W&F 2008/1

Transformation in die atomwaffenfreie Welt

Die Nuklearwaffenkonvention

von Jürgen Scheffran

Im Jahr 1997 veröffentlichten Nicht-Regierungs-Organisationen den Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention (NWK), der 2007 überarbeitet und aktualisiert wurde. Darin werden völkerrechtliche Schritte vorgeschlagen, um Atomwaffen vollständig zu verbieten und abzuschaffen. Ein solches Konzept wird von der Mehrheit aller Staaten grundsätzlich unterstützt.

Im vergangenen Jahrzehnt war die internationale Sicherheitslandschaft bestimmt von Rückschlägen, die die umfassende nukleare Abrüstung in weite Ferne rückten. Mit dem kommenden Ende der Bush-Administration und jüngsten Diskussionen über Kernwaffen-Risiken und Abrüstungs-Alternativen nimmt die Unterstützung für die atomwaffenfreie Welt wieder zu.

Nukleare Risiken

Mit dem Ende des Kalten Krieges ist die nukleare Bedrohung nicht verschwunden, im Gegenteil. Die Kernwaffenstaaten haben zwar ihre Arsenale reduziert, aber das nukleare Wettrüsten nicht aufgegeben. Weiterhin lagern Zehntausende dieser Massenvernichtungswaffen in ihren Arsenalen. Durch das Festhalten an der nuklearen Abschreckung bleiben die damit verbundenen Risiken eines Atomkriegs virulent. Hunderte von Tonnen kernwaffenfähiger Materialien sind in Umlauf, und mit dem geplanten Ausbau der Kernenergie nimmt ihre Menge stetig zu. Dass Kernwaffen oder ein Teil dieser Materialen in die Hände von Terroristen fallen, kann nicht ausgeschlossen werden.

Seit In-Kraft-Treten des Nichtverbreitungs-Vertrages (NVV) von 1970 haben vier weitere Staaten Kernwaffen erlangt (Israel, Indien, Pakistan, Nordkorea), das Potenzial eines weiteren (Irak) wurde 1991 zum Teil durch Waffengewalt zerstört. Allein die Option, dass Iran ebenfalls Kernwaffen entwickeln könnte, treibt die Rüstungsspirale voran, provoziert eine mögliche militärische Intervention durch die USA, den Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa und harsche russische Reaktionen, die an die Rhetorik des Kalten Krieges erinnern. Die Kernwaffenstaaten machen bislang keine Anstalten, die in Artikel VI des NVV vereinbarte umfassende nukleare Abrüstungsverpflichtung ernsthaft anzugehen, was neuen Kernwaffenaspiranten willkommene Vorwände gibt.

In seiner letzten Rede stellte der frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan fest, dass Kernwaffen eine „einzigartige Gefahr für die gesamte Menschheit darstellen.“ 1 Mit halbherzigem Krisenmanagement und diskriminierenden Maßnahmen lässt sich eine Zuspitzung der Problemlage nicht verhindern, sie verschärfen die Krise noch. Der NVV, der die multinukleare Welt teilweise eindämmen konnte, steht in den nächsten Jahren am Scheideweg. Entweder gelingt es, die nukleare Abrüstungsverpflichtung zu implementieren, oder das gesamte Nichtverbreitungsregime steht zur Disposition. Eine nukleare Kettenreaktion kann nur durch eine umfassende und universelle Verbotsnorm gegen Kernwaffen gestoppt werden. Eine Nuklearwaffenkonvention wäre ein logischer Weg, das Verbot aller Massenvernichtungswaffen zu komplettieren, in Ergänzung zur Biowaffenkonvention und zur Chemiewaffenkonvention, und in Erfüllung der ersten Resolution der Vereinten Nationen2, die sich einstimmig für „die Eliminierung der nationalen Atomwaffenarsenale“ einsetzt.

Vom verlorenen Jahrzehnt zur Dekade nuklearer Abrüstung?

Mitte der 1990er Jahre erschienen die politischen Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen noch günstig. Der Kalte Krieg war zu Ende, die gewaltigen Kernwaffenarsenale schienen obsolet, die Hoffnungen auf eine Rüstungskonversion waren groß. Der Ruf nach einer atomwaffenfreien Welt bestimmte zunehmend die internationalen Debatten. Kulminationspunkt war die Konferenz zur Überprüfung und Verlängerung des NVV in New York im April/Mai 1995, in deren Verlauf sich ein globales Netzwerk zur Abschaffung aller Kernwaffen bildete. Eine Studiengruppe des »International Network of Engineers Against Proliferation« (INESAP) präsentierte einen Report mit der Nuklearwaffenkonvention im Mittelpunkt.3 Das Gründungsdokument von »Abolition 2000« forderte Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention und einzelne Schritte zur Realisierung einer kernwaffenfreien Welt. Auf die Konferenz folgte eine Vielzahl von Aktivitäten für die nukleare Abrüstung, darunter die Stellungnahme des Internationalen Gerichtshofs zur Legalität des Kernwaffeneinsatzes von 1996, der Bericht der Canberra-Kommission im gleichen Jahr, der Friedensnobelpreis 1995 für Joseph Rotblat und Pugwash sowie Stellungnahmen ehemaliger Staatschefs und hochrangiger Militärs, die alle das Ziel einer atomwaffenfreien Welt anvisierten.4 Unter dem Druck der Öffentlichkeit wurden alle Atomwaffentests eingestellt und 1996 ein umfassender Teststopp-Vertrag vereinbart.

Weitere Fortschritte in der Genfer Abrüstungskonferenz gab es jedoch nicht, der geplante Produktionsstopp für Kernwaffenmaterialien liegt bis heute auf Eis. Mit den Ereignissen ab 1998 - Atomtests Indiens und Pakistans, konservative Wende in USA mit der Wahl George W. Bushs, Forcierung von Raketenabwehr, Weltraumrüstung und präemptiven Nuklearstrategien, Terroranschläge von 2001 - wurde eine neue Eiszeit in den internationalen Beziehungen ausgelöst. Bestehende Verhandlungsforen (START) und Rüstungskontrollabkommen (ABM-Vertrag) wurden aufgelöst, weitere Kontrollregime gerieten in Gefahr (Biowaffenkonvention, Weltraumvertrag). Die Jahre von 1998 bis 2007 waren ein verlorenes Jahrzehnt für die nukleare Abrüstung. Daran ändert auch der 2002 zwischen Bush und Putin vereinbarte Moskauer Vertrag (SORT) nichts, der ein Reduktionsziel von 1.700 - 2.200 Atomwaffen bis Ende 2012 vorgibt, aber den Prozess davor und danach offen lässt und in keiner Weise verifiziert.

Die Dringlichkeit zur Abschaffung aller Kernwaffen ist in den vergangenen Jahren nicht geringer geworden, und die öffentliche Einstellung gegenüber Atomwaffen ist durchweg negativ. Nach einer Umfrage unter US-BürgerInnen von 1997 stimmten 87% zu, dass „die USA ein Abkommen zur Beseitigung der Atomwaffen aushandeln sollten.“ 5 Einer jüngsten Umfrage zufolge wollen 69% der befragten Europäer in Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien, Türkei und Großbritannien Europa atomwaffenfrei sehen.6 Auch die Bemühungen der internationalen Bewegung gegen Atomwaffen haben nicht nachgelassen:

Im US-Repräsentantenhaus wurden verschiedene Resolutionen eingebracht, die Verhandlungen über den Abschluss einer Nuklearwaffenkonvention forderten (von den Abgeordneten Lynn Woolsey, Dennis Kucinich und Eleanor Holmes Norton).7

Am 3. Oktober 2000 veröffentlichten 70 prominente US-Amerikaner eine Stellungnahme in der New York Times, in der sie die US-Regierung aufforderten, „die weltweite Verringerung und Beseitigung von Atomwaffen in einer Reihe wohldefinierter Schritte zu vereinbaren, begleitet von einer zunehmenden Überprüfung und Kontrolle.“ 8

Die US-Konferenz der Bürgermeister von 2001, die Versammlung des Weltkirchenrats von 2006 und das Treffen der Nobelpreisträger von 2006 verabschiedeten jeweils Resolutionen für die Abschaffung der Kernwaffen.9

Mehr als 1.500 Bürgermeister traten der »Mayors for Peace Vision 2020« bei, die den Abschluss von Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention bis 2010 fordert, mit dem Ziel der vollständigen Beseitigung von Atomwaffen bis 2020.

Im Oktober 2005 startete die Middle Powers Initiative das »Artikel VI Forum«, das gleichgesinnte Staaten zusammen bringen soll, um die rechtlichen, politischen und technischen Bedingungen zur Beseitigung von Kernwaffen zu bestimmen. Es sollen Verhandlungen über Abrüstungsschritte in die Wege geleitet werden, die zu einer Nuklearwaffenkonvention oder einem Rahmen von Instrumenten für die Abschaffung der Atomwaffen führen.10 Etwa 40 Regierungen haben an Konferenzen des »Artikel VI Forums« teilgenommen (in New York, Den Haag, Ottawa), die auf die NVV-Überprüfungskonferenz 2010 ausgerichtet sind.

Wichtig ist auch die von Hans Blix geleitete Kommission zu Massenvernichtungswaffen, die 2006 ihren Report »Weapons of Terror« veröffentlichte. Die Kommission empfiehlt „die Vorstellung zurück zu weisen, dass die Ächtung der Atomwaffen ein utopisches Ziel sei. Ein Vertrag zur nuklearen Abrüstung ist möglich und kann durch klug gewählte, sinnvolle praktische Maßnahmen erreicht werden. Es müssen Maßstäbe gesetzt, Definitionen vereinbart, Zeitpläne ausgearbeitet und Transparenzbedingungen ausgehandelt werden. Abrüstung muss in Gang gesetzt werden.“ 11

Die Debatte in den USA

Auch in Teilen des US-Establishments scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Fortexistenz der Kernwaffen die Sicherheit der USA untergräbt. Je weiter ihre Verbreitung voranschreitet, desto weniger sind die Overkill-Potenziale der USA eine Sicherheitsgarantie. Schon vor Jahren kamen der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara, der frühere Präsident Jimmy Carter, der ehemalige Befehlshaber des US Strategic Command General Lee Butler und andere zu der Erkenntnis, dass die einzige Strategie, die das Risiko einer nuklearen Katastrophe ausschließt, die Abschaffung der Kernwaffen ist.

Dieser Ansicht haben sich die ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger, George Schultz und William Perry sowie US-Senator Sam Nunn angeschlossen. Gestützt auf ihre Erfahrung im Umgang mit Kernwaffen sehen sie es als „zunehmend riskant und immer weniger effektiv“ an, sich auf Kernwaffen zu verlassen. Die „neue nukleare Ära werde noch mehr prekär, psychologisch verwirrend und volkswirtschaftlich teuer sein als die Abschreckung des Kalten Krieges.“ 12 Sie unterstützen das Ziel einer kernwaffenfreien Welt und Aktivitäten, um dieses Ziel zu erreichen, in Anknüpfung an den Reykjavik-Gipfel zwischen Reagan und Gorbatschow im Jahre 1986. Eine Führung durch die USA sei erforderlich, um die Abhängigkeit von Atomwaffen zu verringern und Proliferation zu verhindern: „Ohne eine starke Vision werden die Handlungen nicht als fair oder dringlich angesehen. Ohne die Handlungen wird die Vision nicht als realistisch oder möglich angesehen.“

Auf gleicher Wellenlänge argumentierte die ehemalige britische Außenministerin Margaret Beckett im Juni 2007 in ihrer Rede bei der jährlichen Carnegie-Konferenz zur Nichtverbreitung, bei der die kernwaffenfreie Welt eine wichtige Rolle spielte. Der Applaus der Teilnehmer war Beckett sicher, als sie deutlich machte, dass wie schon beim Sklavenhandel das ultimative Ziel nicht die Regulierung oder Verringerung der Kernwaffen sei, sondern deren vollständige Beseitigung.13 Unter Bezugnahme auf ihre US-Kollegen sagte sie: „Was wir brauchen ist sowohl eine Vision - ein Szenario für eine Welt frei von Kernwaffen, und Handlungen - fortschreitende Maßnahmen zur Reduzierung der Zahl von Sprengköpfen und zur Begrenzung der Bedeutung der Kernwaffen in der Sicherheitspolitik.“

Nichtverbreitung vs. Abrüstung: kein Gegensatz

Während über das Ziel einer kernwaffenfreien Welt weitgehende Einigkeit herrscht, gibt es über den Weg dahin verschiedene Ansichten. Kofi Annan kritisierte die Polarisierung zwischen jenen, die Nichtverbreitung an die erste Stelle setzen und anderen den Zugriff auf Kernwaffen verwehren wollen, und den Abrüstungsbefürwortern, die Nichtverbreitung von Abrüstungsfortschritten abhängig machen. Nach Annan gehe es darum, Nichtverbreitung und Abrüstung gemeinsam anzugehen.

Differenzen gibt es darüber, ob nur einzelne Schritte verhandelt werden sollen oder auch das Gesamtziel einer kernwaffenfreien Welt. Bei einem inkrementellen Ansatz wird der jeweils nächste Schritt ins Auge gefasst, ohne eine integrierte Strategie zum Endziel. Ein Beispiel sind die auf der NVV-Konferenz 1995 vereinbarten Prinzipien und Ziele für Nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung, die durch die bei der NVV-Konferenz 2000 ausgehandelten 13 Schritte konkretisiert wurden.14 Bis heute wurde praktisch keiner dieser Schritte umgesetzt. Selbst der umfassende Teststopp-Vertrag ist bislang nicht ratifiziert. Die Verhandlungen über den Produktionsstopp kernwaffenfähiger Materialien sind seit einem Jahrzehnt fest gefahren. Statt weiterer Fortschritte waren Rückschritte zu verzeichnen. Der gesamte Abrüstungsprozess kommt ins Stocken, wenn der nächste Schritt nicht aushandelbar ist, weil sich Staaten benachteiligt fühlen und verschiedene Interessen nicht in einem größeren Kontext ausbalanciert werden.

Eine gegenteilige Strategie ist die Festlegung eines gegebenen Zeitrahmens für die Beseitigung aller Atomwaffen, bevor die Implementierung und damit verbundene Schritte konkret ausgehandelt wurden - ein Ansatz, den die blockfreien Staaten bislang unterstützten. Ein zeitlich fixierter Rahmen ist problematisch, da er vorab eine Festlegung erfordert, die selbst Gegenstand von Verhandlungen ist. Besser ist es, Ziel und Handlungen im Zusammenhang anzugehen (wie auch von Kissinger et al. und Beckett vorgeschlagen).

Warum eine Nuklearwaffenkonvention?

Eine Nuklearwaffenkonvention enthält sowohl Maßnahmen zur nuklearen Nichtverbreitung wie auch zur Abrüstung und begegnet damit der von Annan kritisierten Trennung zwischen Nichtverbreitungs- und Abrüstungsbefürwortern. Sie konkretisiert das umfassende Ziel einer Welt ohne Atomwaffen durch spezifische Maßnahmen und Schritte zur Erreichung dieses Ziels. Sie setzt einen rechtlichen Rahmen für das Verbot und die Abschaffung aller Kernwaffen, die Kontrolle des Nuklearkomplexes und spaltbarer Materialien und damit verbundene Verifikationsmaßnahmen sowie die Rechte und Pflichten von Staaten und Individuen.

Im Rahmen der NWK-Arbeitsgruppe von »Abolition 2000« wurde 1995 das Ziel gesetzt, einen Modellvertrag zu entwerfen. In Zusammenarbeit mit IALANA, IPPNW und INESAP15 etablierte das »Lawyers Committee on Nuclear Policy« eine Kommission, die bei Treffen in New York und Darmstadt einen Modellentwurf ausarbeitete. Dieser wurde bei der NVV-Konferenz im April 1997 der Öffentlichkeit vorgestellt, und noch im selben Jahr von Costa Rica den Vereinten Nationen als offizielles Dokument vorgelegt (UN Document A/C.1/52/7). Das 1999 erschienene Buch »Security and Survival«16 erläuterte die Argumente für die NWK und diskutierte kritische Fragen über verschiedene Themen (Verifikation, Durchsetzung, internationale Sicherheit, Alternativen zur nuklearen Abschreckung, Terrorismus, Gesundheit und Umwelt, Kernenergie, nukleares Wissen, Umkehrbarkeit, Konversion, Forschung und Entwicklung).17 Bei der NVV-Konferenz in Wien im Mai 2007 und im Rahmen des Starts der Kampagne ICAN (International Campaign for the Abolition of Nuclear Weapons) legten IALANA, IPPNW und INESAP eine erweiterte und aktualisierte Fassung sowohl der Modell-NWK wie auch des Buches vor.18 Costa Rica, gefolgt von Malaysia, reichten das Dokument bei der NVV-Konferenz bzw. bei der UNO ein19, und das Abschlussdokument der NVV-Konferenz verwies gar auf die NWK.20

Der Modellentwurf wurde von vielen Regierungen und NGOs positiv aufgenommen und bietet die Möglichkeit, breitere Kreise in den weiteren Überarbeitungsprozess einzubeziehen. Die Mehrheit der Staaten ist zu Verhandlungen bereit. Im Dezember 2006 forderten bei der UNO-Generalversammlung 125 Staaten, darunter auch China, Indien und Pakistan, dazu auf, die Abrüstungsverpflichtung sofort zu erfüllen „durch Aufnahme multilateraler Verhandlungen, die zu einem frühen Abschluss einer Nuklearwaffenkonvention führen, die die Entwicklung, Produktion, Erprobung, Stationierung, Lagerung, Transfer, Bedrohung oder den Einsatz von Nuklearwaffen verbieten und ihre Eliminierung durchführen.“ 21 Weitere Unterstützung kommt vom Australischen Senat, Neuseelands Parlament und dem Europäischen Parlament, die mehrere Resolutionen für die Abschaffung der Atomwaffen und/oder die NWK angenommen haben. Jüngste Initiativen gab es auch im britischen House of Commons und im US-Kongress.22

Ein Hauptzweck der Modell-NWK ist zu demonstrieren, dass die Abschaffung der Kernwaffen möglich und praktikabel ist. Was beim Verbot von Antipersonenminen 1997 gelang, ist auch bei Atomwaffen möglich. Ein Schlüssel zum Erfolg der Landminenkampagne war die öffentlichkeitswirksame Fokussierung auf ein vollständiges Verbot, nicht nur die Kontrolle bestimmter Typen oder Einsatzformen, die aufwändig zu unterscheiden wären. Die Modell-NWK soll dazu beitragen, das Konzept in die politische Diskussion einzubringen und Verhandlungen anzustoßen. Die Neuauflage trägt geänderten politischen Bedingungen Rechnung und behandelt damit verbundene Fragen, etwa zu Terrorismus oder zur Renaissance der Kernenergie. Unterschiedliche Ansichten sollten kein Hinderungsgrund sein, den Verhandlungsprozess zu beginnen, weil Differenzen dort ausgetragen werden können. Auch wenn die internationale Sicherheitslandschaft für nukleare Abrüstung heute nicht ermutigend ist, kann die NWK als Katalysator dienen, um die Transformation in die nuklearwaffenfreie Welt zu ermöglichen.

Kann die NWK überprüft werden?

Die NWK hat das Ziel, bestehende Kernwaffenarsenale dauerhaft zu eliminieren, die Herstellung neuer Kernwaffen zu verhindern und die Barriere für die Abzweigung kernwaffenfähiger Materialien so hoch wie möglich zu setzen. Zugleich geht es darum, die illegale Beschaffung von Kernwaffen zu verhindern und zu entdecken. Dabei ist eine Vielzahl von Objekten und Aktivitäten zu überwachen, von der Erforschung und Entwicklung einzelner Komponenten bis zu Einsatz und Beseitigung vollständiger Kernwaffen, Trägersysteme und Materialien. Einige dieser Aktivitäten sind leicht zu entdecken (wie Kernwaffenexplosionen), andere erfordern erhebliche Anstrengungen zur Überprüfung (etwa die Suche nach versteckten Sprengköpfen). Grundsätzlich wachsen die Risiken von Unsicherheiten mit sinkenden Kernwaffenzahlen, weil dann einige wenige heimliche Kernwaffen oder Nuklearmaterialien als große Bedrohung gelten. Andererseits ist in einer atomwaffenfreien Welt jeder Besitz von Kernwaffen oder ihrer Komponenten untersagt und damit leichter entdeckbar als in einer Welt voller Kernwaffen.

Die Abschaffung der Atomwaffen kann wirksam sein, wenn der Abrüstungsprozess transparent ist und das Vertrauen zwischen den Vertragsparteien stärkt. Effiziente Verifikationsmaßnahmen sind wichtig, um heimliche kernwaffenbezogene Aktivitäten mit hinreichender Zuverlässigkeit zu entdecken. Dabei kann eine Vielfalt von Mitteln und Verfahren für die Verifikation eingesetzt werden: Fernerkundung im sichtbaren, infraroten und Radarbereich des elektromagnetischen Spektrums; seismologische, radiologische, hydroakkustische und Infraschall-Detektoren; Sensoren zur Nahbeobachtung; kooperative Verifikation (Informationsaustausch, Inspektionen, präventive Kontrollen, gemeinsame Überflüge).23

Um die Einhaltung einer NWK sicher zu stellen, ist es erforderlich, über die bisherigen Safeguards-Maßnahmen der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) hinaus zu gehen, die die Bilanzierung, Eingrenzung und Überwachung der Nuklearmaterialien durchführt. Deren Ziel ist die rechtzeitige Entdeckung, nicht die Verhinderung, der Abzweigung der Materialien. Die Fälle Irak, Iran und Nordkorea zeigen die Grenzen dieses Ansatzes. Das 1997 abgeschlossene zusätzliche Protokoll erweiterte die Autorität der Safeguards-Behörde, ohne jedoch hinreichende Mittel zur Entdeckung heimlicher Aktivitäten aus der Distanz bereit zu stellen. Verbesserungen umfassen erweiterte Deklarationsverpflichtungen, Inspektionen und Verfahren der Umweltbeobachtung. Wertvolle Erfahrungen haben die bilateralen Aktivitäten zwischen USA und Russland zur Überprüfung des INF-Vertrags und der START-Abkommen gebracht, sowie das Programm zur kooperativen Bedrohungsreduzierung zwischen Russland und den USA.

Es ist praktisch kaum möglich, Atomwaffen zu entwickeln, zu erproben und zu stationieren, ohne nachweisbare Spuren zu hinterlassen. Für die Produktion von Kernwaffenmaterialien sind große Anlagen erforderlich wie Reaktoren und Anreicherungsanlagen, die nur schwer zu verstecken sind. Selbst wenn sie nur kleine Mengen von Spaltstoffen freisetzen, sind diese mit empfindlichen Sensoren nachweisbar und lassen wie bei Fingerabdrücken Rückschlüsse auf ihre Quelle zu. Für die Bestandsaufnahme wichtig ist die sogenannte nukleare Archäologie, die versucht, ein möglichst genaues Bild vergangener nuklearer Aktivitäten zu rekonstruieren. Soziale Verifikation, vertrauensbildende Maßnahmen und institutionelle Mechanismen (internationale Agentur, Konsultationen, Konfliktschlichtung) zielen darauf, den gesellschaftlich-politischen Kontext zu stärken.

Die Modell-NWK sieht vor, Kernwaffenmaterialien umfassenden präventiven Kontrollen zu unterwerfen, die eine Abzweigung signifikanter Mengen nicht nur entdecken, sondern erschweren oder gar unmöglich machen sollen. Dabei müssen auch nukleare Stoffe im zivilen Sektor in den Verifikationsprozess einbezogen werden. Ein internationales Registrierungs- und Überwachungssystem umfasst zerstörungsfreie Detektionsverfahren für die Nahüberwachung und die Entdeckung von Radionukliden in der Umwelt (z.B. Krypton-85). Neben systematischen Basis-Inspektionen erlauben Bedarfs-Inspektionen den Zugang zu kritischen Anlagen an jedem Ort und zu jeder Zeit. Spezielle Techniken wurden entwickelt, um von einem Vertrag erfasste Objekte eindeutig zu identifizieren (tagging). Einige technische Verfahren sind grundsätzlich verfügbar, andere erfordern zusätzliche Forschung und Entwicklung.24

Anmerkungen

1) Kofi Annan, Lecture at Princeton University, November 28, 2006, http://www.wagingpeace.org/articles/2006/11/28_annan_abolition.htm.

2) UN General Assembly Resolution 1 (1) Establishment of a Commission to Deal with the Problems Raised by the Discovery of Nuclear Energy, adopted 24 January 1946.

3) Beyond the NPT - A Nuclear-Weapon-Free World, Study Group Report of the International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP), New York/Darmstadt 1995.

4) Siehe INESAP Information Bulletin aus dieser Zeit sowie: J. Scheffran: Wege zum Ziel - Studien zur nuklearwaffenfreien Welt, in: W. Bender & W. Liebert (eds.): Wege zu einer nuklearwaffenfreien Welt, Münster 2001: agenda, 33-56; J. Scheffran & W. Liebert & M. Kalinowski: Beyond the NPT: The Nuclear-Weapons-Free World, INESAP Information Bulletin, No. 25, April, 4-9, 2005

5) Lake, Sosin and Snell 1997, Findings on Nuclear Weapons, http://prop1.org/2000/970401.htm.

6) The Simons Foundation, Global Public Opinion on Nuclear Weapons, Vancouver, Canada, September 2007, www.angusreidstrategies.com/uploads/pages/pdfs/Simons%20Report.pdf.

7) H.Res 479, 105th Congress, 2d Session, June 18, 1998, H.Res.82, 106th Congress, 1st Session, February 24, 1999. Resolution to the 109th Congress calling for nuclear abolition, http://www.gsinstitute.org/pnnd/docs/US_Kucinich_abolition_bill.pdf. H. R. 2545 Nuclear Disarmament and Economic Conversion Act of 1999

8) An Appeal to End the Nuclear Threat: Concerned Americans Speak Out. New York Times advertisement, 3 October 2000, http://www.gsinstitute.org/gsi/pubs/rsp_ad.pdf.

9) U.S. Mayors Ask Bush to Commit to Eliminating Nuclear Weapons, 25 June 2001. www.gsinstitute.org/archives/000061.shtml#000061; World Council of Churches 9th Assembly. Minute on the Elimination of Nuclear Arms. Porto Alegre, Brazil, 14-23 Feb 2006; The Rome Declaration of Nobel Peace Laureates, 19 November 2006. www.pugwash.org/reports/nw/Nobelrome_declaration.pdf

10) „28 States Participate: Inaugural Article VI Forum“ United Nations, New York, October 3, 2005. http://www.middlepowers.org/mpi/pubs/ArticleVI_Report.pdf

11) Weapon of Mass Destruction Commission, final report, Weapons of Terror: Freeing the World of Nuclear, Biological and Chemical Arms (Stockholm: June 1, 2006), p. 109.

12) G.P. Shultz, H.A. Kissinger, W.J. Perry, S. Nunn. A world free of nuclear weapons. Wall Street Journal. 4 Jan 2007, pA15.

13) M. Beckett, Keynote Address: A World Free of Nuclear Weapons? Carnegie International Nonproliferation Conference, Washington, June 25, 2007.

14) Principles and Objectives for Nuclear Non-Proliferation and Disarmament, NPT/CONF.1995/L.5, 9 May 1995; Advancing the NPT 13 Practical Steps, Middle Powers Initiative, Briefing Paper, April 2003, http://www.gsinstitute.org/mpi/pubs/13steps_0403.pdf.

15) IALANA: International Association of Lawyers Against Nuclear Arms; IPPNW: International Physicians for the Prevention of Nuclear War.

16) M. Datan & A. Ware & M. Kalinowski & J. Scheffran & V. Sidel & J. Burroughs: Security and Survival. The Case for a Nuclear Weapons Convention, IPPNW, IALANA, INESAP, Cambridge, 1999. In deutscher Übersetzung: IPPNW, IALANA, INESAP, Sicherheit und Überleben. Argumente für eine Nuklearwaffenkonvention, Berlin, 2000.

17) Zur Diskussion siehe auch: M. Datan & A. Ware & J. Scheffran: Nuclear Weapons Convention on Track, INESAP Bulletin, No. 11, Dec. 1996, S.4-6; W. Liebert & J. Scheffran & M. Kalinowski: Vom Urteil des Weltgerichtshofs zur Nuklearwaffenkonvention, in: IALANA (ed.): Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof, Münster 1997: LIT-Verlag, S.367-385; M.B. Kalinowski & W. Liebert & J. Scheffran: Ist die Zeit reif für die Nuklearwaffenkonvention?, in: Sicherheit und Frieden (S+F) 2/98, 108-114; J. Scheffran: Vom Nichtverbreitungs-Regime zur Nuklearwaffenkonvention, in: Dossier Atomwaffen, Wissenschaft und Frieden, 2/2004.

18) M. Datan & F. Hill & J. Scheffran & A. Ware: Securing Our Survival - The Case for a Nuclear Weapons Convention. IPPNW, IALANA, INESAP, Cambridge 2007; www.icanw.org/publications, www.inesap.org/books/securing_our_survival.htm.

19) NPT/CONF.2010/PC.I/WP.17, www.reachingcriticalwill.org/legal/npt/prepcom07/workingpapers/17.pdf. Eine deutsche Übersetzung der älteren Fassung findet sich unter www.atomwaffena-z.info/initiativen/nwc.pdf.

20) http://www.icanw.org/news#NWC%20in%20global%20meeting.

21) General Assembly vote on 6 December 2006, A/RES/61/83 Follow-up to the advisory opinion of the International Court of Justice on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, http://daccess-ods.un.org/access.nsf/Get?Open&DS=A/RES/61/83&Lang=E

22) PNND, Parliamentarians for Nuclear Nonproliferation and Disarmament, Update 18, July-August 2007.

23) Siehe weiter Kapitel 4 Verification in Datan et al 2007 und dort angegebene Quellen. Siehe auch M.B. Kalinowski & W. Liebert & J. Scheffran: Beyond technical verification. Transparency, verification, and preventive control for the Nuclear Weapons Convention, in: M.B. Kalinowski: Global Elimination of Nuclear Weapons, Baden-Baden 2000: Nomos, 61-68.

24) Verschiedene dieser Techniken sind beschrieben in INESAP Information Bulletin Nr. 27, Dec. 2006.

Dr. Jürgen Scheffran arbeitet in Forschung und Lehre an der University of Illinois zu Fragen internationaler Sicherheit und Umwelt. Er ist Mitbegründer von INESAP und »Abolition 2000« und Mitverfasser der Modell-Nuklearwaffenkonvention. INESAP ist das International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (http://www.inesap.org/).

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2008/1 Rüstungsdynamik und Renuklearisierung, Seite