W&F 1998/2

Tödliches Versteckspiel

Der Minenkrieg gegen die Kinder

von Thomas Gebauer

Das Ding sah aus, wie der Plastikdeckel einer Thermoskanne. Es lag am Straßenrand unweit eines Dorfes im Norden Somalias. Auch der von kindlicher Neugier erfüllte Griff nach dem interessanten Objekt war nichts besonderes. Doch dann der grelle Blitz, der ohrenbetäubende Knall, der sonderbare Geruch. – Erst im Krankenhaus von Hargiesa kam der sechsjährige Junge wieder zu sich. Die Explosion der Mine hatte er überlebt – auf beiden Augen erblindet, das Gesicht entstellt, die rechte Hand amputiert und beide Knie durch Schrapnell derart zerstört, daß er seitdem nicht mehr gehen kann.

Minen bedrohen das Leben von Kindern und deren Familien in großen Teilen der Welt. In Ländern wie Angola, Mozambique, Somalia, Ägypten, Kurdistan, Bosnien, Afghanistan, Kambodscha bedeuten schon die Arbeit auf dem Feld, die Suche nach Feuerholz, der Gang zur Schule, das Spielen im Dorf ein todbringendes Risiko. Über 100 Millionen Minen sollen es sein, die weltweit vergraben liegen – mörderische Waffen, die nicht zwischen Soldat oder Zivilist unterscheiden und noch in 50 und mehr Jahren töten und verstümmeln werden. In Kambodscha gibt es derzeit mehr Minen als Kinder – zwei für jedes Kind. Weltweit kommt eine Mine auf 20 Kinder – die Saat von Kriegen, die – auch wenn sie offiziell längst als beendet gelten – doch niemals zu Ende gehen.

Aber es sind selbstverständlich nicht die Minen selbst, die teuflisch sind. Minen sind leblose Instrumente des Krieges, die weder menschliche Eigenschaften aufweisen, noch wie eine Naturkatastrophe über die Menschen gekommen sind. Minen wurden und werden erfunden, erforscht, entwickelt, produziert, exportiert und gezielt verlegt. Noch immer werden Unsummen ausgegeben und wertvolle Anstrengungen unternommen, um den Minen-Krieg zu perfektionieren. Teuflisch sind dabei einzig jene, die aus der Produktion und Anwendung solcher mörderischer Waffen einen militärischen, politischen und/oder wirtschaftlichen Profit erzielen.

Das erklärte Angriffsziel moderner Kriegführung sind auch Zivilisten. Wie kaum eine andere Waffe sind Minen geeignet, eigenständige Lebensgrundlagen zu vernichten und ganze Bevölkerungen in die Flucht zu schlagen. Menschen werden abhängig von Fremdversorgung und selbst noch während ihrer Fluchtbewegungen durch Minensperren kontrolliert. Zurückkehren können Vertriebene erst, wenn ihre Heimatgebiete entmint wurden – auf Straßen, die sie dann weder nach rechts noch nach links verlassen sollten, wollen sie nicht ihr Leben riskieren. Denn um die Repatriierung von Kriegsflüchtlingen zu beschleunigen, werden oft nur die großen Überlandverbindungen von Minen gesäubert.

Minen sollen dem Gegner Gelände verweigern. Zu diesem Zweck streuten die Römer Salz in die Felder von Karthago, damit sich die Stadt nie wieder erhole. Künftige Armeen erledigen das mit fernverlegten sensorgestützten Minenteppichen, die sich elektronisch zu- und abschalten lassen – entsprechend der durch Satellitenüberwachung aufgezeichneten Bewegungen fremder Truppen, Flüchtlinge, Migranten.

Kinder sind besonders betroffen

Seit 1975 sind eine Million Menschen Minen zum Opfer gefallen, ein Drittel davon Kinder unter 15 Jahren. Seltener als Erwachsene überleben Kinder Minenunfälle, weil sie aufgrund der geringeren Körpergröße dem Zentrum der Explosion viel näher sind. Eine Mine, deren Spengkraft gerade so bemessen ist, einem Soldaten ein Bein wegzureißen, kann bei Kindern bereits zu tödlichen Verletzungen lebenswichtiger innerer Organe führen. Zudem ist die Fähigkeit von Kindern, einen größeren Blutverlust zu überleben, deutlich kleiner. Etwa die Hälfte aller Minenopfer sterben noch am Ort der Explosion, bevor überhaupt medizinische Hilfe geleistet werden kann. Viele verbluten. Diejenigen, die es schaffen, bis in ein Hospital gebracht zu werden, müssen sich in aller Regel gleich mehreren größeren Operationen unterziehen, einschließlich der Amputation eines oder mehrerer Gliedmaßen, was oft lange Hospitalisierungszeiten nach sich zieht. Anfang der 90er Jahre lag der Anteil der Kinder an den Minenopfern im Krankenhaus von Hargeisa in Somalia bei 75 Prozent.

Kinder sind aber auch deshalb besonders gefährdet, weil ihnen eine neugierige Unruhe eigen ist und sie einen nahezu unbändigen Drang zum Spielen haben. Etwa 300 verschiedene Typen von Anti-Personen-Minen soll es geben; eine verwirrende Vielfalt an Formen und Farben, die Kinder ebenso anzieht, wie sie von ihnen kaum überblickt werden kann. Manche Minen ähneln Jo-Jos, andere beispielsweise Früchten wie Ananas.

Gerade die großen Quantitäten der eingesetzten Minen lassen diese todbringende Waffe in den Augen von Kindern als harmlosen Gegenstand des alltäglichen Lebens erscheinen. In Kurdistan, wo Minen »wie Konfetti« über ganze Landstriche ausgebracht worden sind, beobachteten medico-Mitarbeiter Kinder, die aus allerlei Minen eindrucksvolle Seifenkisten bauten. In Angola integrieren Kinder gar die Minensuche in ihr Spiel – und imitierten mit aus Draht zusammengebogenen kleinen »Detektoren« die Arbeit der professionellen Minenräumer. Häufig sind es nicht alleine Minen, denen Kinder zum Opfer fallen, sondern die sogenannte »Unexploded ordnance« (UXO), nicht explodierte Munitionskörper, Blindgänger zu deutsch.

Manche Minen sehen aus, als ob sie gezielt Kinder treffen sollten. In der Regel ist das nicht der Fall: auch das Äußere der sogenannten Schmetterlingsmine, die viele Kinder für ein Spielzeug halten, hat einen technischen Hintergrund. Die beiden Flügel dieser handtellergroßen Mine, die zu Hunderttausenden aus sowjetischen Hubschraubern und per Artillerie über Afghanistan abgeworfen wurde, ermöglicht ein stabiles Hinabgleiten auf den Boden, ohne daß der Sprengsatz durch einen zu harten Aufprall vorzeitig explodieren würde. Auch wenn die Menge des in den Schmetterlingsminen enthaltenden Sprengstoffs gering ist, – sie reicht doch, um die Hand eines Kindes abzureißen.

Andere Minen, wie die italienische Valmara 69, die noch heute zu Zigtausenden in Kurdistan für Unheil sorgt, springt bei Auslösung erst einen halben Meter in die Luft, um dann mehr als 1000 Metallsplitter in einem Umkreis von ca. 100 Metern zu verschießen. Jede Person, die näher als 25 Meter zur Mine steht, wird buchstäblich in Stücke gerissen. Bei solchen Explosionen sind es oft ganze Gruppen von Kindern, die mit einem Mal getötet oder verstümmelt werden.

Gefahr durch Anti-Fahrzeug-Minen

Von solchen Anti-Personen-Minen müssen die sogenannten Anti-Panzer- bzw. Anti-Fahrzeug-Minen unterschieden werden, die wesentlich mehr Sprengstoff enthalten, aber erst bei einem größeren Druck oder etwa einer von speziellen Sensoren registrierten Erschütterung auslösen und deshalb, so die Bundesregierung, nicht gegen Personen gerichtet seien. Auch wenn es stimmt, daß der gegenwärtige Minenhorror im wesentlichen auf die kleineren Anti-Personen-Minen zurückzuführen ist, so stellen die Anti-Fahrzeug-Minen ebenfalls eine ernstzunehmende Bedrohung für Menschen dar. LKW-Konvois mit Hilfsgütern oder auch zivile Busse, die zu den wichtigsten Personenbeförderungsmitteln gerade in den von Minen betroffenen Ländern zählen, können ohne weiteres Anti-Fahrzeug-Minen auslösen – mit tödlichen Folgen.

Die Entwicklung moderner Minen-Technologie schreitet weiter voran, die Grenzen zwischen Anti-Fahrzeug-Minen und Anti-Personen-Minen verschwimmen. Neue Anti-Fahrzeug-Minen sind unterdessen so klein geworden, daß sie leicht mit Anti-Personen-Minen verwechselt werden können. Einige lösen bereits bei 70 kg aus – ein Gewicht, das leicht durch einen Ochsenkarren oder durch Vieh erreicht werden kann. Wird eine Anti-Fahrzeug-Mine zudem mit einer sogenannten Aufhebsperre ausgestattet, was bei allen modernen Waffen dieses Typs der Fall ist, verwandelt sie sich faktisch in eine enorm gefährliche Anti-Personen-Minen, die schon bei geringfügiger Bewegung mit gewaltiger Durchschlagskraft explodiert – ausgelöst womöglich durch ein unwissendes Kind, das nur einen Gegenstand, der am Straßenrand lag oder aus der Straßenoberfläche herausragte, näher betrachten wollte.

Der Anfang Dezember im kanadischen Ottawa von über 120 Staaten unterzeichnete Vertrag zum Verbot von Anti-Personen-Minen – unbestritten ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Minen, der ohne den Druck der internationalen Öffentlichkeit und insbesondere der Internationalen Kampagne für ein Verbot der Landminen (ICBL) nicht zustandegekommen wäre – hat seine Schwächen gerade in der Minendefinition. Anti-Fahrzeug-Minen und Aufhebsperren, die absichtsvoll auf die Tötung oder Verstümmelung von Minenräumern zielen, sind explizit vom Verbot ausgenommen. Auch bleibt mit der Formulierung: „an anti-personnel-mine is a device designed to explode ….“ die Definition einer Mine weitgehend den Produzenten und Anwendern überlassen. Dagegen hat die ICBL immer opponiert und eine Definition vorgeschlagen, die sich statt an der bekundeten Absicht (design-oriented) am Effekt orientiert, an der tatsächlichen Wirkung, die eine Waffe auf Menschen hat, egal wie sie nun genannt wird. Deshalb fordert medico international gemeinsam mit dem Deutschen Initiativkreis zum Verbot von Landminen, dem weitere 15 namhafte entwicklungspolitische Hilfswerke angehören, ein grundsätzliches Verbot aller Landminen einschließlich Anti-Fahrzeug-Minen und allen minenähnlichen Waffen wie Submunitionen.

Minen zerstören Lebensgrundlagen

Aber Minen töten oder verstümmeln nicht nur. Minen stellen einen generellen Angriff auf ganze Gesellschaften dar, dem langanhaltende Zerstörungen folgen. Minen können Armut, Hunger und Unterernährung verursachen, weil landwirtschaftliche Anbauflächen und Viehweiden nicht genutzt werden können und der Zugang zu Wasserstellen versperrt ist. Durch Minen blockierte Infrastruktur verhindert die Vermarktung von Erträgen, schmälert das Einkommen und macht den Schulbesuch unmöglich. Minen fördern die Bodenspekulation, schaffen Abhängigkeit, Angst, seelische Verwundungen, Mißtrauen und reduzieren die Hemmschwelle für Gewalt. Die Vorstellung von Krieg als einem probaten Instrument, das man so eben mal zur Hand nehmen und nach Gebrauch wieder ablegen kann, ohne daß sich dauerhafte Veränderungen in den betroffenen Gesellschaften und für die Einzelnen ergeben würden, führt in die Irre.

Wie viele Minen genau in der Welt liegen, ist unklar. Es spielt auch keine Rolle. Einzig wichtig ist, daß sie dort schnell geräumt werden, wo sie eine ernste Bedrohung für Menschen darstellen. Um solche Prioritäten bestimmen zu können, müssen zunächst sogenannte landesweite »surveys« durchgeführt werden, die einen genauen Überblick über die existierenden Minenfelder geben, ohne einzelne Minen zu orten bzw. zu räumen. Das Minen-Problem ist seit vielen Jahren bekannt, dennoch wurden solche aufwendigen surveys bisher erst in zwei Ländern erstellt: in Afghanistan und Laos, nicht etwa durch die UN, sondern durch Mitgliedsorganisationen der ICBL.

Solange aber nicht feststeht, wo die Minen liegen, erfahren die Menschen dies mit Gewißheit nur durch Unfälle. Einmal identifizierte Minenfelder müssen deshalb umgehend markiert werden, vor allem, wenn sie in Gebieten liegen, wo sich Kriegsvertriebene wieder ansiedeln. Schon bei der Auswahl der Warnsymbole gilt es den jeweiligen sozio-kulturellen Kontext und speziell die Wahrnehmung von Kindern zu beachten. Fehler, auch unbeabsichtigte, können tödliche Folgen haben. In Afghanistan wurde beispielsweise erst relativ spät herausgefunden, daß viele afghanische Kinder mit dem Symbol des Totenschädels, der uns eindeutig Gefahr signalisiert, ein lachendes Gesicht verbinden.

Ohne Kenntnis der sozialen Umstände, die in minenverseuchten Ländern herrschen, können Maßnahmen zum Schutz der Kinder vor Minenunfällen unwirksam sein. Beispiel Mozambique, wo traditionell die Kinder das Vieh hüten. Seit dem Ende des Krieges sind die Ziegen- und Kuhherden wieder angewachsen, die Weideflächen aber nicht unbedingt entmint. Nicht selten laufen Tiere in ein Minenfeld, und obwohl dieses eindeutig markiert ist, laufen die Kinder hinterher, um das Tier wieder einzufangen. Eine Kuh ist die Lebensgrundlage einer ganzen Familie. Das gilt auch in Afghanistan, wo Eltern schon mal die Minenaufklärer gewarnt haben, die Kinder nicht weiter zu indoktrinieren, schließlich müßte ja jemand das Vieh hüten, da oben in den Bergen, wo die Minen liegen, und verlorenes Vieh ist eben nicht so rasch zu ersetzen.

Minen sind Kriegsgeräte, die erst dann endgültig verschwunden sein werden, wenn die Ursachen des Krieges, vor allem das soziale Unrecht, aus der Welt geschaffen sind. Ohne den Aufbau eines intakten Sozialgefüges und materieller Sicherheit wird es keine wirksame und dauerhafte Beseitigung der Minen geben.

Kinder brauchen Aufklärung und Betreuung

In über 60 Ländern der Welt müssen heute Kinder über die Gefahren, die von Minen ausgehen, aufgeklärt werden. Sie sollen unbekannte Gegenstände nicht anfassen, eingetretene Wege nicht verlassen und ihrer unmittelbaren Umwelt mit ständiger Vorsicht begegnen. Neugierverhalten muß eingeschränkt, Unbefangenheit gegenüber der Umgebung kontrolliert werden. Versteckspielen kann tödlich enden. Schon das Be-greifen von Objekten des Alltags ist angstbesetzt, weshalb diese Kinder von immer mehr Dingen keinen Begriff mehr bekommen. Derart tragen Minen dazu bei, daß die Entwicklung der Kreativität sowie der anderen intellegiblen Fähigkeiten behindert wird – mit unabsehbaren Folgen für die Gesellschaft über Generationen hinweg.

Artikel 23 der UN-Konvention erkennt ausdrücklich das Recht behinderter Kinder auf eine spezielle Betreuung an, darunter Zugang zu Ausbildung, Gesundheit, Rehabilitation, Erholung sowie zu einer vorbereitenden Berufsausbildung. Kinder, die Amputationen erlitten haben, benötigen neben einer Versorgung mit Prothesen und Physiotherapie meist auch eine psychologische Assistenz. Nicht immer ist eine individuelle Psychotherapie vonnöten, oft reicht es, das soziale Umfeld und die Familien der kriegsversehrten Kinder so zu beeinflussen, daß es »positiv« gestimmt ist und eine Reintegration tatsächlich möglich macht. Aber gerade dieser Anspruch scheitert in vielen Ländern am realen Mangel und aufgrund kultureller Eigentümlichkeiten. In Kambodscha beispielsweise gilt eine Behinderung als Bestrafung für Fehlverhalten, das in früheren Leben begangen wurde. Und insbesondere in Subsistenzökonomien, die durch Einsatz aller Familienmitglieder geradeso überleben können, kann der Ausfall einer Person ein nicht zu kompensierendes Desaster bedeuten.

Es ist die Stärke des in Ottawa unterzeichneten Minen-Verbotsabkommens, daß die physische Rehabilitation der Minenopfer sowie deren soziale und ökonomischen Reintegration nicht nur als Notwendigkeit anerkannt wird, sondern zudem mit einer finanziellen Selbstverpflichtung gestützt wird, die sich an alle Staaten richtet, die zu Hilfen imstande sind.

Die Versorgung eines Minenopfers mit Prothesen ist sehr teuer. UNICEF und IKRK schätzen, daß durchschnittlich 5.000 US-$ pro Patient zu veranschlagen sind. Ein Land wie Mozambique, das gerade mal 200 Ärzte hat, dafür aber den IWF mit seinen notorischen »Strukturanpassungsprogrammen« im Nacken weiß, wird aus sich heraus weder Entminungsprojekte noch die adäquate Versorgung der Opfer finanzieren können. Bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpfte Sozialetats limitieren auch in Angola die Möglichkeiten einer adäquaten Gesundheitsversorgung. Die Krankenhäuser stehen leer, Arzneimittel und Verbrauchsmaterial fehlen, das völlig unterbezahlte Personal ist zu Zweit- und Drittjobs gezwungen.

Für Kinder wirkt sich eine solche Versorgungskatastrophe besonders prekär aus. Aufgrund des Wachstums brauchen sie in regelmäßigen Abständen neue Prothesen. Wiederholt müssen chirurgische Korrekturen am Amputationsstumpf vorgenommen werden. Neue Prothesen und zusätzliche Operationen sind teuer und können von den Familien in der Regel nicht bezahlt werden. In Angola und Mozambique haben derzeit nur zehn bis zwanzig Prozent der Kinder geeignete Prothesen.

Ohne »Hilfe von außen« geht's nicht

Ohne Hilfen von außen wird sich für die Minenopfer nichts ändern. An dieser Stelle werden die Regierungen der reichen Länder Farbe bekennen müssen. Wer im Kampf gegen die Minen wirklich in vorderster Front stehen will, darf die Opfer nicht mit ein paar Almosen abspeisen.

Etwa 500 Millionen DM haben verschiedene Staaten im vergangenen Dezember in Ottawa für Minen-Aktions-Programme in Aussicht gestellt. Allein für die Beseitigung der Minen ist nach UN-Berechungen jährlich das Dreifache erforderlich. Rechnet man die Mittel hinzu, die für die physische und psychische Rehabilitation der Opfer notwendig sind, für die soziale und wirtschaftliche Reintegration minenversehrter Menschen, für die Förderung kulturell und sozial intakter Gemeinschaften, denn nur in einem vitalen sozialen Gefüge können Menschen wirklich reintegriert werden, – rechnet man all das zusammen, wird schnell klar, daß weit größere Aufwendungen erbracht werden müssen als bisher.

Die Beseitigung der Folgen des Minenkrieges ist teuer, aber nur dann zu teuer, wenn sie einzig aus Mitteln der Not- und Entwicklungshilfe finanziert werden muß. Das weltweite Minenproblem, das ohne Zweifel militärisch verursacht wurde, aber darf nicht zu Lasten der eh schon unter Geldnot leidenden Programme für Gesundheit, Ausbildung, Ernährung und Kultur gehen.

Es entspricht dem Verursacher-Prinzip, daß jene, die für die Minen verantwortlich sind, die den wirtschaftlichen, militärischen und politischen Profit aus dem Minen-Krieg gezogen haben, nun auch für die Kosten der Schadensbeseitigung aufzukommen haben. Die im Bundeshaushalt noch immer für die Entwicklung und Anschaffung neuer Minen-Technologie zur Verfügung stehenden Mittel müssen umgehend umgewidmet und einem Fonds für »Integrierte Minen-Aktionsprogramme« zugeschlagen werden, den medico gemeinsam mit dem Deutschen Initiativkreis seit geraumer Zeit fordert.

Es muß verhindert werden, daß sich auf dem Minenräum-Markt, der mit der Unterzeichnung des Ottawa-Vertrages entstanden ist, frech und dreist die alten Akteure einstellen. Wenn Rüstungskonzerne, die früher oder noch immer Minen produzieren, nun praktischerweise auch noch bei der Bereitstellung der Räumtechnik den Profit einstreichen, ist dies ein handfester politischer Skandal. Einige deutsche Firmen wie Diehl, Rheinmetall, DASA sind bereits im Geschäft, mit steuerfinanzierten Räum- und Ortungsverfahren, die zwar kostenintensiv sind, aber von nur geringer Relevanz für die von Minen betroffenen Kinder und ihrer Familien.

Die Beseitigung von Minen ist nur vordergründig eine technische Frage! Allein die Abschaffung des sozialen Unrechts erstreitet das Recht der Kinder, (wieder) unbekümmert und spielerisch ihre Umwelt erforschen zu können. Dabei kann jeder mithelfen! – Beispielsweise durch Überweisung einer Spende auf das medico-Konto: 1800 bei der Frankfurter Sparkasse, BLZ 500 502 01, Stichwort: Minenopfer. Bei medico sind auch weitere Informationen zum Themenkomplex Minen erhältlich.

Thomas Gebauer, Dipl.-Psychologe, ist Geschäftsführer von medico international und Mitbegründer der 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/2 Kinder und Krieg, Seite