The Night After
von Redaktion
„The World After Nuclear War“ war das Thema einer wissenschaftlichen Konferenz, die im November 1983 in Washington stattfand. Eines ihrer wesentlichen Resultate: Es wird keinen „Day After“ geben.
Biologen, Chemiker, Physiker und Geographen untersuchten zwei Jahre lang in verschiedenen Szenarios die Auswirkungen eines Atomkrieges auf die klimatischen Verhältnisse der Erde. Ihre Prophezeiung: Schlimmer noch als die unmittelbaren Wirkungen von Druckwelle, Feuerstürmen und radioaktiver Strahlung seien die globalen ökologischen Schäden. Die Ausrottung des homo sapiens als Folge dieser Schäden sei nicht mehr auszuschließen. Den wesentlichen Gesichtspunkt verdeutlicht Carl Sagan anhand eines 5.000 Megatonnen-Szenarios (etwas weniger als die Hälfte des nuklearen Potentials in der Welt): Die gewaltigen Verbrennungsprozesse nach einer atomaren Explosion führen zur Bildung eines photochemischen Smogs, der einmal in die Stratosphäre gelangt - die Ozonschutzschicht der Erde angreift. Die normalerweise durch diese Ozonschicht absorbierte ultraviolette Strahlung würde als Folge ungehindert. auf die Erdoberfläche einwirken und im menschlichen Organismus erhebliche Schäden (Krebs, Genmutationen u.a.) hervorrufen.
Dann würde die Nacht kommen. 200 Millionen Tonnen des rußigen Smogs würden eine Erscheinung hervorrufen, die Stephen Schneider vom National Center for Atmospheric Research „a blacktop high-way three miles up“ nennt. Der Smog würde einen so großen Teil der Sonneneinstrahlung absorbieren, daß nur noch fünf Prozent der normalen Lichtmenge die Erde erreichte. Diese dauernde Dämmerung würde den Photosynthese-Prozeß, durch den die Grünpflanzen Sonnenenergie in chemische Energie (Kohlenhydrate) umwandeln, nahezu stoppen.
Für einige Monate würde diese Rauchschicht einen Temperatursturz hervorrufen. Die Oberfläche der Gewässer könnte bis zu einem Meter Tiefe gefrieren. Es herrsche ein „nuklearer Winter“.
Auf einen weiteren Aspekt machen die amerikanischen Forscher aufmerksam: Die Radioaktivität des Niederschlags ist gegenüber früheren Reports deutlich höher anzusetzen. Neuentwickelte Atombomben (sog. „low-yield atomic bombs“) schleudern den radioaktiven Staub weniger hoch in die Atmosphäre. Daraus folgt, daß der „fallout“ nicht auf ein weniger gefährliches Level „gekühlt“ worden ist, wenn er die Erde erreicht. 30 Prozent des nordamerikanischen Territoriums würden von einer radioaktiven Strahlung befallen, deren Intensität höher sei als 200 rads (das ist mehr als die Hälfte der letalen Dosis).
Dämmerung am hellen Tag
Die Aussagen von Sagan, Ehrlich, Schneider er al. decken sich weitgehend mit den Untersuchungsergebnissen, die auch der Mainzer Luftchemiker Prof. Dr. Paul J. Crutzen auf der Konferenz referierte. Crutzen hatte bereits im Frühjahr 1982 seine Analysen (zusammen mit John W. Birks) in der schwedischen Wissenschaftszeitschrift „ambio“ publiziert (Titel: „The Atmosphere After a Nuclear War: Twilight at Noon“, ambio, Vol 11, No. 2-3, pp 114-125, 1982) und inzwischen um wichtige Berechnungen ergänzt. (Die Max-Planck-Gesellschaft veröffentlichte seine wichtigsten Resultate in einer umfangreichen Presseerklärung vom 26. 10.83.)
Auf Crutzen geht u.a. die - inzwischen als gesichert geltende Theorie zurück, daß Stickoxyde, wenn sie über 20 Kilometer Höhe hinaus in die Stratosphäre gelangen, dort den verstärkten Abbau von Ozon bewirken. Kernwaffenexplosionen erzeugen eine beträchtliche Menge an Stickoxyden, die mit dem Explosionsfeuerball in große Höhen steigen.
In der Troposphäre begünstigen Stickoxyde zusammen mit Kohlenmonoxyd und Methan sowie hoch reaktiven Kohlenwasserstoffen anders als in der Stratosphäre die Entstehung von Ozon. Der aus diesem Stoffen gebildete photochemische Smog führt jedoch dazu, daß Ozon in solchen Konzentrationen entsteht, daß es giftig wirkt und die Photosynthese der Pflanze beeinträchtigt. (Crutzen hat nun detailliert nachgerechnet, welche Auswirkungen die Waldbrände und die Feuer in Erdöl und Erdgas verarbeitenden Industrieanlagen auf die Atmosphäre haben.
Aus dem „Ambio“-Szenarium ließ sich ableiten, daß nach einem Nuklearkrieg mindestens eine Million Quadratkilometer Wald brennen würde. Das entspricht der Fläche von Dänemark, Schweden und Norwegen. Dadurch würden mehrere Millionen Tonnen Stickoxyde gebildet, ebenso einige zehn Millionen Tonnen Kohlenwasserstoffe. „Der Kohlenmonoxydpegel würde global auf das Zwei- bis Vierfache, über den Kontinenten lokal noch weit höher, ansteigen. In derselben Größenordnung läge die Belastung aus brennenden Erdöl- und Erdgasförderungs- und Verarbeitungsanlagen.“ (Presseerklärung der MPG)
Crutzen kommt zu dem oben schon genannten Ergebnis einer nahezu die gesamte Nordhalbkugel der Erde überziehenden Staub- und Rußschicht, die den größten Teil des für die Aufrechterhaltung der pflanzlichen Stoffwechselfunktionen notwendigen Lichtes absorbieren würde. Der Autor hat unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren errechnet, daß für die Dauer von 10 bis 30 Tagen höchstens zehn, möglicherweise aber nur ein Prozent des Sonnenlichts zum Erdboden durchdringen können.
Diese 30 Tage und länger dauernde Dämmerung und Kälte würde entscheidende ökologische Kreisläufe auf der Erde ganz empfindlich stören und Hungerkatastrophen unvorstellbaren Ausmaßes erzeugen.
Überleben möglich?
Die Weltföderation der Wissenschaftler - ein Zusammenschluß von Wissenschaftlerverbänden und Gewerkschaften aus den sozialistischen und aus einigen westeuropäischen Ländern - hat sich jüngst ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt und eine Studie zu den möglichen Folgen eines Atomkriegs vorgelegt.
Gestützt auf die verschiedenen Einzelstudien (UNO, Päpstliche Akademie der Wissenschaften, AMBIO etc.) versucht die WFW-Expertise eine Gesamtbilanz zu ziehen. Untersucht werden die unmittelbaren Zerstörungen in Folge eines Atomkrieges, mögliche Wirkungen durch radioaktive Strahlung (Massenkrankheiten, Seuchen, mentale Schäden...) und langfristige ökologische Konsequenzen. Auch hier ziehen die Autoren den Schluß:
„In der Natur besteht ein höchst flexibles ökologisches Gesamtsystem, das in der Lage ist, einen Gleichgewichtszustand aufrechtzuerhalten und Änderungen bis zum gewissen Grade auszugleichen (...) Diese Flexibilität des globalen Ökosystems in einem Kernwaffenkrieg herauszufordern, das wäre ein Spiel mit den Existenzbedingungen der Menschheit.“