W&F 1998/2

Töten per Mausklick – Computerkriegsspiele

von Ralf E. Streibl

Krieg als Thema oder Element findet sich in vielen Computerspielen, besonders oft bei Action-, Strategie- und Simulations-Spielen. Vom Einzelkämpfer über die Steuerung eines Waffensystems (Panzer, Flugzeug etc.) bis hin zum generalstabsmäßig angelegten, strategischen Planspiel geht die Palette kampf- oder kriegsorientierter Handlungen, wobei in einem Spiel auch unterschiedliche Elemente nebeneinander auftreten können. Die Weltbilder sind dabei einfach, die Strukturen klar, es geht um Gut und Böse. Doch was passiert in den Köpfen der Kinder? Nützen Verbote etwas oder wie kann der Gewaltexplosion im Kinderzimmer begegnet werden?

Schon bei einem schnellen Vergleich einiger Computerkriegsspiele zeigen sich große Unterschiede, so u.a. in der Komplexität des Szenarios, in der Ausübung und Darstellung von Gewalt sowie im Realitätsgehalt. Jedoch lassen sich auch eine Reihe genretypischer Aspekte von Computerkriegsspielen aufzeigen. Wenn im folgenden einige Aspekte von Computerkriegsspielen hervorgehoben werden, handelt es sich somit um Charakteristiken, die zwar oft festzustellen sind, aber natürlich nicht für alle Spiele in gleichem Maße zutreffen.1

1. Computerspiele als heute selbstverständlicher Teil der Lebenswelt von Kindern stellen einen zusätzlichen medialen Sozialisationsagenten dar.

Man muß sich davor hüten, eine »andere Alltagspraxis« im Medienumgang von Kindern und Jugendlichen verglichen mit der Eltern- und Forschergeneration per se als problematisches Verhalten anzusehen. Kinder und Jugendliche dürfen nicht nur als Objekte der verschiedenen Sozialisationsfaktoren – zu denen heute die Medien unbestritten gehören – angesehen werden, sondern sie sind aktive Gestalter ihrer eigenen Kindheit (vgl. Berg, 1991; Billmann-Mahecha, 1992). Die Beschäftigung mit Computerspielen ist heute für viele in den Industrienationen aufwachsende junge Menschen eine Selbstverständlichkeit. So spielen bereits etwa die Hälfte der Vorschulkinder, ein Viertel sogar täglich (Fritz, Wegge, Wagner, Gregarek, Trudewind, 1995). Anders als oft behauptet werden Computerspiele nicht immer nur allein, sondern auch gemeinsam mit Gleichaltrigen gespielt (Altmeyer-Baumann, 1991).

Spielen bildet ein wichtiges Element der Sozialisation im Sinne einer innerpersonalen Auseinandersetzung mit der äußeren Umwelt. Neben der Sprache hat das Spielen eine zentrale Bedeutung für die Identitätsentwicklung (vgl. z.B. Mead 1973). Es kann als lustbetontes, intrinsisch motiviertes, ich-betontes, freies Probehandeln verstanden werden und stellt so eine kindgemäße und selbstbestimmte Aneignung von »Welt« dar.

Zur Alltagserfahrung von Kindern gehören kleinere und größere Konflikte und Auseinandersetzungen. Selbst Kinder, die von eigenen Gewalt- und Kriegserfahrungen verschont bleiben, werden zumindest über die Medien oder durch Erwachsenen-Gespräche mit derartigen Themen konfrontiert. So ist es nur folgerichtig, daß Konflikte, Gewalt und Krieg Eingang ins kindliche Spiel und Handeln finden, ja sie sind – im Sinne der Verarbeitung dieser Wahrnehmungen – notwendiger Teil des »(Be)greifens« der Welt. Spiel bietet zumindest grundsätzlich die Freiheit, sich kulturellen Verhaltensregeln zu widersetzen oder sie zu parodieren (vgl. Wegener-Spöhring, 1995; Sutton-Smith, 1986; Oerter, 1997). Weiter unten wird gezeigt werden, daß Computerkriegs- und -gewaltspiele hier jedoch nicht unreflektiert subsumiert werden dürfen (vgl. These 3). Computerspiele sind in ihrer Bedeutung für Sozialisationsprozesse daher sowohl von klassischen Spielen als auch von anderen, überwiegend rezeptiv genutzten Medien (TV, Video) zu unterscheiden.

2. Die in Computerkriegsspielen gezeichneten Weltbilder sind einfach, korrespondieren mit Bedürfnissen der Spieler und motivieren dadurch zum Spiel.

Manche Computerkriegsspiele wirken auf den ersten Blick sehr komplex. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß ihnen meist einfache Strukturen zugrunde liegen. Der Spieler2 übernimmt die Rolle eines »Helden« im Kampf oder eines steuernden »Feldherren«, der den alleinigen oder wichtigsten Einfluß auf den Verlauf hat. Ihm stehen oft vielfältige »natürliche« und technische Machtmittel zur Verfügung. Normen, Werte, Menschenbilder sind zumeist vorgegeben, häufig gilt ein militärisch-hierarchisches Führerprinzip oder auch das Recht des Stärkeren, teilweise (z.B. bei Wirtschaftssimulationsanteilen in Kriegsspielen) gilt auch das Diktat der Ökonomie. Freund und Feind sind eindeutig zu unterscheiden. Männer treten vorwiegend als zähe Kämpfer auf, Frauen werden – sofern sie im Spiel vorkommen – durch ihre Kleidung und ihr Verhalten oft als Sexsymbole oder einfach nur hilflos dargestellt. Für kriegerische und gewalttätige Auseinandersetzungen gelten scheinbar klare, nachvollziehbare Regeln: Feuerkraft, Munitions- oder Kraftreserven, Widerstandskraft etc. werden in quantifizierter Form durch das Programm miteinander verrechnet. Auch bei komplexen Szenarien entsteht so der Eindruck einer objektiven Leistungsbewertung.

Für viele Spieler erfüllen derartige Spiele ein Bedürfnis nach Klarheit, Eindeutigkeit und übersichtlichen Anforderungen – im Gegensatz zum wirklichen Leben. Sie kommen dem Wunsch nach einer klaren Unterscheidung zwischen guter und böser Figur entgegen: „Hier steht fest, wer der Feind ist (die Gegner auf dem Bildschirm), hier steht fest, mit welchen Mitteln in dieser Beziehung zurückgeschlagen werden darf, und hier steht auch fest, daß der Spieler selbst eindeutig »gut« ist.“ (Büttner 1988, S.109). Wenn die gesellschaftliche Realität zunehmend von Gewalt, Aggression, Unverständnis und Rücksichtslosigkeit gerade auch gegenüber Kindern und Jugendlichen geprägt ist, dreht sich die Rüstungsspirale im Kinderzimmer immer schneller. Die im Spiel erlebte Handlungsmacht kann zeitweise eine Kompensation alltäglich erlebter struktureller Gewalt vermitteln. Struktur und Dynamik des Spiels sind dabei oft bedeutsamer als die Inhalte. Je stärker auf »Leistung« gespielt wird, desto mehr treten die Spielinhalte gegenüber der Wahrnehmung der Schlüsselreize in den Hintergrund (vgl. Fritz 1988).

Die Spieler nutzen das Computerspiel, um Machtträume und Phantasien damit auszuleben. In dieser Form erhalten Computerspiele eine Bedeutung vergleichbar den Comic-Superhelden oder auch den Helden aus Abenteuer-Romanen. Sie bieten auf Zeit die Möglichkeit, aktiv an den Erfolgen des »Helden« teilzuhaben, an seiner Macht zu partizipieren – auch hier manifestiert sich für manche Spieler der Wunsch nach einer Gegenwelt zu Gewalt- und Ohnmachtserfahrungen im Alltag. Spiele aus der Perspektive der subjektiven Kamera wie z.B. Doom, Duke Nukem oder Quake erleichtern diese Identifikationsprozesse und erhöhen damit auch die emotionale Beteiligung.

Computerkriegsspiele erlauben den Spielern folgenlose Grenzüberschreitungen bei Gewaltausübung. Gewalt im Computerspiel macht mehr Spaß als in der Realität, zum einen „weil man da niemandem weh tut“ , zum anderen „weil man da nichts abkriegt, weil der ja im Spiel drin ist“ (zwei Schüler einer vierten Klasse in Bremen). Der Tod der Spielfigur stellt für die Spieler ein ärgerliches, aber nicht irreversibles Phänomen dar. In Gesprächen beschreiben auch jüngere Kinder teilweise recht heftige Gewaltszenen aus Computerspielen (vgl. Streibl 1998). Die Verstümmelung des menschlichen Körpers übt scheinbar eine Faszination vor allem auf die Jungen aus. Doch scheint ein Teil dieser Faszination auch darin zu liegen, zu beweisen, wie »abgebrüht« man ist. Extreme Gewaltspiele werden bewußt in Überschreitung elterlicher Verbote gespielt, die anscheinend oft nicht weiter begründet oder erklärt werden.

3. Aggressivität wird im Computerkriegsspiel zielgerichtet und meist ohne Handlungsalternativen kanalisiert. Während eine einfache Übertragung gewalttätiger Verhaltensweisen in die Realität i.d.R. nicht stattfindet, ist jedoch eine schleichende Desensibilisierung bezogen auf Gewalt zu vermuten.

Bei der Betrachtung von Aggression im Spiel muß zwischen realer und spielerischer Aggressivität unterschieden werden. Spiel kann als emanzipatorisches Medium wirksam werden: Aggression, Provokation und Phantasie im Spiel können Impulse für Veränderungen von Umfeld, Sozialbeziehungen und Gesellschaft geben. In diesem Zusammenhang sind die Handlungsspielräume und Freiheitspotentiale des Spiels im Sinne einer aktiven Verfügbarkeit über die Situation und das Selbst von Wichtigkeit (Befreiung von den Zwängen der Situation, Spielen gegen die Wirklichkeit, vgl. Wegener-Spöhring 1995). Im Spiel ist es möglich, die eigene Identität zu variieren, Regeln zu verändern, alles zu verwerfen, neu zu beginnen. Variabilität im Spiel erlaubt Macht- und Erfolgserleben in einer Welt der Fremdbestimmung und Abhängigkeit. Dies ist in vielen Computerspielen so nicht gegeben: Typisch sind im Design, Grafiklayout und Sound mehr oder minder perfektionistisch anmutende Szenarien, die jedoch nur begrenzte Handlungsoptionen (Set verfügbarer Befehle/Aktionen, meist keine Alternativen zur Gewaltausübung), Rollen (Charakter und Eigenschaften des Protagonisten) und Adaptionsmöglichkeiten (Auswahl von Level, Waffen etc.) zulassen, während gleichzeitig das Spielziel fest vorgegeben ist. Alternative Verhaltensweisen wie Aushandlungsprozesse, Empathie und Perspektivenwechsel finden sich in den Spielen kaum bis gar nicht.

Macht- und Erfolgserlebnisse sind im Computerspiel somit gerade keine Ergebnisse eigener Phantasie des Spielers, sondern durch das Programm festgelegte und damit strenggenommen wieder fremdbestimmte Häppchen. Statt freiem Spielfluß und diskontinuierlichem Zeitumgang herrschen in Computerspielen Ziel- und Leistungsorientierung vor. Auch eine hohe Komplexität der wählbaren Spielparameter ändert nichts an der Qualität: eine Zunahme von Steuerungsmöglichkeiten und Einflußvariablen ist strenggenommen nur eine vorgegebene bzw. vorgebliche Freiheit, ein Laufenlassen des Spielers an langer Leine. Freies Spiel erlaubt ein Ausleben von Ängsten durch die Möglichkeit, bei zu großer Bedrohung die Regeln oder das Szenario zu ändern. Diese aktive Erfahrung eigener Toleranzgrenzen ist im Computerspiel längst nicht so flexibel möglich. Rückt im freien Spiel das eigene Selbst in die Mitte, wird im Computerspiel möglicherweise gerade eine Distanz zum eigenen Selbst geschaffen.

Gewaltausübung hat in den Spielen erwartungsgemäß einen sehr hohen Stellenwert, meist sogar zentrale Bedeutung. Sie erzeugt kein ungutes Gefühl (eher im Gegenteil), da sie in der Spiellogik moralisch legitim erscheint (z.B. Schutz, Notwehr, Rache, Rettung…). Dennoch greifen simple Wirkungstheorien, die diese Verhaltensweisen in monokausalen Bezug zur Realität setzen, zu kurz. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Behauptungen der Art „Kriegsspiele am Computer machen aggressiv“ genau so wenig belegbar sind wie „Sie helfen Aggressionen abzubauen“. Anspannungen und Affekte der Spieler scheinen im Spiel stillgestellt (Steinhardt 1994) zu werden, d.h. sie sind nicht unmittelbar handlungsrelevant und werden auch nicht ausagiert. Gewalt wird teilweise nur als Beiwerk wahrgenommen, der Fokus der Aufmerksamkeit liegt auf Action und den spielentscheidenden Schlüsselreizen. Insofern werden explizite Gewaltdarstellungen im Spiel ebensowenig bearbeitet wie die dahinter liegenden Strukturen, die derartige Gewalt auslösen bzw. rechtfertigen. Computerkriegsspiele tragen so (gemeinsam mit anderen Medien) zu einer weiteren Gewöhnung an Gewaltszenen und -darstellungen bei, was längerfristig zu Desensibilisierungseffekten führt (vgl. auch Smith 1994). Gleichzeitig verhindern die geschilderten Bedingungen des Computerspiels – im Gegensatz zu Aggressionssituationen im freien Spiel – die Weiterentwicklung sozialer Kompetenzen in der Spielsituation. Gerade diese wäre jedoch notwendig im Hinblick auf die zunehmende Unsicherheit von Beziehungen und Kontakten von Kindern und Jugendlichen (vgl. Hurrelmann 1995).

4. Computerkriegsspiele spiegeln bestimmte gesellschaftliche Werte und Entwicklungen wider und tragen damit zu ihrer Verfestigung bei.

Bei der Auseinandersetzung mit Computerkriegsspielen dreht es sich in der Regel um Themen wie Gewaltverherrlichung und Militarismus. Doch daneben gibt es weitere interessante Aspekte, die hier zumindest kurze Erwähnung finden sollen.

Wie viele andere Computerspiele auch, zeichnen sich die meisten Computerkriegsspiele durch eine starke Leistungsorientierung aus. Diese wird oft durch unterschiedliche Schwierigkeitsgrade (Levels) realisiert, so daß ein permanenter Anreiz zur Verbesserung der bisherigen Leistung besteht. Der Spieler tritt in Konkurrenz zu sich selbst (und ggf. anderen auf einer High-Score-Liste verewigten Spielern) mit dem Ziel, die Aufgabe am erfolgreichsten (Punkte) und/oder am schnellsten (Zeit) zu lösen. Er versucht sich immer wieder von neuem an dem Spiel, bis die bestehenden Schwierigkeiten gemeistert sind (oder die Frustration zu groß geworden ist).

Phantasie und Vorstellungskraft zur Ausgestaltung des Spielgeschehens sind in dem Maße weniger erforderlich, je näher die grafische Darstellung und der digitale Sound der »Realität« kommen. Die Perfektion in der Darstellung gilt als Gütekriterium für Spiele. Hier vor allem ist der Grund für die immer weiter steigenden Hardware-Anforderungen an PCs zu sehen. Diese Entwicklung verläuft parallel zu einem allgemeinen Multimedia-Boom. Die gesellschaftliche Technikfaszination spiegelt sich somit zum einen in spezifischen Spielelementen (z.B. der detailreichen Darstellung der verwendeten technischen Waffensysteme), zum andern in dem immer weiter aufzurüstenden Spielmedium selbst.

Die Spiele stellen teilweise hohe Anforderungen an die Sensumotorik, meist jedoch nur an enge, spezifische Bereiche (z.B. Hand-Auge-Koordination, Reaktionsgeschwindigkeit). Der Spieler wird auf Feinmotorik, Gesichtssinn und evtl. noch Gehör reduziert. Die damit einhergehende Entsinnlichung und Entfremdung von primären physischen Erfahrungen korrespondiert mit allgemeinen Veränderungen von Arbeitswelt und Freizeit hin zu medial vermitteltem Erleben. Die Tatsache, daß bei einer stark wachsenden Zahl von Kindern heute Bewegungsstörungen festzustellen sind, hat ihren Ursprung zum einen in der mediengeprägten Lebenswelt, zum anderen fehlt es zumindest im städtischen Umfeld in der Regel an kindgemäßen Bewegungs- und Erlebnisräumen.

5. Computerkriegsspiele transportieren militärische Denkweisen und Wertesyteme und tragen damit zur Militarisierung der Gesellschaft bei.

Computerkriegsspiele sind industriell gefertigte Güter, die explizit zum Kampf- oder Kriegsspiel für den Markt bestimmt sind. Kriegsspielzeug war in früheren Jahrhunderten ein selbstverständlicher und undiskutierter Bestandteil von Kultur und Kindererziehung (Wegener-Spöhring 1995, S.90), hatte jedoch immer schon eine politische Komponente, wie z.B. die Zunahme der Produktion vor und während Kriegszeiten belegt (Kroner 1979, S.23). Es wird als Mittel sozialer Kontrolle (vgl. Kroner 1982) und als Trainingsinstrument eingesetzt. Erinnert sei an Zinnsoldaten mit Uniformbemalung nach dem gerade geltenden Feindbild (Wegener-Spöhring 1995, S.91f) oder das zur Soldatenausbildung in der Preußischen Armee verwendete Kriegsspiel (vgl. Maaß 1996, S.117).

Daß Kriegsspielzeug derzeit nicht mehr so stark in der öffentlichen Diskussion ist wie noch vor 20 Jahren, liegt möglicherweise an der gesunkenen Bedeutung traditionellen Kriegsspielzeugs gegenüber Aktions- und Science-Fiction-Spielzeug, wo – aufgrund der größeren Distanz zur eigenen Lebenswelt – Gewalt legitimierter auftreten kann (vgl. Wegener-Spöhring 1995, S.99). Interessanterweise gilt diese Entwicklung für Computerspiele nicht in gleichem Maße: Zwar gibt es auch hier viele phantastische, utopische oder einfach nur fremde Kriegs- und Gewaltszenarien (z.B. die erfolgreichen Weltraum-Kriegsspiele Wing Commander Armada oder Tie Fighter), daneben existiert aber auch eine Vielzahl von Kriegsspielen, die reale Szenarien als Ausgangspunkt nehmen, so beispielsweise History Line (1. Weltkrieg), Victory at Sea (2. Weltkrieg), Platoon (Vietnam), Commando Libya (Libyen), Desert Storm (Irak). Ein aktuelles Beispiel ist Silent Thunder, welches laut Werbetext als Missionen den Kampf gegen einen „Potentaten im Mittleren Osten“, gegen „einen gnadenlosen Drogenbaron“ in Kolumbien sowie einen „schurkischen nordkoreanischen Kriegstreiber“ bietet.

Unabhängig davon, ob es sich um ein reales oder fiktionales Szenario handelt, beinhalten Computerkriegsspiele sehr häufig klassisch gestaltete Feindbilder (»Wir« sind anders, »die Anderen« sind häßlich, böse, charakterlos, schmutzig, schlecht, unwert…). Wie in Wirklichkeit wird dabei immer wieder auf höhere Werte abgehoben, um einen Krieg zum gerechten Krieg werden zu lassen (Streibl 1996). Bei realitätsnahen Spielen werden die historischen bzw. aktuell gültigen Feindbilder repliziert. Da derartige Spiele oft in den USA und zunächst für den amerikanischen Markt produziert werden, spiegelt der Spielemarkt vor allem die Feindbilder, Werte und ideologischen Konzepte dieser Nation wieder – exportiert in alle Welt. Das Spiel Back to Baghdad beispielsweise ist auf das Feindbild Irak ausgerichtet, personifiziert in Saddam Hussein (Streibl, 1996). Eine derartige Fokussierung der Feindbildkonstruktion auf die Person Saddam Husseins war nach der Annektion Kuwaits auch kennzeichnend für die Berichterstattung deutscher Massenmedien (vgl. Kempf, Palmbach, Reimann, 1993).

Während bei manchen Gewaltspielen teilweise noch spezifisch charakterisierte Gegner auftreten (vgl. z.B. das Prügelspiel Street Fighter II), wird bei Computerkriegsspielen Gewaltausübung oft gänzlich entpersonalisiert, d.h. es werden Fahrzeuge, Flugzeuge, Bauwerke, Landkarten oder abstrakte Symbole dargestellt, manchmal sogar nur Zahlenwerte (vergleichbar der medial vermittelten Distanz im realen High-Tech-Krieg). Der Gegner bildet eine anonyme Masse. Es wird kein Leid, keine Toten, keine Trauer etc. gezeigt, die Folgen der Gewalt sind auf die Zerstörung von Dingen und das Absterben von Körpern begrenzt. Gewaltausübung wird in der Regel nicht negativ sanktioniert – meist sogar positiv verstärkt. Ein Gewaltlusterleben ohne Schuldgefühle wird ermöglicht.

Es stellt sich die Frage, was es für die Bewältigung komplexer Situationen bedeuten mag, wenn die Spieler sich immer wieder unreflektiert in zwar irreale, aber realistisch gestaltete Vernichtungsszenarien hinein begeben, in denen sie einem abstrakten Befehl gehorchend versuchen, den Gegner zu vernichten. Kinder, die in ihren Spielen selbst Regeln entwickeln, entwickeln einen freieren Umgang mit Normen – weniger Rigidität – höhere Flexibilität in der Anwendung von Regeln (vgl. Schmidtchen & Erb 1976, S.76)

Es gibt viele Parallelen zwischen kriegerischen Computerspielen und dem Computereinsatz in der militärischen Wirklichkeit. Ohne besondere Überraschung stellt man fest, daß die beiden wichtigsten Anwendungsfelder von Computersimulationen beim Militär (vgl. Neuneck, 1995; Streibl, 1997) sich vielfach auf dem Spielemarkt wiederfinden lassen – zum einen Waffensystemsimulationen wie Comanche oder Tornado, zum anderen Strategiespiele wie Panzer General. Dabei handelt es sich teilweise um mehr als eine grobe Ähnlichkeit, wie z.B. ein Vergleich des Computerspiels Back to Baghdad mit dem militärischen Planungs- und Trainingssystem Power Scene zeigt (Streibl, 1996).

Inzwischen verwendet das Militär sogar schon kommerzielle Computerspiele im Rahmen von Ausbildung und Training. So wurde das Computerspiel Doom II vom U.S. Marine Corps Modeling & Simulation Management Office für die Ausbildung von U.S. Marines adaptiert (Riddell, 1997). Um die von Computerspielen auf Kinder ausgehende Faszination zu nutzen, wird auch über eine kommerzielle Verwertung des Programms nachgedacht, was – so Riddell – den Kreis schließt: Ein ursprünglich vom Militär inspiriertes Computerspiel wird vom Militär für seine Bedürfnisse zur Ausbildung von Soldaten adaptiert und zusätzlich als authentisches militärisches Trainingsspiel wieder auf dem Massenmarkt verkauft.

Diese offensichtliche Nähe mancher Computerkriegsspiele zu konkretem militärischen Training sollte nicht den Blick auf eine weitere militärische Verwendungsmöglichkeit von Computerspielen verstellen: die Funktionalisierung von Computerkriegsspielen für den Bereich Propaganda und psychologische Kriegsführung. Gemeint ist damit eine gezielte Einflußnahme auf Emotionen, Kognitionen und Verhalten (vgl. Ansorge & Streibl 1997). Zu denken ist hierbei u.a. an die gezielte Vermittlung von Feindbildern und ähnlichen ideologischen Inhalten – diese ist am effizientesten, wenn sie gleichzeitig über viele, scheinbar unabhängige Kanäle erfolgt (zur Rolle der klassischen Massenmedien am Beispiel des Golfkrieges vgl. Kempf, 1994). Aber auch die Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärs kann ein Ziel sein.

Auch in Deutschland gibt es derartige Tendenzen (allerdings was Spieltechnik und Spielreiz betrifft auf einem deutlich niedrigeren Level), wie das 1994 im Auftrag der Deutschen Bundeswehr produziertes Computerspiel Helicopter-Mission zeigt. Darin werden – entsprechend der damaligen gesellschaftlichen Diskussion um (friedensschaffende) out-of-area-Einsätze – mit Bundeswehrhubschraubern ausschließlich Hilfs- und Rettungsmissionen geflogen. Die zeitgleiche Produktion dieses Spieles zur Diskussion um eine Neubestimmung der Rolle der Bundeswehr ist kein Zufall: In Helicopter-Mission wird explizit auf die neuen Aufgaben und Strukturen der Bundeswehr Bezug genommen (vgl. Streibl 1998).

6. Gewalthaltigen und kriegerischen Computerspielen kann am ehesten durch eine differenzierte kritische Auseinandersetzung (im individuellen und im gesellschaftlichen Rahmen) begegnet werden.

Aus den obigen Überlegungen wird deutlich, daß es nicht sinnvoll ist, einen hermetisch gegen alle negativen Einflüsse abgeschotteten Schonraum für Kinder aufzubauen – ganz abgesehen von der praktischen Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens. Elterliche Verbote sind genauso wenig wirksam wie Indizierungs-Entscheidungen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften: Sie haben eher kontraproduktive Wirkungen, wie folgende Aussage eines Student verdeutlicht: „…als ich in dem Alter war und mich die Altersbeschränkungen getroffen haben, da war das wie Briefmarken sammeln, irgendwelche indizierten Spiele zu haben … da hab' ich auch eine Menge Müll rumfliegen gehabt, nur weil er indiziert war und nicht zum Spielen“.

Ebenso wie es nicht das typische Computerkriegsspiel gibt, existiert auch nicht der typische Spieler – zu unterschiedlich sind die Nutzungsmotive und die lebensweltlichen Bedingungen, die als Rahmen für das Computerspiel wirksam sind. Gemeinsam ist den meisten Spielern, daß eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Aspekten eines Computerkriegsspiels kaum bis gar nicht stattfindet. Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen sollten sich bei aller Skepsis für die Spiele, die einen Teil der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen bilden, interessieren und zur Reflexion darüber anregen (z.B. auch durch gemeinsames Spielen, Analysieren, Kontrastieren und Vergleichen, Diskussion der Motive… ; vgl. Streibl 1998). Ziel sollte jedoch nicht sein, die Spieler zu überzeugen, wie schlecht ein Spiel sei, sondern zu einer produktiven Verunsicherung beizutragen, damit eine selbstbestimmte Weiterentwicklung erfolgen kann. Parallel dazu muß ferner eine intensive Beschäftigung mit den Gewaltwirklichkeiten in unserer Gesellschaft erfolgen, sowohl bezogen auf direkte als auch auf strukturelle Gewalt.

Schließlich muß eine gesellschaftliche Diskussion mit dem Ziel angestoßen werden, militärische Auseinandersetzungen grundsätzlich zu ächten und sie nicht mehr als „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“ anzusehen. In diesem Sinne muß auf breiter Front gegen die Militarisierung in den Köpfen (z.B. neue Bundeswehr), in der Wirtschaft (z.B. die aktuellen Fusions- und Kooperationsprozesse der Rüstungsunternehmen) und im Bundeshaushalt (z.B. Eurofighter) angegangen werden. Eine Abrüstung allein im Kinderzimmer ist nur moralische Doppelzüngigkeit in einer Rüstungsschmiede wie Deutschland.

Literatur

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Berg, Ch., (1991): Wandel der Kindheit in der Industriegesellschaft. Neue Sammlung, (3), S. 411-435.

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Sutton-Smith, B. (1986): Toys as Culture. New York: Gardner Press.

Wegener-Spöhring, G. (1995): Aggressivität im kindlichen Spiel. Weinheim: Deutscher Studien-Verlag.

Anmerkungen

1) Der Artikel beruht auf Ergebnissen eines vom Autoren an der Universität Bremen durchgeführten Projektes, initialgefördert von der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung sowie durch Zuschüsse unterstützt von der Bertha-von-Suttner-Stiftung und dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Zurück

2) Der Verzicht auf die weibliche Form ist beabsichtigt, da Kriegsspiele überwiegend von männlichen Jugendlichen und Erwachsenen gespielt werden (vgl. u.a. Fritz & Misek-Schneider 1995). Zurück

Ralf E. Streibl, Diplom-Psychologe, Mitglied des Vorstandes des »Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V.«

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1998/2 Kinder und Krieg, Seite