W&F 1988/3

START oder Fehlzündung? Abrüstung oder Umrüstung?

von Randolph Nikutta

Nach dem Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow in Washington im Dezember 1987 konzentrierte sich die politische Aufmerksamkeit und das öffentliche Interesse verstärkt auf den Bereich der strategischen Nuklearrüstung und eine mögliche neue Rüstungskontroll-Vereinbarung. Das INF-Abkommen weckte Hoffnungen, daß Rüstungskontrolle in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen zu weiteren Abrüstungsschritten führen könnte. Präsident Reagan sprach gar von der Aussicht auf einen neuen historischen „Vertrag“. Unter dem Gesichtspunkt der Abrüstung war Rüstungskontrolle in der Vergangenheit jedoch wenig erfolgreich.

In den SALT-Verhandlungen (Strategic Arms Limitation Talks) der 70er Jahre kam eine reale Abrüstung bei den strategischen Waffensystemen nicht zustande. Vielmehr versuchten beide Weltmächte in SALT-I und SALT-II, ihre asymmetrischen strategischen Rüstungspotentiale durch in etwa gleiche Obergrenzen bei den Trägersystemen, die aber relativ hoch angesetzt wurden, auszubalancieren. Reduzierungen sollten späteren Verhandlungen vorbehalten bleiben. Somit regulierte SALT 1 primär den quantitativen Rüstungszuwachs zwischen den beiden führenden Weltmächten.

Die Reagan-Administration trat im Januar 1981 mit dem politischen Vorsatz an, daß zuerst das militärische Potential der USA erheblich aufgestockt werden müsse, um dann anschließend mit der Sowjetunion aus einer Position der Stärke heraus über Rüstungskontrolle verhandeln zu können. Dieser Maxime gemäß wurden die amerikanischen Militärausgaben stark erhöht und umfangreiche strategische Aufrüstungs- und Modernisierungsprogramme in Gang gesetzt. Erst im Juni 1982 nahmen dann die USA und die UdSSR Wiederverhandlungen über strategische Rüstungskontrolle auf. Als neues Ziel amerikanischer Rüstungskontrollpolitik kündigte die Reagan-Regierung an, nunmehr einschneidende und militärisch signifikante Reduzierungen im strategischen Nuklearwaffenarsenal anzustreben. Um diesen neuen Ansatz nach außen hin sichtbar zu machen, wurde SALT in START (Strategie Arms Reduction Talks = Gespräche über die Verminderung strategischer Waffen) umbenannt.

Der Kern der amerikanischen Ausgangsposition bei START bestand darin, Abrüstung durch tiefe Einschnitte (deep Cuts) ausschließlich „bei den am meisten destabilisierenden Nuklearsystemen“, nämlich ballistischen, speziell landgestützten Raketen und ihren nuklearen Gefechtsköpfen, zu suchen. Drastische Einschnitte bei den sowjetischen landgestützten ICBMs (Inter Continental Ballistic Missiles) hatte die damalige konservative Opposition im Zusammenhang mit der Ablehnung des SALT-II-Vertrages gefordert, durch den sie einseitig sowjetische Vorteile gefördert sah. Von sowjetischer Seite wurde der mit dieser Zielrichtung in die Verhandlungen eingebrachte amerikanische Ausgangsvorschlag als unannehmbar zurückgewiesen. Hauptsächliche Gründe für die Ablehnung waren vor allem die Ausklammerung der Bomber und Marschflugkörper sowie der Sachverhalt, daß die UdSSR im Gegensatz zu den USA die Struktur ihres strategischen Arsenals einschneidend hätte verändern müssen, wenn sie den amerikanischen Reduzierungsvorstellungen nachgekommen wäre. Außerdem wäre es den USA auf der Grundlage ihres Verhandlungsvorschlages möglich gewesen, ihre geplanten strategischen Modernisierungsprogramme (MX-ICBM und TRIDENT-SLBM = Sea Launched Ballistic Missiles) ohne große Abstriche innerhalb der vorgesehenen Obergrenzen weiter durchzuziehen.

Zwar wurden im Verlauf der Zeit Positionsannäherungen in Teilbereichen erreicht, aber substantielle Fortschritte blieben aus, weil beiden Seiten der politische Wille zum Kompromiß fehlte. Die Gründe dafür lagen in dem allgemein durch erhöhte Spannungen gekennzeichneten bilateralen Verhältnis, welches vor allem durch die drastische Aufrüstung sowie die Kalte-Krieg-Rhetorik der Reagan-Administration belastet wurde und dem Scheitern der INF-Verhandlungen. Aus Protest gegen den Beginn der Stationierung neuer amerikanischer INF-Flugkörper in Westeuropa unterbrach die Sowjetunion schließlich die Rüstungskontrollverhandlungen mit den USA für unbestimmte Zeit.

Im März 1985 nahmen beide Weltmächte wieder Verhandlungen in Genf auf. Im Gegensatz zur vorherigen Situation sind die Gespräche über Verminderungen strategischer Offensivwaffen diesmal ein Bestandteil eines übergreifenden Verhandlungsforums, welches unter der Bezeichnung „Nuclear and Space Arms Talks“ (Verhandlungen über Nuklear- und Weltraumwaffen) eingerichtet wurde. Zu diesem gehören noch die 1987 erfolgreich abgeschlossenen Gespräche über die INF-Waffen sowie die Verhandlungen über Verteidigungs- und Weltraumwaffen. Der Grund für die Ausweitung des Verhandlungsmandats über die strategischen Offensivwaffen hinweg liegt in dem amerikanischen SDI-Projekt. Für die UdSSR besteht zwischen offensiven und defensiven Systemen ein elementarer Zusammenhang. In der Sicht der sowjetischen Führung stellt SDI den Versuch der USA dar, das existierende Rüstungskontrollregime in der Form des ABM- und des allerdings nicht ratifizierten SALT-II-Vertrages zu verlassen, um dann über die Dislozierung von BMD-Systemen (Ballistic Missile Defense) und die gleichzeitige vertragliche Beschränkung der Anzahl ballistischer Raketen vermittels START sowie die zulässige Modernisierung von anderen Typen von Offensivwaffen (primär Bomber und Marschflugkörper) einen militärstrategischen Vorteil gegenüber der UdSSR zu erlangen. Aufgrund dieser Befürchtungen will die Sowjetunion SDI vertraglichen Beschränkungen unterwerfen, welche die Dislozierung eines strategischen Raketenabwehrsystems unterbinden oder doch zumindest zeitlich verlangsamen.

Bei ihrem ersten Gipfeltreffen in Genf im November 1985 haben sich Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow allgemein auf das Prinzip einer 50prozentigen Reduktion der Nuklearwaffen im Rahmen von START verständigt. Seitdem haben beide Seiten zwar eine Reihe ihrer Differenzen verringert oder beigelegt, doch bei etlichen Schlüsselpunkten, wie etwa der Frage der Zulässigkeit oder vertraglichen Einbindung von Raketenabwehrsystemen, liegen die Auffassungen noch weit auseinander. Nach dem Gipfeltreffen von Reykjavik spezifizierten die USA und die UdSSR in einem gemeinsamen Arbeitsdokument die Punkte der Übereinstimmung und Abweichung zu Schlüsselbereichen der Verhandlungen. Auf dieser Grundlage legten dann beide Weltmächte 1987 schriftliche Vertragsentwürfe vor. Bei dem Washingtoner Gipfeltreffen und danach konnten zwar einige weitere Verhandlungspunkte geklärt werden, aber nach Ansicht vieler Rüstungskontrollexperten befinden sich die Verhandlungen immer noch in einer tiefen Sackgasse, die primär durch grundlegend verschiedene Ansichten über die Rolle von strategischen Offensiv- und Defensivwaffen geprägt ist.2

Nachfolgend sollen eine Übersicht über den aktuellen Verhandlungsstand bei START (April 1988) gegeben sowie die Aussichten und die möglichen Folgen eines Abkommens erörtert werden. Insbesondere geht es dabei um die beiden Aspekte ob START tatsächlich zu einer allgemeinen 50prozentigen Reduzierung sämtlicher Nuklearwaffen und zu einer Eindämmung der qualitativen Rüstungsdynamik führen wird.3

Verhandlungsstand – Punkte der Übereinstimmung

Strategische Trägersysteme: Begrenzung der strategischen nuklearen Trägersysteme auf 1.600 Waffen, die eine Reduzierung der Anzahl von ICBMs, SLBMs und schweren Bombern einschließt. Jedoch bleibt ein Problem im Rahmen dieses Gesamtplafonds noch zu lösen: die USA wollen die Raketen zählen, während die Sowjets mehr für eine Zählung der Abschußgestelle sind. Das Problem der Nachladungen für Abschußgestelle soll als ein getrennter Gegenstand verhandelt werden und gilt nicht als ein größeres Hindernis. Fallengelassen hat die UdSSR inzwischen ihre Forderung nach einer Einbeziehung der sogenannten „Forward Based Systeme“, wodurch amerikanische INF-Systeme, Mittelstreckenbomber sowie Flugzeugträger miteinbezogen worden wären, die von der amerikanischen Administration nicht als strategische Systeme eingestuft werden.

Gefechtsköpfe: Beide Seiten vermindern die Anzahl ihrer strategischen Nukleargefechtsköpfe auf jeweils 6.000 Stück. Voraussetzung für diese Einigung war eine Absprache über die sogenannten Zählregeln (vgl. unten) für die Nukleargefechtsköpfe.

Untergrenzen: Bei ihrem Washingtoner Gipfeltreffen verständigten sich die USA und UdSSR auf eine Untergrenze von 4.900 Nukleargefechtsköpfen auf ballistischen Raketen - ICMBs und SLBMs - im Rahmen des Gesamtplafonds von 6.000. Innerhalb dieser Untergrenze haben die Sowjets einer weiteren Untergrenze von 1.540 Gefechtsköpfen auf 154 sogenannten schweren ICBMs zugestimmt. Dies würde auf sowjetischer Seite eine Halbierung der Anzahl von Gefechtsköpfen in dieser Kategorie von ICBMs (SS 18) bedeuten.

Zählregeln: Verständigt haben sich die Unterhändler inzwischen auch auf die Zählregeln,

Über welche die Anzahl des vorhandenen Gesamtbestandes an Gefechtsköpfen jeder Seite festgelegt wird, von der aus dann die vereinbarten Reduzierungen vorgenommen werden sollen. Diese Kriterien sind sehr wichtig, weil moderne ballistische Raketen eine große Anzahl von einzelnen Gefechtsköpfen tragen und strategische Bomber eine breit diversifizierte Waffenzuladung aufweisen können. Es ist äußerst schwierig, die tatsächliche Anzahl von Gefechtsköpfen oder Waffenzuladung auf diesen Trägersystemen jederzeit zu verifizieren. Aus diesem Grund basieren die Verhandlungsparteien ihre Reduzierungsberechnungen auf solchen Zählregeln.

Bezüglich ballistischer Raketen ist die Berechnungsgrundlage die Zahl der Gefechtsköpfe, mit denen ein bestimmter Typ bislang getestet worden ist. So ist z.B. für die neue amerikanische SLBM, die TRIDENT II, eine Anrechnung von 8 Gefechtsköpfen vereinbart worden. Jedoch hat die US Navy ursprünglich geplant, diese Rakete während des Washingtoner Gipfeltreffens auch in einer Version mit 12 Gefechtsköpfen zu testen. Würden nun 12 Gefechtsköpfe für diese Rakete als neue Zählregel vereinbart, dann müßten die USA die Anzahl von TRIDENT II SLBMs im Rahmen eines START-Abkommens vermindern, selbst wenn die Zahl der aktuell dislozierten Gefechtsköpfe auf diesem Raketentyp niedriger ausfällt.

Auch für strategische Bomber erzielten beide Seiten eine prinzipielle Einigung. Moderne strategische Bomber können drei verschiedeneTypen von Nuklearwaffen tragen: Bomben, Luft-Boden-Raketen (ASMs) und luftgestützte Marschflugkörper (ALCMs). Die USA und die Sowjetunion verständigten sich darauf, daß alle Bomben und ASMs an Bord eines Bombers als ein Gefechtskopf innerhalb der Gesamtobergrenzen von 6.000 zählen. So würde einem strategischen Bomber, der eine Waffenzuladung von 24 Bomben/ASMs hat, nur ein Gefechtskopf, und nicht 24 angerechnet. Dagegen zählt jeder ALCM als ein Gefechtskopf. Ein Bomber, bestückt mit 8, 12 oder 22 ALCMs, würde daher mit der entsprechenden gleichen Anzahl von Gefechtsköpfen in die Gesamtrechnung eingehen. Schwierigkeiten gibt es jedoch noch bei der genauen Festlegung, wieviele ALCM einem spezifischen Bomber angerechnet werden sollen. So haben die Sowjets amerikanische Vorschläge zurückgewiesen, der B-52 oder B-1 erheblich weniger als die 12 oder respektive 22 ALCMs anzurechnen, die sie tatsächlich als Waffenzuladung aufnahmen können.

Seegestützte Marschflugkörper: Bei dieser Waffenkategorie konnten sich beide Weltmächte bislang nur darauf verständigen, daß es prinzipiell eine Obergrenze für diese Waffen geben sollten, die aber außerhalb des anvisierten Gesamtplafonds von 1.600 Trägersystemen und 6.000 Gefechtsköpfen liegen wird.

Verifikation: Fortschritt haben die USA und UdSSR, vor allem beim Gipfeltreffen in Washington, in der Festlegung des prinzipiellen Umfangs und der Art von Verifikationsmaßnahmen erzielt. Die vorgesehenen Verifikationsmaßnahmen bauen auf dem INF-Vertrag auf, gehen aber weit über diesen hinaus. Sie haben im Rahmen von START auch ein größeres Gewicht. Während bei den zur Verschrottung vorgesehenen INF-Flugkörpern nur zu kontrollieren ist, daß keine Seite künftig mehr solche Systeme besitzt, würden bei den strategischen Waffen trotz der vereinbarten Reduzierungen weiterhin Systeme sämtlicher Kategorien stationiert sein. Im einzelnen wurde vereinbart: 1) Datenaustausch vor Unterzeichnung des Vertrages; 2) Inspektionen zur Datenüberprüfung unmittelbar nach Inkrafttreten des Vertrages; 3) Vor-Ort-Inspektionen bei der Eliminierung strategischer Waffen; 4) ständige Vor-Ort-Beobachtung an den Zugängen wichtiger Produktions- und Unterstützungseinrichtungen für strategische Waffen; 5) kurzfristige Vor-Ort-Inspektionen von im Vertrag deklarierten Einrichtungen; 6) das Recht zu kurzfristigen Vor-Ort-Inspektionen auch an anderen Stellen, wenn der Verdacht einer Vertragsverletzung besteht; 7)Verbot der Verschlüsselung von telemetrischen Signalen bei Raketentests; 8) kooperative Maßnahmen, die insbesondere den Einsatz der nationalen technischen Mittel zur Verifikation, z.B. Satellitenbeobachtung, effektivieren. Dies schließt z.B. die Zurschaustellung von Raketen, Bombern und U-Booten im Freien auf ihren Basen ein, wenn eine Vertragspartei ein entsprechendes Verlangen äußert.

Bereiche differierender Positionen

Verknüpfung START und SDI/ABM-Vertrag: Die Bereitschaft zum Abschluß eines START-Vertrages verbindet die sowjetische Seite mit der nicht verhandelbaren Bedingung, Reduzierungen von strategischen Offensivwaffen nur mit einer verbindlichen amerikanischen Zusicherung der weiteren Einhaltung des 1972 geschlossenen und weiterhin gültigen ABM-Vertrages (Anti-Ballistic Missile) vorzunehmen. Dabei geht es konkret um die Vereinbarkeit von SDI mit einem START-Abkommen. Die UdSSR argumentiert, daß ohne eine vertraglich verbindliche Verständigung über strategische Defensivsysteme im Kontext von START die Verminderung ihrer strategischen Raketen für sie keinen Sinn ergebe. Für die Sowjetunion sind ihre strategischen Raketen, insbesondere die ICBMs, das wichtigste Faustpfand für das Einfordern einer solchen „Linkage“ in den Verhandlungen.

Ungeklärt ist zwischen beiden Verhandlungsparteien, wie lange und auf welche Weise sie den ABM-Vertrag einhalten wollen. Die Sowjetunion fordert zehn Jahre, die USA bieten sieben Jahre an. Jedoch verständigten sich der amerikanische Präsident und der sowjetische Generalsekretär bei ihrem letzten Gipfeltreffen darauf, nicht später als drei Jahre vor dem Ende der noch zu bestimmenden Gültigkeitsdauer des ABM

Vertrages „intensive Diskussionen über strategische Stabilität“ aufzunehmen.

Falls während dieser drei Jahre keine Vereinbarung über das weitere Vorgehen bezüglich weltraumgestützter Defensivsysteme erzielt werden kann, soll es jeder Seite freistehen, über ihr künftiges Handeln in diesem Bereich selbst zu entscheiden. Danach könnten die USA also ein strategisches Raketenabwehrsystem stationieren.

Zwar wurde beim Washingtoner Gipfeltreffen auch verabredet, den ABM-Vertrag wie 1972 unterzeichnet zu beachten, jedoch ist strittig, was dieser Vertrag nun genau an Forschung, Entwicklung und Erprobung von BMD-Komponenten erlaubt. Die UdSSR sieht hier sehr enge Grenzen gezogen („restriktive Auslegung“), während die USA die sogenannte weite Interpretation für gerechtfertigt halten. Allerdings deuteten die sowjetischen Unterhändler eine gewisse Kompromißbereitschaft an, indem sie vorschlugen, eine Liste zu erstellen, in der festgelegt wird, welche Arten von BMD-Technologien und Tests genau erlaubt sein sollen.

Untergrenzen: Ein weiterer Streitpunkt bezieht sich auf das Problem, wie die als Höchstgrenze vereinbarten 6.000 Nukleargefechtsköpfe auf den verschiedenen Kategorien von strategischen Offensivwaffen verteilt sein sollen. Auf gewisse Untergrenzen haben sich beide Seiten inzwischen schon weiter verständigt (4.900 Sprengköpfe auf ballistischen Raketen sowie innerhalb dieser Untergrenze 1.540 Sprengköpfe auf den schweren sowjetischen ICBMs; siehe oben). Darüber hinaus haben jedoch sowohl die USA als auch die UdSSR im Laufe der Zeit verschiedene weitere spezifische Untergrenzen vorgeschlagen und sich dabei gegenseitig beschuldigt, über dieses Mittel den anderen zu einer vollständigen Umstrukturierung seines strategischen Nukleararsenals zu zwingen und dies zum eigenen Vorteil vertraglich festzuschreiben. Die strategischen Potentiale beider Seiten sind sehr asymmetrisch aufgebaut: So haben die USA den Großteil ihrer Nukleargefechtsköpfe in ihrer strategischen Triade auf U-Boote und auch ihre schweren Bomber verteilt (ICBM: 18 %; SLBM: 43 %; Bombergestützt [ALCM/SRAM/Bomben]: 39 %), während der Großteil sowjetischer Sprengköpfe sich auf landgestützten, ICBMs befindet (ICBM: 61 %; SLBM: 29 %; Bombergestützt: 10%).

Den USA geht es bei START vor allem um die weitere Begrenzung sowjetischer ICBMs. Innerhalb der Untergrenze von 4.900 Gefechtsköpfen auf ballistischen Raketen streben sie eine weitere von 3.300 Gefechtsköpfen für ICBMs an. Eine weitere geforderte Untergrenze bei schweren ICBMs hat sich durch das sowjetische Einverständnis einer Halbierung ihres Bestands in dieser Kategorie bereits erledigt. Da der amerikanische Vorschlag direkte Untergrenzen für den see- und bombergestützten Teil der strategischen Triade nicht vorsieht, wäre es den USA erlaubt, erheblich weniger als die 3.300 erlaubten Gefechtsköpfe auf ICBMs zu dislozieren und den dort eingesparten Anteil auf SLBMs, Bombern oder ALCMs zu verschieben. Im Extremfall könnten die USA sogar ganz auf ICMBs verzichten. Eine derartige Umstrukturierung des strategischen Potentials soll nach amerikanischer Auffassung jedoch nur einmal möglich sein. Mit diesem Vorschlag versuchen die USA, ihren seit Mitte der 80er Jahre ohnehin im Gang befindlichen Umrüstungsprozeß ihres strategischen Arsenals, der langfristig eine Verlagerung der militärischen Konkurrenz auf Bomber und Marschflugkörper anstrebt, wo relative rüstungstechnologische Vorteile der USA gegenüber der Sowjetunion bestehen, rüstungskontrollpolitisch abzusichern.

Die Sowjetunion hat demgegenüber weitere Untergrenzen vorgeschlagen, welche die Struktur ihres strategischen Potentials weitgehend erhalten und zugleich amerikanische Vorteile im Rüstungswettlauf begrenzen helfen. Sie will das von den USA geforderte Limit bei ICBM-Gefechtsköpfen jedoch nur akzeptieren, wenn die amerikanische Seite die Zahl ihrer Sprengköpfe auf den strategischen U-Booten in dem gleichen Rahmen halten. Allerdings möchte die UdSSR lieber Untergrenzen bei Gefechtsköpfen für alle drei Komponenten der strategischen Triade setzen:

  • 3.000–3.300 auf ICBMs,
  • 1.800–2.000 auf SLBMs und
  • 800–900 auf ALCMs.

Dadurch werden Grenzen für eine Umschichtung der Gefechtsköpfe auf andere Träger gesetzt. Die Vorgabe einer maximalen Höhe von Nukleargefechtsköpfen auch auf SLBMs und ALCMs bedeutet konkret, daß die USA je nach Vereinbarung zwischen 3.000–3.300 Sprengköpfe auf ICBMs dislozieren müssen, wenn sie den vereinbarten Gesamtplafond von 6.000 Gefechtsköpfen ausfüllen möchten. Für die USA würde die Annahme dieses Vorschlags implizieren, daß sie nur 10 strategische U-Boote mit SLBMs einsetzen könnten und gezwungen wären, ihrem ICBM-Arsenal 1.000 nicht gewünschte Gefechtsköpfe hinzuzufügen.

Mobile landgestützte ICBM: Dem amerikanischen START-Vertragsentwurf zufolge sollen mobile ICBMs verboten sein, während die sowjetische Version diese Waffenkategorie zuläßt. Im Gegensatz zu den USA baut und stationiert die UdSSR gegenwärtig mobile ICBMs (SS-24 und SS-25). Auf sowjetischer Seite wird argumentiert, daß mobile Raketen die strategische Stabilität mehr fördern würden als statische, in Silos dislozierte ICBMs, weil erstere sicherer vor einem überraschenden Erstschlag seien und die betroffene Seite nicht vor das „use them or lose them“-Syndrom stellen. Die Reagan-Administration hält schlicht dagegen, daß mobile ICBMs nicht verifizierbar seien. Jedoch könnte sich die amerikanische Haltung zu dieser Frage ändern, weil es einerseits im US-Kongreß starke Unterstützung für eine mobile ICBM mit einem Gefechtskopf (Midgetman) gibt und andererseits die Regierung momentan ernsthaft die Dislozierung einer auf Eisenbahnwaggons mobilen Version der MX erwägt. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt darin, ob sich beide Seiten auf akzeptable Verifikationsprozeduren sowie auf Obergrenzen für mobile ICBMs einigen können. Bezüglich des Verifikationsproblems hat die sowjetische Seite angeregt, mobile ICBMs auf vorher festgelegte Dislozierungsräume zu beschränken. Zum letzteren Aspekt hat die UdSSR inzwischen ihre Bereitschaft zu einem Limit von 800 mobilen Raketen erklärt.

Seegestützte Marschflugkörper: Die Entwicklung von Marschflugkörpern im allgemeinen und von SLCMs im besonderen hat für die Rüstungskontrolle eine Reihe von erheblichen Schwierigkeiten aufgeworfen. Zwar sind sich beide Verhandlungsparteien darin einig, Obergrenzen für nuklearbestückte SLCMs langer Reichweite außerhalb des 6.000 Gefechtskopf-Limits zu suchen. Doch von einer Verständigung über die SLCM-Obergrenzen und ein Verifikationsregime sind die USA und die UdSSR noch weit entfernt.. Die sowjetische Seite hat eine Begrenzung von 400 SLCMs vorgeschlagen, die auf zwei verschiedenen Typen von U-Booten sowie einer Klasse von Überwasser-Kriegsschiffen stationiert sein dürfen. Gleichzeitig strebt sie auch eine Limitierung fr die mit konventionellen Gefechtsköpfen bestückten SLCMs auf 600 Stück an. Zur Verifikation der Unterscheidung zwischen nuklearen und konventionellen SLCMs unterbreitete die UdSSR den Plan, Inspektoren an den Produktionseinrichtungen und den Stützpunkten zu stationieren, wo die Gefechtsköpfe auf die Marschflugkörper aufgesetzt werden. Angeregt wurde auch die Anbringung von Siegeln an den Gefechtsköpfen oder die Überwachung mit Hilfe von radiologischen Gerätschaften. Vor-Ort-Inspektionen der U-Boote oder Schiffe sollten nur bei Bedarf vorgenommen werden. Der sowjetische Chefunterhändler Karpow hat jüngst deutlich betont, daß es ohne verifizierbare Restriktionen für SLCMs kein START-Abkommen geben wird. Er schloß auch ein Tauschgeschäft der Art aus, SLMCs und mobile ICBMs im Austausch gegenseitig vollständig abzurüsten. Innerhalb der amerikanischen Administration herrscht gegenwärtig eine heftige Debatte, welche Obergrenzen für nukleare SLCMs und welche Art von Verifikationsmaßnahmen akzeptabel sein könnten. Limits fr konventionell bestückte SLCMs als auch ALCMs kommen für die Reagan-Regierung in keinerweise in Frage, denn diese Version der Marschflugkörper ist ein fest eingeplanter Bestandteil der Aufrüstung und Modernisierung des eigenen militärischen Potentials. Auch im amerikanischen Kongreß sind einflußreiche Stimmen für die Aufrechterhaltung der Option einer umfangreichen Dislozierung von konventionellen SLCMs und ALCMs vorhanden.

Reichweite von Marschflugkörpern: Erhebliche Differenzen bestehen zwischen beiden Verhandlungsseiten auch hinsichtlich der bedeutenden Frage, ab welcher Reichweite Marschflugkörper als strategische Waffensysteme eingestuft werden sollen. Die USA wollen Marschlugkörper erst mit einer Reichweite ab 1.500 km als strategisch zählen, während die Sowjetunion hier auf einer Schwelle von 600 km beharrt. Dieser Reichweitenstreit gewinnt seine eminent militärische Bedeutung insbesondere im Zusammenhang mit der von den USA als erforderlich angesehenen kompensierenden Nuklearrüstung, die vorrangig auf ALCMs und SLCMs unterhalb der strategischen Ebene abhebt, für Westeuropa im Gefolge des INF-Abkommens. Aber auch wegen möglicher Einsätze von Marschflugkörpern bei Interventionen in der Dritten Welt wollen die USA die Reichweite, ab der diese Systeme als strategisch gelten sollen, relativ hoch angesiedelt wissen.

Modernisierung der strategischen Arsenale: Die Modernisierung strategischer Waffensysteme innerhalb der vertraglich gesetzten numerischen Grenzen soll zwar erlaubt sein, doch sollen nach amerikanischer Ansicht neue schwere ICBMs nicht zulässig sein. Zudem bestehen die USA noch auf geeigneten Verifikationsprozeduren für ein Modernisierungsverbot schwerer ICBMs.

Zeitdauer der Reduzierungen: Die USA schlagen einen Zeitraum von sieben Jahren für die Realisierung der vereinbarten Reduzierung im Rahmen von START vor, während die sowjetische Seite hier eine Spanne von fünf Jahren anstrebt. Darüber hinaus möchte die UdSSR die Gegenseite darauf verpflichten, anschließend Verhandlungen über weitere Reduzierung zu führen.

Verifikationen: Die noch zu lösenden Schlüsselpunkte bei der Verifikationsfrage betreffen die Art und Weise der Überwachung der noch zu vereinbarenden Limits bei mobilen ICBMs und SLCMs. Hier ist gegenwärtig wenig Fortschritt zu verzeichnend

Abrüstungspolitische Folgen von START

Legt man den gegenwärtigen Verhandlungsstand und den sich abzeichnenden Rahmen eines START-Abkommens zugrunde, so ist Skepsis angebracht, ob dadurch tatsächlich ein Weg zu allgemeiner Abrüstung geöffnet wird.

Entgegen dem von der amerikanischen als auch sowjetischen Seite verbreiteten Eindruck, ein START-Abkommen würde zu einer 50prozentigen Reduzierung auf gleiche Obergrenzen bei den strategischen Offensivwaffen führen, sieht die rüstungskontrollpolitische Realität anders aus. Ein START-Vertrag würde weder die strategischen Trägersysteme, die Gesamtzahl der strategischen Nukleargefechtsköpfe noch die Gefechtsköpfe auf ballistischen Raketen halbieren. So hat das „Natural Resources Defense Council“ in einer Studie ausgerechnet, daß bei den strategischen Trägersystemen die USA lediglich um 26 % und die UdSSR um 35 % ihren jetzigen Bestand reduzieren würden. Der einzige Bereich, in dem wirklich eine Bestandshalbierung stattfinden würde, wären die Nukleargefechtsköpfe auf den sowjetischen ballistischen Raketen (von ungefähr 9.400 auf 4.900), während die USA hier um 40 % vermindern würden.4

Zieht man jedoch die Gesamtzahl der Gefechtsköpfe vor und nach einem Vertrag heran, dann wird jede Seite faktisch über mehr als die 6.000 Gefechtsköpfe verfügen, die als Gesamtobergrenze für START in Aussicht genommen sind. Der Hauptgrund dafür liegt in den Zählregeln für die Waffenzuladung strategischer Bomber (s.o.). Da die Bomber mehr an Waffen mitführen können, als ihnen voraussichtlich angerechnet wird, werden die realen Verminderungen bezogen auf diesen für das strategische Kräfteverhältnis wichtigen Indikator vor allem für die USA deutlich geringer ausfallen. Nach den Berechnungen des „Natural Resources Defense Council“ wird die amerikanische Seite ihren Gesamtbestand an strategischen Nukleargefechtsköpfen nur um 30 % reduzieren. Nach einem START-Abkommen verbleiben den USA tatsächlich rund 9.000 Gefechtsköpfe. Die Sowjetunion würde ihr Arsenal um ca. 30 % auf rund 7.000 Gefechtsköpfe vermindern. Weil die UdSSR einen großen Teil ihrer Gefechtsköpfe auf ICBMs disloziert hat profitiert sie von den Zählregeln für Bombe; nicht in dem Maße wie die USA. Insgesamt würde sich das strategische Arsenal an Gefechtsköpfen beider Weltmächte zusammengenommen lediglich um rund ein Drittel vermindern.5

Im Rahmen eines START-Vertrages müßten beide Seiten ein beträchtliches Maß an Systemen aus ihrem strategischen Potential aussondern und verschrotten. Dabei wird die UdSSR eine größere Anzahl an Waffensystemen und auch eine höhere Zahl an neueren Raketen zu eliminieren haben. Da jedoch die Verschrottung frühestens 1989 und auch nicht auf einmal, sondern verteilt auf einen Zeitraum von 5-7 Jahren stattfinden würde, fällt der Zeitpunkt der Aussonderung in vielen Fällen ohnehin mit dem Ende der Nutzungsdauer der betroffenen Waffensysteme zusammen. Ein START-Abkommen würde daher mit den Austausch- und Modernisierungszyklen der vorhandenen strategischen Waffensysteme nicht groß konfligieren. So wurden z.B. die gegenwärtig 28 strategischen U-Boote der Lafayette/Franklin Klasse der USA zwischen 1963 und 1967 eingeführt. Ihre Aussonderung und Ersetzung durch U-Boote der Ohio-Klasse ist für den Zeitraum zwischen 1993 und 1999 vorgesehen. Der amerikanische B-52G Bomber wurde von 1958 bis 1960 und das B-52H Modell zwischen 1960 und 1962 gebaut. Diese Bomber werden gegenwärtig durch die B-1B ersetzt und ab 1992 soll der ganze Bomberbestand auf den „Advanced Technology Bomber“ mit „Stealth“-Technik umgerüstet werden. Die sowjetischen Militärs müßten z.B. teilweise oder ganz ICBMs der Typen SS-17, SS-18 und SS-19 verschrotten, die erst zwischen 1975 und 1980 disloziert und darüber hinaus kürzlich modifiziert und verbessert worden sind.6

Die vorhergehenden Ausführungen deuten bereits an, daß ein START-Vertrag einer Modernisierung der strategischen Offensivpotentiale beider Seiten nicht sonderlich im Weg stehen würde. Sowohl die USA als auch die UdSSR können mit sämtlichen in der Forschung, Entwicklung, Erprobung oder Stationierung befindlichen strategischen Offensivwaffen fortfahren (USA: B-1B; SRAM II; Advanced Technology Bomber; TRIDENT II D5 SLBM; Advanced Cruise Missile; Advanced Strategic Missile etc.; UdSSR: SS-24 und SS-25 ICBMs; Typhoon und Delta IV U-Boote; SS-N-20 und SS-N-23 SLBMs; der Black-Jack-Bomber; AS-15 ALCM etc.). Gegenwärtig produzierte Systeme könnten unter START mit ihren geplanten Stückzahlen entweder vollständig oder mit kleineren Abstrichen disloziert werden (z.B. USA: 100 B-1B Bomber; 17 Trident U-Boote mit Trident II SLBMs anstelle von 20).7

Die unter einem START-Abkommen kaum eingeschränkten Modernisierungsmöglichkeiten der strategischen Arsenale werden daher in der Folge zu einer Fortsetzung der technologischen Rüstungsdynamik wie bei SALT führen. Für die abgerüsteten Systemen werden die Militärs als Kompensation noch leistungsfähigere Offensivwaffen fordern. Beim technologischen Rüstungswettlauf im Bereich der strategischen Offensivwaffen stehen vier Schlüsselbereiche im Vordergrund: „Zero/Near Zero Circular Error Probable Reentry Vehicies“, „Manuevering Reentry Vehicies“, „Earth Penetrator“-Gefechtsköpfe sowie Nuklearwaffen der „Dritten Generation“ (z.B. Strahlenwaffen, die ihre Energie aus einer Nuklearexplosion gewinnen).8 Diese von einem START-Vertrag mit Sicherheit beschleunigten rüstungstechnologischen Entwicklungslinien werden neue gravierende Probleme für das militärischen Kräfteverhältnis zwischen den beiden führenden Weltmächten aufwerfen und dürften wohl kaum zu einer höheren strategischen Stabilität, zu einer Verminderung des nuklearen Kriegsrisikos, führen.

Eines der von den Verhandlungsparteien deklarierten Ziele der START-Verhandlungen soll die Verbesserung strategischer Krisenstabilität sein. Dabei geht es um die Verminderung des Anreizes für jede Seite, in einer ernsthaften Krise zuerst zuzuschlagen. Quellen von Instabilität sind die potentielle Verwundbarkeit von strategischen Waffensystemen oder Führungs- und Kontrollsystemen einer Seite durch einen Angriff, auch wenn beide Kontrahenten über eine sogenannte gesicherte Zweitschlagsfähigkeit verfügen. Sollte eine Seite einen gewichtigen Teil ihrer strategischen Waffensysteme in einer verwundbaren Stationierungsart aufgestellt haben, dann wird die Versuchung zu präemptiven Aktionen groß sein, wenn ein Krieg für unmittelbar bevorstehend gehalten wird. Um dieses Risiko zu vermindern, könnten einerseits wirksame, von beiden Seiten akzeptierte politische Lösungsmechanismen und Prozeduren entwickelt werden, die das Umschlagen einer Krise in Krieg verhindern, und so langfristig einen Verzicht auf nukleare Abschreckung ermöglichen könnten. Andererseits sind auf der militärischen Ebene rüstungskontrollpolitische Schritte denkbar, welche die Verwundbarkeit strategischer Waffensysteme sowie der Führungs- und Kontrollsysteme durch Präemptionsschläge herabsetzen.

In seiner bisherigen Anlage wird ein START-Abkommen die strategische Krisenstabilität kaum nachhaltig verbessern, sondern vielleicht sogar verschlechtern. Die Reagan-Administration bezeichnet die landgestützten ICBMs als die destabilisierendsten Systeme, da sie einerseits aufgrund ihrer Genauigkeit und Schnelligkeit relativ sicher gehärtete Ziele wie Raketensilos zerstören können, andererseits aber selbst sehr verwundbar durch einen Angriff sind. Mit entsprechenden Regelungen könnte START durchaus das Problem der Verwundbarkeit von ICBMs lösen helfen. Durch Modernisierungs- und Erprobungsbeschränkungen, die Verbesserungen der Zielgenauigkeit von ballistischen Raketen verhindern oder verlangsamen, ließen sich die Möglichkeiten für eine Zerstörung festverbunkerter ICBMs reduzieren. Eine weitere denkbare Maßnahme könnte in der erheblichen Reduzierung von ICBMs mit Mehrfachsprengkopf (MIRV)-Technik bestehen, die für die Gegenseite

zuerst lohnenswerte Ziele darstellen. Mobilität ist ein weiterer Lösungszugang. Insbesondere durch den Übergang zu relativ unverwundbaren mobilen ICBMs könnten nicht nur die Krisenstabilität im bestehenden nuklearen Abschreckungssystem deutlich verbessert, sondern auch der Weg zu weiteren tiefen Einschnitten in das gesamte strategische Arsenal beider Seiten geöffnet werden.

Sowjetische Wissenschaftler haben im vergangenen Jahr eine leider bislang im Westen wenig beachtete Studie vorgelegt, in der sie verschiedene Optionen für radikale nukleare Rüstungsreduzierungen und die dabei erforderlichen Bedingungen für die Wahrung strategischer Stabilität näher untersucht haben.9 In dieser Studie wird auch die Möglichkeit einer 95prozentigen Reduzierung der nuklearen Potentiale der beiden führenden Weltmächte erörtert. Die sowjetischen Experten schlagen bei dieser radikalen Reduzierungsvariante faktisch ein Modell einer nuklearen Minimalabschreckung vor, bei der jede Seite über ein Potential verfügt, welches nur zu einem einzigen Vergeltungsschlag fähig ist und dem potentiellen Aggressor unakzeptablen Schaden androhen kann. Unter den verschiedenen Rüstungsoptionen bei dieser Variante sehen sie diejenige zur Gewährleistung wechselseitiger Sicherheit als optimal an, bei der jede Seite über ein Potential von ungefähr 600 leichten, mit jeweils einem Gefechtskopf bestückten ICBMs verfügt, von denen ein Teil mobil stationiert sein sollte. An die Realisierung einer solchen auf radikalen Reduzierungen basierenden nuklearen Minimalabschreckung sind jedoch verschiedene Bedingungen geknüpft: die USA und die UdSSR verzichten auf sämtliche andere Typen von strategischen Offensivwaffensystemen (Bomber, Marschflugkörper, SLBMs etc.), die taktischen Nuklearwaffen beider Seiten werden gänzlich eliminiert, die Nuklearwaffen der anderen Nuklearmächte müssen proportional reduziert oder vollständig abgeschafft werden, der ABM-Vertrag ist weiterhin gültig, es existiert ein Stationierungsverbot für weltraumgestützte Waffen und ASAT-Systeme jeglicher Art, ein vollständiger und allgemeiner Nuklearteststopp-Vertrag ist in Kraft und die Herstellung von Spaltmaterial zum Bau von Nuklearwaffen ist untersagt.

Der gegenseitige Übergang zu mit einem Gefechtskopf bestückten ICBMs, von denen ein Teil ständig mobil gehalten wird, würde jeder Seite praktisch die Möglichkeit nehmen, einen entwaffnenden Erstschlag mit Aussicht auf Erfolg zu führen, da die Anzahl der Gefechtsköpfe und der militärischen strategischen Hartziele gleich und ein Teil des Potentials durch seine Mobilität nahezu unverwundbar ist. Eine derartige Situation würde das Vertrauen beider Seite in strategische Stabilität stärken. Nach Ansicht der sowjetischen Experten sind ICBMs SLBMs in bezug auf eine Verbesserung strategischer Stabilität u.a. deshalb vorzuziehen, weil erstere über wesentlich zuverlässigere Führungs

und Kontrollverbindungen verfügen. Dadurch fällt auch die Wahrscheinlichkeit eines nicht autorisierten Abschusses, d.h. eines zufälligen Nuklearkriegs aufgrund eines technischen Fehlers oder Irrtums erheblich geringer aus. Als durchaus lösbar wird auch das Problem einer zuverlässigen Verifikation insbesondere der mobilen ICBMs angesehen.

Den Ergebnissen der sowjetischen Studie zufolge wird die weitere Modernisierung und Diversifizierung der strategischen Nukleararsenale beider Seiten, selbst wenn die numerische Parität dabei gewahrt bleibt, zu einer deutlich weniger stabilen militärstrategischen sowie militärpolitischen Situation führen. Die amerikanischen Reduktionsvorschläge bei START und ihre Implikationen verhindern eine solche Entwicklung nicht, sondern fördern sie im Gegenteil eher. Ihr Kern besteht darin, einerseits Abrüstung durch tiefe Einschnitte nur bei bestimmten Waffensystemen, nämlich ballistischen, speziell landgestützten Raketen und ihren Gefechtsköpfen zu suchen. Auf der anderen Seite soll parallel dazu die sowjetisch-amerikanische Rüstungskonkurrenz durch eine verstärkte Umrüstung der strategischen Arsenale auf vorgeblich stabilitätserhöhende, weniger verwundbare seegestützte Raketen sowie langsamfliegende Bomber und Marschflugkörper verlagert werden. Konkret geht es jedoch für die USA darum, die inzwischen veralteten, verwundbaren, weniger treffgenauen und nicht gegen gehärtete Ziele einsetzbaren ballistischen Raketen mittel- und langfristig durch neue Systeme zu ersetzen, die basieren auf neuen (Unterstützungs-) Technologien genau diese Defizite beheben. Zugleich soll die militärische Konkurrenz in einen Bereich relativer rüstungstechnologischer Vorteile der USA verschoben werden.

Stellt man in Rechnung, daß in einer stabilen militär-strategischen Situtation keine Seite einen Anreiz zu einem präemptiven Gebrauch von Nuklearwaffen (Shoot or lose them-Syndrom) sowie die Fähigkeit zu einem entwaffnenden Erstschlag haben sollte und daß der größte Teil des sowjetischen strategischen Potentials auf landgestützten ICBMs ruht, dann wirkt der amerikanische START-Ansatz kontraproduktiv. So soll z.B. die neue Trident 2 D-5 SLBM, deren erste Dislozierung für Ende 1989 geplant ist, aufgrund einer erheblich gesteigerten Treffgenauigkeit über die Eigenschaft verfügen, gehärtete, festverbunkerte Raketenstellungen zerstören zu können.10 Dadurch wird sich die bisherige militärische Funktion des seegestützten Teils der strategischen Triade erheblich ändern. Die Verwendung von strategischen Bombern und Marschflugkörpern in einer Erstschlagsrolle ist trotz ihrer Langsamflugeigenschaften keineswegs ausgeschlossen. Die extreme Treffgenauigkeit von Marschflugkörpern verschafft neue Optionen. So stellt die Modernisierung ihrer strategischen Bomberstreitmacht („Advanced Strategic Bomber“, „Advanced Cruise Missile“, „Advanced Short-Range Attack Missile“) für die USA ein Schlüsselelement dar, um künftig vor allem die zunehmenden landgestützten mobilen ICBMs der sowjetischen strategischen Streitkräfte zu bekämpfen.11 Dadurch würde ein wichtiger Teil künftiger nuklearer Abschreckungsmacht der UdSSR nachhaltig gefährdet. Im Ergebnis wird eine Realisierung der amerikanischen START-Konzeption in Verbindung mit der einhergehenden Rüstungsverlagerung und gesteigerten qualitativen Rüstungsdynamik aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Zunahme von Instabilitäten führen.

Aussichten für ein Abkommen und weitere Abrüstung

Der Textentwurf eines START-Abkommens soll zur Zeit rund 350 Seiten umfassen und ca. 1.200 „Klammern“ mit ungelösten und strittigen Fragen enthalten. Wie dem Verhandlungsstand entnommen werden kann, sind noch mindestens sechs Grundsatzprobleme zu lösen, die den Kern der sicherheitspolitischen Konzepte und der strategischen Arsenale beider Weltmächte berühren. In der gemeinsamen Erklärung des Moskauer Gipfeltreffens wurden die bisherigen Übereinstimmungen festgeschrieben und konkretisiert. Weiter heißt es dort:

„Bei der Erörterung der strategischen Offensivwaffen auf dem jetzigen Treffen in Moskau ist es gelungen, die Bereiche der Übereinstimmung wesentlich zu erweitern insbesondere in der Frage der luftgestützten Flügelraketen und in bezug auf die Versuche, eine Lösung für das Problem der Kontrolle mobiler Interkontinentalraketen zu finden und möglichst zu vereinbaren.“

Auf größere Probleme deutet folgende Passage hin: „Die Seiten erörterten ferner die Begrenzung der stationierten seegestützten Flügelraketen großer Reichweite, die mit Kernladungen bestückt sind.“12

Im April dieses Jahres hat Paul Nitze, Hauptberater des amerikanischen Außenministers in Rüstungskontrollfragen, öffentlich einen Vorschlag zur Diskussion gestellt, der wesentlich zur Lösung eines Grundsatzproblems beitragen könnte. Er regte an, daß die USA und UdSSR auf seegestützte Marschflugkörper mit Nuklearsprengkopf ebenso verzichten sollten wie auf nuklear bestückte Seeminen und Torpedos sowie auf von Flugzeugträgern mitgeführte Atombomben. Durch solch einen Verzicht könnte der Streit um die SLCMs ansatzweise gelöst werden. Allerdings bleibt weiterhin das Problem bestehen, wie mit den konventionell bestückten SLCMs verfahren werden soll. Nitzes Anregung hat in der Reagan-Administration einen heftigen Streit in Gang gesetzt. Starke Opposition kommt vor allem von den Vereinigten Generalstabschefs. Für die amerikanische Marine stellen die SLCMs, von denen sie 4.000 Stück sowohl nuklear als auch konventionell ausgerüstet beschaffen will, die Waffen der Zukunft dar. Angesichts dieser starken Interessen ist Skepsis angebracht, ob diese Empfehlung von Nitze als ein offizieller Verhandlungsvorschlag bei START eingebracht wird. So hat die amerikanische Regierung auch jüngst ein von der UdSSR vorgeschlagenes gemeinsames Verifikationsexperiment zur Unterscheidung zwischen nuklearen und konventionellen SLCMs abgelehnt.13

Ein START-Abkommen allein wird den Rüstungswettlauf nicht eindämmen und den Weg zu weiteren radikalen Abrüstungsschritten und einer nuklearwaffenfreien Welt öffnen. Dafür hat ein eventueller Vertrag noch zu viele Mängel. Darüber hinaus verbinden sich mit START recht gegensätzliche politische und militärische Verhandlungsinteressen beider Seiten. Allerdings würde ein solches Abkommen die Legitimationsbasis für künftige Aufrüstung weiter erheblich schmälern.

Ein reales Interesse an gleichgewichtigen Verminderungen aller strategischen Waffensysteme ist in der Reagan-Administration trotz aller öffentlichen Abrüstungsrethorik nie vorhanden gewesen. Ihr rüstungskontrollpolitischer Ansatz läuft darauf hinaus, Rüstungssteuerung und die Modernisierung des eigenen strategischen Potentials durch eine Mixtur aus Abrüstungs- und Umrüstungsmaßnahmen zu verbinden. Mit ihrer vorrangigen Konzentration auf die Reduzierung der ballistischen Raketen grenzt sich die Reagan-Administration in ihrer Rüstungskontrollpolitik von Konzepten einer allgemeinen 50prozentigen Abrüstung sämtlicher strategischer Nuklearwaffen ab. Ihrer Bedrohungsperzeption entsprechend strebt die US-Administration keine generelle nukleare Abrüstung an, sondern primär eine Verminderung oder gar Beseitigung von bestimmten, als bedrohlich empfundenen militärischen Fähigkeiten der UdSSR. Vom militärischen Kalkül her gesehen zielt die von den USA angestrebte erhebliche Reduzierung ballistischer, gegen gehärtete Ziele einsetzbarer Raketen der UdSSR in Verbindung mit der geplanten Rüstungsverlagerung auf überlebensfähigere und auch zielgenauere strategische Offensivsysteme (vor allem Bomber und Marschflugkörper) auf eine deutliche Erschwerung sowjetischer Zielplanungen. Aus amerikanischer Interessensicht soll durch die Umrüstung auf einen stärker diversifizierten und weniger verwundbaren strategischen Waffenmix ein höherer Grad an flexiblen und selektiven Kriegsführungsoptionen sichergestellt und so Eskalationskontrolle gewährleistet werden.14

Noch deutlicher wird das hinter START stehende militärstrategische Kalkül, wenn man die Verbindung zu SDI herstellt. So erkannte die Reagan-Administration, daß sich über ein unilaterales Modernisierungs- und Aufrüstungsprogramm im Bereich strategischer Offensivwaffen alleine keine grundlegende Änderung des Kräfteverhältnisses gegenüber der UdSSR erzielen läßt, selbst wenn sich die Zielrichtung der Aufrüstung auf die qualitative Dimension der Rüstungskonkurrenz konzentriert. Einen Ausweg aus diesem strategischen Dilemma sah Reagan durch die Besinnung auf die traditionelle amerikanische Überlegenheit an technologischer Innovationsfähigkeit. Über ihre „Initiative zur strategischen Verteidigung“ erhofft sich die amerikanische US-Regierung eine rüstungstechnologische Lösung des sicherheitspolitischen Problems, wie sowjetische Einsatzoptionen militärisch erheblich reduziert werden können.

Entgegen der offiziell deklarierten Aufgabenstellung von SDI, mittels eines umfassenden Schutzschirms Nuklearwaffen allgemein obsolet werden zu lassen, zielt dieses Programm primär auf eine weitgehende Neutralisierung sowjetischer zielgenauer und MIRV-fähiger ICBMs in Verbindung mit einer Punktzielverteidigung amerikanischer ICBM-Stellungen und C3I-Einrichtungen. Damit soll die sowjetische Zielplanung mit einem weiteren großen Unsicherheitsfaktor belastet werden. Eine signifikante Reduzierung sowjetischer ICBMs und eine vertraglich gesicherte Festschreibung dieses Potentials auf einem niedrigeren Niveau im Rahmen von START könnte den militärisch erfolgreichen Einsatz eines Raketenabwehrsystems in den Bereich des Realisierbaren rücken und würde damit einen deutlichen strategischen Vorteil der USA gegenüber der Sowjetunion bedeuten. Diesen innigen Zusammenhang zwischen START und SDI formulierte jüngst Botschafter Rowny, der Präsident Reagan und Außenminister Shultz in Rüstungskontrollangelegenheiten berät, explizit: „a good S.TA.R.T. treaty supports our goals for SDI. It's as simple as realizing that fewer offensive ballistic missile warheads - a smaller threat - make the defensive job that much easier. This is another reason we pursue a S.T.A.R.T treaty - and why we reject the Soviet offer to kill or cripple the Strategic Defense Initiative as the price of that deal.“15

Zwar hat auch Reagan öffentlich angekündigt eine nuklearwaffenfreie Welt anzustreben doch sucht er keine politische Lösung des Problems. Vielmehr setzt die Verwirklichung dieser Utopie für ihn die Stationierung von strategischen Defensivsystemen als eine Art Versicherungspolice voraus. Hinter solchen rüstungstechnologischen Lösungen von Sicherheitsproblemen verbirgt sich immer noch ein großes politisches Mißtrauen gegenüber der anderen Seite.

Für Gorbatschow ist hingegen der amerikanische Verzicht auf SDI eine notwendige Voraussetzung für allgemeine nukleare Abrüstung. Das Streben der USA nach umfassender strategischer Verteidigung wird von sowjetischer Seite als grundsätzlich destabilisierend angesehen, weil diese bei einer schrittweisen nuklearen Abrüstung den USA ein Erstschlagspotential an die Hand geben könnte. Gorbatschow hat der Abrüstung in der Formulierung sowjetischer Sicherheitsinteressen eine weitaus höhere Priorität eingeräumt, als dies jemals seit der Chruschtschow-Periode der Fall gewesen ist. Gleichzeit hat er einige bedeutende innovative Denkansätze zur Neubewertung von Sicherheitsbelangen im Atomzeitalter vorgetragen. So hat der sowjetische Generalsekretär nachdrücklich betont, daß es weder im Wettrüsten noch in einem Nuklearkrieg Sieger geben werde. Das Streben nach militärischer Überlegenheit bringe niemandem politischen Gewinn. Auch die Parität gilt ihm nicht mehr als eine Garantie für militärpolitische Zurückhaltung. Gerade die neue Einschätzung der Funktion von Nuklearwaffen und Folgen eines Nuklearkrieges ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der sicherheitspolitischen Neuorientierung der UdSSR.

Zwischen der politischen und militärischen Elite in der UdSSR hat sich offensichtlich Konsens über den abnehmenden militärischen Nutzen von Nuklearwaffen herausgebildet. Dieser Konsens läuft darauf hinaus, daß Nuklearwaffen nicht mehr länger für irgendwelche rationale militärische und damit gleichzeitig auch politische Ziele eingesetzt werden können. Ogarkow, vormals Chef des sowjetischen Generalstabs, hat z.B. die Unmöglichkeit betont, einen Nuklearkrieg begrenzt zu halten. Seiner Ansicht nach würde jeder begrenzte Einsatz von Nuklearwaffen unweigerlich zum sofortigen Einsatz des gesamten nuklearen Potentials der Kriegsgegner führen. Aufgrund der Anzahl und Mannigfaltigkeit der nuklearen Waffensysteme könne außerdem keine Seite hoffen, einen erfolgreichen nuklearen Erstschlag zur Entwaffnung des Gegners zu führen. Jeder Versuch, Nuklearwaffen anzuwenden, werde unvermeidlich in einem Weltkrieg und einer globalen Katastrophe enden, bei der die Existenz der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht. Das vorhandene nukleare Arsenal der beiden führenden Weltmächte sei daher vom militärischen Standpunkt aus absurd und jeder weitere Aufbau schlicht sinnlos. Da der primäre Hauptauftrag für die sowjetischen Streitkräfte in der Abschreckung eines nuklearen Angriffs auf ihr Land besteht, würde die UdSSR keine Nuklearwaffen brauchen, wenn die USA keine hätten. Kokoschin, stellvertretender Direktor des Instituts für USA- und Kanada-Studien, betonte jüngst ausdrücklich, daß das für die sowjetische Militärdoktrin neue maßgebliche Prinzip einer „vernünftigen Hinlänglichkeit“ der Rüstungspotentiale in letzter Konsequenz die Verpflichtung zu einer vollständigen Abrüstung der Nuklearwaffen bedeute.16

Für die jetzige politische Führung der UdSSR scheint offensichtlich die Erkenntnis handlungsleitend zu sein, daß Sicherheit nicht mehr mit militärischen Mitteln zu erlangen ist, sondern daß die Gewährleistung von Sicherheit eine prinzipiell politische Aufgabe ist. Hinter der gegenwärtigen sowjetischen Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik stehen somit im deutlichen Gegensatz zu den USA genuin politische Antriebsmotive, welche die Logik des Wettrüstens brechen, die Risiken des die Existenz der gesamten Menschheit bedrohenden nuklearen Abschreckungssystems sowie schließlich Krieg als Mittel der Politik überwinden wollen.

Solange sich jedoch die USA nicht auf eine derartig politisch bestimmte Vision einer nuklearwaffenfreien Welt einlassen und die tatsächlich vorhandene sowjetische Bereitschaft zu einem radikalen Rüstungsabbau nicht ernsthaft prüfen, wird die herrschende Rüstungskontrollpolitik wie bei START unweigerlich in eine Sackgasse führen.

Anmerkungen

1 SALT wurde jedoch nie vom amerikanischen Kongreß ratifiziert.

2 Für einen genaueren Überblick über die Verhandlungsgeschichte von START vgl. Eckhard Lübkemeier, Stichwort „SALT/START“, in: Wichard Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, Bonn (Bundeszentrale für Politische Bildung), Aktualisierter Nachdruck 1987, S. 404-416; Hans Heinrich Weise, START - Die Verhandlungen zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen, in: Soldat und Technik, 31 (3) 1988, S. 122-127; Ronald Lehmann, Die Verhandlungen über die Venringerung der strategischen Waffen: Ein Vertrag gewinnt Gestalt, in: NATO-Brief, 35 (4) Juli-August 1987, S.21 25  Zurück

3 Die Darstellung des Verhandlungsstands basiert im wesentlichen auf folgenden Quellen: The Arms Control Reporter; Douglas Clarke, A Primer on the Strategic Arms Reduction Talks, in: Radio Free Europe Research, RAD Background ReporU236, 10.12.1987; ders., Movement at the Washington Summit on Strategic Arms Accord, in: Radio Free Europe Research, RAD Background Report l245, 22.12.1987, ders., Restructuring of Another Kind: Strategic Forces, Radio Free Europe Research RAD Background Report/228, 1.12.1987, Tony Banks, Obstacles Still Facing the STMT Agreement, in: Jane's Defence Weekly, 9 (9) 1987; Disagreement on ABM, START Continues in Ninth Round of Talks, in: Arms Control Today, 18 (2) March 1988, S. 22; U.S. Congress, Congressional Research Service, Foreign Affairs and National Defense Division (Author: Steven A Hildreth), Arms Control: Negotiations to Reduce Strategic Offensive Nuciear Weapons, Issue Brief (IB86051), Washington D.C., Updated 2.2.1988; U.S. Congress, Congressional Research Service, Foreign Affairs and National Defense Division (Author: Steven A. Hildreth), Arms Control: Overview of the Geneva Talks, Issue Brief (IB85157), Washington D.C., Updated 2.2.1988; U.S. Congress, Congressional Research Service, Foreign Affairs and National Defense Division (Stanley R. Sloan, Issue Coordinator), Arms Control: Issues for Congress, Washington D.C., Updated 17.2.1988, Shultz, Shevardnadze Set Summit, But Make Little Progress on START, in: Arms Control Today,18 (4) May 1988, S. 19, 27

4 Vgl. Robert S. Nonris/William M. Arkin/Thomas B. Cochran, START and Strategic Modernization, Nuciear Weapons Databook Working Papers NWD 872, Natural Resources Defense Council, New York, December 1987, S. 12/13 Zurück

5 Vgl. Norris u.a.1987, S. 13 Zurück

6 Vgl. Norris u.a.1987, S. 17-20 Zurück

7 Vgl. USA - Sowjetunion: Nuklearstrategische Rüstung, in: Österreichische MilitärischeZeitschrift,25 (5) 1987, S. 462-465 Zurück

8 Vgl. Kosta Tsipis, Third-Generation Nuclear Weapons, in: World Armaments and Disarmament, SIPRI Yearbook 1985, London u. Philadelphia 1985, S. 83-106 Zurück

9 Vgl. Committee Soviet Scientists for Peace, Against the Nuciear Threat, Strategic Stability Under the Conditions of Radical Nuclear Arms Reductions, Report on a Study (Abridged), Moscow, April 1987 Zurück

10 Vgl. John D. Morrocco, START Talks Pose Questions on Strategic Modernization, in: Aviation Week & Space Technology vom 14.3.1988, S. 36 Zurück

11 Vgl. Morrocco 1988, S. 36 Zurück

12 Dokumentation in unsere Zeit v.4.6.1988, S.9 vgl.: Amerika-Dienst Nr. 22,8.6.1988, S. 5 Zurück

13 Vgl. Die „flexible response“ bleibt wirksam, in: FAZ vom 9.4.1987 und Arms Control Today,18 (4) May 1988, S. 19 Zurück

14 Vgl. für eine ausführlichere Analyse der amerikanischen Verhandlungsmotive bei START Michael Paul, Zur START-Politik der Reagan-Administration: Rüstungsverlagenung durch „Deep Cuts“? in: Beiträge zur Konfliktforschung, 18 (1) 1988, S. 31 Zurück

15 Rowny Contrats U.S. and Soviet Strategic Defense Programs, in: U.S. Policy Information and Texts, No. 51 vom 14.3.1988, S. 15 Zurück

16 Vgl. ausführlicher Michael McGwire, Why the Soviets Want Arms Control, in: Technology Review,40 (2) 1987, S. 36-45; Mary C. FitzGerald, Marshal Ogarkov and the New Revolution in Soviet Military Affairs, in: Defence Analysis,3. Jg., Nr.1/1987, S.37; Andrei A. Kokoshin, A. Soviet view on radical wespons cuts, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 44 (2) March 1988, S.17; Randolph Nikutta, Warum will die UdSSR Rüstungskontrolle?, in: Vorgänge, Heft 5 (Nr.89), September 1987, S. 49-64 Zurück

Randolph Nikutta arbeitet bei der Berghof-Stiftung für Konfliktforschung, Berlin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1988/3 Strategie Arms Reduction Talks, Seite