STEALTH II
von Ulrich Albrecht
Das »Dossier Stealth« im Informationsdienst hat ein bemerkenswertes Echo gehabt. Ein freundlicher Kommentar kam selbst aus der Vorstandsetage des neuen Rüstungsmulti Daimler-Benz („sehr informative Arbeit“). Ein substantieller Hinweis erfolgte auf Illustrationen zur Radarerfassung aus unterschiedlichen Winkeln der Stellung von Empfangsantennen sowie unterschiedlicher Stellung eines von Radar erfaßten Objektes. Abb. 1 gibt als gut nachvollziehbares Beispiel die Radarechos eines mittleren Kriegsschiffes wieder. Umrundet eine Radarantenne ein Schiff um 360°, so variiert das Echo: Bug (0°) und Heck (180°) geben verständlicherweise schwächere Echos als wenn das Schiff voll von der Breitseite erfaßt wird (bei 90° und 270°). Dort treten nicht überraschend die stärksten Echos überhaupt auf. Wegen des Vorhandenseins einer Anzahl planer Reflektorflächen bei Bug und Heck liegen hier keineswegs die Minima der Radarreflektionen. Diese werden vielmehr bei leichter Schrägsicht auf das Kriegsschiff erzielt.–Die Echos sind ferner (so Abb. 1) vom Azimut des Radarsignals abhängig. Die drei Linienkreise zeigen Radarechostärken bei drei unterschiedlichen Azimuten und ergeben, daß die Charakteristika der Reflektionen mit Bezug auf die Stellung des Schiffes voll erhalten bleiben. Der »Radarquerschnitt« eines Objektes ist mithin ein Mittelwert, wird er als einfache Zahl angegeben, und man muß genau fragen, ob er für minimale Reflektionsbedingungen, für Frontalsicht oder eine andere Stellung des erfaßten Objektes angegeben wird.
Solche Mittelwerte sind in der Abb. 2 wiedergegeben. Der Wert für den Menschen (1m2) erscheint überraschend hoch. Die Leistung der STEALTH-Ingenieure wird erkennbar, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß der Radarquerschnitt für Jäger nunmehr auf 0,01 m² geschätzt wird. Das entspricht einer Platte von 1 cm² oder, an vorhandenen Werten gemessen, dem von einem Singvogel erzeugten Radarecho.1
Stealth-Projekte in der UdSSR
Am substantiellsten bleiben die Hinweise, daß es auch in der UdSSR Stealth-Projekte gibt. Diese Hinweise konzentrieren sich auf das MiG-Team, die im Jägerbau legendäre Ingenieurgruppe, welche einst von Artem Mikojan (von diesem Bruder des sowjetischen Politikers stammt das »Mi« in der Teambezeichnung) und Gurewitsch (einem Mathematiker, »G«) begründet wurde. Der jetzige Leiter dieses Teams, Rostislaw Apollosowitsch Beljakow, äußerte auf dem Pariser Aerosalon in Bezug auf den Radarquerschnitt senkende Kunststoffe beiläufig: „Ich bin ein Fan der Verbundwerkstoffe. Sie sind widerstandsfähig, korrosionsfest und belastbar. Man kann Spezialbeschichtungen verwenden, die für STEALTH gut sind.“ 2 Im gleichen Zusammenhang ist von Forschungsprojekten die Rede, die auch STEALTH-Technologien einschließen.
Westliche Nachrichtendienste geben erstaunliche Details an. Das erste sowjetische Stealth-Flugzeug sei von dem MiG-Team konstruiert worden. Amtlich trage es die Bezeichnung MiG-37 (da gemäß russischem Brauch Kampfflugzeuge mit »männlichen«, ungeraden Zahlen durchnummeriert werden, hieße dies, daß nach der letzten bekannten MiG-Konstruktion, der MiG-31, zwei weitere neue Kampfflugzeuge entwickelt werden). Die NATO bezeichnet die sowjetische Stealth-Maschine als Jäger und hat ihr den Code-Namen »Ferret« (Frettchen) gegeben. Haben die Nachrichtendienste Recht, dann gibt es gar schon Untertypen (in einer japanischen Darstellung wird eine »B«-Variante von einer »E«-Variante unterschieden). Daraus wäre zu folgern, daß das sowjetische Flugzeug ähnlich wie sein amerikanisches Gegenstück, die Lockheed F-117, seit geraumer Zeit fliegt–und die sowjetische Technik auf diesem Gebiet nicht soweit hinterherhinkt, wie allgemein vermutet wird. Abbildungen der MiG-37 zeigen den für Stealth-Konstruktionen erforderlichen, im Vergleich mit herkömmlichen Flugzeugen ungewohnten Aufbau: Die Konstruktion vermeidet scharfe, besonders rechtwinklige Kanten und ist überall sorgfältig gerundet. Das kombinierte Höhen- und Seitenleitwerk (so wird eine Ruderfläche als Radarreflektor gespart) ist schräg am Rumpf angesetzt. Die Triebwerkeinläufe sind oberhalb der Tragflächen angeordnet, um ihre Erfassung durch Bodenradar von vorn und unten zu erschweren. Besonders aufwendig ist das Rumpfheck konstruiert. Die heißen Abgase der beiden Düsentriebwerke werden durch größere an der Rumpfoberseite angebrachte Schlitze sowie kleinere Zuführungen an der Unterseite mit Kaltluft vermischt. Eine weit nach hinten gezogene Schürze deckt die Triebwerkenden gegen eine Erfassung von unten ab, so daß die Infrarotkennung des Flugzeugs weitgehend abgeschwächt wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist solch ein Flugzeug ferner außen mit radarabsorbierenden Kunststoffen beschichtet.
Auch fertigungstechnisch hatten die sowjetischen Ingenieure bei der Stealth-Technologie dazuzulernen (der amerikanische Northrop-Bomber B-2 gilt besonders wegen der Innovationen bei seiner Herstellung als technisch revolutionär). Seit Ende der siebziger Jahre experimentiert man in der UdSSR mit Verbundwerkstoffen im Militärflugzeugbau. Zunächst tasteten sich die Ingenieure an die neuartigen Materialien mit Erfahrungen aus dem Metallflugzeugbau heran: radarabsorbierende Platten wurden in herkömmlicher Weise mit Nieten und Schrauben aus Metall befestigt. Das ergab Probleme bei der Verträglichkeit der sehr verschiedenartigen Materialien. Mittlerweile sollen anspruchsvolle Herstellungsverfahren (wahrscheinlich Klebetechniken) Verwendung finden.
Wie sein amerikanisches Gegenstück kann auch die sowjetische Maschine nicht aerodynamisch stabil fliegen. Die klassische Leitvorstellung im Flugzeugbau, gutes Flugverhalten sei durch Stabilität gekennzeichnet, und nach einer kleinen Störung (etwa durch eine Windbö) kehre ein solches Flugzeug von allein in den Geradeausflug zurück, muß aufgegeben werden. Für mehr Stabilität wären zusätzliche Steuerflächen nötig, und die sollen ja gerade wegen ihres überdurchschnittlich großen Radarechos vermieden werden. Der Generalkonstrukteur des MiG-Teams, Beljakow, bestätigte die Instabilität zumindest indirekt: „Die MiG-31 ist das letzte aerodynamisch stabile Flugzeug, welches wir herstellen werden.“ 3
Die Folge: das Stealth-Flugzeug benötigt eine umfängliche und anspruchsvolle Elektronik, da der Pilot allein die Maschine nicht in der Luft halten kann. Bei der MiG-31 werden als Hilfen für den Flugzeugführer ein „cleverer Autopilot“ (Beljakow) sowie mechanisch verstärkte Steuerungen eingesetzt. Für neuere sowjetische Stealth-Flugzeuge, ob sie nun MiG-37 heißen oder nicht, sind technologisch anspruchsvollere Mittel zur Aussteuerung von Instabilitäten um die verschiedenen Achsen erforderlich. Es wird interessant sein, diese aus westlichen Quellen stammenden Abbildungen später einmal mit der wirklichen MiG-37 zu vergleichen, wenn »Glasnost« zur Freigabe von Fotos dieser hochgeheimen Konstruktion führt.
Radarquerschnitte im Mikrowellenbereich
Objekt | m2 |
Insekt | 102 |
Vogel | 0,01 |
Luft – Luft | 0,5 |
Mensch | 1 |
Einmotoriges Sportflugzeug | 1 |
leichtes Jagdflugzeug | 2 |
Fahrrad | 2 |
schweres Jagtflugzeug | 6 |
Großes Motorboot | 10 |
Mittlerer Bomber | 20 |
Schwerer Bomber / Verkehrsflugzeug | 40 |
Jumbojet | 100 |
PKW | 100 |
LKW | 200 |
Anmerkungen
1) Daten nach Bill Sweetman, Stealth Aircraft, Osceola, Wis. (Motorbooks International) 198, S. 35. – Sweetman ist US-Korrespondent des als bestinformiert geltenden englischen Dienstes »Jane`s Defence Weekly«; diesen Hinweis verdanke ich Jürgen Altmann, Bochum. Zurück
2) „Mikoyan Design Group Upgrading MiG-29 With Fly-by-Wire Controls, New Cockpit“, in: Aviation Week & Space Technology, June 5, 1989, S. 81 Zurück
Dr. Ulrich Albrecht ist Professor für Politische Wissenschaften an der FU-Berlin