W&F 2024/1

Technologie und die Trans­formation Politischer Gewalt

Internationale Fachkonferenz, »Science · Peace · Security ’23«, TU Darmstadt, 20.-22. September 2023

Die diesjährige »Science · Peace · Security ’23« widmete sich dem Wandel von Technologien, deren Rolle in Kriegen und Konflikten sowie Fragen der Rüstungskontrolle. Ausgerichtet wurde die englischsprachige Konferenz von »TraCe«, einem hessischen BMBF-Forschungsverbund zu Transformationen politischer Gewalt, vom DFG-Sonderforschungsbereich »CROSSING« zu kryptografiebasierten Sicherheitslösungen und vom Forschungsverbund Naturwissenschaft, Abrüstung und internationale Sicherheit »FONAS«.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine macht allgemein die Bedeutung der Friedens- und Konfliktforschung sichtbar, und weist im Speziellen auf deren technische Forschungsfelder hin (u.a. Drohnenkrieg, Informationskrieg, Angriffe auf kritische Infrastruktur). Bereits 2019 veröffentlichte der Wissenschaftsrat als wichtigstes wissenschaftspolitisches Beratungsgremium in Deutschland seine Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung. Darin wies er auf einen dringenden Handlungsbedarf zur Stärkung der naturwissenschaftlich-technischen Friedens- und Konfliktforschung hin. Die Konferenzreihe »Science · Peace · Security« möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten. Sie wurde 2019 in Darmstadt gegründet, fand 2021 an der RWTH Aachen statt, und soll 2025 am Forschungszentrum Jülich stattfinden.

Zur dreitägigen wissenschaftlichen Konferenz in diesem Jahr wurden über 110 Teilnehmer:innen aus Deutschland sowie dem Ausland, u.a. dem Vereinigten Königreich, Italien und den Niederlanden begrüßt. Insgesamt waren über 50 verschiedene Organisationen und sowohl Wissenschaftler:innen aus der Natur- und Ingenieurwissenschaft, als auch den Geistes- und Sozialwissenschaften vertreten, sodass ein interdisziplinärer Austausch gefördert wurde. Das Spektrum des Programms war breit gefächert und spiegelte gesamtgesellschaftliche Diskurse im Lichte einer sich verändernden globalen Sicherheitslandschaft wider. In 40 Vorträgen, Workshops, Diskussionsrunden und Panels wurden aktuelle und zukünftige Herausforderungen im Bereich der technischen Friedens- und Konfliktforschung diskutiert. Von besonderer Relevanz waren folgende Themen:

  • Künstliche Intelligenz
  • unbemannte Waffensysteme
  • Raketen- und Raumfahrttechnologien (nukleare) Rüstungskontrolle
  • Regulierung biologischer und chemischer Waffen
  • Informationstechnologien zur Überwachung und Unterdrückung von Zivilist:innen
  • (zivile) kritische Infrastrukturen
  • Digital Peacebuilding
  • Mensch-Maschine-Interaktion
  • Dual-Use
  • Cyber-Angriffe und entsprechende Technologie- und Sicherheitspolitik.

Programm

Am ersten Tag der Konferenz wurde das Jahrestreffen von FONAS, geleitet durch den Vorsitzenden PD Dr. Jürgen Altmann (TU Dortmund) veranstaltet. Anschließend fand eine »Welcome Reception« statt, auf welcher Prof. Dr. Dr. Christian Reuter (PEASEC, TU Darmstadt) die Teilnehmer:innen begrüßte, den Pilotcharakter des Tagungsformats hervorhob und in das Programm führte. Dr. Thea Riebe (PEASEC, TU Darmstadt) führte in die anschließende Abend-Keynote von Dr. Oliver Meier (European Leadership Network) ein, in der dieser sich mit den Möglichkeiten für Friedens- und Konfliktforscher:innen beschäftigte, selbst aktiv zu werden und politische Prozesse für Rüstungskontrolle und Abrüstung zu unterstützen.

An den folgenden Konferenztagen standen Vorträge, Diskussionen und Workshops auf dem Programm. Nach offizieller Eröffnung der Konferenz, Grußworten des Vizepräsidenten der TU Darmstadt Prof. Dr.-Ing. Matthias Oechsner und durch den ­FONAS-Vorsitzenden Jürgen Altmann, folgte die Keynote-Rede von Prof. Dr. Alice Mattoni (Universität Bologna) über die Versprechen und Gefahren digitaler Technologien bei der weltweiten Bekämpfung von Korruption. Alice Mattoni präsentierte konkrete Beispiele, darunter solche aus Brasilien, und verdeutlichte, wie Graswurzelbewegungen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) einsetzen, um auf Korruptionsfälle aufmerksam zu machen. Sie unterstrich, dass der ermächtigende Aspekt der Technologienutzung in einigen Kontexten beeinträchtigt wird, da Einzelpersonen und Gruppen gewalttätige Erfahrungen machen, wenn sie beispielsweise über soziale Medien auf Korruption aufmerksam machen. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Rolle von IKT kontextabhängig zu bewerten und jeden Fall empirisch genau zu untersuchen. Im Rahmen ihrer Forschung werden neun Länder analysiert und miteinander verglichen.

Im Folgenden thematisierten Redner:innen in Vorträgen und Pitches den Stand der Rüstungskontrolle im Bereich nuklearer Waffen (u. a. Forschungszentrum Jülich GmbH, VERTIC, Open Nuclear Network, RWTH Aachen). Anschließend beschäftigten sich mehrere Vorträge mit geopolitischen Themen rund um (kritische) Infrastrukturen (Dr. Matteo Gerlini und Dr. Fabio Indeo, Universität Siena). Mit Blick auf die Thematik von Autonomie in Waffensystemen und Mensch-Maschine-Interaktionen zeigten mehrere Referent:innen aktuelle Entwicklungen und Paradigmenwechsel in dem Bereich auf (Dr. Christoph Ernst und Prof. Dr. Thomas Christian Bächle, Universität Bonn, HIIG). Weitere Referent:innen gingen auf die Gefahren der Bewaffnung ziviler Infrastrukturen ein (Dr. Regine Schwab, Universität Frankfurt, PRIF) und präsentierten kritische Perspektiven auf Themen im Kontext von Protest und Technologien (Miyerlandy Cabanzo, UTCH). Vor dem Hintergrund von Technikfolgenabschätzung und Dual-Use gingen mehrere Wissenschaftler:innen (u.a. von TU Darmstadt, IFSH, VERTIC) auf ethische Abwägungen in Technikentwicklungsprozessen ein, diskutierten Computermodellierungen im Kontext von Raketenabwehr und erörterten die Auswirkungen von Quantentechnologien auf Mechanismen der Rüstungskontrolle.

Darüber hinaus fanden diverse Vorträge zu den Themen Cyber-Operationen und Cyber-Sicherheit statt. Christina Rupp (Stiftung Neue Verantwortung) ging hierbei vor allem auf die normative Macht staatlicher Handlungen ein, während weitere Vortragende der Royal Holloway University of London und des IFSH die Bedeutung des Cyberspace innerhalb der europäischen Cybersicherheitsstrategie verdeutlichten. Im Kontext von biologischen, chemischen und konventionellen Waffen erläuterten Dr. Zenobia Homan und Saman Omar (King’s College London sowie University of Duhok) Problematiken hinsichtlich des Zugangs zu Informationen über Angriffe mit chemischen Waffen. Kolja Brockmann (SIPRI) sprach über die Nichtverbreitung von Trägerraketentechnologie. Schließlich wurden auch sicherheitspolitische und militärstrategische Aspekte thematisiert, u. a. vor dem Hintergrund des sogenannten »Tech War« zwischen den USA und China (Guangyu Qiao-Franco, Radboud University; PD Dr. Daniel Lambach, Jakob Landwehr-Matlé und Kai Oppermann, Universität Frankfurt, TU Chemnitz).

Prof. Dr. Markus Lederer und Laura Guntrum (TU Darmstadt) moderierten ein Dialog-Panel zur Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien in Friedensprozessen. Fabian Hoffmann (Geneva Graduate Institute), Charles Martin-Shields (IDOS), Kerem Tugberg Capraz (Berghof Foundation) und Laura Guntrum (PEASEC, TU Darmstadt) gingen hierbei auf Vor- und Nachteile von »digital peacebuilding« ein und veranschaulichten diese mit praxisnahen Beispielen.

In einer weiteren von Jürgen Altmann initiierten Panel-Diskussion leitete Anna-Katharina Ferl (PRIF) durch die Thematik neuer Militärtechnologien und die damit einhergehenden fundamentalen Herausforderungen für das internationale System. Zudem organisierte das VeSPoTec-Konsortium (»Verification in a complex and unpredictable world: social, political and technical processes«) einen interaktiven Workshop zur Zukunft nuklearer Verifikation vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Welt.

Wichtiger Teil des Tagungsprogramms waren ferner 13 Poster-Präsentationen, die mehrheitlich von Nachwuchswissenschaftler:innen zur Diskussion gestellt wurden. Sie deckten ein breites Themenspektrum von digitaler Mediennutzung in sozialen Bewegungen, politischer Gewalt, kritischen Infrastrukturen, Information Warfare, Hate Speech, sicherer Nachrichtenübermittlung bis hin zur Abrüstung und Rüstungskontrolle ab.

Nicht zuletzt erfolgte die Verleihung des ­IANUS-Preises 2023. Dr. Thea Riebe wurde der erste Preis für Ihre Dissertation zu Dual-Use Risiken von Informations- und Kommunikationstechnologien verliehen, Julian Bäumler, M.A. mit einer Masterarbeit zu Hate Speech Detection, Paul Jonas Kurz, B.Sc. mit einer Bachelorarbeit zu Gender Bias in der Gesichtserkennung und Dr. Alina Stöver für eine Dissertation zu Privatsphäre-Risiken bei Websites teilten sich den zweiten Platz.

Die Konferenz bot eine Plattform für den interdisziplinären Austausch, bei dem Vertreter:innen verschiedener Disziplinen Gelegenheit hatten, aktuelle Herausforderungen gemeinsam zu erörtern und mögliche Handlungsperspektiven zu entwickeln. Diese Diskussionen lieferten wertvolle Impulse insbesondere für die naturwissenschaftlich-technische Friedens- und Konfliktforschung.

Christian Reuter, Thea Riebe und Laura ­Guntrum

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2024/1 Konflikte im »ewigen« Eis, Seite 51–52