W&F 2023/3

Über 100 Mio. Menschen zwangsvertrieben

Worum geht es?

  • Nach Angaben von UNHCR und IDMC waren noch nie so viele Menschen zwangsvertrieben wie 2022. Die Fluchtbewegungen sind erneut dramatisch angewachsen. Mittlerweile ist weltweit eine*r von ca. 74 Menschen auf der Flucht oder zwangsvertrieben.
  • Es gibt eine Vielzahl an miteinander verschränkten Ursachen, die diesen Bewegungen zugrunde liegen: kriegerische Handlungen, Gewalterlebnisse, politische Verfolgung und Vertreibung, nicht gesicherte Ernährungsgrundlagen, direkte Auswirkungen des Klimawandels, dramatische Naturereignisse. In vielen Ländern überschneiden sich Katastrophen und Konflikte, wodurch sich die Situation der Binnenvertriebenen verlängert und einige mehrfach hintereinander vertrieben werden.

Was sagen die Daten?

  • Den Angaben der UNHCR und IDMC zufolge gelten zum ersten Mal über 100 Mio. Menschen als zwangsvertrieben (vgl. Graphik 1). Noch 2021 gab UNHCR ca. 89,3 Mio. auf der Flucht befindliche Menschen an.
  • 71,1 Mio. Menschen lebten als Binnenvertriebene (62,5 Mio. aufgrund von Gewalt; 8,7 Mio. aufgrund von Katastrophen, vgl. Graphik 2), ein Anstieg von 20 % innerhalb eines Jahres und die höchste jemals verzeichnete Zahl. Im Laufe des Jahres wurden 60,9 Mio. Binnenvertreibungen oder bewegungen registriert, 60 % mehr als 2021 und ebenfalls der höchste jemals verzeichnete Wert.
  • Die Zahl der Vertreibungen im Zusammenhang mit Konflikten und Gewalt hat sich mit 28,3 Mio. fast verdoppelt (vgl. Graphik 2). Der Krieg in der Ukraine löste die höchste Zahl an Vertreibungen aus, die je für ein Land verzeichnet wurde.
  • Das Wetterphänomen La Niña führte sowohl zu einer Rekordzahl von Flutvertriebenen als auch auf der anderen Seite des Planeten zur schlimmsten Dürre seit Beginn der Aufzeichnungen – und führte zu 2,1 Mio. Vertreibungen.
  • Binnenvertreibung ist ein globales Phänomen, aber fast drei Viertel der Binnenvertriebenen weltweit leben in nur zehn Ländern: Syrien, Afghanistan, D.R. Kongo, Ukraine, Kolumbien, Äthiopien, Jemen, Nigeria, Somalia und Sudan.

Friedenspolitische Konsequenzen?

  • In einer Welt, die mittlerweile von Migrationsbewegungen geprägt ist, darf Zwangsvertreibung nicht als scheinbar »normal« akzeptiert werden. Wenn die Verkoppelung der Fluchtursachen verstanden wird, können krisenhafte Ereignisse, Fluchtbewegungen und Interventionsentscheidungen in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden.
  • Der unbedingte Einsatz für zivile und diplomatische Konflikttransformation und die Bereitschaft zu humanitärer Unterstützung für Geflüchtete, sowie eine globale Fairness in Bezug auf die Aufnahme, scheinen angemessene friedenspolitische Forderungen mit unmittelbaren Folgen für Zwangsmigration.

Literatur

IDMC (2023): Global Report on Internal Displacement (GRID) 2023 – Internal displacement and food security. IDMC und Norwegian Refugee Council.

UNHCR (2022): Refugee Data Finder – More than 100 Million people are forcibly displaced. Webpage, unhcr.org/refugee-statistics.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2023/3 Gesellschaft in Konflikt, Seite 23