W&F 2005/2

Strahlende Strategen

Irans Nuklearprogramm und transatlantische Interessenlagen

von André Bank

Irans Atomprogramm beschäftigt zur Zeit die Außen- und Militärpolitiker von Teheran bis Tel Aviv, von Washington bis Berlin, Paris und London: Wie und mit welchen Mitteln kann der Bau iranischer Nuklearwaffen verhindert werden? André Bank über die längerfristigen Interessen und Strategien der wichtigsten am Atomkonflikt beteiligten Akteure: Irans pragmatische Konservative, die zweite Bush-Administration und die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die seit 2003 als »Vermittler« auftreten.

Anders als die Atommächte Israel, Pakistan und Indien hat der Iran den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV), auch Atomwaffensperrvertrag genannt, 1970 ratifiziert und damit sein Atomprogramm der Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) unterstellt. In den 1960er und 70er Jahren hatte das pro-westliche Schah-Regime Zugang zu ziviler Nukleartechnologie erhalten – nicht zuletzt aus der Bundesrepublik. Nach der islamischen Revolution von 1979 ruhte dann das iranische Atomprogramm; es wurde erst 1984 – während des Kriegs mit dem Irak – wieder aufgenommen. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die iranische Führung besonders Russland, China und Nordkorea in Fragen der Atomtechnologie zugewandt.1

Die Entwicklung des iranischen Nuklearprogramms

Die aktuellen Auseinandersetzungen wurden dadurch eingeleitet, dass die IAEA im August 2002 eine geheime Anlage zur Urananreicherung in Natanz und eine geheime Schwerwasserproduktionsstätte in Arak entdeckte. Die einsetzenden Meinungsverschiedenheiten zwischen der iranischen Führung und der IAEA verschärften sich, als der Direktor der iranischen Atomenergieorganisation, Reza Aghazadeh, im Mai 2003 – zeitgleich mit amerikanischen Drohungen gegen den Iran nach dem formellen Ende des Irak-Kriegs – erklärte, dass es nicht nur Teherans Intention sei, mit Unterstützung Russlands bis Ende 2005 den Leichtwasserreaktor in Bushehr am Persischen Golf fertig zu stellen, sondern auch den vollständigen Nuklearkreislauf zu entwickeln. Die nationale Unabhängigkeit beinhalte das Recht auf die zivile Nutzung der Nukleartechnologie. Eine umfassende Implementierung dieser Pläne würde den Iran in die Lage versetzen, Nuklearwaffen herzustellen und den Atomwaffensperrvertrag aufzukündigen.2

Die Drohung der iranischen Führung und die harschen Gegenreaktionen aus Washington riefen Mitte 2003 die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien als Vermittler auf den Plan. Die intensiven Verhandlungen zwischen der EU-3 und der iranischen Führung mündeten am 21. Oktober 2003 in der »Teheraner Erklärung«. In dieser verpflichtet sich der Iran zur kompletten Offenlegung des Nuklearprogramms sowie zur Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Atomwaffensperrvertrag, das restriktivere IAEA-Inspektionen erlaubt. Von den EU-Staaten wurde dem Iran dafür der Zugang zu moderner Technologie in Aussicht gestellt.3 Die einsetzende Phase der Entspannung war jedoch nur von kurzer Dauer, da IAEA-Chef Muhammad al-Baradei bereits Ende Februar 2004 eindeutige Hinweise auf iranische Geheimexperimente zum Auslösen einer atomaren Kettenreaktion mit Polonium vorlegte.4 Dieser Verstoß sowie iranische Versäumnisse, wie die bis dato noch ausstehende Ratifizierung des Zusatzprotokolls, wurden in der IAEA-Resolution vom 13. März 2004 aufgeführt. Im Gegenzug kündigte der iranische Chefunterhändler Hassan Rouhani an, die IAEA-Inspektionen der iranischen Atomanlagen vorerst auszusetzen.5

Dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen der iranischen Führung auf der einen, der EU-3 und der IAEA auf der anderen Seite, setzte sich bis Anfang 2005 fort.6 Mitte Juni 2004 legte Rouhani dem IAEA-Gouverneursrat dann eine mehr als tausendseitige Dokumentation vor, mit der nachgewiesen werden sollte, dass Irans Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Die IAEA widersprach und wies auf die unbekannte Herkunft von waffenfähigem Uran in Natanz sowie auf die ungemeldete Existenz moderner Gaszentrifugen hin. In ihrer Resolution vom 18. September 2004 drohte sie der iranischen Führung, bei Missachtung der Vereinbarungen den UN-Sicherheitsrat anzurufen, was ein verschärftes Sanktionsregime nach sich hätte ziehen können.7 In einer Absichtserklärung zwischen der EU-3 und Iran vom 15. November 2004 verpflichtete sich der Iran zur temporären Aussetzung der Urananreicherung. Im Gegenzug erklären die drei EU-Staaten, Irans Beitritt zur Welthandelsorganisation zu unterstützen, bei der zivilen Nuklearnutzung zu kooperieren und der Islamischen Republik eindeutige Sicherheitsgarantien zu gewährleisten.8 Seit der November-Erklärung ist es zwar zu mehreren iranisch-europäischen Gesprächsrunden gekommen, die jedoch bis Februar 2005 keine größeren Ergebnisse zeitigten. Das Tauziehen um Details und Verfahrensfragen geht also vorerst weiter.

Irans Atomprogramm und die pragmatischen Konservativen

Seit Mitte der 1990er Jahre bestimmt die Nuklearfrage die interne Strategiedebatte im Irak.9 Zwischen den Konservativen unter Revolutionsführer Khamene‘i und den Reformern unter Präsident Khatami herrscht Konsens über Irans Recht auf den Besitz moderner Nukleartechnologie und die strategische Bedeutung des Atomprogramms als defensive Sicherheitsgarantie. Unterschiede bestehen in der Art der öffentlichen Rechtfertigung des Nuklearprogramms, etwa wenn Khamene‘i die nationale Sicherheit und Unabhängigkeit herausstellt, während Khatami stärker ökonomische Aspekte betont.10

Die lose Fraktion der so genannten pragmatischen Konservativen ist ein weiterer zentraler Entscheidungsträger.11 Ihre beiden wichtigsten Vertreter sind der Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrats und enge Vertraute Khamene‘is, Hassan Rouhani, der als heißester Präsidentschaftskandidat für die Wahlen am 17. Juni 2005 gilt, sowie Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, der Chef des Schlichtungsrats und ehemalige Staatspräsident. Als Repräsentant der einflussreichen Handelsbourgeoisie pocht Rafsanjani auf eine wirtschaftliche Öffnung, vor allem gegenüber der EU, sowie auf einen weiteren Ausbau der Handelsbeziehungen zu Russland, Indien und China. Gerade China hat für ihn Vorbildcharakter, da es wirtschaftliche Öffnung mit autoritärer Herrschaft verbindet und damit an weltpolitischer Bedeutung zu gewinnen scheint. Trotzdem teilt Rafsanjanis mit den anderen Teilen des Establishments die Ansicht, dass Regimesicherheit nur mit einer defensiven Atomwaffenoption zu erreichen ist.

Offensichtlich geht es darum, unter dem Deckmantel eines zivilen Nuklearprogramms relativ kurzfristig ein atomares Abschreckungspotenzial gegen mögliche US-Angriffe zu entwickeln. Dabei wird eine Doppelstrategie verfolgt, die einerseits darauf abzielt, das eigene Nuklearprogramm nach und nach auszubauen und sich andererseits durch Verhandlungen mit den drei EU-Staaten und der IAEA vor Sanktionen oder Militärschlägen zu schützen. Daneben könnte sich das iranische Atomwaffenprogramm in zukünftigen Verhandlungen mit den USA, die angesichts des anti-amerikanischen Selbstverständnisses der Islamischen Republik (noch) ein Tabu darstellen, zudem als entscheidender »bargaining chip« im Austausch gegen eine umfassende Sicherheitsgarantie erweisen. Spätestens in diesem Stadium würde dann auch die von Rafsanjani geforderte, umfassende wirtschaftliche Öffnung auf die Agenda kommen.

Transatlantische Befindlichkeiten

In den letzten Monaten ist die Haltung der drei EU-Staaten gegenüber dem Iran fordernder geworden. Ursache ist sicher nicht nur der schleppende Verhandlungsverlauf, sondern auch das Bemühen, der transatlantischen Aussöhnung über einen gemeinsamen Schulterschluss im iranischen Atomkonflikt ein Stück näher zu kommen.12 Schließlich dürften die USA und die drei EU-Staaten darin übereinstimmen, dass eine iranische Atombombe verhindert werden muss, da sie die atomare Vormachtstellung Israels im Nahen und Mittleren Osten beenden und eine nukleare Rüstungsspirale forcieren würde. Allerdings haben die EU-Staaten auch eigene regional- und wirtschaftspolitische Interessen. So sind sie an der Aufrechterhaltung der Rolle der Islamischen Republik als regionalem Stabilitätsanker sowie als Garant europäischer Energiesicherheit interessiert. Zudem besitzen europäische Unternehmen bisher auf dem iranischen Markt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber US-Firmen, die aufgrund der umfassenden Sanktionen außen vor bleiben. Angesichts dieser vielschichtigen Interessenlage verfolgen die EU-3 im Atomkonflikt eine Strategie des »konditionierten Engagements«, die aus Anreiz- (Hilfe bei ziviler Nukleartechnologie) und moderaten Sanktionsmechanismen (Verhandlungsstopp bei Handels- und Kooperationsabkommen) besteht und auf die graduelle Veränderung der iranischen Position abzielt.13

Die US-Administration geht ihrerseits davon aus, dass eine iranische Atombombe unter allen Umständen verhindert werden muss.14 Da ihr primäres Interesse der Zementierung des regionalen Nuklearwaffenmonopols Israels und der eigenen hegemonialen Stellung im Nahen und Mittleren Osten gilt, hält sie sich alle Optionen offen, Militärschläge gegen iranische Atomanlagen und Raketenfabriken inklusive.15 Ob diese durchgeführt werden, hängt dann nicht zuletzt davon ab, welche Kräfte sich in der Bush-Administration durchsetzen. Zur Zeit lassen sich – vereinfacht gesagt – zwei einflussreiche Positionen unterscheiden: Neokonservative Hardliner wie Michael Ledeen vom American Enterprise Institute fordern als schnellstmögliche Lösung des Atomkonflikts einen gewaltsamen Regimewechsel in Teheran.16 Sie stehen Vizepräsident Cheney sowie Teilen des Pentagon nahe und koordinieren ihre Stimmungsmache in der »Coalition for Democracy in Iran«, der unter anderem auch Ex-CIA-Chef James Woolsey angehört.17 Die Gegenposition wird am prominentesten von Kenneth Pollack von der moderateren Brookings Institution vertreten. Pollack spricht sich aus historischen, militärischen, innen- und regionalpolitischen Gründen eindeutig gegen eine Iraninvasion der USA aus. Stattdessen fordert er eine mehrstufige Politik der Vereinbarungen in direkten bilateralen Verhandlungen zwischen der US-Regierung und der iranischen Führung.18

Die teilweise divergierenden Interessenlagen zwischen den EU-Staaten und der Bush-Regierung erschweren die Entwicklung einer gemeinsamen Strategie im iranischen Atomkonflikt. Trotzdem wird aber seit der iranisch-europäischen Absichtserklärung vom 15. November 2004 zunehmend eine »Good-Cop, Bad-Cop«-Arbeitsteilung deutlich.19 Die drei europäischen Staaten bieten positive Kooperationsanreize, die US-Regierung sorgt für die militärischen Drohgebärden.

Strahlende Aussichten

Nach Betrachtung der längerfristigen Interessenlagen und Strategien der drei zentralen Parteien in der iranischen Nuklearfrage zeigt sich, dass eine nachhaltige Konfliktlösung – im Sinne einer nuklearwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten – von keiner Seite angestrebt wird. Kurzfristig geht es Irans pragmatischen Konservativen um die Sicherung des eigenen Regimes durch Nuklearwaffen. Die möglicherweise einzige Chance, sie hiervon abzubringen, wäre eine amerikanische Nichtangriffsgarantie. Diese steht jedoch in einem unvereinbaren Widerspruch zum primären Interesse der US-Regierung, die gegenwärtig existierende regionale Machtasymmetrie und somit letztlich die eigene Hegemonialstellung aufrechtzuerhalten. Und schließlich kann auch die Rolle der EU-3 im iranischen Atomkonflikt angesichts vielschichtiger Eigeninteressen und der zuletzt aggressiveren Rhetorik gegenüber Teheran nicht als »unparteiisch vermittelnd« angesehen werden. Die Gefahr »strahlender Aussichten« bleibt wohl weiter real .

Anmerkungen

1) Vgl. Akbari, Semiramis: Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck – Rückfall ins Mittelalter oder pragmatischer Aufbruch? Frankfurt/Main, HSFK-Report 1/2004, S. 26-28.

2) Vgl. Thränert, Oliver: Stopping the Unstoppable? European Efforts to Prevent an Iranian Bomb, in: Reissner, Johannes / Whitlock, Eugene: Iran and its Neighbors: Diverging Views on a Strategic Region – Vol. II, Berlin, SWP, März 2004, S. 43.

3) Vgl. Statement by the Iranian Government and visiting EU Foreign Ministers, 21.10.2003 (www.iaea.org).

4) Vgl. Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran, Report by the Director General, 24.2.2004 (www.iaea.org).

5) Vgl. Bank, André: Atempause für Irans Führung – Äußerer Pragmatismus und innere Kontrolle sichern den Status Quo, in: Ausdruck – Das IMI-Magazin, April 2004, S. 18-19.

6) Vgl. Nirumand, Bahman: Iranisches Katz-und-Maus-Spiel, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober 2004, S. 1171-1174.

7) Vgl. Implementation of the NPT Safeguards Agreement in the Islamic Republic of Iran, Resolution adopted by the Board, 18.9.2004 (www.iaea.org).

8) Vgl. Massarrat, Mohssen: Iran: Atom-Konflikt auf Raten, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Januar 2005, S. 25.

9) Vgl. Chubin, Shahram: Whither Iran? Reform, Domestic Politics and National Security, Oxford, Adelphi Paper 342, 2002, S. 71-85.

10) Es ist ziemlich offensichtlich, dass das iranische Atomprogramm aus energie- und wirtschaftspolitischer Sicht wenig Sinn macht. Vgl. Massarrat, Mohssen: Teherans Atompolitik – Die Balance of Power und das regionale Sicherheitsdilemma, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, April 2004, S. 473-475. Allerdings ist eine solche Begründung im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags rechtlich kaum zu beanstanden.

11) Vgl. Taykeyh, Ray / Gvosdev, Nikolas K.: Pragmatism in the Midst of Iranian Turmoil, in: The Washington Quarterly, Autumn 2004, S. 33-56.

12) Vgl. Einhorn, Robert J.: A Transatlantic Strategy on Iran‘s Nuclear Program, in: The Washington Quarterly, Autumn 2004, S. 21-32.

13) Vgl. Reissner, Johannes: Europas Beziehungen zu Iran, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/2004, S. 48-54.

14) Vgl. Massarrat, Mohssen: a.a.O., April 2004, S. 476.

15) Seymour Hersh zufolge hat das US-Pentagon hierzu spätestens seit Sommer 2004 geheime Kommandos zur Bestimmung von mindestens drei Dutzend Angriffszielen (nukleare und chemische Arsenale sowie Raketenfabriken) in den Iran entsandt. Vgl. sein: The Coming Wars – What the Pentagon can now do in secret, in: The New Yorker, 24.-31.1.2005. Ali Akbar Dareini spricht davon, dass unbemannte US-Spionagedrohnen seit 2004 iranischen Atomanlagen sowie Luftabwehrstellungen inspizieren. Vgl. sein: Iran rejects demand on nuclear reactor, in: Washington Post, 13.2.2005. Möglicherweise könnte ein Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen aber auch von Israel ausgehen. Ein Indiz hierfür wäre die Lieferung von 500 BLU-109 Sprengköpfen, so genannten Bunkerknackern, durch die USA an Israel im September 2004. Vgl. Wagner, Jürgen: US-Waffenhilfe für israelische Präventivschläge gegen den Iran?, in: Ausdruck – Das IMI-Magazin, Oktober 2004, S. 19-20.

16) Vgl. exemplarisch Ledeen, Michael: Faster, Please – Iran needs change. We need to help – now, in: National Review Online, 7.2.2005.

17) Vgl. www.c-d-i.org.

18) Vgl. Pollack, Kenneth M.: The Persian Puzzle – The Conflict Between Iran and America, New York 2004, S. 374-432.

19) Vgl. Sanger, David E.: A ,Good-Cop, Bad-Cop‘ Approach on Iran, in: New York Times, 21.11.2004.

André Bank ist Doktorand am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg und Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2005/2 De-Eskalation, Seite