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W&F 1985/4

Startbahn für den Weltraumkrieg? Der ASAT-Test und die Osterinsel

von Jürgen Scheffran

Die Diskussion um das SDI-Programm läßt manchmal den Eindruck entstehen, als seien die angestrebten Weltraumwaffen nicht realisierbar und damit auch nicht weiter gefährlich. Allenfalls gehe es um Rüstung, die erst in ferner Zukunft Auswirkungen auf die militärische Strategie und unser ganzes Leben habe.

Dies ist ein großer Irrtum. Zwar dürfte das von Reagan geforderte Endziel eines wasserdichten Schutzschirms gegen einen nuklearen Angriff nicht realisierbar sein und viele der genannten exotischen Waffensysteme werden vorläufig auch exotisch bleiben. Sehr wohl aber sind viele einzelne Komponenten technisch machbar, und zwar nicht erst um die Jahrtausendwende, sondern bereits in den nächsten Jahren. Dies wird bereits jetzt konkrete Auswirkungen haben, vor allem auf den Prozeß von Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Dies zeigt nichts deutlicher als der Test der neuen Anti-Satelliten-Waffe (ASAT) der USA am 14. September dieses Jahres, mit dem erstmals ein Satellit im Weltraum zerfetzt wurde. Bemerkenswerterweise gab es bereits 1959 einen ähnlichen Versuch als Bestandteil einer ganzen Testreihe, doch wurde der Zielsatellit dabei vermutlich nicht zerstört. Die danach auf beiden Seiten erfolgenden Versuche mit ASAT-Waffen blieben mehr oder weniger erfolglos und lieferten bis heute keine bedrohliche ASAT Kapazität. Dies dürfte sich nun dramatisch mit der neuen ASAT- Waffe der USA ändern, die formal nicht Bestandteil des SDI- Programms ist, weil sie bereits von Präsident Ford in Auftrag gegeben und von Carter zögerlich weitergetrieben wurde. Zuletzt gab es heftigen Widerstand im Kongreß, der versuchte, das weitere Testprogramm aufzuhalten oder zumindest zu verzögern, wohl aus der Befürchtung heraus, daß die Sowjetunion sich dann nicht mehr an ihr Moratorium vom August 1983 halten werde und eine ähnliche Waffe entwickele. Wie es scheint, paßt diese neue hocheffektive Weltraumwaffe aber zu sehr in das Weltraumkriegskonzept Reagans, als daß er sie zugunsten der Genfer Verhandlungen opfern würde.

Warum dies so ist, wird aus einer Rekonstruktion des ASAT-Tests deutlich. Dabei soll auf veröffentlichte Daten und physikalische Gesetzmäßigkeiten zurückgegriffen werden. Es bleiben zwar zwangsläufig einige Unsicherheiten über die Genauigkeit der Angaben, doch läßt sich ein gewisser Eindruck über den realen Sachverhalt vermitteln. Aus Platzgründen sind Berechnungen hier nicht möglich, sind aber beim Autor . erhältlich.

Der ASAT-Test

Bei dem Test stiegen zwei F-15-Kampfflugzeuge mit einer 5,5 Meter langen ASAT Rakete von der Edwards Air Force Base in Kalifornien auf und flogen gen Westen über den Pazifik. Ihre Reichweite beträgt etwa 2500 km, was durch Nachtanken in der Luft auf 7500 km ausgedehnt werden kann. Etwa gleichzeitig wurde von nordamerikanischen Radars ein ausgedienter Satellit der USA erfaßt und verfolgt. Die Daten wurden an die Befehlszentrale NORAD im Cheyenne- Mountain (Colorado) weitergeleitet, wo das voraussichtliche Einsatzgebiet genau eingegrenzt wurde. Eine der beiden F- 15 flog zu einem bestimmten Planquadrat, von dem aus die Satellitenbahn erreicht werden konnte, stieg auf in 12 km Höhe und klinkte die ASAT-Rakete aus, deren 1. Stufe, eine ALTAIR-Luft-Boden Rakete aus den siebziger Jahren mit Feststoffantrieb, sogleich zündete.

In senkrechtem Anstieg gewinnt die Rakete rasch an Höhe, bis nach 140 Sekunden in etwa 80 km Höhe bei einer Geschwindigkeit von 2 km/s die 1. Stufe ausgebrannt ist und abgestoßen wird. Danach beginnt sogleich die Zündung der 2. Stufe, die auf der 4. Stufe der Scout- Rakete aus den sechziger Jahren basiert und eine hohe Zuverlässigkeit bewiesen hat. Durch Trägheitslenkung wird die Rakete in eine schräge Bahn gebracht in Richtung auf den geplanten Kollisionspunkt mit dem Satelliten. Nach 32 Sekunden in etwa 170 km Höhe ist auch diese Stufe ausgebrannt und die Endanflugsstufe „Miniature Homing Vehicle“ (MHV) fliegt mit etwa 6,8 km/ s auf einer ballistischen Bahn weiter. Der Satellit nähert sich mit einer Bahngeschwindigkeit von etwa 7,6 km/ s dem voraussichtlichen Kollisionspunkt. Bei etwa 150-200 km Abstand zwischen Abfangflugkörper und Satellit beginnt der Infrarotsensor des MHV, vermutlich ein Detektor aus dotiertem Germanium im Wellenlängenbereich von vielleicht 8- 28 Mikrometern den etwa - 30° C kalten Satelliten aufgrund seiner Wärmestrahlung zu erfassen und zu verfolgen. Nach dieser Ortung können 56 Mini- Triebwerke senkrecht zur Blickrichtung des Sensors gezündet werden, um Bahnabweichungen zu korrigieren. Die Koordination dieser Aktivitäten, die durch die stabilisierende Rotation des Flugkörpers mit 20 Umdrehungen pro Sekunde erschwert wird, erfolgt durch einen Bordcomputer automatisch. Damit wird die extrem hohe Zielgenauigkeit von weniger als 1 Meter möglich, die für eine Kollision notwendig ist. In 550 km Höhe schließlich stießen beide Objekte irgendwo über dem Pazifik zusammen und wurden durch die hohe Aufprallenergie pulverisiert. Aus dieser nüchternen Darstellung des Ablaufs ergeben sich nun weitreichende strategische Konsequenzen. Denn wenn diese ASAT-Waffe im Ernstfall tatsächlich so funktionert, wie mit dem jüngsten Test gezeigt wurde, ist jeder sowjetische Satellit, bis auf die in sehr hohen Bahnen, in wenigen Minuten praktisch ohne Vorwarnzeit auszuschalten. Dies ist zum einen möglich durch eine maximale Flughöhe von etwa 2000 km bei senkrechtem Aufstieg, die aus den gegebenen Daten errechnet werden kann. Bei schrägem Aufstieg ist die maximale Höhe geringer, doch ist dann eine seitliche Reichweite von bis zu 1200 km möglich. Damit sind die Satelliten in niedrigen Bahnen unterhalb 1000 km in jedem Fall erreichbar. Zum zweiten ist die Leistungsfähigkeit bedingt durch die Beweglichkeit der F-15-Flugzeuge, die ja auch für andere Zwecke eingesetzt werden und praktisch auf jedem größeren Flugplatz stationiert und gestartet werden können. Bei einer geeigneten Verteilung der Flugzeuge rund um den Globus können so Satelliten auf fast allen Bahnen erreicht werden. Bislang ist eine Stationierung an der Ost- und Westküste der USA geplant, so daß etwa 4 Umläufe eines Satelliten abgewartet werden müßten, bis dieser wieder in Reichweite ist, wenn es dabei bliebe.

Die Rolle der Osterinsel

Es gibt aber einen Punkt auf der Erde, der für diese ASAT-Waffe von äußerster strategischer Bedeutung ist. Dieser liegt im Südpazifik, exakt auf der gegenüberliegenden Seite der Erde zum sowjetischen Startgebiet Tyuratam für Weltraumraketen. Die Bahnen aller Satelliten von diesem Startplatz müssen sich in der Nähe dieses Antipodenpunktes ihrem ersten Umlauf notwendig kreuzen, weil ihre Bahnebenen durch den Startplatz und den Erdmittelpunkt festgelegt sind.

Allerdings liegt dieser Ort mitten im Meer und die F-15-Flugzeuge sind auf feste Start- und Landebahnen angewiesen. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß der nächste nutzbare Landpunkt die chilenische Osterinsel ist, in etwas über 2700 km Entfernung. Dies liegt etwas über der normalen Reichweite der F-15-Flugzeuge, nicht jedoch, wenn sie in der Luft nachgetankt werden. Tatsächlich gibt es auf der Osterinsel eine Startbahn, und es ist bekannt geworden, daß die USA von der chilenischen Militärjunta fordern, diese Flugbahn zur Notlandebahn für das Space Shuttle bauen zu dürfen.

In der Tat könnte die Osterinsel für ein Space Shuttle von dem neuen militärischen Startzentrum in Vandenberg (Kalifornien) kurz nach dem Start erreicht werden, doch fällt bei einer Betrachtung der Osterinsel auf, daß die Verlängerung der Bahn lediglich auf 3353 Meter begrenzt ist (wegen der Inselstruktur) und damit für eine Space- Shuttle- Landung eigentlich zu kurz ist. Da die bisherigen Landebahnen etwa 4,5 bis 5 km lang sind, bestünde die Gefahr, daß das Shuttle am Ende der Bahn ins Meer rutscht. In jedem Falle wird aber die technische Infrastruktur der Insel erheblich ausgebaut, wofür auch die Zahl der 500 Techniker spricht, die auf die Insel kommen sollen. Sollte es damit tatsächlich möglich sein, die Insel für den ASAT-Einsatz vorzubereiten, könnte sie im Kriegsfall leicht im Handstreich besetzt werden.

Sobald dann ein sowjetischer Raketenstart über die amerikanischen Frühwarnsatelliten gemeldet würde, könnte ein F-15-Flugzeug starten, das in 30 Minuten etwa 1500 km zurücklegen kann. Da sowjetische Satelliten etwa 20 Minuten nach ihrem Start die Satellitenbahnverfolgungsradars der USA im Pazifik überqueren, vor allem das auf dem Kwajalein Atoll, kann die Position recht genau bestimmt und über die Einsatzzentrale NORAD an das F-15-Flugzeug weitergeleitet werden, das daraufhin die Rakete in die geeignete Richtung losschießt. Diese fliegt dann nach Zündung der beiden Stufen nach 170 s unter einem Winkel von 45° auf den nächsten Punkt der Bahn zu. Nach etwa 340 s erreicht sie den bahnhöchsten Punkt in etwa 560 km Höhe in einer Entfernung von etwa 1200 km, wo der Zusammenstoß stattfinden kann. Die seitliche Reichweite beträgt damit innerhalb von etwa 40 Minuten rund 2700 km. Dies ist fast genau der Abstand von der Osterinsel zum Kreuzungspunkt sowjetischer Satellitenbahnen. Alle Satelliten in niedriger Höhe benötigen vom Start bis zu diesem Punkt etwa 45 Minuten, so daß sein Spielraum von 5 Minuten übrig bleibt.

Sollte diese Zeit zu kurz sein, wäre es möglich, die Flugzeuge beim Feststellen von Startvorbereitungen in der Sowjetunion bereits zu starten oder sogar ständig über dem Zielgebiet kreisen zu lassen. Dies käme vor allem dann in Betracht, wenn die Sowjetunion Satelliten von der anderen Startanlage in Plesetsk startet, die im Nordwesten von Tyuratam liegt. Der (durch die Erddrehung etwas verschobene) Antipode dazu ist von der Osterinsel etwa 5500 km entfernt, ist also mit Nachtanken in der Luft erreichbar.

Kriegsschauplatz Südpazifik?

Die angestellten Überlegungen sind natürlich kein Beweis für eine Absicht der USA, die Osterinsel zur Startbahn für den Weltraumkrieg zu machen, aber sie ergeben zusammen einen begründeten Verdacht würde die Osterinsel in eine Basis für die neue ASAT-Waffe der USA umfunktioniert, so könnte der Sowjetunion theoretisch wie mit einem Riegel der Zugang zum Weltraum versperrt werden. Dies würde ihr auch die Möglichkeit rauben, bereits abgeschossene Satelliten wieder zu ersetzen. Insbesondere sind von dort aus auch die bislang Unverlenklichen und sehr wichtigen sowjetischen Frühwarn- und Kommunikationssatelliten auf einer hochelliptischen Umlaufbahn erreichbar, die über der Südhalbkugel bis auf etwa 506 km an die Erde herankommen. Zudem könnte die Sowjetunion davon abgehalten werden, die USA beim Aufbau ihres Raketenabwehrsystems zu stören. Es ist anzunehmen, daß die Sowjetunion versuchen würde, dies durch Gegenmaßnahmen zu verhindern.

In einer Krise oder einem Krieg hat die Osterinsel also zwangsläufig eine große strategische Bedeutung, die sie und die umgebende Pazifikregion zum potentiellen Kriegsschauplatz macht. Vorsorglich hat Chiles Diktator Pinochet ein Gebiet von 200 km um die Osterinsel zu chilenischem Hoheitsgebiet erklärt. Dies alles dürfte kaum im Interesse der benachbarten Staaten liegen, die sich einer zunehmenden Militarisierung dieser Region gegenübersehen und um eine atomwaffenfreie Zone Südpazifik bemühen. Insbesondere die chilenische Militärregierung könnte zunehmende Schwierigkeiten bekommen, der eigenen Bevölkerung angesichts der wachsenden Probleme nun auch noch die Beteiligung am Weltraumkrieg der USA schmackhaft zu machen. Ohne eine Einbeziehung der gesamten Erdkugel, einschließlich des letzten Winkels der Welt, dürfte der „Krieg der Sterne“ aber nicht zu realisieren sein.

Jürgen Scheffran, Marburg, Diplomphysiker

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1985/4 1985-4, Seite