen Gastgebern in Kabul. Das in den zentralasiatischen Republiken lagernde Öl – insgesamt 15 Milliarden Barrel – sollte 1995 mit einer auf zwei Milliarden Dollar projektierten Pipeline von 1271 Kilometern Länge durch Afghanistan zum pakistanischen Hafen Karatschi und damit in den US-amerikanischen Einflussbereich geleitet werden. Erst nachdem sich die von Washington bekämpfte Variante einer italienisch gebauten Erdölleitung durch den Iran abzeichnete, verloren die Taliban die amerikanische Rückendeckung. Kriegsdrohungen der USA gegen das Kabuler Regime, die im Sommer 2001 bei einem Treffen mit Pakistani in Berlin ausgestoßen wurden, dürften ursächlich für den Auslösezeitpunkt der lang geplanten Terrorakte gewesen sein.

Das FBI kam in der kriminaltechnischen Nacheile zwischen Hamburg und Hawaii zu ansehnlichen Ermittlungserfolgen. Die kaum verwischten Spuren erlaubten es der US-Bundespolizei, das Netz der unmittelbar an der Tat Beteiligten nahezu lückenlos aufzuklären. Das Beweismaterial gegen die zuvor übersehenen Schläfer und über ihre zielgerichtete Ausbildung bis hin zum Pilotentraining in der U.S. Air Force verdichtete sich zu einem Bild erschreckend professioneller Planung und Durchführung, das den Vorlauf aller vorherigen Terrorakte weit in den Schatten stellte. Allenfalls um herauszubringen, dass das Ziel des dritten, wegen des Widerstands der Passagiere abgestürzten Flugzeugs das Atomkraftwerk bei Three Man Island gewesen war, benötigte das FBI über zwei Wochen. Die Entführer an Bord der Maschine hatten sich im afghanischen Dari verständigt und in kürzerer Frist war fachkundige Übersetzung wieder nicht möglich.

Die US-Auslandsnachrichtendienste taten sich indes schwer, aus Osama bin Laden nicht nur den logischen Täter, sondern den überführten Drahtzieher zu machen. Mit der 180seitigen Felddienstvorschrift des Fundamentalismus »Militärische Studien zum Heiligen Krieg gegen die Tyrannen« hatte die CIA schon im Jahr 2000 bei Ermittlungen gegen bin Laden dessen Masterplan aufgefunden, ihn jedoch sträflich unterschätzt.

Zuvor verschlampte Einzelhinweise wie der, dass einer der 19 Attentäter, Khalid-al-Midhar, auf die watchlist gesetzt worden war, weil er in Malaysia Bin-Laden-Vertraute getroffen hatte, und bisher nicht ausgewertete Daten über die Geldströme im Al-Qaida-Netzwerk wurden erst im Nachhinein Mosaiksteine zur Klärung der Verantwortlichkeit bin Ladens.

Dass den US-Diensten der Tatnachweis ganz aus eigener Kraft nicht gelang, verweist auf ein weiteres schwer wiegendes Defizit westlicher Terrorabwehr. Die Mithilfe des BND, der ein Gespräch zweier Angehöriger der Al Qaida über das erfolgte Attentat auffangen konnte, und wiederbelebte Hinweise des französischen Dienstes DGSE bereicherten die Indizienkette, die aus Gründen des Quellenschutzes bisher unveröffentlicht blieb.

Vor dem 11. September jedoch hatten die traditionellen Eifersüchteleien und die Besitzstandswahrung an geheimen Informationen und Quellen die internationale Zusammenarbeit selbst innerhalb der Nato-Staaten eingeschränkt. Danach sprudelte aus der weit gefächerten Allianz ein Gemenge alter und neuer Erkenntnisse. Darunter waren zweckdienliche, die sich auf den Hauptfeind, d.h. die Bruderschaft von Taliban und Al Qaida, bezogen, vielfach aber auch solche, die mehr oder minder stabile Verbindungen anderer Terrororganisationen zu Gruppierungen des Bin-Laden-Netzes dokumentieren sollten. Diese zweite Kategorie zielte bei den absendenden Regierungen auf nichts anderes als den Versuch, die eigenen terroristisch agierenden Gegner mit auf die gemeinsame Abschussliste setzen zu lassen. Putins SWR verwies so auf den Export von Partisanen aus Kabul nach Tschetschenien, der Mossad wollte eine Saddam-Hussein- und Palästiner-Connection zu Bin Laden herstellen, und Indien verwies auf die Kaschmirrebellen als Vettern und Reservearmee der Taliban. Nur China widerstand bisher der Versuchung, die Bekämpfung oppositioneller moslemischer Uiguren in der Provinz Xin-Yiang, die aus dem benachbarten Afghanistan ebenso unterstützt wurden wie vom türkischen Auslandsnachrichtendienst MIT, in den Zielkatalog der Allianz schreiben zu wollen.

Außerordentlich wichtige Hinweise erhielt die CIA vom jordanischen GID, der Innenquellen in den Ausbildungslagern bin Ladens platziert hatte. Nicht umsonst erhielt Ammans Militärnachrichtendienst einen Bungalow im »Coalition Coordination Village« auf der MacDill Air Force Base in Tampa, in dem sonst nur militärisch involvierte Mächte wie Großbritannien, Deutschland oder die Türkei ihr Quartier aufschlagen durften.

Andere Staaten traten die Flucht nach vorn an. Etwa dort, wo die von den USA lange als Schurkenstaaten eingestuften Regierungen Libyens, Syriens und des Sudan den US-Diensten schon Ende September ihre Erkenntnisse über die Al-Qaida-Organisation zugeleitet hatten. Selbst Cuba erschöpfte sich nicht in Beileidsbekundungen, sondern bot Geheimdiensterkenntnisse an, die die USA allerdings zurückwiesen. Der Iran scheint bereit, sein Insiderwissen über den Drogenhandel Bin Ladens auszubreiten und selbst Nord-Korea versprach, mit seinen Erkenntnissen über Terrorgruppen nicht länger hinter dem Berg zu halten. Bei Gadafi bedankte sich Washington umgehend mit dem Einfrieren der Gelder der Libyan Islamic Fighting Group, die einen verdeckten Krieg gegen den libyschen Staatschef führt.

Mit der Informationsflut schwappten jedoch wiederum Erkenntnisse in die Anti-Terror-Koalition, die den Beifall der USA nicht finden konnten. Der russische SWR vertiefte die Berichtslage, die er bereits 1999 den Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt hatte. Der zu Folge bildet der pakistanische Nachrichtendienst ISIS (Interservice Intelligence Service) das Rückgrat des Taliban-Regimes. Insgesamt 31 Pakistani – darunter Generäle und Diplomaten – wurden als Berater von Mullah Omar und der Nebenregierung der Al Qaida mit ihren 55 Lagern und über 13.000 Gefolgsleuten ausgemacht, während die Regierung in Islamabad offiziell an der Seite der USA steht.

Wenig beachtet wurde bisher der Hinweis, dass die Taliban nicht nur ein Kind des ISIS seien, sondern dass der britische Secret Intelligence Service – nach Erkenntnissen des Ministeriums für Staatssicherheit WAD unter Nadjibullah – bei der Schaffung einer neuen Macht Pate stand, die die sich bis aufs Blut bekämpfenden Mudschahedin-Gruppen neutralisieren sollte. Wenn Tony Blair als Cheerleader der US-Army täglich den talibanischen Teufel an die Wand malt, müsste er sich zunächst die Frage gefallen lassen, ob dieser nicht zugleich der Bastard des MI6 unter der eisernen Lady Margret Thatcher ist.

Als kontraproduktiv empfanden die Amerikaner auch die Vorstöße aus Belgrad. Kaum war Jugoslawien der neuen Allianzpolitik wegen wieder in die Interpol-Familie aufgenommen worden, schickten die dortigen Polizeibehörden Berichte herum, die die enge Verbindung zwischen Bin Laden und der UCK in Makedonien und im Kosovo herausstrichen, Al-Qaida-Verbindungen nach Bosnien und zur albanischen Mafia herstellten. Sie sprachen damit dem makedonischen Geheimdienst aus dem Herzen, der beklagt hatte, dass seine Versuche, die Verbindungen der UCK zu Bin Laden aufzuklären, von der Nato behindert und von den USA sogar unterbunden worden waren.

Die qualitativ neue Bedrohung durch einen international agierenden Terrorismus verschaffte den Sicherheitsapparaten Hochkonjunktur, und sie nutzten die unverdiente Hausse klug. Kurzfristig konnten sie sich selbst aus knapp bemessenen Staatsetats größere Budgetanteile sichern, langfristig fällt die Stärkung ihrer operativen Möglichkeiten viel stärker ins Gewicht. Die Gesetzgeber in den USA, in Großbritannien und hierzulande bekamen Aufwind für die Legalisierung nachrichtendienstlicher Methoden, die Bürger- und Menschenrechte fundamental einschränken. Symptomatisch sind die Rufe in den Vereinigten Staaten, das beharrliche Schweigen inhaftierter Verdächtiger aus dem Al-Qaida-Netz durch Folterungen zu brechen. In London wurden unter Berufung auf eine Bedrohung für das Leben der Nation selbst Teile der europäischen Menschenrechtscharta außer Kraft gesetzt. Weit über die Terrorabwehr hinaus werden staatspolizeiliche Eingriffe in die Privatsphäre in größerem Umfang zugelassen, als es sich begehrliche Geheimdienstler zuvor je hätten träumen lassen.

Abgeklopft auf die Frage, ob diese Gesetzesinitiativen als bereits geltendes Recht die Attentate vom 11. September verhindert hätten, muss man starke Zweifel haben. Sie dienen weit gehend als Opium für das in Panik versetzte Volk und in Großbritannien und Deutschland der innenpolitischen Profilierung von New-Labour-Parteien. In Berlin blockierten Otto Schily und Gerhard Schröder die rechtspolitische Überholspur, so dass für Angela Merkels Positionen wiederum nur die Notrufsäule auf der Standspur herhalten konnte.

In ihrer Not blieb der CDU-Vorsitzenden eigentlich nur die Forderung nach einem Bundessicherheitsamt, das die Union in den 50er Jahren schon mehrfach gefordert hatte, um Verfassungsschutz und den Gehlen-Apparat zu verschmelzen. Damals scheiterte der Vorstoß an dem historischen Schatten des Reichssicherheitshauptamtes, in dem von der Gestapo über die Polizei bis zu den Auslandsnachrichtendiensten alle »Sicherheitsbehörden« unter einem Dach vereinigt waren. Der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, blies in ein ähnliches Horn.

Heute wird das von Teilen der Union favorisierte Projekt schon im eigenen Lager Schiffbruch erleiden. Der logische erste Schritt und zugleich die Nagelprobe wäre nämlich die föderale Struktur des Verfassungsschutzes aufzuheben und wenigstens die Abwehr im Innern allein dem Bund zu überlassen. Der Widerstand der Landesfürsten nicht nur in der Union, sich die geheime Aufklärung der politischen Verhältnisse aus der Hand nehmen zu lassen, wird die Zentralisierung des Verfassungsschutzes nicht zulassen und Merkels Initiative damit ins Leere laufen lassen.

In den USA jedoch erleben wir gut zwei Monate nach dem Anschlag einen Vorstoß, der weit über kosmetische Korrekturen hinausgeht. Eine von Präsident Bush bereits im Mai eingesetzte Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Sicherheitsberaters Bent Scowcroft schlug Anfang November vor, die drei größten Nachrichtenapparate des US-Verteidigungsministeriums der CIA zu unterstellen: die für fernmeldeelektronische Aufklärung zuständige NSA, die National Imagery and Mapping Agency zur Bildaufklärung und Kartenherstellung und die Satellitenaufklärung der NRO (National Reconaissance Organisation). Inspiriert ist der Vorschlag zum größten Umbau der US-Geheimdienstgemeinde von der Idee, die massiven Reibungsverluste, die aus der ewigen Konkurrenz dieser Behörden zur CIA resultierten, zu beseitigen. Doch der Widerstand des Pentagon gegen den Verlust von NSA und NRO, die etwa die Hälfte des Geheimdienstetats und damit ca. 15 Milliarden Dollar jährlich erhalten, wird groß sein. Die Stellung der CIA mit ihrem weit bescheideneren Jahresetat von etwa 3,5 Millionen Dollar würde dramatisch aufgewertet. Zugleich stärkt dieser Reformvorschlag die Rolle und die Durchgriffsmöglichkeiten des US-Präsidenten. Darin liegt wohl auch die Versuchung für George W. Bush, der als Sohn eines CIA-Direktors und Präsidenten groß wurde.

Im Zielgebiet selbst stellen die militärischen Nachrichtendienste inzwischen ihre angezweifelte Leistungsfähigkeit unter Beweis. Die Erkenntnisse aus der satelliten- und flugzeuggestützten Aufklärung gelangen – anders als noch im Zweiten Golfkrieg – fast in Echtzeit zu den US-amerikanischen Truppenführern und Zielplanern.

Doch über die taktische Nutzung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse weit hinaus wird die strategische Einflussnahme zur Kernaufgabe der Geheimdienste. Ein erstes Desaster erlebte die CIA da bereits mit der Hinrichtung von Abdul Haq und seines Kommandos durch die Taliban, weil sie sich scheute, seine eigenmächtige Mission zur Mobilisierung paschtunischen Widerstands professionell zu unterstützen.

Für die anderen Nachrichtendienste herrscht längst High Noon auf dem politischen Gefechtsfeld. Der iranische Savama stützt Ismail Khan in Herat, zügelt bisher erfolgreich den verbrannten Chefterroristen Hekmatyar im Teheraner Exil, und setzt eher auf die Quantitäten, die man mit über einer Million durchaus rückkehrwilliger afghanischer Flüchtlinge hat, deren Heimat Nordwestafghanistan ist.

Der türkische MIT findet mit dem aus dem Exil in Ankara zurückgekehrten Usbekengeneral Rashid Dostum einen idealen Frontkämpfer zur Durchsetzung seiner Interessen im usbekisch-afghanischen Raum. Die 90 im Kampf in Kurdistan erprobten Elitesoldaten, die die türkische Armee der Allianz ausleiht, dienen eher als Leibgarde für Dostum denn als Jagdkommando auf Taliban-Guerillas.

Nachdem die DGSE ihren alten Frontkämpfer Ahmed Schah Masud durch ein Taliban-Attentat am 9. September – fast zeitgleich zum Anschlag in New York – verlor, stärkt der Pariser Nachrichtendienst dessen Nachfolger und vormaligen Geheimdienstchef Mohammad Fahim den Rücken und schickt ebenfalls Spezialkräfte zu dessen Abdeckung.

Der russische SWR setzt traditionell auf die Nordallianz und an ihrer Spitze auf Regierungschef Burhanuddin Rabani. Die durchaus brüchige Nordallianz geht zwar im Augenblick ein Zweckbündnis mit den USA ein. Ihr ungeliebter Vorstoß auf Kabul jedoch zeigt, dass sie keine Marionette der paschtunenfreundlichen USA sein wird und sich schon mittelfristig auf Allianzen mit Moskau, Teheran, Neu-Delhi und den zentralasiatischen Republiken stützt.

Dem ISIS bleibt zur Zeit nur Schadensbegrenzung für Pakistan und die Option, neue Taliban-Derivate ins Rennen zu schicken. Die USA und Großbritannien waren vergeblich dem Phantom gemäßigter Taliban nachgejagt und sind nun auf der Suche nach ausgleichswilligen Paschtunen-Führern. Der alte König Zaher Schah, der britisch geschulte Pir Gailani und Stammesfürst Hamid Karzei sind bisher ihre einzigen Trümpfe.

Die Forderung der EU, die Nachkriegsordnung in Afghanistan ohne Einmischung von außen aufzubauen, mutet vor diesem Hintergrund naiv an. Schon ihre wesentlichen Mitgliedsstaaten – Frankreich, Großbritannien und Deutschland – bringen diese Enthaltsamkeit nicht auf. Im Bewusstsein, dass benachbarte und global agierende Einflussmächte am Hindukusch wieder ihr eigenes Süppchen kochen und Salz in die Suppe aller anderen Allianzpartner schütten werden, wächst die Neigung, durch den Einsatz der eigenen Geheimdienste Einfluss beim Austarieren der Machtverhältnisse auszuüben. Die Hoffnung, dabei werde nicht wieder die Saat zu neuerlichen Bürgerkriegen gelegt, stützt sich auf zwei Faktoren: Die Kriegsmüdigkeit im Innern könnte – anders als nach dem Sturz Nadjibullahs 1992 – einen höheren Grad an Kompromissbereitschaft zwischen den verfeindeten Gruppierungen zeitigen und die entwickelten diplomatischen Mechanismen in der globalen Allianz könnten im Blick auf künftige Notwendigkeiten zur Kooperation – anders als nach Jalta – den gemeinsam errungenen Sieg überdauern.

Erich Schmidt-Eeenboom ist Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2002/1 Terror – Krieg – Kriegsterror, Seite