W&F 1987/1

Thesen zur „Militarisierung der Psychologie“

von Winfried Mohr

  1. Die Ausgaben für militärische Forschung in den Bereichen Medizin, Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Geschichte usw. haben von 1973 mit ca. 8,5 Mio. DM bis 1987 (Haushaltsplan) mit ca. 34,4 Mio. DM stark zugenommen. Gleichzeitig stellen Psychologen der Bundeswehr (Psychologische Rundschau, 1985, 26, S. 177) wachsenden Bedarf an Psychologen fest, denn „Personal (wird) zunehmend als „kritische Schwachstelle“ in militärisch-technischen Systemen angesehen und daher dem „Faktor Mensch“ ein immer stärkeres Gewicht beigemessen“.
  2. Trotz dieser Hinweise auf Militarisierungstendenzen der Psychologie steht ihr konkreter Nachweis noch aus. (Für andere Wissenschaften übrigens auch!). Es genügt dabei nicht, auf militärische Anwendung von Psychologie zu verweisen und einzelne militärische Forschungsprojekte. Um von Militarisierung einer Einzelwissenschaft sprechen zu können, muß ein erheblicher Anteil der Forschung und/oder Anwendung vorwiegend militärischen Zwecken dienen.
  3. Was ein „erheblicher Anteil“ ist, muß nach verschiedenen Kriterien beurteilt werden. Der Aufwand an Drittmitteln aus militärischen Quellen ist dabei nur eines unter mehreren. Bedeutsam ist gleichermaßen, inwieweit Ressourcen für andere Forschung eingeschränkt werden, welcher Anteil an Erstausstattung für die militärische Forschung eingebracht wird, wieviele Personen damit befaßt sind, wie eng bzw. breit der Kreis der Projektteilnehmer ist, welchen Status diese in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und damit auch welchen Einfluß sie auf die Wissenschaft haben usw.
  4. Militarisierung darf nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung in der Auswahl von Fragestellungen betrachtet werden, vielmehr ist auch der Einfluß auf die Theoriebildung, auf das Menschenbild der Psychologie zu berücksichtigen. Es ist zu prüfen, inwieweit militärische Forschung nicht einen negativen „theoretischen spin-off“ bewirkt.
  5. Unter diesem Gesichtspunkt wäre dann zu prüfen, inwieweit sich der militärische Zweck der Wissenschaft in der Lehre und in der öffentlichen Diskussion niedergeschlagen hat, Bestandteil der herrschenden und der Alltagstheorie geworden ist. Für die Psychologie ist dieser Gesichtspunkt von besonderer Bedeutung, insofern der militärische Zweck sich nicht nur in ihrer Anwendung als Psychotechnik, sondern auch in ihrem Beitrag zur herrschenden Ideologiebildung wiederfindet.
  6. Die Ausgaben für militärische psychologische Forschung sind nicht bekannt, dürften aber höchstens ein Fünftel der oben genannten Beträge ausmachen. Die Schwerpunkte liegen nach Angabe des PsychDstBw in den Bereichen Personalpsychologie, psychologische Ergonomie bzw. Arbeitspsychologie und Flieger- und Flugpsychologie, für die teilweise bundeswehreigene Forschungseinrichtungen bestehen. Der Großteil der Gelder dürfte in diese Institutionen fließen.
  7. Im Bereich öffentlicher Forschung kann man eine Konzentration von militärischen Forschungsaufträgen auf wenige Einrichtungen und Personen feststellen, soweit dies über öffentlich zugängliche Quellen nachweisbar ist. Es scheint eine relativ kleine und stabile Gruppe von Forschern zu geben, die bevorzugt mit militärischen Aufträgen bedacht werden?
  8. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von weniger engen Verbindungen zwischen Instituten und Militär (z.B. einmalige Gutachten, Diplomarbeiten, usw.), die einen größeren Kreis von Personen betreffen. Seit 1967 gab es derartige oder engere Verbindungen an 28 von 41 untersuchten psychologischen Lehr- und Forschungseinrichtungen.
  9. Die militärische Forschung ist nahezu ausschließlich anwendungsorientiert Grundlagenforschung wird anders als z.B. in den USA kaum unterstützt. Ausnahme sind die regelmäßigen NATO
    Symposien. Dies ist sicher ein Grund für die bislang relativ geringe Attraktivität militärischer Forschungsfinanzierung in der Psychologie. Dazu trägt auch die eingeschränkte Publikationsfähigkeit der Forschungsergebnisse aus diesem Bereich bei.
  10. Im Vergleich zu anderen Forschungsbereichen ist der Anteil militärischer Forschung in der Psychologie derzeit nicht sehr bedeutend. Ein unmittelbarer theoretischer spin-off militärischer Forschung in der BRD ist kaum auszumachen. Die militärische Forschung der Psychologie wird überwiegend von einer Forscher-Ingroup und von „Forschungsseilschaften“ betrieben und profitiert eher von nichtmilitärischen Projekten als umgekehrt. Die zunehmende Finanzierung militärisch angewandter Forschung bei gleichzeitig stagnierender oder sogar rückläufiger Forschungsfinanzierung in nichtmilitärischen Bereichen könnte allerdings dazu führen, daß der Kreis der Interessenten an militärischer Forschung in der Psychologie zunimmt.
  11. So lange jedoch frei publizierbare Grundlagenforschung nicht in verstärktem Maße militärisch gefördert wird und die Einrichtung von Personalstellen nicht in erheblichem Ausmaß von dauerhaftem Mittelzufluß aus dem militärischen Bereich abhängt, dürfte die Attraktivität militärischer Forschungsförderung recht begrenzt bleiben. In dieser Hinsicht gibt es deutliche Unterschiede zwischen der BRD und den USA.
  12. Die Bereitschaft, militärische Forschung zu betreiben, könnte allerdings indirekt zunehmen durch die verstärkte Hinwendung zu arbeits- und betriebspsychologischen Anwendungen der Psychologie, die in ihren Problemstellungen den militärischen verwandt sind.
  13. Im Bereich der psychologischen Theoriebildung gibt es in einigen Bereichen Anzeichen für einen spin-off militärischer Forschung aufgrund der Rezeption angloamerikanischer Psychologie, die in einigen Gebieten etwa der Allgemeinen Psychologie auch im Grundlagenbereich in erheblichem Maße militärisch finanziert ist. Auf dem Gebiet der „Militarisierung von Theorien“ gibt es ein erhebliches Forschungsdefizit.

Winfried Mohr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Psychologie der TH Darmstadt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/1 1987-1, Seite